Dunbarzahl obsolet?

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 29.07.2021, 17:28 (vor 999 Tagen) @ Weiner2353 Views

Hallo!

Das Konzept der Dunbarzahl scheint in der Wissenschaft mittlerweile stark angeschlagen sein:
https://www.scinexx.de/news/biowissen/mythos-von-maximal-150-freundschaften-widerlegt/

„Die theoretische Grundlage der Dunbar-Zahl ist wackelig“, sagt Lindenfors. „Wir haben daher noch einmal getestet, ob es statistische Belege für diese Idee gibt.“ Dazu versuchten die Forscher, Dunbars Berechnungen anhand neuer Daten zur Hirn- und Gruppengröße verschiedener Primatenarten zu replizieren.

Das Ergebnis: Je nachdem, welche statistischen Methoden sie anwendeten, kamen dabei ganz unterschiedliche Resultate heraus – teils mit deutlich niedrigeren, teil mit deutlich höheren Zahlen.

In allen Fällen waren die sogenannten 95-Prozent-Konfidenzintervalle, die den Rahmen der statistischen Unsicherheit angeben, so groß, dass sich keine zuverlässige Grenze bestimmen ließ. „Die enormen Konfidenzintervalle bedeuten, dass die Angabe einer einzelnen Zahl sinnlos ist“, schreiben die Autoren. „Eine kognitive Grenze für die menschliche Gruppengröße lässt sich auf diese Weise nicht ableiten.“

Abgesehen davon, dass die Dunbar-Zahl statistisch nicht haltbar ist, hat sie sich auch praktisch bereits in vielen Fällen als unzutreffend erwiesen. Zwar passte sie tatsächlich zur ungefähren Gruppengröße mancher indigener Gemeinschaften, „aber empirische Beobachtungen haben seither eine weite Spannbreite von Gruppengrößen ergeben“, so Lindenfors und seine Kollegen.

Überdies ging Dunbars Theorie davon aus, dass man die menschlichen kognitiven Sozialfähigkeiten einfach aus dem Volumen einer Hirnregion ableiten und durch den Vergleich mit Affen abschätzen könnte. „Doch die Gehirne anderer Primaten verarbeiten Informationen nicht genauso wie menschliche Gehirne“, betont Lindenfors. Völlig unberücksichtigt bleibe beispielsweise die Bedeutung der menschlichen Kultur.

Er vermutet, dass Dunbars Zahl deshalb so weit verbreitet ist, weil sie so plakativ und einfach zu verstehen ist. „Unsere Behauptung, dass es nicht möglich ist, eine Zahl zu berechnen, ist dagegen nicht ganz so unterhaltsam“, so der Forscher. In der Veröffentlichung schreibt sein Team dennoch: „Wir hoffen, wenn auch vielleicht vergeblich, dass diese Studie der Verwendung der Dunbar-Zahl in der Wissenschaft und in den populären Medien ein Ende setzt.“

Die Autoren führen aus: „Die ökologische Forschung zur Sozialität von Primaten, die Einzigartigkeit des menschlichen Denkens und empirische Beobachtungen deuten alle darauf hin, dass es keine harte kognitive Grenze für die menschliche Sozialität gibt. Unsere Reanalyse liefert den letzten Beweis, der nötig ist, um Dunbars Zahl zu ignorieren.“

Auf die Dunbarzahl argumentativ weiterhin zu rekurrieren, ist also nicht ratsam.

Vielleicht gibt es eine Grenze der maximalen Gruppengröße. Diese wäre denkbarerweise aber vom kulturellen Entwicklungsstand abhängig: Früh- und Urmensch, Nomaden- vs. seßhafte Stammesverbände, Hochkultur (darin ländliche Frühzeit vs. späte Stadtkultur), Zivilisation (wobei hier wohl zwischen eher ländlichen und urbanen Lebensweisen bzw. "Somewheres" und "Anywheres" zu unterscheiden wäre). Sie könnte sogar höchst individuell von der Persönlichkeitsstruktur (introvertiert vs. extrovertiert) oder gar dem Intelligenzquotienten abhängig sein, nachdem bestimmte Modelle der Intelligenztheorie sie schlicht mit der kognitiven Geschwindigkeit und der Gedächtnisspanne verbinden, was einen gewissen Erklärungswert zu haben scheint. Somit wären klügere Menschen in der Lage, mehr Kontakte und größere Gruppen (= schneller wechselnde Kontakte, mehr und komplexere zu verarbeitende Informationen) zu handhaben als solche am unteren Ende des Intelligenzspektrums – ganz unabhängig von der physischen Gehirngröße. Man könnte davon ausgehend ferner vermuten, daß Populationen mit höherem durchschnittlichem Intelligenzquotienten (Juden, Asiaten, Europäer) größere Gruppengrößen als weniger intelligente (z. B. Teile Afrikas?) aushalten können. Das ist aber alles spekulativ und weit davon entfernt, für irgendeine Gruppe einen Wert zu definieren, ab dessen Überschreitung die Zusammenarbeit schlechter funktioniert und die Gruppe zum Zerfall neigt.

Gruß
Taurec

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Weltenwende


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