Spengler, Krieg und Frieden

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 14.05.2020, 10:55 (vor 1436 Tagen) @ Diogenes Lampe8096 Views
bearbeitet von Taurec, Donnerstag, 14.05.2020, 11:00

Hallo!

Der Frieden verdirbt sie Seele.

Die Rede ist nicht von "Frieden", sondern von einem "langen Frieden". Du vereinfachst Spengler, um ihn dann plakativ aufziehen zu können, was jedoch an seiner Aussage vorbeigeht, die man zudem im Zusammenhang betrachten sollte, statt den Satz isoliert zu betrachten, um ihn zu verallgemeinern.

Spengler bezog sich auf die von 1870 bis 1914 in Europa herrschende Friedenszeit, welche die Völker so verdorben habe, daß es in der Gegenwart von 1933 nicht mehr möglich sei, Politik zu machen, ohne dem Drängen nach Wiederherstellung dieses "verlorenen Paradieses" der "guten alten Zeit" Rechnung zu tragen.

"Diese Friedenszeit von 1870 bis 1917 und die Erinnerung an sie hat alle weißen Menschen satt, begehrlich, urteilslos und unfähig gemacht, Unglück zu ertragen: die Folge sehen wir in den utopischen Vorstellungen und Forderungen, mit denen heute jeder Demagoge auftritt, Forderungen an die Zeit, die Staaten, die Parteien, vor allem 'die anderen', ohne an die Grenzen des Möglichen, an Pflichten, Leistungen und Entsagung auch nur zu erinnern.
Dieser allzulange Friede über dem vor wachsender Erregung zitternden Boden ist eine furchtbare Erbschaft. Kein Staatsmann, keine Partei, kaum ein politischer Denker steht heute sicher genug, um die Wahrheit zu sagen. Sie lügen alle, sie stimmen alle in den Chorus der verwöhnten und unwissenden Menge ein, die es morgen so und noch besser haben will wie einst, obwohl die Staatsmänner und Wirtschaftsführer die furchtbare Wirklichkeit besser kennen sollten."

Spengler schrieb, dergleichen werde nie wiederkommen. Damit lag er falsch. Die Friedenszeit seit 1945 hat sich noch viel verheerender ausgewirkt. Seine folgenden Sätze lassen sich aber sinngemäß auf die BRD-Zeit übertragen, was bedeutet, daß er im Grunde recht hatte und es tatsächlich ein Verhältnis zwischen Frieden und Dekadenz gibt.

"Aber was für Führer haben wir heute in der Welt! Dieser feige und unehrliche Optimismus kündet jeden Monat einmal die 'wiederkehrende' Konjunktur und prosperity an, sobald ein paar Haussespekulanten die Kurse flüchtig steigen lassen; das Ende der Arbeitslosigkeit, sobald irgendwo 100 Mann eingestellt werden, und vor allem die erreichte 'Verständigung' der Völker, sobald der Völkerbund, dieser Schwarm von Sommerfrischlern, die am Genfer See schmarotzen, irgend einen Entschluß faßt. Und in allen Versammlungen und Zeitungen hallt das Wort Krise wider als der Ausdruck für eine vorübergehende Störung des Behagens, mit dem man sich über die Tatsache belügt, daß es sich um eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen handelt, die normale Form, in der sich die großen Wendungen der Geschichte vollziehen."

Bei Spengler ist es übrigens wenig zielführend, seine pathetisch-poetische Sprache zu zerstückeln, um (auf Grundlage der eigenen Wertvorstellungen, nicht Spenglers!) ihm vermeintliche Irrtümer nachzuweisen. Der Sinn schwingt in der Gesamtheit einer Passage. Gleichwohl ist sein Stil geeignet, einprägsame Einzelsätze für Zitatesammlungen zu liefern oder um in Diskussionen zu glänzen, was wohl mitursächlich für die häufigen Mißverständnisse ist. Viele hängen sich nämlich an diesen Sätzen auf, ohne in die Tiefe der spengler'schen Philosophie zu dringen (was man häufig gar nicht will, sonst hätte man ihn ja gelesen).

Darauf will er hinaus, denn seine Schlüsse müssen ja in seine morphologische Zyklentheorie passen, wie der Zyklus Krieg-Frieden-Krieg als soziologische Beschreibung der aufgrund einer Kampfmoral entstehenden und vergehenden und dann wiederkehrenden Kulturen, die in unserem Beispielsatz im Wort "ertragen" mitschwingt.

Kulturen kehren bei Spengler nicht wieder. Die Zyklen sind einmalig. Sie entstehen auch nicht aufgrund einer "Kampfmoral", sondern organisch und unbeabsichtigt aufgrund einer Lebenshaltung, die eine "innere Wahrheit" verwirklicht haben will (meine Worte). Moralen sind lediglich Form und Folge dieses Dranges, aber nicht Ursache.
Krieg gehört hier notwendig dazu. Die mittelhochdeutsche Bedeutung des Wortes (Anstrengung, Bemühen, Hartnäckigkeit, Streben, Streit) zeichnet die Tatsachen noch klarer, weil die Begrifflichkeiten noch nicht durch die modernen Moralismen verdorben waren, welche die Wörter mit emotionalisierenden Wertungen aufladen. Der Drang nach seelischer Selbstverwirklichung, der die Kulturen hervortreibt, entspricht zunächst ein innerlicher Kampf, ein Ringen mit sich selbst, um Altes zu überwinden. Dazu tritt der äußerliche Kampf, wo Lebenseinheiten aufeinandertreffen und das Platz- und Ressourcenangebot begrenzt ist. Daß es hierbei schlicht, wie beim Verdrängungsprozeß von Pflanzen im Walde, um die unbedingte Durchsetzung des Eigenen geht, ohne die sentimentale Bemitleidung und Überbewertung des Fremden, ist eine Tatsache des Lebens und der Geschichte, die anzuerkennen und zu ertragen ist. Der Krieg (beinhaltend Wachstum, Aneignung von Ressourcen, Verdrängung) ist die Grundtatsache des Lebens. "Frieden" ist da nur eine andere Form des Krieges, die am ehesten mit der Ruhezeit zwischen Wachstumsperioden zu vergleichen wäre. Erst in unserer Epoche, die auch schon Spenglers Epoche war, wird der Frieden (der Winter des Lebens) zu einem Wert an sich erhoben, was aber nichts weiter als das Ende des Lebens markiert, wenn er dauerhaft wird.
Deine Ableitung, der Frieden verderbe die Seele, ist mit Spenglers Philosophie eigentlich nicht vereinbar. Sie müßte eher lauten: Verdirbt die Seele, herrscht Frieden.

Den ersten Teil kann jeder nachvollziehen

Das wundert mich. "Einen langen Krieg ertragen wenige, ohne seelisch zu verderben", ist wohl der Teil, der am wenigstens oder gar nicht auf Erfahrung basiert. Wie lange muß denn ein Krieg sein, um seelisch unerträglich zu werden? Vier Jahre, dreißig Jahre? Mich dünkt, dem Dreißigjährigen Kriege folgte in Deutschland ein ungeahnter kultureller Aufschwung, von dem wir noch heute zehren.
Spengler, der selbst ohne Kriegserfahrung war, hat hier wohl in der Tat nur eine haltlose Behauptung aufgestellt, um einen stilistischen Gegensatz zu seiner eigentliche Aussage zu schaffen, einen langen Frieden ertrage niemand, ohne seelisch zu verderben.
Warum ist dies so? "Verderben" kommt von "darben", was im Gotischen/Germanischen mit "þarba" ("Mangel") verwandt ist. Der Mangel an Krieg sorgt für den seelischen Untergang derjenigen, die eigentlich noch lebensfähig wären, aber unter der Dampfglocke der Zivilisation keine Möglichkeit mehr finden, sich selbst zu verwirklichen.

zum zweiten wird er verführt, indem der erste Teil, den man innerlich sofort bejat hat,...

Den Du sofort bejahst, weil er zu Deiner pazifistischen Grundstimmung paßt (die ja nichts weiter ist als die Grundstimmung unserer Zeit, also nicht eigentlich Deine).

..., vom Umkehrschluss ablenkt, den man erst einmal aus dem zweiten Teil gedanklich ziehen müsste. Aber die Mühe machen sich wenige, denn das Ja auf den ersten Teil schafft Vertrauen für die Richtigkeit des zweiten gleich mit.

Das ist unsinnig und obsolet. Der zweite Teil ist die eigentliche Aussage, die in einer Linie mit der gesamten Textpassage liegt und darin weiter ausgearbeitet wird. Der erste Halbsatz ist nur der stilistische Aufbau, der der ein packendes Antitheton zur eigentlichen Aussage darstellen soll, die Du natürlich auf Anhieb ablehnst und nicht verstehst, weil Dir das zugrundeliegende Denken fremd ist. Allein das spricht aber noch nicht gegen Spenglers Denkweise.
(Eigentlich bestätigt es sogar Spengler, der das Auftreten sophistischer Pazifisten, also "Friedensdenker" als Niedergangssymptom in der Zivilisation ausdrücklich beschreibt.)

Der Kulturmorphologe hat sich da aber auch zu einem politischen Axiom hinreißen lassen, das zwischen Individuum und Gesellschaft keinen Unterschied macht.

Das war auch gar nicht Sinn der Aussage. Spengler hat seinem poetischen Stil entsprechend "gezeichnet", sich aber ausdrücklich nicht auf Einzelne, sondern die Gesamtheit bezogen. ("Diese Friedenszeit [...] hat alle weißen Menschen satt, begehrlich, urteilslos [...] gemacht.") Gäbe es keine Einzelnen, die anders wären, hätte er sein Buch "Jahre der Entscheidung", dem das Zitat entstammt, gar nicht schreiben können und müssen, da es keinen verständigen Adressaten gefunden hätte.

Auf der individuellen Ebene hat er recht. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, besagt die Ironie des Plautius sicher nicht zuunrecht. Genau deshalb aber haben sich die Menschen zur Bildung von Staaten entschlossen, also gesellschaftlichen Strukturen, die sicherstellen, dass das Recht des Stärkeren, ein Naturrecht, bei der Staatsgewalt hinterlegt wird.

Nein, das ist nicht der Grundimpuls der Staatenbildung. Das ist das Axiom, von dem die modernen Staaten ausgehen, nämlich "Einhegung des Krieges".
Der Staatenbildung lag ursprünglich auch kein "Entschluß" zugrunde. Das ist spät (moderne Denkweise) und ahistorisch. Der Staat in der Hochkultur ist ein organisch sich entwickelndes Gebilde, an dessen Ursprung alles andere, aber kein Entschluß liegt. Der Staat ist die Form, welche die Lebensäußerungen eines Volkes annehmen, das sich in diesem Staat selbst ein Recht gibt und zwar vermittels der Stärkeren in diesem Volke, die pars pro toto die Gewalt für alle ausüben. Dabei werden aber nur längst herrschende Rechtsgewohnheiten in eine institutionell höhere Form gebracht. Der Bruch findet erst mit den modernen Republiken statt, die tatsächlich auf einem Entschlusse basieren müssen, weil sie aus der Abschaffung und Negierung der alten gewachsenen Ordnung hervorgingen. Diese Staaten sind, von den Werten der Zivilisation ausgehend, ausdrückliche "Antikriegsstaaten", die den Krieg nicht nur in eine kulturell höhere und reifere Form bringen ("einhegen"), sondern ihn ein für allemal abschaffen wollen. Damit können sie sich freilich nicht der Grundtatsache des Lebens entziehen, weswegen die Befriedung der Welt durch die Demokratie nur kriegerisch möglich ist und im Inneren zum Absterben auch der restlichen Lebenskräfte führt.

Denn es ist ebenso ein Naturrecht, dass jeder Mensch, ob stark ob schwach, die Mittel zu seinem Überleben hat. Genauso ist sein Streben nach Glück und das Vermeiden von Leid sein Naturrecht. Und diese Naturrechte streiten miteinander in Permanenz; im Individuum selbst und zwischen den Individuen; den starken wie den schwachen.

Man sollte das Wort "Recht" hier nicht pathetisch überstrapazieren in dem Sinne, daß das Naturrecht etwas Heiliges und Unantastbares sei. Natürlich wird es derart von den Rechtsdenkern der Republik gerne verstanden, weil sie andernfalls überhaupt keine höhere Grundlage zur Rechtfertigung ihrer als Antithese zur Geschichte konstruierten Staatswesen hätten.
Die Mittel zum eigenen Überleben zu haben, ist wohl kaum ein Naturrecht, wenn man den Begriff als aus der übergeordneten Natur sich ableitend begreift. Die Naturbeobachtung zeigt, daß immer wieder Lebewesen geboren werden, die nicht die Mittel zum eigenen Überleben haben. Wer aber nicht aus sich heraus überlebensfähig bzw. dieser Mittel aneignungsfähig (also kriegsfähig) ist, geht in der Natur einfach zugrunde. Erst Naturrechtler leiten eine Existenzberechtigung schlicht daraus ab, daß jemand da ist, und entfernen somit den Lebenskampf aus ihrer dekadenten Philosophie.
"Streben nach Glück" und "Vermeidung des Leides" sind ebenfalls nicht mit der Natur kompatibel. Ersteres ist eine hohle Floskel, die aber gut klingt, weil sie dem subjektiven Wohlbefinden schmeichelt. Letzteres widerspricht der Beobachtung der Natur, in der alles Lebendige zu einem gewissen Grade auch leidet.

Der Staat ist daher das Mittel, diesen Streit zu schlichten, Recht und Gewalt in eine Hand zu legen, um die Voraussetzung für eine funktionierende Zivilisationsordnung zu schaffen. Er garantiert mit seinem Gewaltmonopol im Innern Frieden zwischen seinen Bürgern, die dafür bürgen, dass sie auf gegenseitige Gewalt verzichten.

Ja, eine "Zivilisationsordnung"! [[top]]
Die Zivilisation zeichnet sich allerdings dadurch aus, daß die Bürger im Inneren mehrheitlich seelisch gar nicht mehr fähig sind, aneinander Gewalt auszuüben. Diese Übertragung auf den Staat ist ein abstraktes, rechtsphilosophisches Dogma, dem aber keine historische Realität mehr gegenübersteht, auf die es sich gründen und die Notwendigkeit des Staates begründen könnte. Der Staat der modernen Zivilisation ist eigentlich ein Antistaat, der sich als Negativ in einer entstandenen Leere gebildet hat.
Ein kleinerer Teil der Menschen, die noch zur Gewalt fähig sind, wendet diese auch trotz des Staates oder geradezu mit Deckung des Staates bzw. durch Nutzung seiner Institutionen zu seinen Zwecken an. Damit wird der Rest der Gewaltfähigen, die nicht mit der herrschenden Ordnung übereinstimmen, unterdrückt. Die Masse läuft nebenher, nimmt davon nicht richtig Notiz und versucht, mit rechtlichen Mitteln (zahnlos) sich ihr Recht zu erstreiten. Das ist die "Zivilisationsordnung", die in der Tat eine funktionierende ist, aber unter der Decke anders aussieht, als es sich der weltfremde Rechtsphilosoph vorstellen kann.

Somit kann er dann auch die Verteidigung gegen innere und äußere Feinde sicherstellen. Frieden zu ermöglichen, heißt, Gewalt und Recht durch eine übergeordnete Institution in Balance resp. Rahmen zu halten.

