Kopie meiner Antwort an Mephistopheles

Diogenes Lampe, Donnerstag, 21.05.2020, 19:12 (vor 1436 Tagen) @ Diogenes Lampe7824 Views

Ich bin gebeten worden, meine ausführliche Antwort an Mephistopheles, die ich ihm unter seinem neuen Hauptfaden gegeben habe, wegen der besseren Auffindbarkeit noch einmal unter meinem eigenen Text hier reinzusetzen. Das tue ich gerne.

Eine gefaßte Hypothese giebt uns Luchsaugen für alles sie Bestätigende, und macht uns blind für alles ihr Widersprechende. Schopenhauer

Ich stelle diesen Aphorismus meiner ausführlichen Antwort voran, um uns beide wie unsere Leser zu ermutigen, unsere Argumente mit offenen Augen, also wachen Verstand zu prüfen. Nicht, um über geborgte Axiome das Recht des geistig Stärkeren für mich zu reklamieren.

Tatsächlich ist jede Kultur ohne Krieg undenkbar, wie auch in diesem Forum aus der Theorie des Debitismus herausgearbeitet wurde.

Leben bedeutet primär Leiden. Die Freude im Leben ist sekundär, da sie vom Maß des Leidens abhängt. Keiner kann diese Erfahrung vermeiden. Sowenig wie den Tod. Schuldverhältnisse tragen sicher dazu bei, mal an ihnen zu leiden und sich mal an ihnen zu erfreuen. Ansonsten sehe ich hier keinen Zusammenhang mit der Theorie des Debitismus, außer vielleicht noch den Bezug auf die Abgabenschuld, welche das Gewaltmonopol des Staates voraussetzt.

Kultur ohne Krieg ist durchaus denkbar. Ich wünschte manchmal wie Sie, das wäre undenkbar, denn dann würden uns manche Religionen und Ideologien erspart bleiben.

Bedingt - also was die Beschaffenheit der Majorität der Menschheit betrifft - gebe ich Ihnen recht: Denn die Mehrheit unserer Spezies befindet sich ständig im Krieg mit sich selbst und mit dem Umfeld. Daran wird kein Krieg oder Frieden und keine Kultur etwas ändern. Sowenig, wie es ein Paradies auf Erden geben -oder man aus der Hölle ein Paradies machen kann; es sei denn, man hat eine sehr bescheidene Vorstellung von beiden.

Mir geht es also nicht um Änderung der menschlichen Natur, in der Liebe und Streit bis in den Geschlechtsakt hinein nunmal angelegt sind. Mir geht es überhaupt nicht um Änderung, sondern um verstehen, dass es im Leben nicht darauf ankommt, alles zu tun, um nicht zu kurz zu kommen. Denn das vergrößert die Leiden und mindert sie nicht. Sondern darauf, möglichst komfortabel davonzukommen und seelenruhig mit Friedrich dem Großen einzusehen: "Der glücklichste Tag im Leben ist der, an dem man es verläßt." Bis dahin bringt einem Lebensweisheit nicht viel ein, aber sie erspart einem viel. Ich denke, da hat widerum Schopenhauer recht.

Wir müssen daher das Thema nicht auf der Wolkenebene von Kriegs -und Friedensoptimismus bearbeiten. Wer mich also als Pazifisten im Sinne von Friedensoptimisten missversteht, weil er auf einer dieser Wolken sitzt, kann schlecht verstehen, was ich meine.

Kultur und Krieg bedingen einander? Wenn ja, sind dann aber auch die Kulturen entsprechend. Keine Kultur kann einen Zustand des ewigen Friedens herstellen, doch stets Mittel und Wege finden, die Leiden zu mindern und die Freuden zu mehren. Doch genau das funktioniert mit Krieg nicht. Die meiste Freude hat ohnehin der, der sie gar nicht bemerkt. Denn Freude bemerkt man immer nur als Komplementär des Leidens, dem sie gerade abhelfen soll. z.B. dem der Langeweile. Ich verweise darüber hinaus auf den Geschlechtsakt als solchen, wo es den Teilnehmern in ihrer Lust, von der sie ergriffen werden, doch letztlich - also in letzter Konsequenz - nur auf Entspannung jener Spannung ankommt, in die uns die Anziehungskraft treibt, die keine vernünftigen Gründe zuläßt.

