Metzinger ist klug, Baudrillard war auch klug.

Silke, Mittwoch, 30.08.2017, 12:00 (vor 2434 Tagen) @ Ostfriese4011 Views
bearbeitet von Silke, Mittwoch, 30.08.2017, 12:12

Lieber Johann,

beide, die ich sehr schätze, haben sich nach meinem Verständnis als Experten ihres Faches zu wenig mit dem Debitismus beschäftigen können.
Sie sind zwar so professionell, dass sie die, sich eine über die andere schiebenden, Simulationen gut erkennen, thematisieren und beschreiben, aber die Notwendigkeit dessen nicht verstehen.
Metzinger: "Unser Selbst ist bereits eine perfekte Simulation",
Baudrillard: "Der Golfkrieg hat nicht stattgefunden, der Feind ist verschwunden"

Abseits der derzeitigen Flüchtlings-, Afghanistan- und usw.usf.threads,
die ich keineswegs stören möchte...

…das sind alles letztlich Phänomene, die die gestartete ZMS's mit ihre wachsenden Vorfinanzierungslücken, mit der Notwendigkeit von Abgabenerpressen/Wirtschaften/Redistribution/Aufschulden/Nachschuldnerstellen und Ressourcenvernichtung mit zugehöriger Komplexitätszunahme erpressen müssen, um nicht unter Potential-/Machtverlust selbst unterzugehen und damit wiederum allen eingefangenen Systemelementen der ohnmächtigen Massen ihre Rechts- und Handlungsräume nicht mehr aufzwängen und garantieren können und Opfer anderer ZMS werden.

Wirtschaften in ZM-Räumen ist eine der phänomenalsten VR's mit ihren Simulationen von Staaten, Völkern und Nationen.
Sie schenkt den Eigebundenen Hoffnung auf eine sinnhafte Zukunft, auf ein, "das wird schon wieder" oder ein "diese Erfindungen/Innovationen/Lösungsansätze/Entwicklungen wie eben Industrie 4.0 und VR/AR werden uns erretten“ oder ein "nach dem großen Knall geht es dann mit Kaiser, Imperator - Gold und harter gerechter Hand weiter".
Gleichzeitig spinnen sie die Eingebundenen mit immer höher Taktfrequenz und immer dreisteren Methoden auf allen Machtebenen immer mehr in ein Netz von Lügen, Täuschungen, von gesetzlichen Eingriffen, von künstlerisch gemeintem Agieren und immer artfremderen zwischenmenschlichen Verhalten ein, dass die Menschen sich zunehmend in einer für sie nicht mehr beurteilbaren und händelbaren Raumzeit wiederfinden, die ihnen jegliche sinnvoll erscheinende Handlungsoption nimmt und sie den medialen Ereignissen übergibt und ausliefert, von denen sie wiederum sich als sehr aktiven Teil erleben wie Facebook und Co. zeigen.

, erlaube ich mir, auf einen vor einiger
Zeit in der ARD gezeigten m.E. interessanten – natürlich
unvollständigen und auch bisweilen ungenauen – Beitrag zur Problematik
der 'Virtual reality' hinzuweisen. Vielleicht werden bisherige abstrakte
Betrachtungen mit konkreten Bildern etwas mehr verdeutlicht und ausgemalt.

Die Erweiterung der Realitätswahrnehmung –
erweiterte
Realität
– tritt zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
– in der Psychologie, in der globalen Kommunikation und in sozialen 3D-VR
Plattformen. Die Interface-Forschungen verlaufen erfolgreich und werden in
die Praxis umgesetzt, wie der Beitrag

http://mediathek.daserste.de/Quarks-im-Ersten/Virtual-Reality-Revolution-im-Wohnzimm/Vi...

an einem Beispiel aus der Virtual reality-Plattform
Social AltspaceVR zeigt.
AltspaceVR ist eine virtuelle Umgebung, in der sich Träger von VR-Brillen
zusammenfinden und chatten können. Die soziale VR-App funktioniert mit
einer großen Auswahl von VR-Headsets. Ob
"even people will overcome their social
anxiety"
, wird sich die Journalistin Eva Wolfanger auch fragen
müssen nach den sexuellen Übergriffen auf ihr Avatar – ihr virtuell
graphisch stellvertretendes ICH –, die sie bewusstseinsmäßig auf ihr
ICH selbst bezieht und empfindet. Diese Erfahrung macht sie wütend und
gleichzeitig ärgert sie sich über ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht.

Dazu sagt Prof. Thomas Metzinger, der wissenschaftlich die ethischen,
kulturellen und sozialen Konsequenzen der Bewusstseinsforschung und ihre
Auswirkungen auf das Gehirn und die Psyche untersucht:

"Wenn es einen bestimmten Grad von Identifikation mit dem Avatar gibt, ist
er an das Selbstmodell der Benutzerin im Gehirn gekoppelt, so dass man
erlebnismäßig sagen würde, dass bin ich und ich selbst bin verletzt
worden."

In einem Ethik-Codex für virtuelle Realitäten

http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/frobt.2016.00003/full

diskutiert Metzinger die Frage: Sollten im virtuellen Raum die gleichen
Regeln gelten wie in der Realität?