Der eigentliche Sinn des Staates im Inneren, z. B. noch des Deutschen Reiches bis 1918, war nicht, im Inneren "Frieden" zu schaffen, sondern die widerstreitenden Teile des deutschen Volkes in einem Rahmen miteinander umgehen zu lassen. Was Du "Frieden" nennst, ist lediglich eine Form, den Krieg im Inneren einzuhegen und fortdauern zu lassen, so daß er sich für die große Lebenseinheit "deutsches Volk" nicht schädlich, sondern förderlich auswirkt, nämlich im Rahmen des "großen Krieges" im Äußeren. Spengler hat nichts weiter beklagt, als daß dieser große Krieg im Äußeren nicht oder zu spät stattfand, so daß das Volk seelisch verdarb.
Wir sollten anerkennen, daß mit "Frieden" auf Grundlage der modernen, demokratischen Moralismen etwas ganz anderes gemeint ist, als das Wort im Laufe der Geschichte eigentlich bedeutete, nämlich eher einen "stabilen Kriegszustand".

Für das Recht des Stärkeren braucht es keinen Staat. Nur eine Mafia, Räuberbande, Piraten.

Letzteres sind in der Regel die Ausdrücke und "Kampfbegriffe" der Machtlosen für diejenigen, die einen Staat bestimmen. Eine Reflektion der eigenen Machtlosigkeit, aber keine belastbare absolute Wertung. Die Bösen sind stete jene, die nicht im eigenen Sinne wirken.

Noch zum "Recht des Stärkeren": Dieses wird häufig als Antithese und Begründung für die Existenz des modernen Staates angeführt. Die Wahrheit ist, daß es eher um die "Gesinnung des Stärkeren" gehen sollte. Handelt er, wie es dem ritterlichen Ethos entspricht, stellvertretend für die Schwächeren, die nicht zu einem Rechte kommen, oder handelt der Stärkere nur für sich selbst? Zieht er die Linie des Eigenen nur um die eigene Person oder begreift er andere mit ein, die von seiner Art sind und deren Gedeihen er mit seinem eigenen verbindet?
Das Recht des Stärkeren ist wohl das eigentliche und einzige Naturrecht. Man sollte es adäquat ausformen und nicht von Vornherein ablehnen.

Wenn also Staaten fallen und entstehen, dann geht es immer um diese Balance zwischen Recht und Gewalt; dem Gewaltmonopol, das für alle gilt, also dem Staatsrecht, und dem Recht des Stärkeren, die beim Fallen sich als instabil -und beim Entstehen sich als notwendig erwiesen hat;

Recht und Gewalt sind keine Gegensätze, sondern nahezu deckungsgleich. Auch "Gewalt" ist wie das Wort "Krieg" durch die modernen Moralismen entwertet und vernegativiert worden. "Gewalt" von "walten" ist schlicht die Fähigkeit, etwas zu tun, und es auch zu tun. Recht und Gewalt sind immer in Balance, weil sie identisch sind. Die Frage ist allein, ob die "Rechteinhaber" und Gewaltausübenden im Sinne des Volkes handeln. Dessen können sie aber nicht (nachträglich) gelehrt werden. Es muß ihnen als Teil der Prägung in der Kultur, durch Tradition und Erziehung in dieser Tradition von Kindesbeinen an beigebracht werden. Sollten heute noch solche Menschen vorhanden sein, müssen sich auch diese, wie es die herrschenden Usurpatoren taten, den Staat erst gewaltsam, durch Ausübung ihres Naturrechts des Stärkeren, aneignen, um dann für das Volk, dem sie sich verpflichtet fühlen, Recht zu setzen. Sollten die neuen Herrscher ebenfalls entarten, hat das Volk keine andere Möglichkeit, als aus sich heraus eine neue Elite zu bilden und die Herrscher gewaltsam zu entthronen.

Und somit kann man auch nicht von diesem kollektiven Balanceakt schließen, dass kein Individuum einen langen Frieden ertragen kann. Sonst hätten sich wohl nie Individuen zu einem Staat zusammenschließen wollen. Ein langer Frieden muss also irgendwie im Menschen als Wille zum Frieden angelegt sein. Denn in seinem Streben nach Glück ermöglicht ihm nur der Frieden Lebensgenuß. Nur ist die Vorstellung vom Lebensgenuß, wie vom Frieden, unterschiedlich, eben individuell; und so sind es auch die Motive des Handelns, die das eigene Wohl mit dem Wohl des anderen abwägen muss, will es kein Wohl auf Kosten des anderen suchen. Wenn doch, was bekanntlich nicht selten vorkommt, dann muss das Recht die Gewalt in die Schranken weisen.