Um dieses Ziel geht es im Geschlechterkampf auf der natürlichen Willensebene; die kulturelle Willensebene ist dagegen die, welche aus ihm heraus Kriege anzettelt; egal, was die Geistesebene dazu noch so alles an Reizstimulationen erdenkt und an Aufwand betreibt. Der Homerische Mythos versinnbildlicht das sehr schön mit Eris, Aphrodite, Hera, Athena, Paris und Helena und dem Goldenen Apfel, den der Prinz nicht der Eitelkeit (Hera) oder der Vernunft (Athena) schenkt, sondern der fruchtbaren Schönheit (Aphrodite). Er kann nicht anders, als der Anziehungskraft zu gehorchen.

Das ist die natürliche Vorgeschichte des Trojanischen Krieges als Vorspiel des universalen Geschlechterkampfs, den Paris (der Sterbliche, der Mann, das primäre Geschlecht) mit seinem Urteil entscheidet. In seiner Folge beginnt dann durch den Raub der Helena, der Gattin des Menelaos, der kulturelle Kampf der Griechen gegen Troja, in dem die Götter (die versinnbildlichte menschliche Natur, die eine vom Welteros Getriebene ist und keine treibende) ständig mitmischen. Das soll alles nur in die große Entspannung (Eroberung und Zerstörung Trojas, Wiederherstellung der Ehre des Menelaos, Ruhm für die Griechen und Heimkehr des Odysseus) führen, in der wir unsere Wünsche erfüllt sehen; also endlich frei von ihnen sind. Deshalb wurde z.B. auch der Orgasmus wie der Schlaf kleiner Bruder des Todes genannt. Denn Aphrodite/Venus ist eine grausame Göttin. Solange wir lieben, leiden wir auch. Solange wir leiden, suchen wir Erlösung. Denn die Liebe ist keine freie Entscheidung, sondern eine göttliche, will sagen, notwendige. Es geht bei Homer also nicht um die Abwägung von Krieg und Romantik, sondern von Natur und Kultur.

Überwiegen die Leiden, muss sich die jeweilige Kultur ändern und das tut sie dann auch. Wie sie das tut, hängt von der Macht des Stärkeren ab. Denn der ist der Eigentümer der Ressourcen, von denen nicht nur er selbst abhängt, sondern auch die Schwächeren, die sie ihm verschaffen, um seinen Schutz zu genießen. Troja galt als uneinnehmbar. Seine Ressourcen schützte Priamos durch eine dicke Mauer. Als sie durch die List des Odysseus überwunden wurde, war es mit der Macht des Königs von Troja vorbei. Doch das Königsgeschlecht lebte in Aeneas weiter, dem Sohn des Anchises und der Aphrodite/Venus und aus dessen Ehe mit Lavinia stammt das ganze römische Königsgeschlecht ab. So will es der Mythos jedenfalls.

Wer gegen Krieg ist, schafft diesen damit keineswegs ab, sondern kann als Erfolg lediglich die Zerstörung jedweder Kultur, vorzugsweise der eigenen, verbuchen.

Die eigene ist in den letzten hundert Jahren verschwunden. Sie kommt auch nicht wieder. Wir können nur auf dem aufbauen, was sie uns innerlich und äußerlich noch da gelassen hat.

Es kommt übrigens nicht darauf an, ob man für oder gegen den Krieg ist. Das wäre so töricht, wie wenn man für oder gegen die Schwerkraft wäre. Es kommt hier auf Kräfteverhältnisse und die Kausalität an, d.h., auf Grund, Ursache und Folge resp. Wirkung.

Gewalt ist der einzige Grund (im Sinne von Ursache) und Begründung für das Recht. Ohne vorausgehende Gewalt kein Recht. Gibt es einfach nicht. Nirgendwo.

