Ach, der Spengler...

Andudu, Freitag, 12.08.2022, 16:17 (vor 595 Tagen) @ Mephistopheles2258 Views

...dass das zum Heraufkommen der 2. Religiosität führt, wie sie auch der Buddhismus erlebt haben muss, der eigentlich gar keine Religion, sondern eine Lebensphilosophe ist.
Leider ist seit damals so viel Zeit vergangen oder zugekleistert wrden, dass wir die wahren Hintergründe, die zur Entstehung des Buddhismus führten, nicht mehr rekonstruieren können. Es muss sich aber um eine Katastrophe gehandelt haben.

Die 2. Religiosität erscheint dann, wenn die Glaubenssätze der vorangegangenen Zivilisation, nämlich (bei der faustischen), dass wir durch Erkenntnis der Dinge, die die Welt im Innersten zusammenhalten, unser Dasein und unsere Lebensumstände selber gestalten können, in Nichts zerfallen.

Der erste Reflex wird dann ein Rückgriff auf die althergebrachte, völlig verdrängte Religion sein; es wird sich aber nicht mehr die selbe sein. Sie wird synkretistisch und wenger doktrinär sein. Vermutlich wird sie keinen Papst mehr benötigen und dem Buddhismus sehr ähnlich sein.

...ein kluger Kopf war er ja:

"Was nun folgt, nenne ich die zweite Religiosität Sie erscheint in allen Zivilisationen, sobald diese zur vollen Ausbildung gelangt sind und langsam in den geschichtslosen Zustand hinübergehen, für den Zeiträume keine Bedeutung mehr haben. Daraus ergibt sich, daß die abendländische Welt von dieser Stufe noch um viele Generationen entfernt ist. Die zweite Religiosität ist das notwendige Gegenstück zum Cäsarismus, der endgültigen politischen Verfassung später Zivilisationen. Sie wird demnach in der Antike etwa von Augustus an sichtbar, in China etwa mit Schi Hoang-ti. Beiden Erscheinungen fehlt die schöpferische Urkraft der frühen Kultur. Ihre Größe liegt dort in der tiefen Frömmigkeit, welche das ganze Wachsein ausfüllt – Herodot nannte die Ägypter die frömmsten Menschen der Welt, und denselben Eindruck machen China, Indien und der Islam auf den heutigen Westeuropäer – und hier in der fessellosen Gewalt ungeheuerster Tatsachen, aber die Schöpfungen dieser Frömmigkeit sind ebensowenig etwas Ursprüngliches wie die Form des römischen Imperiums. Es wird nichts aufgebaut, es entfaltet sich keine Idee, sondern es ist, als zöge ein Nebel vom Lande ab und die alten Formen träten erst ungewiß, dann immer klarer wieder hervor. Die zweite Religiosität enthält, nur anders erlebt und ausgedrückt, wieder den Bestand der ersten, echten und frühen. Zuerst verliert sich der Rationalismus, dann kommen die Gestalten der Frühzeit zum Vorschein, zuletzt ist es die ganze Welt der primitiven Religion, die vor den großen Formen des Frühglaubens zurückgewichen war und nun in einem volkstümlichen Synkretismus, der auf dieser Stufe keiner Kultur fehlt, mächtig wieder hervordringt.
...
Jede Aufklärung schreitet von einem schrankenlosen Verstandesoptimismus, der stets mit dem Typus des Großstadtmenschen verbunden ist, zur unbedingten Skepsis fort. Das souveräne Wachsein, das durch Gemäuer und Menschenwerk rings von der lebendigen Natur und von der Erde unter sich abgeschnitten ist, erkennt nichts an außer sich. Es übt Kritik an seiner vorgestellten, vom alltäglichen Sinneserleben abgezogenen Welt, und zwar so lange, bis es das Letzte und Feinste gefunden hat, die Form der Form – sich selbst, also nichts. Damit sind die Möglichkeiten der Physik als des kritischen Weltverstehens erschöpft und der Hunger nach Metaphysik meldet sich wieder. Aber es ist nicht der religiöse Zeitvertreib gebildeter und literaturgesättigter Kreise und überhaupt nicht der Geist, aus dem die zweite Religiosität hervorgeht, sondern ein ganz unbemerkter und von selbst entstehender naiver Glaube der Massen an irgendwelche mythische Beschaffenheit des Wirklichen, für die alle Beweisgründe ein Spiel mit Worten, etwas Dürftiges und Langweiliges zu sein beginnen, und zugleich ein naives Herzensbedürfnis, dem Mythos mit einem Kultus demütig zu antworten. Die Formen beider können weder vorausgesehen noch willkürlich gewählt werden. Sie erscheinen von selbst, und wir sind weit von ihnen entfernt.186 Aber die Meinungen von Comte und Spencer, der Materialismus, Monismus und Darwinismus, die im 19. Jahrhundert die Leidenschaft der besten Geister geweckt hatten, sind heute doch schon die Weltanschauung der Provinz geworden."

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Spengler,+Oswald/Der+Untergang+des+Abendlandes/Zweite...

Zweifelsohne kündigt sich etwas derartiges an, mit dem kleinen Unterschied, dass wir heutzutage in der Lage sind, die "mythische Beschaffenheit des Wirklichen" empirisch und im Endeffekt wahrscheinlich auch physikalisch zu überprüfen. Wenn mich nicht alles täuscht, wird es diesmal eben nicht bei einer Religion bleiben, sondern Wissenschaft und mystischer Glauben werden im Kern zu etwas ganz Neuem verschmelzen, das nicht nur unsere Weltsicht ganz grundlegend umwälzen könnte.

Sicher kann man sich dessen aber nicht sein, es gab auch schon früher Phasen, in denen das so schien, Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zum Beispiel, aber all das wurde während der Kriege nicht stärker, sondern quasi begraben...


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