Debitismus for Dummies – 13 Mythen rund um Geld, Gold und Geschäftsbanken

Phoenix5, Dienstag, 11.09.2018, 00:14 (vor 2016 Tagen)10818 Views
bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 11.09.2018, 01:05

Nachdem mir über die letzten Jahre immer klarer wurde, dass der Debitismus für Außenstehende nur schwer mit dem Forumsjargon vermittelt werden kann, habe ich mir überlegt, wie ich mir anno dazumal gewünscht hätte, dass man mir diese Wirtschaftstheorie (besser: Wirtschaftspraxis) erklärt. Welche Worte und welche Szenarien hätte man wählen müssen, damit ich mir einige Jahre an eigener Recherche erspart hätte? Ich habe deshalb das letzte halbe Jahr damit verbracht, die Kapitel zum Kapitalismus fast von Grund auf neu zu schreiben (ab dem Kapitel »Der Kapitalismus«). Für´s Gelbe gibt es hier eine Kurzfassung. Zur Langfassung führt der link in der Signatur.

Um das Grundprinzip des Debitismus nicht allein anhand abstrakter historischer und ökonomischer Abläufe zu erahnen, sondern wirklich verstehen zu können, bin ich von der Beschreibung der komplexen Verflechtungen zwischen Staat, Zentralbank, Geschäftsbank und Publikum großteils abgerückt und erkläre die realen wirtschaftlichen Abläufe, so wie sie also tatsächlich stattfinden, anhand von geschäftlichen Beziehungen zwischen Privatpersonen und hoffe, dass daraus ersichtlich wird, wie Paul C. Martin den Faden zur Machttheorie logisch weitergesponnen hat. Die Gründe für das zwingende Scheitern des kapitalistischen Systems kann man nur in der Langfassung nachlesen, um hier nicht den Rahmen zu sprengen.
Nachdem sogar die Deutsche Bundesbank ihre Homepage mittlerweile von all dem neoklassischen Mist bereinigt hat, wird es langsam höchste Zeit, dass der debitistische Konsens auch den Mainstream erreicht. Mir persönlich blutet nämlich das Herz, wenn selbst Plattformen, die von Lesern des Gelben frequentiert werden (z.B. das Goldseiten-Forum), noch immer den Unsinn von »Geld aus dem Nichts«, »Multipler Geldschöpfung«, »Schuldgeldsystem vs. schuldfreier Goldstandard« etc. vorbeten, als hätte es die Erkenntnisse des Gelben Forums der letzten zwei Jahrzehnte nie gegeben, und es gleichzeitig im Gelben selbst relativ still um den Debitismus geworden ist und die alte neoklassische Leier langsam wieder Einzug hält.


Mythos I: Banken erfinden einfach Geld und verleihen es

Nein, das tun sie nicht. Sie schaffen Zahlungsmittel, die ein Anspruch auf Geld sind, so wie das prinzipiell auch jede Privatperson tun kann. An dieser Stelle sollten wir zwei grundverschiedene Dinge auseinanderhalten: »Kredit« und »Geldleihe«.

Das Prinzip der Geldleihe kennt jeder: Privatperson B leiht Privatperson A 100€ in bar und will das Geld in Raten oder endfällig zum Termin zurück. So stellen sich die meisten leider auch das Bankgeschäft vor. In Wahrheit ist das Einräumen von Kredit etwas völlig anderes als eine Geldleihe.
Stellen wir uns hierfür wieder Privatperson B(ank) und Privatperson A vor. Person A will sich Geld leihen von Person B. B hat zwar Vermögenswerte in Millionenhöhe in Form von Sachgütern, Wertpapieren, usw., aber nur wenig Bargeld flüssig. Um A das Geld leihen zu können, müsste B Vermögenswerte verkaufen. Das will B aber zu diesem Zeitpunkt nicht. Da B eine reiche, angesehene Person ist, der man gemeinhin vertraut und eine hohe Bonität unterstellt, gibt B dem Kreditnehmer A kein Geld, sondern einen Schuldtitel mit der Forderung auf Geld, d.h. sie schreibt die Kreditsumme auf diesen Schuldtitel und verpflichtet sich, dass sie diesen, wenn er ihr vorgelegt wird (auf Sicht), sofort oder zu einem dokumentierten Termin in Bargeld umwandelt. Person B haftet also mit ihrem Vermögen für die Einlösung des Schuldtitels. Wieviel Sicherheiten der Kreditnehmer A für seinen Kredit hinterlegt ist irrelevant und allein Sache von Kreditgeber B, d.h. je mehr Vertrauen Person B in die Rückzahlung des Kredits von A hat, desto weniger Sicherheiten wird sie verlangen. Letztendlich haftet zuerst Person B für die Werthaltigkeit des von ihr ausgestellten Schuldtitels, wenn ihr dieser zur Umwandlung in Bargeld vorgelegt wird. Die Sicherheiten von A dienen B nur dazu, sich im Fall der Fälle schadlos zu halten.

A hat also nun einen Zettel in der Hand, auf dem in großen Buchstaben (im realen Leben nicht) steht: »10.000€, garantiert durch Privatperson B. Wird nach Vorlage in bar ausbezahlt.« A kann nun mit diesem Schuldschein zum Händler einkaufen gehen, da dieser den Ruf von B kennt und darauf vertraut, dass B ihm das Geld ausbezahlen wird, wenn er es benötigt. Was B hier geschaffen hat, ist Giralgeld. Das ist völlig legal, kein Betrug, sondern das Geschäft der Banken, reicher Geldgeber und Unternehmen (zedierte Wechsel oder Wechsel gezogen auf sich selbst wie Sola- oder Finanzwechsel) seit rund vier Jahrtausenden, völlig unabhängig davon, ob die Bank in einem Papiergeld- oder Metallgeldstandard operiert. Der Händler, der nun die Forderung auf 10.000 € in seinen Händen hält, kann damit seinerseits einkaufen gehen oder mit dem Schuldtitel zu Person B gehen, um sich die Summe in bar ausbezahlen zu lassen. Anders als beim Wechsel gibt es beim heutigen Giralgeld keinen Fälligkeitstermin, der abgewartet werden muss, bis man die Summe in bar ausbezahlt bekommt. Warum das so ist, erkläre ich später bzw. ausführlicher in der Langfassung. Der Einfachheit halber gehen wir auch in unserem Beispiel von einem Schuldtitel ohne Fälligkeitstermin aus.


Mythos II: Banken verleihen Einlagen von Sparern weiter

Nein, das tun sie nicht. Wie wir im obigen Beispiel gesehen haben, benötigte Privatperson B keine Einlagen, um Kredit zu vergeben. Was Person B brauchte, waren Vermögenswerte, d.h. Aktiva, mit denen sie für den Schuldtitel haftete. Auch Geschäftsbanken brauchen nicht einen einzigen Sparer, um Kredit einzuräumen, aber warum sind sie dennoch so erpicht auf Einlagen und verzinsen diese sogar (wenn auch heute nur mit mickrigen Zinsen)? Kommen wir für die Beantwortung dieser Fragen wieder zurück zu unserem mikroökonomischen Beispiel oben. Die wohlhabende Person B hat also der Privatperson A durch Belastung ihres Vermögens Kredit eingeräumt und A geht mit diesem Schuldtitel beim Händler einkaufen. Dieser akzeptiert den Schuldtitel von B, nutzt ihn aber nicht weiter als Zahlungsmittel, sondern will das Versprechen von B, die Summe bei Vorlage auszubezahlen, eingelöst sehen. Er geht also zu B und »will sehen«. Person B, die nach wie vor kein Bargeld flüssig hat, hat nun zwei Möglichkeiten, wie sie an Bargeld kommt, um es dem Händler auszubezahlen:

1) Sie könnte entweder Vermögenswerte am Markt verkaufen und so zu Bargeld kommen.