Damit sagen sie imgrunde: "Gewalt ist der einzige Grund für Gewalt und Begründung für Gewalt." Das Recht ist nämlich nicht dazu da, die Gewalt abzuschaffen. Denn das Recht ist auch nur eine Gewalt. Es geht also bei der Balance von Recht und Gewalt, die der Staat vornimmt, darum, dass zwei Gewalten ausbalanciert werden: Das Naturrecht des Stärkeren und das Naturrecht des Schwächeren. Das Wohl des Einzelnen und das Gemeinwohl. Denn das Stärkere akkumuliert alles Starke, so dass es am Ende dazu kommt, dass es nur noch einen Starken gibt, weil alle anderen Starken sich als schwächer erwiesen haben. Tun die sich dann zusammen, um den Stärksten gemeinsam zu besiegen, dann wird einer von ihnen irgendwann der Stärkste und das ganze geht von vorne los. Deshalb ist auch keine absolute Herrschaft von Dauer.

Eine solche Gesellschaft aber wäre so mit diesen Kämpfen um die Gewalt beschäftigt, dass sie für Kultur gar keine Kräfte mehr übrig hätte, um die nötigen Ressourcen dafür sicherzustellen; so, wie heute die US-Amerikaner, die als Stärkste mit ihrem Militär die Welt regieren wollten, sich auch als solche zu erkennen gaben, daraufhin zwei schwächere Starke (Russland und China) sich zusammentaten, um den Stärksten mit ihren Ressourcen so zu schwächen, dass er nicht mehr der Stärkste sein -und folglich auch nicht mehr das Recht des Stärkeren ausüben konnte.

Die Trilaterale Weltordnung ist gerade auch deshalb die wirksamste Friedensordnung, weil, sobald einer von den Dreien der Stärkste sein -und das Recht des Stärksten ausüben will, sich die beiden anderen zusammentun können, um ihn durch ihr Übergewicht in seine Schranken zu weisen. Diese neue Weltordnung leugnet nicht die Gewalt, sie geht nur mit ihr so um, dass keine einzelne Macht mehr die Stärkste sein kann. Sie balanciert also diese drei Gewalten aus, indem sich alle drei Mächte gegenseitig kontrollieren. Bei einer vierten Großmacht im Spiel würde das nicht mehr funktionieren, da sich dann nicht automatisch nur zwei gegen zwei zusammentun können, sondern sich auch drei gegen eine. Deshalb werden Trump, Putin und Xi auch keine EU als Vierte im Bunde dulden können, oder Frankreich und Großbritannien als vierte und fünfte.

Auf der staatlichen Ebene funktioniert deshalb auch nur die dreiteilige Gewaltenteilung, keine vierteilige oder fünfteilige: Legislative (das Volk als Gesetzgeber, vertreten durch ein Parlament), Exekutive (die Regierung und ihre Organe als Ausführende des Gesetzes), die Judikative (die die Ausführung des Rechts im Volk wie in der Regierung kontrolliert). Alle drei Gewalten - Parlament, Regierung, Oberster Gerichtshof - sind gewählte und kontrollieren einander.

Die Medien (Presse, Fernsehen usw.) als vierte Gewalt zu bezeichnen, ist nicht nur falsch, sondern eine bewußte Irreführung. Sie unterbinden nämlich die Kontrolle der Gewalten, indem sie sich beliebig auf eine Seite schlagen -und somit das Gleichgewicht zwischen Volk, Regierung und Gesetzesgewalt durch die Herstellung eines Übergewichts zerstören können. Sie sind auch nicht gewählt. Die sogenannte "Pressefreiheit" sorgt dann, indem sie durch ihre umfassend angemaßte Repräsentanz des Volkswillens die allgemeine Meinungsfreiheit usurpiert, dafür, dass die Besitzer der Medien - oft nicht einmal dem Staat als Bürger zugehörig - freie Hand haben, das Volk aufzuhetzen, Regierungen zu stürzen oder Gesetze bzw. deren Interpretationen zu erzwingen. Kurz: Den Staat zu zerstören. Sie können das Volk gegen die Regierung und die Richter aufhetzen, die Regierung gegen das Volk und die Richter, die Richter gegen Regierung und Volk. Genau das erleben wir gerade als Staatszerfall.

