zwei unterschiedliche Perspektiven

Diogenes Lampe, Donnerstag, 13.09.2018, 00:05 (vor 2046 Tagen) @ nereus6903 Views
bearbeitet von unbekannt, Donnerstag, 13.09.2018, 00:13

Hallo nereus,

Danke für Ihren guten Einwand! Ihre (bzw. die der Teilnehmer) und meine Sichtweisen sind allesamt legitim, denke ich. Meine Gedanken dazu sind diese:

Die Teilnehmer, von denen sie schreiben, nehmen Herrn Höckes Verhalten aus ihrer aber auch meiner Sicht völlig zurecht so wahr. Die Leute direkt vor Ort sind in solch hoch emotionalen Momenten natürlich sehr subjektiv. Und insofern auch berechtigt zornig auf Höcke, wenn der sich vom Acker macht, weil dieser ja das Klischee von sich als großen Macher zelebriert, wenn er zu „seinem Volk“ spricht.

Wenn sich dann in so dramatischen Momenten die Realitäten Bahn brechen, dann entstehen nun mal kognitive Dissonanzen zwischen Schein und Sein auf beiden Seiten, die sogar Stoff für Komödien sein können. Da müssen sich die Kritiker allerdings auch selbst fragen, ob sie Herrn Höcke bis dahin objektiv immer richtig beurteilt haben oder womöglich zu leicht zu beeindrucken sind?

Herr Höcke ist da sicher nicht voll verantwortlich für den Zorn auf ihn, kann sich dem aber auch nicht entziehen; macht aber nun auch mal die Erfahrung mancher Radsportler, wie Fans sein können; -und dass Ignorieren dabei auf die Dauer auch nicht hilft, wenns hart auf hart kommt.

Deshalb ja meine Zwischenüberschrift, dass Höcke dann am besten ist, wenn er besonnen handelt und nicht den großen Otto gibt. Und das tat er diesmal. Ironischerweise erweckte er aber offenbar keine Erwartungen, sondern enttäuschte sein Publikum. Das mag in diesem Fall ungerecht sein, ist aber gut und gesund. Das erdet ihn wieder als Sterblichen. Nicht große Worte eines Oberlehrers an die Deutsche Nation waren gefragt, sondern weitsichtig überlegtes Handeln. Das kann er also auch.

Ich will meine Ansicht nicht verhehlen, dass bei ihm die Gefahr besteht, dass gewisse Dienste, die Deutschland nicht wohl gesonnen sind, seine demagogischen Fähigkeiten wohl zu schätzen wissen. Und von der Blamage zur Groteske ist es nur ein kleiner Schritt. Von der Groteske zur Tragödie nicht selten jedoch ein noch kleinerer.

Hier sogar im buchstäblichen Sinne, wenn man das vorhandene Aggressionspotential der Antifa mit berücksichtigt. Er war also natürlich auch ganz persönlich gut von den Sicherheitskräften beraten, als er ihren Anweisungen umgehend folgte. Das nützte seiner Gesundheit und das nützte der Sache; also der dringend notwendigen Verhinderung einer Eskalation vor Ort.

Ich hoffe aber, die Kritik der Teilnehmer erreicht ihn trotzdem und führt dann nicht nur zur demütig rechtfertigenden Pose an „mein Volk“. Denn die Aussicht, dass er morgen vielleicht Hunderttausende von Zornigen auf der Straße bewegt, deren begeisterte Erwartungshaltung -bei manchen gar Erlösungshoffnung an ihn sich in solchen Situationen jedoch schnell ins Gegenteil verkehren kann, wie ja auch Ihr Bericht andeutet, sollte für ihn eher eine Warnung sein, als Glückshormone aktiviereren.

Das läßt ihn vielleicht mal darüber nachdenken, welche Kräfte er da eigentlich bewegt, wenn er in der Öffentlichkeit uns alle zu „Preußen“ machen will. Es gibt genug Narren, die ihm auf diesem Holzweg folgen. Ich frage mich aber auch, ob er als liebender Vater von vier Kindern seinem pathetischen Nationalpatriotismus auf der Straße am Ende gewachsen ist? Leidenschaften entfachen ist das Eine. Sie wieder einzufangen, das Andere. In Chemnitz ist ihm das noch gelungen. Doch es gibt keine Garantie.

Die Gefahr geht für ihn also immer von beiden Seiten der Front aus, je mehr er bei seinen Auftritten seinem Narzissmus Zucker gibt. Ursächlich also von ihm selbst. Diesmal aber hatte er zu seinem Glück keine Gelegenheit dazu. Da fiel es sicher leichter, besonnen zu sein. Das räume ich ein.

Das ändert für mich aber nichts daran, dass er nach meinem Dafürhalten in Chemnitz objektiv klug entschied und genau richtig gehandelt hat, weil er den besseren Überblick hatte. Er hat da mehr im Blick haben müssen, als seine enttäuschten Kritiker, die offensichtlich nicht verstanden, dass es hier um mehr ging, als um typisches Bonzenverhalten, als er sich vom Acker machte.
Aber den Zorn seiner Mitstreiter hat er sich verdient. Da bin ich ganz bei Ihnen.

Ich hacke zwar öfter auf Höcke herum, aber nur, weil ich widerum auch andere Dinge an ihm wahrnehme, die ich an ihm schätze. Und das ist seine ganz alltägliche Seite, also die integre. Ich glaube, er hat ein gutes Herz. Für einen echten Demagogen ist er deshalb gottseidank zu naiv. Aber genau das ist auch gefährlich für ihn, weil er seine Wirkung auf Freund und Feind vielleicht nicht wirklich abschätzen kann. Vor allem aber nicht die auf sich selbst.

Nennen Sie mich auch naiv! Aber ich glaube, in ihm steckt ein Politiker, der den Anspruch an sich hat, ein anständiger Politiker zu sein. Das nehme ich ihm bis jetzt jedenfalls ab; trotz seiner vielen Dummheiten, die er turnusmäßig in seiner Rolle als puschender Provokateur so von sich gibt. Von in sich noch halbwegs integren Politikern haben wir nicht allzu viele. Auch nicht in der AfD. Aber Macht korrumpiert. Sie macht bei Herrn Höcke da keine Ausnahme. Erst recht nicht, wenn er den Leuten mit seinen Marktplatzhochämtern vermittelt, sie zum Heil „seines Volkes“ im Übermaß zu besitzen. Er ist kein Führer, sondern nur ein Redner. Und durchaus nicht der beste in der AfD. Daran sollte er öfter denken.

Aber auch integre Politiker sind nicht selten politische Idioten. Noch öfter nützliche. Sein Vertrauen zu Bachmann ist da schon bemerkenswert.

Würde Narziss sich also mehr von seinem gesunden Menschenverstand leiten lassen als immerfort den Halbgebildeten nationalkonservativ christlicher Buschenschaftsromantik zu lauschen oder sich ausgerechnet auf der Straße mit fragwürdigen Islamisierungsparanoikern wie Bachmann zusammentun, die nach meinem Dafürhalten den Kampf um unseren deutschen Rechtsstaat raffiniert zur Rettung des christlichen Abendlandes hochjazzen, nur um einen Religionskrieg auf deutschem Boden heraufzubeschwören, hätte der hoffentlich nicht ewig große Junge später mal glatt das Zeug zum Familienminister.

Aber das alles ist nur ein flüchtiger Eindruck von mir. Ich kann da auch völlig daneben liegen.


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