2) Sie könnte den Schuldtitel annehmen und sich jemanden suchen, der diesen Schuldtitel während der Laufzeit des Kredits von A gegen Hereinnahme zu Bargeld macht. Sie findet also einen C, der sich bereit erklärt, den Schuldtitel in Bargeld umzuwandeln. Dieser C wird das allerdings nicht selbstlos tun, sondern natürlich nur gegen einen Zins (diskontiert oder aufgeschlagen). B kann also dem Händler jetzt das Bargeld überreichen und bezahlt dafür Zinsen an C. Wenn der Kreditnehmer A seinen Kredit an Person B abbezahlt hat, geht Person B zu C, gibt ihr das Bargeld von A (zuzüglich des verlangten Zinses), nimmt seinen Schuldtitel zurück und vernichtet ihn. Der Kredit ist also getilgt, B hat seinen Schuldtitel zurück und alles ist wieder auf Ausgangsstellung.

Dieses Beschaffen von gesetzlichem Zahlungsmittel (Bargeld) nennt sich »Refinanzierung« und wird im modernen Geldsystem von den Zentralbanken (Bank der Banken) ermöglicht. Sie sind dieser C, der entweder Vermögenswerte der Geschäftsbanken gegen Bargeld aufkauft (üblicherweise nur zeitlich befristet gegen eine Rückkaufvereinbarung) oder eben einen Schuldtitel der Geschäftsbank während der Laufzeit gegen einen Leitzins in Bargeld umwandelt. Dieser Punkt ist tatsächlich auch der einzige fundamentale rechtliche Unterschied zwischen der Kreditvergabe von Privatpersonen und der Kreditvergabe von Geschäftsbanken. Privatpersonen müssen sich diesen Dritten am Markt suchen, Geschäftsbanken haben darüber hinaus die Zentralbank.

Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit, wie B den Händler zufriedenstellen kann, und diese dritte Möglichkeit kennt jeder von uns, auch wenn viele noch nie bewusst darüber reflektiert haben: Er bietet dem Händler an, den Schuldtitel hereinzunehmen und zu verzinsen, wenn dieser im Gegenzug vorerst auf eine Auszahlung verzichtet. Das ist der Grund für die (geringe) Verzinsung von Giralgeld am Konto oder die etwas höhere Verzinsung auf gebundenen Sparbüchern (Verzicht der Auszahlung während der Laufzeit). Die Bank erspart sich durch eine Verzinsung der Giralgeldguthaben die Refinanzierungskosten, weil dadurch viel weniger Menschen ihr Geld in bar abheben. Daneben müsste eine Geschäftsbank Giralgeldabflüsse, die durch eine Überweisung von einer Geschäftsbank zur anderen stattfinden, beim sogenannten »Clearing« in Zentralbankgeld (»elektronisches Bargeld«) ausgleichen. Auch das soll durch eine positive Zinszahlung verhindert werden.

In unserem Beispiel hat die wohlhabende Person B die Refinanzierungskosten (anfallende Kosten bei Veräußerung von Vermögenswerten bzw. Zinszahlung an den Dritten zur Erlangung von Bargeld), bzw. die Zinskosten für den Verzicht auf die Auszahlung des Schuldtitelhalters, bereits zu Beginn dem A auf seinen Zins aufgeschlagen (deshalb braucht sie auch keinen Fälligkeitstermin für die Umwandlung von Giralgeldguthaben in Bargeld). Sie rechnet also von Anfang an damit, dass der Schuldtitel noch vor Fälligkeit des darunterliegenden Kredits auf Sicht vorgelegt und die Ausbezahlung verlangt wird. Dasselbe machen die Geschäftsbanken. Auch sie schlagen dem Kreditnehmer etwaige durchschnittliche Refinanzierungskosten auf seinen Zins auf. Deshalb ist es Zentralbanken möglich, durch eine Änderung des Leitzinses (= Kosten für die Refinanzierung der Geschäftsbanken) indirekt Einfluss auf die Kreditvergabe zu nehmen. Erhöht sie den Leitzinssatz, wird dieser von den Geschäftsbanken an die Kreditnehmer weitergegeben und drosselt so die Kreditvergabe.