Es existiert nun die verantwortungsvolle Gewalt und die verantwortungslose Gewalt. Verantwortungsvolle Gewalt ist jede Gewalt, die der Gewalttätige auf eigenes Risiko anwendet (Skin in the game würde Nassim Taleb sagen). Verantwortungslose Gewalt ist jede Gewalt die einer im Auftrag anwendet. Und nur darum geht es bei beim Rechtsstaat: Man möchte die verantwortungslose Gewalt eindämmen.

Das ist mit Verlaub so nicht ganz richtig. Verantwortungsvolle Gewalt sieht auf ihre Folgen, legt über sich Rechenschaft ab, belohnt und bestraft ggf.. In den Folgen und ihrer Abwägung steckt das Risiko für den Staat wie für den Einzelnen. Insofern wäre auch im Auftrag angewendete Gewalt verantwortungsvoll. Deswegen ist das Recht verantwortungsvolle Gewalt. Oder ist z.B. Polizeigewalt im Staat grundsätzlich verantwortungslos? Der einzelne Polizist handelt schließlich im Auftrag, aber er trägt ebenso die Folgen auf eigenes Risiko; z.B. die für die eigene Gesundheit und ggf. die des Bürgers, wenn seine Gewalt verantwortungslos angewendet wurde, also ohne die Folgen zu berücksichtigen. Verantwortungslose Gewalt kümmert sich dagegen nicht um die Folgen, kann also unmöglich eine Auftragsgewalt sein, da der Auftrag die Folgen impliziert. Natürlich will man die in einem Rechtsstaat eindämmen. Der hat es aber genau deshalb auf die verantwortungsvolle Gewalt abgesehen, welche die verantwortungslose einzudämmen versucht.

Das Recht des Stärkeren ist das einzig moralisch zu rechtfertigende Recht. Das Leben kennt nur das Recht des Stärkeren. Alles andere ist das Recht des Schwächeren und damit lebensfeindlich, weil es bestrebt ist, das Starke und Gesunde auszumerzen um der eigenen Schwäche und Kränklichkeit willen.

Das Recht des Stärkeren ergibt sich aus seiner Stärke und nicht aus der Moral. Es sei denn, Sie setzen Stärke und Moral gleich, wie die Sozialdarwinisten. Das Leben ist das Leben und kein Lebewesen, das irgend etwas "kennt". Aber ist das Leben denn nur das Leben des Stärkeren? Natürlich nicht, denn dann gäbe es ja nur die Stärkeren. Das aber ist unmöglich, weil es nur da Stärkere geben kann, wo es Schwächere gibt. Oder nicht?

Sie setzen dann auch noch den Stärkeren mit lebensbejahend gleich und den Schwächeren mit lebensverneinend und somit lebensfeindlich, nur, weil sich Ihrer Ansicht nach das Stärkere durchzusetzen hat und das moralisch zu rechtfertigen suchen, indem sie dem Schwächeren wegen seiner Schwäche Lebensfeindlichkeit attestieren; oder eben der Natur selbst, die diesen "Lebensfeindlichen" hervorbrachte. Nur, weil der Schwächere des Stärkeren Feind sein könnte (noch nicht einmal sein muss), heißt das doch nicht, das er lebensfeindlich ist. Wie kommen Sie darauf? Was ist denn für Sie das Leben an sich? Kann es sich selbst feindlich gesinnt sein? Ist es nicht, wenn schon, dann ein Wechselspiel zwischen Kräften, wobei stark und schwach nur wechselnde Attribute dieser Kräfte sind?

Man lässt die Pflänzchen stehen, die sich kräftig und gerade entwicfkeln und reißt die kümmerlichen raus.

Wer ist in diesem Falle "man"? Der Stärkere? Die Natur selbst? Oder bloß ein Bauer, der seinen Ertrag steigern will, den er der Natur abtrotzt? Vergleichen Sie hier Äpfel mit Birnen? Oder verwechseln Sie hier nicht sogar Kultur und Natur? Unterschieben sie da womöglich der Natur nur Ihre Kulturauffassung?

Als Kulturkritiker finde ich Jesus teilweise brillant. Als Philosophen eher oberflächlich. Als Zyklenhistoriker fragwürdig.
Ich habe deinen Text nur ein wenig zur Kenntlichkeit entstellt.

Nein, Sie haben meine - für jeden Verständigen leicht als subjektiv zu erkennende - Kritik an Spengler nicht als meine Meinung gelten lassen wollen, wenn Sie ehrlich sind.

Spengler ist weder von Beruf Kulturkritiker noch Philosoph noch Zyklenhistoriker, sondern Wissenschaftler.

Kann man so sehen, muss man aber nicht.

Und das Kriterium für Wisssenschaft ist nun einmal, ob seine Voraussagen eintreffen.

Ihr Kriterium für Wissenschaft wäre genauso eines für Propheten.

Bei Spengler tun sie das - und das macht ihn so faszinierend für die, die sich mit ihm beschäftigen - in frappanter Weise.

Auch hier unterstellen Sie, dass alle, die sich mit ihm beschäftigen, von seiner divinatorischen Wissenschaft genauso überrascht oder verblüfft zu sein haben wie Sie. Da ich mich selbst viel mit Spengler beschäftigt habe, kann ihre Verabsolutierung schon mal nicht stimmen. Es sei denn, bei Ihrer Aussage schwingt gleich mit, dass ich oder die, welche, wie ich, es wagen, ihn zu relativieren, ihn nicht verstanden haben; entweder, weil wir zu blöd sind oder uns nicht genug anstrengten.

Bei dem Leben handelt es sich um ein Geschenk, es ist aber nicht umsonst. Das Leben, einmal bekommen, muss sprichwörtlich zeitlebens erhalten werden. Da gibt es Krankheitserreger, andere Arten, in Konkurrenz zu denen es durchgesetzt werden muss und bei Menschen kommt noch erschwerend hinzu, dass der Mensch als Einzellebewesen nur in einer Kultur lebensfähig ist. Das alles will erhalten werden, sowohl das Individuum als auch die Kultur. Ein Mensch ohne Kultur ist nicht überlebensfähig.

Das sind 4 Axiome in 5 Sätzen, die weder einzeln noch im Zusammenhang objektiv plausibel sind. Subjektiv schon. Wenn Sie also davon ausgehen, dass es da eine Instanz gibt, die uns unser Leben zum Geschenk macht und dann noch nicht mal umsonst (ist es dann überhaupt ein Geschenk?), dann könnte das aber auch eher so ein Geschenk sein, wie das Trojanische Pferd. Ist doch möglich, oder? Zumal, wenn dann gemäß Ihrem Bilde, sobald man es aufmacht, lauter Lebenskonkurrenz sich auf uns stürzt, der wir uns dann als Einzellebewesen nicht ohne entsprechend bewaffnete Kultur erwehren können. Von wegen: Alles fließt, - Alles steht; -nein! -Alles kämpft! -hätten Heraklit bzw. Parmenides feststellen müssen. Kann man so sehen. Muss man aber nicht. Empedokles, Epikur und Lukrez hätten dann auch - und sogar mit viel mehr Recht sagen können: "Alles liebt, wenn es streitet!" oder "Alles streitet, weil es liebt."

Geht man vom Grund des Begriffs "Kultur" aus, dann ist Kultur erst einmal nur der Gegensatz von Natur. D.h., wir Menschen haben die Natur nicht erschaffen, nicht mal die eigene, wir können sie aber buchstäblich begreifen, in ihr etwas hervorbringen, gestalten, um uns das Leben als möglichst komfortables Überleben zu ermöglichen; also unserem Mangel durch Fülle abhelfen. Doch nicht das Überleben ist Kultur. Das ist nur ihr Grundmotiv. Kultur ist Erschaffen, Gestalten, Hervorbringen aus der Natur, der eigenen wie der, in die man hineingeboren wurde. Weil das, was in uns will, überleben will.

