Realität versus Simulation

Ostfriese, Sonntag, 19.11.2017, 00:01 (vor 2323 Tagen) @ Phoenix57468 Views

Hallo Phoenix5

ich möchte auf keinen Fall die Diskussion zwischen Dir und @Ashitaka stören – von wegen 'Rede ohne Antwort'. Trotz Wiederholungen erlaube ich mir, aus meiner Sicht in aller Unvollständigkeit zu Deiner Frage:

Was soll das heißen: Die Realität ist die Simulation?

Stellung zu beziehen.

Es geht dabei um den Trauermarsch nach den Ereignissen von Charlie Hebdo, um den Startschuss für das deutsche Farbfernsehen und um den Schlagbaum am Beginn des Einmarsches in Polen. Diese drei visuellen Geschehnisse existieren nicht in der Form, in der sie zu existieren scheinen, gleichen aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung einer in dieser Form existierenden Sache. Im Sinne der Simulationstheorie von 'Jean Baudrillard' sind es virtuell inszenierte Events!

Ich frage mich, wie ich damit umgehen soll und versuche, eine Antwort bei Jean Baudrillard zu finden.

Die Erschaffung von 'Realität' vor allem durch die visuellen Medien führt dazu, die Leser und Zuschauer in dem Glauben zu lassen, dass das durch sie Abgebildete und Beschriebene existiere. Das bedeutet, dass die binären Oppositionen wahr/falsch, sinn/sinnlos, echt/gefälscht, real/imaginär, Original/Kopie oder Ursache/Wirkung mit größter Vorsicht zu genießen sind und vielleicht grundsätzlich nicht mehr entscheidbar sind. Baudrillard sagt: Realität und Nicht-Realität sind ununterscheidbar und lösen sich gleichsam in der "Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d.h. einer Hyperrealität" auf – wie ich zu Beginn des Monats zufällig sehen konnte. Die drei möglichen Antworten in der Sendung 'Wer weiß denn sowas?' suggerierten im Grunde genommen im Voraus, dass die inhaltlich falsche Frage: "In welcher Position drückte Willy Brandt den Knopf für das Farbfernsehen?" inhaltlich richtig gestellt wurde. In der Frage wird die Antwort schon vorgegeben – eine der drei Antworten ist ja wahr.

Dazu Jean Baudrillard in 'Der symbolische Tausch und der Tod' auf Seite 124:

"Es ist noch nicht einmal sicher, dass man in den exakten Wissenschaften Pflanzen, Tiere oder leblose Materie mit der Chance einer "objektiven" Antwort untersuchen kann. Und was die Antwort der Befragten an die Befrager angeht, der Indianer an die Ethnologen, der Analysanden an die Analytiker – man kann sicher sein, dass die Zirkularität hier perfekt ist: Die Befragten werden immer zu dem, wozu die Frage sie macht und drängt."

Es ist unmöglich, auf eine gesteuerte Frage etwas anderes als eine simulierte Antwort zu bekommen.

Baudrillard sagt, dass wir im Hyperrealen den totalen Verlust der wahrnehmbaren Differenz zwischen Kopie und Original sehen. Alles Greifbare – Referentielle – löst sich auf. Eine Referenz ist wie ein Bezugspunkt – ein Anker –, etwas, worauf man zurückgreifen kann. Es ist ein Zeichen, das sich auf etwas Reales bezieht. Wir leben in einer Welt, die es uns beinahe unmöglich macht, jenseits von Repräsentationen, Modellen und Simulationen der Darstellung so etwas wie Realität auszumachen. Am Ende lesen wir nur noch Texte und sehen nur noch Bilder – ohne realen Bezug, weil es für die Subjekte keinen Bezugspunkt gibt.

Ich denke, dass @Ashitaka vielleicht auf die Diskussion der Aussage hinaus will, die er schon im Zusammenhang mit der Ökonomie als Antwort auf @BillHicks formuliert hatte: Es gibt keine naturwissenschaftliche Wirklichkeit, sondern nur eine naturwissenschaftliche Simulation.

Gruß â€“ Ostfriese


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