Mythos III: Banken betreiben Multiple Geldschöpfung

Nein, das tun sie nicht, wie wir gerade gesehen haben. Abgesehen davon steht Giralgeld, das auf ein Girokonto überwiesen wurde, auf der Passiv-Seite der Bankbilanz und Passiva kann man nicht verleihen.
Stellen wir uns hierfür wieder die Privatperson B vor, die einen Kredit gegen Belastung ihres Vermögens an A vergibt. A zahlt mit dem Schuldtitel bei C. B lockt mit Zinsen, um wieder an seinen Schuldtitel zu gelangen, um zu vermeiden, dass jemand ihn gegen gesetzliches Zahlungsmittel bei ihm einlöst, weil er keine Vermögenswerte veräußern will. C gibt B den Schuldtitel zur Verwahrung (gegen Zins). B hat also jetzt eine Verbindlichkeit (Schuld) gegenüber C und C eine Forderung (gesetzliches Zahlungsmittel) gegenüber B. Wenn B nun diesen Schuldtitel an D »weiterverleiht« (es ist völlig gleichgültig, ob er diesen Schuldschein weiterverleiht oder einen anderen, neuen Schuldschein ausstellt), dann tut er das wieder, indem er sein Vermögen belastet. Er schuldet also jetzt sowohl C als auch D gesetzliches Zahlungsmittel. Von »Multipler Geldschöpfung« gibt es nicht die geringste Spur. Möglich – aber völlig sinnlos, da Geschäftsbanken, wie wir gesehen haben, keine Einlagen zur Kreditschöpfung benötigen – wäre das nur bei der Einzahlung von Bargeld, aber hier würden der Geschäftsbank rasch die notenbankfähigen Sicherheiten fehlen um sich refinanzieren zu können. Wenn also die Geschäftsbanken das Bargeld nicht zur Aufstockung der Barreserve benötigen, werden sie damit wohl eher ihre Pfänder bei der Notenbank auslösen. Auch hier ist von einer »Multiplen Geldschöpfung« nichts zu entdecken.


Mythos IV: Banken bereichern sich durch den Ankauf von Vermögenswerten mit erfundenem Geld

Nein, das tun sie nicht. Auch hier haben wir es mit einem gewöhnlichen Geschäft innerhalb der Rechtssphäre zu tun, das auch zwei Privatpersonen abschließen könnten. So kann eine Privatperson B ihr Vermögen belasten, einen Schuldtitel ausstellen und damit beispielsweise ein Haus kaufen, wenn dieser Schuldtitel aufgrund des Vertrauens zu B als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Auch wenn B nun Eigentümer eines Hauses ist, ist dabei sein Vermögen zu keinem Zeitpunkt angewachsen, weil er ja auf der Passiv-Seite der Bilanz eine Verbindlichkeit gegenüber dem Hausverkäufer offen hat (Bilanzverlängerung). Der Halter des Schuldtitels (der Verkäufer des Hauses) kann nämlich jederzeit (oder nach Fälligkeit) die Herausgabe von Bargeld verlangen und wenn B dieses nicht vorweisen kann, muss er Vermögenswerte veräußern, beispielsweise sein gerade eben erst gekauftes Haus (Bilanzverkürzung). Erst wenn der Preis des Hauses steigt, hat B Gewinn gemacht. Fällt er, muss B Verluste schreiben.


Mythos V: Diese Abläufe gibt es nur in einem »Schuldgeldsystem« – im Goldstandard war das ganz anders