Der "Lebenskampf" ist dennoch keine Realität in der Natur, sondern eine Metapher des menschlichen Geistes, der sie für sich als feindlich interpretiert, weil seine eigene Natur instinktiv überleben will, die Lust bejaht und den Schmerz meidet, also das Leben als Fülle bejaht und den Tod als Folge des Mangels, des Schmerzes verneint. Jedes menschliche Lebewesen fürchtet den Mangel, den Schmerz, nimmt sich vor ihm in Acht und sorgt sich deshalb ständig. Buchstäblich mit jedem Atemzug. Lebenskampf wäre also, wenn, dann ein Kampf mit der eigenen Natur als solcher, also konsequenterweise ein Kampf mit sich selbst; nicht selten auch ein Kampf mit Windmühlen oder ein Spiegelgefecht. Ein innerer Kampf, den wir als Ursprung aller Krankheiten in der Psyche ausmachen können. Astmatiker halten bekanntlich schon das Atmen für einen Lebenskampf.

Das hat zur Folge, dass der Kämpfer sich über seine Aggressionen einen Zustand verschaffen will, in dem kein Mangel mehr droht und er sich nicht mehr sorgen muss. Die Sorge, satt zu werden, sich kleiden zu können, ein Dach über den Kopf zu haben (das wären jetzt nur die Grundsorgen); kurz, in der Natur, in die das menschliche Individuum geworfen ist, zu überleben, ist deshalb aber auch die Geburtsstätte unserer Krankheiten, Zweckgemeinschaften und Wünsche, die uns mit ihnen ein Optimum an Sorgenfreiheit versprechen. Was ist übrigens Freiheit anderes als Sorgenfreiheit? Was ist Krankheit anderes, als Krieg mit sich selbst; als der vom Individuum unwillentlich, unwillkürlich vollzogene Versuch der eigenen Natur, innere wie äußere Konflikte auf der körperlichen, seelischen und geistigen Ebene zu beenden? Waren nicht viele große Feldherren Epileptiker? Z.B. Caesar?

Dieses Bejahen und Verneinen ist aber, wie die Krankheit zeigt, nicht in unsere freie Entscheidung gelegt, sondern kommt aus dem Willen zum Leben, der nicht der freie Wille des einzelnen Menschen ist, sondern der Weltwille, von dem er nur eine Erscheinung ist. Denn das einzelne Individuum kann genausowenig geboren werden wollen wie nicht sterben wollen. Nicht krank werden wollen, erfordert dagegen inneren Ausgleich, also inneren Frieden, den man mit sich und der Welt gemacht oder eben nicht gemacht hat. Geborenwerden und Sterben hängen nicht von uns selbst ab sondern von einem Willen, der weit über den Eigenwillen hinausgeht. Es ist der Weltwille, wenn man so will; und was der ist und will, weiß nur der Liebe Gott; -aber auch nur, wenn man will, dass es ihn gibt.

Übrigens kann es deshalb auch von daher keinen "Freien Willen" geben. Denn ohne Sorge keine Freiheit. Der Wille bleibt stets an sie gebunden.

Wenn das Immunsystem versagt, dann stirbt der Mensch, wenn in der Kultur die Produktion der nötigen Lebensmittel (ein Individuum kann das nicht, auch Robinson Crusoe hätte das nicht gekonnt, wenn nicht Seefahrer vor ihm auf der Insel, wo er strandete, Ziegen, von denen er sich ernähren konnte, ausgesetzt hätten und wenn er keine Waffen gehabt hätte) nicht stattfindet, dann gibt es nichts zu essen.

Das ist so nicht ganz richtig. Wenn das Immunsystem versagt, dann stirbt der Mensch zwar, doch eben deshalb, weil seine Abwehrkraft seinem unwillkürlichen Abwehrwillen nicht mehr gewachsen ist. Produktion von Lebensmitteln findet nicht innerhalb der Kultur statt; es ist Kultur.

Zu Robinson will ich jetzt nicht Adam und Eva bemühen, aber es gibt in der Natur durchaus Lebensmittel, die das Individuum nicht erst produzieren muss. Dass es seinen Apfelbaum, seine Ziege u.U. auch verteidigen muss, ist dann auch nur der Sorge desjenigen geschuldet, der angreift; der also einen Grund hat, sich mit aller Gewalt, die ihm zur Verfügung steht, freien Zugriff auf diese fruchtige bzw. fleischige Ressource zu schaffen, weil er sie frei vom Einspruch des Besitzers genießen will, ohne ein Recht darauf zu haben, außer das des Stärkeren.

