Die Demokratisierung des wissenschaftlichen Diskurses

Miesepeter, Sonntag, 27.09.2020, 12:17 (vor 1309 Tagen) @ nereus3157 Views
bearbeitet von Miesepeter, Sonntag, 27.09.2020, 12:46

Hi Nereus,


Alle diese Fachkräfte "gönnen (oder gönnten) der verwirrten Bevölkerung" nicht einmal den Mindestschutz.
So schrieb ich an @Broesler:

Müßten alle diese Fachleute nicht wenigstens auf den beschränkten Nutzen hinweisen, wenn es so wäre, wie Du es sagst?
Das machen sie aber seltsamerweise nicht.

Wo liegt hier der Fehler?
Das fragt sich ein Nicht-Medizinier und Nicht-Virologe?
Könnte es sein, daß in deren Argumentation die von Dir beschrieben Risiken (Tragedauer, Umgang während des Tragens, falsche Handhabung insgesamt usw.) bereits enthalten sind?
Müßten Sie es dann nicht explizit erwähnen und auf eine korrekte Handhabung hinweisen?

Ja, eben!

Es ist doch keine Frage, dass eine allgemeine Tragepflicht von völlig undefinierten Masken ein totaler Humbug ist. Warum soll man sich hinter dem Steuer des eigenen Autos einen Damenschlüpfer vor den Mund binden? Das Ganze ist absurd.

Aber die passende Gegenrede ist eben nicht, die spiegelbildlich entgegengesetzte absurde Position einzunehmen, dass nämlich alle Masken in keiner Situation irgendeinen Zweck erfüllen. Womöglich mit der weiteren Unterstellung, dass die Menschen, selbst wenn es einen theoretischen Laboreffekt gäbe, die Masken sowieso nicht richtig zu nutzen wüssten.

Wissenschaftler haben wissenschaftlich festzustellen und zu belegen was messbar ist. Wenn sie Interpretationen der Feststellugen vornehmen, kann man von ihnen erwarten, dass sie das professionell machen. Das heisst zunächst alle Fakten und Erkenntnisse pro und contra aufführen, und dann hinterher ihre Auslegung und Predictions, darauf basierend, differenziert begründen. Nur dann ist ein wissenschaftlicher Dialog möglich. Heute wird doch meist umgekehrt gearbeitet: erst kommt die vorschnelle Auslegung, dann werden Fakten gesucht und nachgeschoben, welche die Auslegung stützen könnten.

Dieses Forum ist doch der beste Beleg dafür. Hier wurde das Pro und Contra der Notwendigkeit der Aufschuldung oder des allgemeinen Fehlens des Zinses im System von allen Seiten beleuchtet, und begründet. Eine pure Behauptung ohne Nachweis hat hier nicht lange überlebt. Und trotz jahrelanger intensiver Diskussion auf hohem Niveau gibt es auch heute noch unterschiedliche Auslegungen dazu. Aber diese basieren alle auf anerkannten Fakten, die inzwischen unzweifelhaft festgestellt sind.

Die Autoren Karina Reiss und Sucharit Bhakdi verbreiten Falschmeldungen.
In nur 3 aufgezählten Punkten widersprechen sie nicht nur medizinischen Erfahrungen, sondern auch dem gesunden Menschenverstand.
Was veranlaßt beide Fachleute - die sie ja nachgewiesenermaßen sind - solche krassen Fehlurteile abzugeben?
Und es sind ja nicht nur diese zwei.

Was diese beiden angeht, wäre zunächst einmal festzustellen, ob in ihrem Buch wirklich die Behauptung aufgestellt wurde, dass einfache Baumwollmasken eine Porengrösse von 300 Nanometern hätten, und daher Viren von 160 Nanometern nicht aufhalten könnten. An dieser Aussage ist alles so falsch, dass es zeigt, dass der Autor wirklich keine Ahnung vom Thema hat und sich damit auch nicht 10 Minuten ernsthaft auseinandergesetzt hat. Die Erklärung wäre dann, dass die Autoren von ihrer eigenen Grandiosität und Autorität so überzeugt sind, dass sie meinen, ihre vorgefassten Meinungen entsprächen zwangsläufig der Realitat, und bedürfen keiner Überprüfung.

Das wird aber nicht bei allen Beteiligten so sein. Meine persönliche Meinung ist, dass es ein Zeichen der Zeit ist, dass nicht mehr fundiert fachlich diskutiert wird, sondern dass stattdessen sich nur noch überall 2 Parteien, die zu entgegengesetzten Schlüssen gekommen sind, gegenseitig ihre Schlussfolgerungen an den Kopf werfen. Das sind dann meist die oben erwähnten absurden Maximalpositionen. Eine Partei kommt zu dem Schluss, dass Masken mehr nützen als schaden, und steigert sich da so rein, dass sie lieber Maskenpflicht für Alle und Jeden dekretieren wollen, "statt das wieder wissenschaftlich zu zerreden" wie es ein User hier so trefflich formulierte. Da will die Gegenpartei nicht geizen, kommt zu dem Schluss, dass Masken mehr schaden als nutzen, und erklärt Masken aus dem gleichen Grund für grundsätzlich untauglich.

Wir - in der westlichen Gesellschaft - haben verlernt, komplexe Sachverhalte differenziert zu behandeln und rationale Abwägungen in all ihrer Komplexität darzustellen und vorzunehmen. Vermutlich liegt das am Internet. Während früher solche Abhandlungen in Universitäten, Expertenzirkeln, Veröffentlichungen in Fachorganen oder Symposien unter Fachleuten von statten gingen, findet heute der entscheidende Teil des Diskurses in Social Media Kanälen statt, wo inzwischen nicht mehr nur ein paar fachbegeisterte Nerds, sondern Hinz und Kunz auch ohne sonderliches Fachinteresse die Diskussionen dominieren. Dann wird das Diskussionslevel entsprechend abgesenkt.

Man kann das Demokratisierung nennen. Ich persönlich bedaure diese Entwicklung, und schaue wehmütig in die Zeiten zurück, als Sachverhalte von Kennern der Materie, eventuell mit ein paar Nerds, die sich in die Materie reinbeissen, untereinander auf wissenschaftlichem Niveau diskutiert wurden. Dass dann in der Öffentlichkeit danach all die Differenzierungen auch nicht vermittelt wurden, hatte verständliche Gründe. So war es einst hier, und jeder verstand, dass PCM in seiner Kolumne bei der Bild vereinfachte Dinge schrieb, die er hier so nie vorgebracht hätte.
Andere haben das schon lange erkannt, und das dürfte erklären, warum sich so Kaliber wie Weissgarnix, Moneymind, Onkel Otto, Baldur und viele andere zurückgezogen haben. Komplexe Sachverhalte verlangen differenzierte Darstellung, dafür sind Social Media aber leider heutzutage ungeeignet.

Gruss,
mp


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