"Virtuelle Realität ist ein immersibles Format, d.h., dass wir wirklich
erlebnismäßig stärker eintauchen als in alle anderen Medien, die wir
vorher entwickelt haben. Wenn das so ist, könnte es sein, dass jeder
kritisch auch ethisch relevante Punkt erreicht ist, dass man prinzipiell
sagt, hier sollte man nichts tun, was man im sogenannten normalen Leben
nicht auch tut."

Es wird hier wie dort bereits getan.
Was immer sich an Phänomenen/Techniken/Praktiken ausgedacht/ ersehnt/ gewünscht wird - es wird umgesetzt – gegen Menschen, Tiere, Roboter und Avatare von all diesen.

Das systemische Nachschuldnererzwingen ist da völlig unerbittlich, und wenn man den Leuten in einem ZMS kaufen und bezahlen nicht mehr anbieten kann, bleibt nur noch das rauben, stehlen, betrügen usw., um für die Systemelemente an die Geldeinheiten=Machteinheiten zu gelangen, die im ZMS zur Schuldentilgung (hauptsächlich Abgabeschulden) von allen benötigt werden, um sich zumindest zeitweise sanktionsfrei zu halten (Abgaben werden immer wieder neu gefordert und müssen vom Machthalter auch eingetrieben werden, um seine einzige länger dauernde Machtsicherungsoption, das mehr oder weniger ungestörte Aufschulden, refinanzieren zu können, wenn es nicht von Außenstehenden gemacht wird.

Das Gleiche gilt für die Bedienbarhaltung der Urschulden.
Wenn alle im System global und in Konkurrenz zu allem und jedem immer mehr rödeln müssen, um neben den immer geringer werdenden Anteilen an Urschuldbedienbarhaltungsmitteln größtenteils Steuerzahlungsmittel erwirtschaften zu können (weil das ZMS immer weiter wächst - wachsen muss), bleiben für alle (in der Summe) immer weniger Zeit und Ressourcen, um ihre Urschulden bedienbar halten zu können und immer mehr Systemelemente geraten auf das Niveau von Redistributionsempfängern des Systems oder auf 2$-Menschen-Status.

Schon heute ist die virtuelle Realität kein rechtsfreier Raum –
sexuelle Übergriffe im virtuellen Raum sind strafbewehrt. AltspaceVR hat
Tools – z. B. einen space button – entwickelt, die verhindern sollen,
dass Avatare sich zu nahekommen. Der automatische
Armlängen-Abstand
kommt ja irgendwie bekannt vor.

Emotionale Nähe im virtuellen Raum fühlt sich echt an. Sind
Gegensatzpaare und Relationen zwischen dem physischen und virtuellen ICH
überhaupt noch entscheidbar?

Virtuelle und echte Inhalte verschmelzen zu einer vielversprechenden
zukünftigen 'Mixed reality' – die natürliche Wahrnehmung eines Nutzers
wird mit einer künstlichen (computererzeugten) Wahrnehmung vermischt. Die
Aussage: "Es ist nicht mehr weithin bis wir die Bildqualität, die wir vom
klassischen zweidimensionalen Video kennen, dass wir die auch in 3D sehen
werden." eines Informatikers wird direkt zur Entstehung der
3D-Videotelefonie führen. Oder der Mediensystemwissenschaftler: "Es wäre
in ferner Zukunft denkbar, dass sich nur noch virtuelle ICH's miteinander
unterhalten womöglich und man gar nicht mehr weiß, ob es eine reale
Person ist oder nicht."

Die Menschen – losgelöst von Raum und Zeit – schaffen sich als
virtuelle Kopien neue Werte- und Bezugssysteme. Original und Kopie
verschmelzen. Das virtuelle ICH befindet sich überall und gleichzeitig
nirgends und es gewinnt "ontologischen Vorrang vor dem Sein". … "Die Welt
der Simulakra absorbiert den Schein und liquidiert das Reale." Jean
Baudrillard, 1994.

Die Welt ist Hyperrealität und Simulation.


Sehr schön beschrieben.
Den Grund dieser Entwicklung meine ich, im Debitismus zu erkennen.

„Frieden ist vielleicht nur eine Utopie (in einer schwankend lebensfreundlichen Welt _E.v.m.). Das Gleichgewicht in anderen Gesellschaften funktioniert nicht über die Neutralisierung jeder Gewalt. Dort spielt man die Gewalt aus, oder man sublimiert sie durch Rituale, Opfer und Magie. Moderne, rationale Gesellschaften haben diese Austragungsformen von Gewalt liquidiert. Und jetzt stehen wir ohne symbolische Abwehrkräfte den Herausforderungen der nicht-modernen Gesellschaften gegenüber.“
Baudrillard

Ostfriese

"Video killed the radio star"

Liebe Grüße
Silke

PS: Jean Baudrillard in Cool Memories V, 2005: "Der beste Gag des
Irakkrieges: Man habe nicht die Statue Saddams gestürzt, sondern die
seines Doppelgängers!"

PS. Es gibt ja die bekannte Erhebungen von Kriegsveteranen, die unterstellen, dass in jedem moderneren Krieg prozentual immer mehr Soldaten durch friendly fire umkommen, als durch fremde Truppen, was man für die Zivilbevölkerung wohl eher nicht behaupten kann.


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