Der Angreifer hätte aber auch fragen können, ob Teilen eine Möglichkeit wäre. Ebenso hätte der Besitzer sie ihm anbieten können, um dem Angriff das Motiv zu nehmen. Hier käme dann die Kernfrage ins Spiel: Die Sorge um den anderen, den Mitmenschen. Und mit ihr die jedem Individuum natürlich einwohnende Goldene Regel, die einzige natürliche Moral, die in allen Religionen dieser Welt - außer im Satanismus - den richtigen Umgang mit Gewalt rät: Tue niemanden etwas an, von dem du nicht willst, dass es dir angetan wird.

Die Kultur stirbt, wenn sie sich nicht verteidigt wie das Einzellebewesen ohne Immunsystem. Die Verteidigung einer Kultur nennt man Krieg.

Nein; man nennt Verteidigung Erhaltung einer Kultur. Die Eroberung, Zerstörung einer Kultur durch eine andere nennt man Krieg. Und weil das Böse, also das Gute, was man läßt, sich für einen Herrscher nicht gut macht, will er das Volk, aus lauter Individuen bestehend, zum Krieg bewegen, also zum Schmerz, zum Sterben. Es hat deshalb noch jeder Herrscher in jeder sogenannten Hochkultur von sich behauptet, nur seine Ehre oder was auch immer zu verteidigen, wenn er sich auf seinen Raubzug begab. Falls er selbst schon nicht gut ist resp. seine Motive es nicht sind, muss er immer als gut und seine Absichten als lauter und rein, kurz, berechtigt, erscheinen. Denn jede Legitimation von Herrschaft ist die Gerechtigkeit, also die Balance zwischen Gewalt und Recht, also der Gewalt als Recht des Stärkeren und dem Recht als staatliche Gewalt, in der die Rechte der Schwächeren subsummiert sind. Um ihren Schein des Guten zu wahren und um dieses Wahren des Scheins zu optimieren, erfanden die Herrscher schließlich die religiöse, also moralische Propaganda.

Damit das aber möglich ist, muss es geübt und praktisch von Jugend an an angewendet werden. Das ist der Hintergrund von Spenglers Satz: einen langen Frieden erträgt niemand, ohne seelisch zu verderben.

Eben! Das ist tatsächlich ein hintergründiger Satz, der das Vordergründige verschleiern will. Er ist moralische Propaganda. Nichts weiter! Hab ich ja beschrieben.

Das Problem; eigentlich kein Problem, sondern ein Beweis der Wahrheit dieses Satzes sind die, die das nicht unmittelbar verstehen. Sie beweisen damit ihre Verdorbenheit.

Und Sie beweisen damit eindrucksvoll, dass dieser Satz letztlich nichts als Propaganda ist und Sie in diesem Fall der Chefinquisitor: Wer den "Beweis der Wahrheit" nicht glauben will, der ist ein Ketzer! -eine faule Frucht, verdorben halt, oder ein Geschwür am Volkskörper usw.usf... Und sie demonstrieren als mittelalterlicher Scholastiker, dass Spengler auch nur ein Ideologe, ein politischer Theologe und Propagandist seiner Zeit gewesen ist, der auf Ideologen von heute noch immer viel Eindruck macht.

Zu Ihren Eskimos, afrikanischen Jägern und Sammlern und indogermanischen Männern: Da will ich Ihnen nicht widersprechen, aber so ist Kultur eben. Sie kommt und geht, bleibt und verändert sich und richtet sich dabei ganz natürlich nach ihren unmittelbaren Bedürfnissen aus, die Sorgen zu mindern, die Sorglosigkeit als Freiheit anzustreben und möglichst auch noch die Lust zu mehren.

Ich werte das nicht, man kann das gut oder schlecht finden oder einfach nur neutral anschauen; aber zumindest ich stelle fest, dass sich Eskimos, Neger und Bleichgesichter in dieser Hinsicht trotz unterschiedlichster Kulturen nicht wirklich unterscheiden; und dass es nicht immer Klugheit und Weisheit sein müssen, welche die Geschichte der Völker schreiben, sondern letztlich das unmittelbare Bedürfnis, das jetzt und gleich befriedigt werden will, dies in der Regel tut. Diese Geschichte steht dann natürlich so nicht in den Geschichtsbüchern oder Handbüchern für Generäle. Die wäre zu prosaisch.

Wo sind denn die Erbauer der Pyramiden und der Sphinx?

Die sind wohl dem "Alles fließt" hinterher. Vermissen Sie die? Brauchen wir heute wieder Pyramiden, Sphinxen und Keilschriften, gar Pharaonen? Diese Altägypter haben gelebt, uns beeindruckende Zeugnisse hinterlassen; -man mag auch die eigene Gegenwart bedauern, die sowas nicht mehr zustande bringt, weil sie nicht will, warum auch immer: Aber als Mahnmal einer Kultur des Krieges können wir sie auch nicht sehr zuverlässig deuten, da wir über die Erbauer eigentlich nur soviel wirklich sicher wissen, dass sie in ihrer Nebenbeschäftigung dem Nil ihr Überleben abgetrotzt haben. Und mit Voltaire vielleicht noch, dass die Religion begann, als der erste Priester auf den ersten Narren traf.

So komme ich wieder zum Anfang zurück: Kultur ist das, was die Menschen der Natur auf welche Art auch immer abtrotzen; nicht dem Mitmenschen stehlen. Auch der eigenen, manchmal zweifellos wilden Natur. Kultur bedeutet aber nicht, dem Mitmenschen das Überleben streitig machen. Das einander Streitigmachen - nicht die friedliche Vermischung, die lediglich einen Kulturwandel darstellt - ist der Zeitpunkt, wo eine spezifische Kultur - die angegriffene wie die, die sich verteidigt - ihrem Untergang entgegen sieht, um schließlich als solche aufzuhören und doch schon im Übergang in eine neue überzugehen. Ihr Beispiel Eskimo, Afrikaner oder Weißer beweist aber allenfalls die antike Lehre, dass die Welt aus Liebe und Streit hervorgeht. Das, was der Feind, mit dem man sich streitet, im Falle seines Sieges als Eroberer einem an Informationen, technischen Errungenschaften ect. bringt, um die Sorgen zu mindern und die Lust zu steigern, wird immer geliebt. Dieses Phänomen an den amerikanisierten Deutschen nach 45 zu beobachten, fällt wohl heute jedem leicht. Sie reagierten imgrunde wie die Indianer, die sie belächeln, weil sie Gold für bunte Perlen und Alkohol hingaben.

Kultur an sich hört nie auf, solange es Menschen auf der Welt gibt, die sich ernähren und kleiden, warmhalten und sich ein Dach über dem Kopf bauen müssen. Nur bestimmte, an ihre Zeit und ihren Raum gebundene Kulturen enden, wenn sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen können und somit die Ressourcen knapp werden; während das Begehren der Früchte in Nachbars Garten kriegerisch an Fahrt gewinnt.

Insofern gebe ich Ihnen recht: Wollen wir über den Staat als solchen diskutieren, weil wir nach Ideen für einen uns zuträglicheren Ausschau halten, dann muss die Gewalt als Recht des Stärkeren neben dem Recht als Gewalt des Schwächeren im Zentrum unserer Überlegungen stehen. Denn die Gewalt ist die Substanz des Staates, der ihr lediglich die Form liefert. Doch wie Stark und Schwach kann man sie nur zusammen denken. Staat ist immer Staatsgewalt. Sie ist die Gewalt des Schwächeren, die die Gewalt des Stärkeren begrenzt und somit in das Gemeinwohl integriert; also auch dem Recht des Stärkeren nützt.

Denn nochmal: Der Stärkere akkumuliert immer weiter Stärke, bis es keine Schwächeren mehr gibt, die ihm Ressourcen schaffen können. Das Recht des Stärkeren macht ohne Recht des Schwächeren keinen Sinn. Das können Sie auch aus der Theorie des Debitismus sehr schön herleiten. Wenn einer am Ende alle Schulden akkumuliert hat, wenn er stirbt, also die Urschuld, die religiöse Schuld, die Kontraktschuld und die Abgabenschuld, hat er gewonnen. Denn alle anderen sind schon vorher tot. Fazit: Das Recht des Stärkeren ist also ohne sein Komplimentär vollkommen sinnlos.


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