Nein, war es nicht. Das Bankgeschäft war auch in einem Warengeldstandard genauso, wie beschrieben. Statt ungedecktem Bargeld, war eben goldgedecktes Bargeld die Forderung, die auf dem Schuldtitel stand. Auch die Zentralbanken, sofern vorhanden, fungierten als Refinanzierungsstellen für Schuldtitel (z.B. Wechsel) und wenn es keine gab (z.B. in einem System mit 100% Golddeckung), dann musste sich die Bank eben am Markt refinanzieren. Nochmal: Auch im Goldstandard wurde Kredit vergeben und nicht primär Gold verliehen. Es gab und gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen einem Goldstandard und einem Papiergeldsystem. Der einzige Unterschied war, dass der Leitzins zur Refinanzierung mit dem Goldbestand der Notenbanken korrelierte. Gab diese zu viel Bargeld an die Geschäftsbanken aus (gegen Hinterlegung von Pfändern, siehe Refinanzierung in unserem mikroökonomischen Beispiel oben), drohte die Deckung unter das rechtlich geregelte Maß zu fallen und die Zinsen stiegen, um die Kreditvergabe der Banken zu drosseln (und damit die Nachfrage nach Bargeld). Es gab also im Goldstandard kaum Möglichkeiten den Marktzins zu manipulieren. Und das ist auch schon der einzige Unterschied. Wie wäre es auch anders möglich gewesen, allein die Goldminen selbst vorzufinanzieren, wenn nicht durch Kredit? Hat man all das erst begriffen, werden die Lobeshymnen auf den Goldstandard von libertärer Seite immer obskurer, weil sich das System dadurch eben keinen Deut ändert (Kreditkrisen kommen in kürzeren Intervallen, weil weniger stark aufgeschuldet werden kann. Aber das war´s auch schon). Darüber hinaus müssen die Freunde des Kapitalismus einmal erklären, was an einem staatlich verordneten Goldstandard marktliberaler sein soll, als an einem entfesselten Kapitalismus, dessen Produktivität nicht von künstlichen Goldbremsen verzerrt wird.


Mythos VI: In einem echten libertären System würde Ware gegen Ware getauscht. Kredit gäbe es dort nicht

Wenn man mit dem Wort »libertär« eine anarchistische Kommune ohne Eigentumsbegriff meint, dann ja. Zwar würde dort wohl eher nicht getauscht (nur Tausch zwischen den Kommunen), sondern solidarisch produziert werden, aber Kredite gäbe es dort definitiv nicht. Der Begriff »Eigentum« setzt aber IMMER ein Machtmonopol voraus, das Eigentum garantiert, schützt und die Einhaltung von Verträgen gewährleistet. Auf den Unsinn mancher libertärer Autoren, die von einem Eigentumsbegriff ohne Staat träumen, möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst eingehen. Wichtig ist nur, dass sobald Eigentum existiert, dieses beliehen werden kann. Deshalb gehen Kredit und Eigentum historisch immer Hand in Hand. Die Ironie an der Sache ist, dass ohne den von Libertären so verhassten Staat nicht nur kein von ihnen so geheiligtes Eigentum definierbar ist, sondern dass dieses Eigentum letztlich sogar Ursache und Voraussetzung für die Entstehung des heftig kritisierten privat geschöpften Kredites ist.


Mythos VII: Gold ist aber durch die Leistung gedeckt, die beim Ausgraben aufgebracht werden musste, während Papiergeld völlig ungedeckt ist (»Fiat money«)

Nein, ist es nicht. Die Leistung beim Ausbuddeln von Gold ist für den Markt irrelevant. Wenn ich heute mit meinen bloßen Händen tagelang das Gras auf einer Wiese ausreiße, hat es dennoch keinen Wert, solange sich niemand findet, der es nachfragt. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis und nicht irgendein »intrinsischer Wert«. Gold wurde im Goldstandard nachgefragt, weil es gesetzliches Zahlungsmittel war. Ende der Geschichte. Eine Wertrelation zum Markt erhält es erst durch den Markt, d.h. durch das schuldengetriebene Vehikel aus Vorfinanzierung (Kredit) und Produktivität. Wäre Gold damals eine x-beliebige Ware gewesen wie heute, hätte auch sein Preis genauso geschwankt wie heute. Und der Preis des Goldes heute basiert auf dem reinen Glauben an seinen Wert. Am Ende ist Gold nämlich nichts anderes als ein relativ unnützes Metall (was nichts über sein Potential zur Preissteigerung aussagt!). Um das besser zu verstehen, widmen wir uns vorerst dem Papiergeldsystem, denn Papiergeld ist mitnichten »ungedeckt«.