Ich meine, es hinreichend dargelegt zu haben. Hier nochmal kondensiert:

1. Der "kollektive Balanceakt" ist keiner, sondern spielt sich nur in den Gehirnen der modernen Rechtsphilosophen ab, die vor dem (von ihnen nicht erkannten) Problem stehen, daß die herrschende Ordnung aus sich heraus unmoralisch ist und nicht von einer edelen Elite getragen wird. Nur mit diesem Ausgangpunkte ist es überhaupt notwendig, Gewalt auszugleichen.

2. Spengler ging es in seiner Ausführung gar nicht um das Individuum, sondern um den "Geist der Zeit" bzw. die Seele des Volkes, die durch lange Zeiten ohne Anstrengung (eine ursprüngliche Bedeutung des Wortes "Krieg") verdorben wurde.

3. Was Du unter "Frieden" verstehst, ist eigentlich das Ende allen Lebens. Aus Sicht des aktiven Lebens ist "Frieden" ein "Krieg mit anderen Mitteln", eine Ruhephase, die lediglich der Vorbereitung neuer Wachstums- und Kriegsphasen dient. Dieser Frieden wird dann schädlich, wenn er nicht oder zu spät wieder in Krieg übergeht.

4. "Streben nach Glück" ist eine emotionalisierende Hohlfloskel, die nur den lebensmüden und des Lebenskampfes überdrüssigen Zivilisten als Grundimpuls beeindrucken kann. Aus Sicht des wahren Lebens ist nicht selten Krieg die eigentliche Erfüllung und das wahre Glück und Lebensgenuß. Dies wird durch die Kriegstagebücher junger Kriegsteilnehmer (man denke etwa an Ernst Jünger) eindrucksvoll untermauert.

5. Leben ist immer Leben auf Kosten anderer. Ich meine, dieses Axiom steckt auch in den Fundamenten der debitistischen Lehre. Es ist der Ursprung des Schuldbegriffs.
Sein Wohl nicht auf Kosten anderer suchen zu wollen, ist nichts weiter als ein utopisches Hirngespinst, das schön und moralisch hochwertig klingt, aber nur lebens- und wirklichkeitsfremd ist. Das Recht dient eigentlich nicht dazu, diesen Vorgang zu beschränken, sondern zu kodifizieren.
Selbst die Beobachtung der heutigen Staaten, die eigentlich diese "Gewaltbeschränkung zum Wohle aller" widerspiegeln sollten, zeigt, daß sie in der Tat nur eine komplexe Ausgestaltung des Rechts des Stärkeren sind, deren Ziel nicht der Schutz, sondern die Unterdrückung und Ausplünderung der Bevölkerung ist, die erst in dem demokratischen Staaten entrechtet wurde. Die Alternative heißt nicht, das Recht des Stärkeren (diesmal wirklich) abzuschaffen, sondern es so auszugestalten, daß das Leben nicht auf Kosten des eigenen, aber anderer Völker stattfindet. Irgend jemand muß immer leiden. Das wird sich erst ändern, wenn dieser Planet eine karge Wüste ist, worauf unsere Zivilisation unter dem Gesetze, nach dem sie angetreten, auch hinarbeitet.

Als Kulturkritiker finde ich Spengler teilweise brillant. Als Philosophen eher oberflächlich. Als Zyklenhistoriker fragwürdig.

Ich vermute ein (wie so häufig) nur oberflächliches Durchdringen der spengler'schen Philosophie. Andernfalls hättest Du auch nicht von "vergehenden und dann wiederkehrenden Kulturen" geschrieben, was auf ein Mißverständnis seiner Zyklenhistorie hinweist.

Gruß
Taurec

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„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh’ zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


Weltenwende


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