Unzulässige Außerachtlassung geschichtlicher Verläufe

Bergamr, Montag, 17.04.2023, 19:29 (vor 374 Tagen) @ Morpheus2396 Views

Hallo Morpheus,

wie schon @nereus, möchte ich Dir nahelegen, geschichtliche Verläufe in Deine geldgeschichtlichen Überlegungen einzubeziehen.

>>Ich verstehe das schon. Dieses System hat damals relativ gut funktioniert, weil
1) große Teile der Wirtschaft noch sehr regional arbeiteten
2) Deutschland sich bereits damals zu Exporteur von Waren entwickelt hatte (siehe Entstehung von "made in Germany") und damit Importeur von Gold/Silber war.<<

Meines Wissens nach hat die sog. Gründerzeit in Deutschland/Europa so floriert, weil es Unmengen an Neuentdeckungen in allen Bereichen und damit verbunden jede Menge Patente gab, die bahnbrechend auf bereits vorhandene Bereiche gewirkt haben, aber auch jede Menge Wirtschaftsbereiche erst entstehen ließen (z.B. Elektro-/Chemische Industrie). Kolonialmächte wie England oder Frankreich mögen noch von ihren Überseebesitzungen profitiert haben; das trifft auf Deutschland aber nicht zu. Ein weiterer Faktor war die allgemeine Elektrifizierung, die jegliche Arbeit, ob Industrie oder Handwerk, um mindestens Faktor 10 gesteigert hat. Mein Urgroßvater hat 1901 seine Werkstatt mit Elektromotor, Transmission und 3 Maschinen ausgestattet - er war seinen Kollegen um Lichtjahre voraus bei uns im Dorf.

Und zu 'made in Germany' sollte man wissen, daß das ein vom perfiden Albion geforderter Brandstempel für (aus deren Sicht) mißliebige deutsche Produkte war - keineswegs ein Gütestempel. Verrechnet wurden damals auch viele Exporte aus Deutschland heraus gegen Lieferung von Rohstoffen nach Deutschland hinein (z.B. Lokomotive gegen Stahl).

Da gäb's jetzt noch Beispiele zuhauf gegen Deine Punkte 1) + 2) ...

Der eigentliche Punkt ist jedoch: das Ende des Goldstandards wurde bewußt durch die Gründung der FED in den USA im Dezember 1913 eingeleitet, vordergründig wohl, um der Zerschlagung des Öl-Monopols von Standard Oil etwas entgegensetzen zu können, hintergründig wohl eher mit dem gewissen 'Riecher' der kommenden Ereignisse. Hinlänglich bekannt sind die großzügigen Kredite der USA und deren Banken an die Entente-Mächte in WK I (und deren gnadenlose Einforderung 'the day after'), ohne die diese gigantischen Materialschlachten nicht möglich gewesen wären. Im weiteren Verlauf hat sich die von Dir erwähnte 'Überlegenheit' dieser Art US-Dollar gezeigt in den Wirtschaftskrisen der Zwanziger Jahre, der Great Depression in den USA in den Dreißigern, der Finanzierung des Faschismus + Kommunismus in Europa und Rußland sowie im Kriegsgeschehen des WK II. Bekannt ist auch das Ende 1945: alle incl. Siegermächte am Boden, the winner is USA! Und die darauffolgenden Jahrzehnte bis heute wird die 'Überlegenheit' des US-Dollar einzig und allein durch die militärische Übermacht der US-Army begründet.

Das ist jetzt alles jetzt nur grob angerissen, Details gibt's zuhauf und in hinreichender Klarheit.

Aber: damit landen wir, ob wir wollen oder nicht, punktgenau bei @dottore und dem Debitismus.

<<Aber bereits im WK1 musste der Goldstandard verlassen werden und das private Gold "eingefordert werden", um die notwendigen Importe weiter zu finanzieren. Das ganze System hat also weniger als 50 Jahre funktioniert.<<

Natürlich mußte der Goldstandard verlassen werden, das war m.E. der Plan. Nur durch die 'Überreizung des Blatts' konnte sich FIAT-money durchsetzen und alles andere Schach-Matt setzen. Mit Goldstandard allein wäre eine Vollkatastrophe wie WK I + II nicht möglich gewesen. Und der danach einsetzende Vollrausch Konsum-Materialismus auch nicht. Da bin ich ganz bei @nereus, beim Augenmaß in punkto Kreditvergabe.

Langer Rede kurzer Sinn: wenn Du Dein Währungsheil in Beispielen der US-Dollar-Geschichte siehst und denkst, da muß man nur an ein paar Knöpfchen drehen, aber sonst ist das ganz knorke - ich denke, da solltest Du nochmal drüber hirnen.

Gruß
Bergamr

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Ehrlich schade für die Heimat! Endgültig verloren seit Sommer 2015 ...


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