Mythos VIII: Papiergeld erhält seinen Wert nur durch den Glauben daran

Nein, tut es nicht. Erklären wir das wieder anhand unseres mikroökonomischen Beispiels. Privatperson B hat durch Belastung ihrer Vermögenswerte Privatperson A einen Kredit von 10.000 € eingeräumt. Sie hat damit also Zahlungsmittel in die Welt gesetzt, die zuvor noch nicht existiert haben. Damit A seinen Kredit tilgen kann, muss er innerhalb der Laufzeit seines Kredits diese 10.000 € am Markt nachfragen (!), um seinen Kredit zu tilgen. Das bedeutet: Alles Geld (sowohl Giralgeld, aber auch Bargeld – siehe später) im Kapitalismus wird nach seiner Schöpfung durch einen Akt der Verschuldung bereits im annähernd selben Moment nachgefragt (nominal sogar darüber hinaus, wenn man den Zins berücksichtigt), um damit den Kredit tilgen zu können. Alles Geld im Kapitalismus unterliegt also einem Nachfragezwang! Es entsteht durch ein Kreditgeschäft und muss zur Tilgung des Kredits auch wieder nachgefragt werden. Geld bezahlt im Kapitalismus also immer Schulden. Das bedeutet aber auch, dass Giralgeld und »ungedecktes« Bargeld (Papiergeld) – anders als die Neoklassiker und Anhänger des Goldstandards behaupten – niemals durch einen Vertrauensverlust über Nacht wertlos werden kann. Wie sich eine Hyperinflation tatsächlich warmläuft, ist bitte in der Langfassung nachzulesen.


Mythos IX: Trotzdem ist Papiergeld ungedeckt

Nein, ist es nicht. Mikroökonomisch würde die Schöpfung und Vernichtung von Geld so aussehen: Der Kreditnehmer A nimmt einen Kredit von 10.000 € auf, geht mit diesem Geld einkaufen und muss schließlich durch Feilbietung von Waren und Dienstleistungen das Geld wieder zurückerlangen, um seinen Kredit bedienen zu können. Danach würde das Geld im Nichts verschwinden, aus dem es kam. Realiter sind es, statistisch gesehen, natürlich nicht dieselben 10.000 €, die nachgefragt werden, sondern es wird das Geld anderer Leute durch das Anbieten von Waren und Dienstleistungen nachgefragt. Diese Betrachtung hat Sprengkraft. Sie zeigt nämlich, dass Geld (Giralgeld oder gesetzliches Zahlungsmittel), sobald es existiert, immer an ein Leistungsversprechen gebunden ist. Der Kreditnehmer A, der erst Zahlungsmittel zusammen mit der Privatperson B (Gläubiger) erzeugt, muss etwas leisten, um für die Tilgung des Kredits das Geld wieder am Markt einzusammeln. Und der Markt bewertet seine Leistung, d.h. erst wenn der Kreditnehmer genug Waren und/oder Dienstleistungen am Markt verkauft hat, damit er die zu tilgende Kreditsumme beisammen hat, kann er sich von seiner Schuld befreien.

Um das nochmals zu verdeutlichen: Der Nachfragezwang nach Zahlungsmittel (Geld oder Giralgeld) gibt diesem zuerst einmal einen grundsätzlichen Wert, aber erst die Leistung, die der Kreditnehmer zu erbringen hat, um diesen abzubezahlen, ist die Ursache für die Wertstabilität des Geldes, weil das Geld dadurch direkt an das Wirtschaftswachstum in einem kapitalistischen System gekoppelt ist. Papiergeld ist also mit dem BIP gedeckt. All das war übrigens im Goldstandard exakt dasselbe. Es gibt hier keinen Unterschied. Die zusätzliche Deckung mit Gold verhinderte bloß kreditäre Exzesse, weil die im Kapitalismus (auch im Goldstandard!) zwingend auftretenden Zyklen aus Boom und Bust in kürzeren Intervallen auftraten.


Mythos X: Es gibt aber werthaltiges Geld, das nicht durch Schulden entstanden ist, wie eben Gold

Nein, gibt es nicht. Es gibt Sachwerte und Konsumgüter wie Nahrungsmittel, Baumaterialien oder Bekleidung, die nachgefragt werden müssen – das ist aber kein Geld im eigentlichen Sinne. Bevor wir das anhand von Gold veranschaulichen, sollten wir klären, was Geld überhaupt ist. Hierfür verweise ich auf die Langfassung des vorliegenden Textes. Was wir hier aber in aller Kürze sagen können: Geld ist kein Wert an sich und war es auch noch nie. Geld ist immer an ein Leistungsversprechen in der Zukunft gebunden, wie wir das anhand von Giralgeld oben gesehen haben. Anders könnte es auch nicht wertstabil sein.

