Spenglers Satz ist so richtig was zum Nachplappern

Diogenes Lampe, Donnerstag, 14.05.2020, 01:49 (vor 1437 Tagen) @ Mephistopheles9115 Views
bearbeitet von Diogenes Lampe, Donnerstag, 14.05.2020, 01:59

Wie sagt Oswald Spengler:
"Einen langen Krieg ertragen wenige, ohne seelisch zu verderben; einen langen Frieden > erträgt niemand."
Gruß Mephistopheles

Spenglers Satz ist so richtig was zum Nachplappern, mit fremden Federn geistreich zu wirken, ohne wirklich selbst Geist aufgewendet zu haben. Ist es nicht so, lieber Mephistopheles?

Wenden wir mal ein bischen davon auf. Gehen wir das Axiom mal konkret durch: Der erste Teil des Satzes ist empirisch und bezieht sich auf den einzelnen Menschen. Er bleibt bezüglich seiner Richtigkeit mit "wenige" im Ungefähren. Kann also sein, kann auch nicht sein. Aber ja, kann sehr gut möglich sein. Von mir aus... Der Nachsatz ist dagegen eine Behauptung, deren Absolutheitsanspruch nicht aus der individuellen Erfahrung geschlossen -und somit durch keinen stichhaltigen Beweis untermauert werden kann. Er ist spekulativ. Man kann ihn glauben, aber nicht wissen. Einige mögen keinen langen Frieden ertragen können. Einige aber schon. Für beides gibt es jedenfalls viele empirische Gegenargumente. Zumal die einen Menschen mehr ertragen können als die anderen. Auf Mehrheitsverhältnisse kommt es aufgrund der Verabsolutierung dagegen nicht an. Aber niemand hat alle gefragt.

Der Umkehrschluss im Nachsatz heißt: Alle brauchen den Krieg, um ihr Leben zu ertragen und seelisch nicht zu verderben. D.h., "alle", also die Gesellschaft, die Menschheit. Das ist dann aber die kollektive oder gleich universale Ebene. Das Individuum geht hier bei Spengler stillschweigend im metaphysischen Kollektiv auf; besser, im kollektiven Willen als Naturwillen, dessen Motto für Spengler lautet: Der Frieden verdirbt sie Seele. Darauf will er hinaus, denn seine Schlüsse müssen ja in seine morphologische Zyklentheorie passen, wie der Zyklus Krieg-Frieden-Krieg als soziologische Beschreibung der aufgrund einer Kampfmoral entstehenden und vergehenden und dann wiederkehrenden Kulturen, die in unserem Beispielsatz im Wort "ertragen" mitschwingt.

Den ersten Teil kann jeder nachvollziehen, zum zweiten wird er verführt, indem der erste Teil, den man innerlich sofort bejat hat, vom Umkehrschluss ablenkt, den man erst einmal aus dem zweiten Teil gedanklich ziehen müsste. Aber die Mühe machen sich wenige, denn das Ja auf den ersten Teil schafft Vertrauen für die Richtigkeit des zweiten gleich mit. Die beste Lüge fängt mit einer überzeugenden Wahrheit an. In der Komödie funktioniert der Satz. Da denken viele sofort an den Hausfrieden. Es könnte somit auch ein Aphorismus von Plautius oder Oskar Wilde sein. Dann könnte man wenigstens darüber schmunzeln.

Der Kulturmorphologe hat sich da aber auch zu einem politischen Axiom hinreißen lassen, das zwischen Individuum und Gesellschaft keinen Unterschied macht. Auf der individuellen Ebene hat er recht. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, besagt die Ironie des Plautius sicher nicht zuunrecht. Genau deshalb aber haben sich die Menschen zur Bildung von Staaten entschlossen, also gesellschaftlichen Strukturen, die sicherstellen, dass das Recht des Stärkeren, ein Naturrecht, bei der Staatsgewalt hinterlegt wird. Denn es ist ebenso ein Naturrecht, dass jeder Mensch, ob stark ob schwach, die Mittel zu seinem Überleben hat. Genauso ist sein Streben nach Glück und das Vermeiden von Leid sein Naturrecht. Und diese Naturrechte streiten miteinander in Permanenz; im Individuum selbst und zwischen den Individuen; den starken wie den schwachen.

Der Staat ist daher das Mittel, diesen Streit zu schlichten, Recht und Gewalt in eine Hand zu legen, um die Voraussetzung für eine funktionierende Zivilisationsordnung zu schaffen. Er garantiert mit seinem Gewaltmonopol im Innern Frieden zwischen seinen Bürgern, die dafür bürgen, dass sie auf gegenseitige Gewalt verzichten. Somit kann er dann auch die Verteidigung gegen innere und äußere Feinde sicherstellen. Frieden zu ermöglichen, heißt, Gewalt und Recht durch eine übergeordnete Institution in Balance resp. Rahmen zu halten. Das ist der Grund, der Sinn, die eigentliche Legitimation des Staates und seines Gewaltmonopols. Egal jetzt, um welche Staatsform es sich handelt. Für das Recht des Stärkeren braucht es keinen Staat. Nur eine Mafia, Räuberbande, Piraten.

Wenn also Staaten fallen und entstehen, dann geht es immer um diese Balance zwischen Recht und Gewalt; dem Gewaltmonopol, das für alle gilt, also dem Staatsrecht, und dem Recht des Stärkeren, die beim Fallen sich als instabil -und beim Entstehen sich als notwendig erwiesen hat; warum auch immer; nicht darum, ob die jeweiligen Gewalten den Frieden, also das Recht, schon zulange ertragen haben. Und somit kann man auch nicht von diesem kollektiven Balanceakt schließen, dass kein Individuum einen langen Frieden ertragen kann. Sonst hätten sich wohl nie Individuen zu einem Staat zusammenschließen wollen. Ein langer Frieden muss also irgendwie im Menschen als Wille zum Frieden angelegt sein. Denn in seinem Streben nach Glück ermöglicht ihm nur der Frieden Lebensgenuß. Nur ist die Vorstellung vom Lebensgenuß, wie vom Frieden, unterschiedlich, eben individuell; und so sind es auch die Motive des Handelns, die das eigene Wohl mit dem Wohl des anderen abwägen muss, will es kein Wohl auf Kosten des anderen suchen. Wenn doch, was bekanntlich nicht selten vorkommt, dann muss das Recht die Gewalt in die Schranken weisen.

Als Kulturkritiker finde ich Spengler teilweise brillant. Als Philosophen eher oberflächlich. Als Zyklenhistoriker fragwürdig.


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung