Was fehlt: Wer ist Wir

Bergamr, Mittwoch, 31.08.2022, 19:01 (vor 1208 Tagen) @ Morpheus6512 Views

Hallo Morpheus,

hab Deine Beiträge verfolgt, hab Dein PDF gelesen, hast viel Hirnschmalz + edle Gedanken manifestiert.

Ich komm grad von einer Beerdigung, fühle mich daher in der richtigen Stimmung einer Antwort.

Deine Beschreibung der Metaebene, daß Demokratie auch nur eine Form der Herrschaft von Wenigen über Viele ist, hat ja schon Touqueville in den 1840er Jahren erläutert. Von daher, für den, der es wissen will, nichts Neues. In abgewandelten Worten der 1980er: Die Mafia ist immer und überall.

Dein Grundprinzip, alles auf 'unbeschränkbarer Freiheit des Einzelnen' und in der Interaktion der Einzelnen auf 'Konsensentscheidungen Aller' zu gründen, ist ein Prinzip von Stammesgesellschaften.

Diese sind aber limitiert auf eine mehr oder weniger große Zahl von Menschen, meist ausgedrückt in der 'Dunbar-Zahl' von ca. 150 Mitgliedern. So haben (vermutlich) Kelten, Germanen, Indianer, Südsee-Insulaner, Feuerland-Indios, etc. ihr Dasein strukturiert. Soweit, so gut.

Leider sind wir ein paar Runden weiter, selbst kleinste Weiler haben Größen von 250 Einwohnern, unsere ganze Komplexivität drückt sich in Zahlen aus, die schwindelnd machen.

Nun kann man sich vorstellen, daß (durch welche Ereignisse auch immer ausgelöst) Menschen wieder in solch kleinen Gruppengrößen zusammenleben. Nur: ich sehe keinerlei Bezug zur derzeitigen Situation der menschlichen Sozialisation. Also: ohne Katastrophe kein Zusammenfinden unter Deinen Prämissen. Daher: wie soll unsere hyperkomplexe Struktur durch solch kleinteiliges 'Konsensfinden' ersetzt werden?

Dieses 'Wir', das Du permanent unterstellst und als gegeben voraussetzt, existiert nicht. Die meisten 'Wirs' wollen einfach so weiter wie bisher, sind geistig keinesfalls in der Lage, Dir zu folgen und wollen vorallem gar keine Veränderung (ihr 'Sklavendasein' aufgeben). Für die Mehrheit ist der Begriff 'Freiheit' mit Wohlstandskonsum, materiell gesichertem Dasein und 3x Urlaub gekoppelt. (Was natürlich auch ein genialer Zug der Mafia war: den Widerspruch 'Freiheit vs. Sicherheit' aufzulösen und ähnlich des Begriffs 'Demokratie' mit materiellem Wohlstand in einen verkleisterten, denkhemmenden, infantilen Zustand der eigenen Denkunfähigkeit zu überführen. Freiheit ist konträr zu Sicherheit, wer anderes behauptet, ist unredlich).

Diese 'Wir' also, welches Du unterstellst vorhanden zu sein und nach neuen Wegen, anderen Lösungen, besseren Bedingungen strebt, ist nach meiner Beobachtung nur in verschwindend kleiner Zahl vorhanden. Und selbst wenn es mehr als Wenige sind, möchte ich Dich bitten, mir den Unterschied zum Gesellschaftsvertrag eines Rousseau und dessen schlechten Folgen in Richtung 'Erziehung der Menschheit' darzulegen. Und all den daraus folgenden -ismen (Sozialis-, Kommunis-, Faschis-, etc.)

Zuletzt: selbst wenn Du ein Konzept von 'Deligiertenversammlungen' in einer Größenordnung von einer Region von ca. 1 Million Menschen hättest, danach ist (meiner Ansicht nach) Schluß. Ich habe mich viel mit den Anarchosyndikalisten in Barcelona 1936 beschäftigt, auch in der Ukraine gab es in dieser Richtung Versuche, aber diese Zahl an Menschen übersteigen Stammesgesellschaftliche Strukturen. Es endet immer im Zusammenbruch der Utopie und im Beginn von neuer Herrschaft.

Barfuß oder Lackschuh ; Pentti Linkola oder Bill Gates.

Mein Werbespruch seit Jahren: Meine Lösung - Ihr Problem.

Deine Ausführungen mögen im Geiste edel sein, lesen sich aber wie alle Utopien seither: ein neuer Mensch, eine neue Religion muß her, dann wird alles gut.

Daher, bis auf weiteres, kein Bedarf meinerseits. Außer Du kannst mich überzeugen.

Gruß
Bergamr

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Ehrlich schade für die Heimat! Endgültig verloren seit Sommer 2015 ...


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