Bargeld wird vom Prinzip her genauso generiert: Hierfür tritt die Notenbank als »Kreditgeber« für die Banken auf. Die Banken hinterlegen Schuldtitel oder Vermögenswerte (gegen eine Rückkaufsvereinbarung, d.h. einen Fälligkeitstermin) bei der Notenbank und bekommen dafür frisch gedrucktes Bargeld im Gegenwert der Sicherheit und keinen Cent mehr. Die Notenbanken wandeln also die von der Geschäftsbank angedienten Pfänder 1:1 in Bargeld um und verlangen dafür Zinsen (die, anders als gern behauptet, wieder an den Staat ausgeschüttet werden). Wie echte Geschäftsbankkredite, haben auch diese Notenbankkredite (die de facto keine Kredite, sondern ein Aktivtausch sind, weil die Notenbank nur den Gegenwert der Pfänder in Bargeld umwandelt und damit nicht mit ihrem Vermögen haftet) einen Fälligkeitstermin, an dem das Bargeld wieder zurückbezahlt werden muss. Nach Rückzahlung ist das Bargeld wertlos und verschwindet entweder in den Tresoren der Notenbank oder wird bei zu starken Abnutzungserscheinungen physisch verbrannt. Ebenso verschwindet auch ein zurückbezahlter Kredit aus den Bilanzen der Geschäftsbanken. Es gibt hier keinen prinzipiellen Unterschied zum Goldstandard (hier wurden meist Wechsel als Sicherheit hinterlegt).

Nicht das Gold bewertet also die Waren und Dienstleistungen in einem Wirtschaftssystem auf Basis eines Goldstandards, sondern die Wirtschaftsleistung bewertet das Gold. Deshalb war eine Goldwährung auch so wertstabil, während Gold heute – dessen Wert im Gegensatz zum vielgescholtenen »fiat money« tatsächlich nur auf Glauben beruht – wie verrückt im Preis schwankt. Bargeld ist also in krisenfreien Zeiten vollständig gedeckt mit Vermögenswerten bzw. Schuldtiteln höchster Bonität, da die Zentralbank an ihre Pfänder wesentlich strengere und konservativere Kriterien anlegt als die Geschäftsbank an die Pfänder ihrer Kunden.


Mythos XI: Aber wenn ich zu Zeiten des Goldstandards in einer alten verlassenen Goldmine einen Klumpen Gold am Boden gefunden hätte, dann hätte ich doch einen Wert netto in der Hand?


Leider nicht. Natürlich könnte man mit diesem Klumpen Gold einkaufen gehen (oder es zuvor zu einer Münze umprägen lassen bzw. für goldgedecktes Bargeld bei der Notenbank hinterlegen), d.h. für den Finder des Nuggets würde das keinen Unterschied machen. Das ändert aber nichts daran, dass dieses »Netto-Gold« die übrige Goldmenge inflationiert, weil ja der Wirtschaftsoutput gleich geblieben ist, d.h. dieses Goldnugget wird in eine bereits vorhandene Goldmenge eingestreut und entwertet sie so, weil es nicht – wie echtes Geld – an die Wirtschaftsleistung gekoppelt ist. Man kauft mit diesem Goldnugget (inflationäre Nachfrage), treibt so die Preise in dem Segment, in dem man gekauft hat, erbringt aber im Gegenzug keine Leistung (deflationäres Mehrangebot), die diese Inflation wieder wegfrisst. Es steht also ein Mehr an Gold einem gleichbleibenden Ausschuss an Waren und Dienstleistungen gegenüber. Gold hat also, wie jedes andere, nicht auf Schulden basierende Geld, keinen »intrinsischen Wert«. Macht es langsam »Klick«?


Mythos XII: Gold war aber schon in vorstaatlicher Zeit ein Tauschmittel und da gab es keine Kredite


Das ist falsch. In vorstaatlicher Zeit gab es weder Geld, noch Märkte, sondern eine solidarische Produktion des Stammes und bestenfalls den Tausch »Ware gegen Ware« zwischen den Stämmen ohne Geld als Tauschmedium.


Mythos XIII: Mag sein, aber Gold war in einem Staatssystem bereits Geld als es noch keinen Eigentumsbegriff und damit auch keine Kredite gab. Also kann netto-Geld doch einen Wert haben.

Da knüpfen wir jetzt an die geniale Machtheorie von Paul C. Martin an. Wie konnte dieses Gold denn nach all dem Geschriebenen tatsächlich einen Wert haben? Nach allem, was wir bisher gesehen haben, muss Geld ja immer einem Nachfragezwang unterliegen und gleichzeitig an ein Leistungsversprechen gebunden sein, um Wert zu haben. Wie ist das möglich ohne Kredite?

Wir haben eigentlich im gesamten Text das Pferd von hinten aufgezäumt, denn nun sind wir am Ursprung der Geldentstehung und des Kapitalismus angelangt. Hier schließt sich der Kreis. Hier sehen wir, warum die Geldentstehung immer mit der Staatsentstehung Hand in Hand geht und hier sehen wir, warum Geld und Schuld ein untrennbares Zwillingspärchen sind. Es war die Steuer (Abgabe)! Der Staat erzwang die Lieferung einer Ware (zuerst Nahrungsmittel, später Waffenmetall, dann Edelmetalle) am Monatsende und DESHALB wurde diese Ware zu Geld. Das ist die Schuld »ex nihilo« – die Schuld aus dem Nichts, die Steuer!
Wenn der Staat beispielsweise eine bestimmte Menge Gold am Monatsende gegen die Androhung von Strafe abforderte, dann wurde dieses Gold nachgefragt, ausgegraben und es wurde Leistung erbracht, d.h. gewirtschaftet, um durch das Anbieten von Waren und Dienstleistungen an dieses Gold zu kommen! Die Steuer ist also der Ursprung allen Wirtschaftens! Sie erzwingt einen Surplus, d.h. ein Erwirtschaften eines Überschusses über den eigenen Verbrauch hinaus und dieser Surplus ist der erste, in alten Büchern so genannte »Zinnß«, aus dem sich der uns bekannte Zins und das Gewinnstreben im Kapitalismus ergibt. Fordert der Staat beispielsweise am Monatsende eine Unze Gold pro arbeitenden Staatsbürger ab, dann muss die Goldmine Leistung erbringen, um das Gold zu fördern und das Publikum muss Leistung erbringen, um Waren und Dienstleistungen gegen das Gold zu tauschen. Hier haben wir wieder die eindeutige Relation zwischen der Unze Gold (die für sich allein gesehen keinen Wert über den Schmuckwert hinaus hat) und dem generierten BIP, das notwendig ist, um an eine Unze Gold zu gelangen. Erst das BIP gibt der Unze Gold seinen Wert.

Wie sieht die Verbindung zwischen dem Zinnß (= Steuer), dem Gewinnstreben und dem Zins (der nichts anderes ist als der Gewinn des Unternehmens »Geschäftsbank«) genau aus? Stellen wir uns hierfür vor, jeder Staatsbürger hätte vor dem Start des kapitalistischen Wirtschaftens 10 Unzen Gold netto daheim. Diese 10 Unzen wären de facto wertlos (Schmuckwert und etwaigen Gebrauchswert lassen wir außen vor). Würde der Staat bilanzieren (was er nicht tut), müsste er mehr als 10 Unzen Gold abfordern, z.B. 11 Unzen, um überhaupt einen Gewinn verbuchen zu können. Weil nun jeder Staatsbürger ein Surplus erwirtschaften muss, produziert er nicht mehr in einer Solidargemeinschaft, sondern strebt als Wirtschaftssubjekt einen Gewinn oder Zins an.

Das ist der Kapitalismus – ein System, das (nicht) funktioniert.


Beste Grüße
Phoenix5


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung