Negentropie und Objektivität

Weiner, Mittwoch, 24.04.2019, 10:14 (vor 1828 Tagen) @ FOX-NEWS4761 Views

Hallo Fox,

ich darf da bitte einiges ergänzen:

1)

Nimmt die Entropie in einem Teil des Universums ab, dann muss sie
irgendwo anders um den gleichen Betrag + x zunehmen.

Wichtigstes Beispiel für diesen durchaus oft in den Natur vorkommenden Prozess ist "das Leben", zunächst mal nur biologisch gesehen. Während Entropie im Bilde gesprochen bedeutet, dass sich die Moleküle eines Farbtropfens, wenn man ihn in einen Eimer Wasser fallen lässt, darin nach einiger Zeit völlig gleichmäßig verteilt haben, könnte ein Lebewesen die Fähigkeit besitzen, diese Farbmoleküle alle wieder einzusammeln. Dafür muss aber, wie Du ja erwähnst, Energie aufgewendet werden. Außerdem steckt in diesem Prozess dann ein 'informatorischer Vorgang': das Lebewesen muss die Farbmoleküle 'erkennen', auswählen und von den Punkten xyz alle nach Punkt ABC transportieren. Für Information wird oft auch der Begriff Ordnung gebraucht oder "zunehmende Komplexität". Man kann einen Salzkristall in den Weltraum bringen, und er wird dort Jahrhunderte bestehen bleiben. Man kann aber auch den Samen gewisser Pflanzen in den Weltraum bringen, und der wird dort genaus so lang nun überleben, hat aber gemessen am monoton strukturierten Salzkristall eine viel höhere Informationsdichte (enthält viel mehr Atome in einer viel komplexeren Anordnung; Lebewesen sind sehr komplizierte Flüssigkristalle, die sich selbst reproduzieren können ...). Die Herstellung solcher Informationskomplexe läuft meist über irreversible thermodynamsiche Prozesse (und dissipative Strukturen), d.h. jedes Lebewesen muss sterben und ist während seines Lebens ständig darauf angewiesen, verwertbare Energiegradienten nutzen zu können. Die größten mir bekannten Lebewesen sind menschliche Staaten bzw. Staatenkomplexe, und am effizientesten sind unter den Staaten die Zentralmachtsysteme ...

2) Zu Deinem folgenden Satz

"Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind. Wir sehen die Dinge, wie wir sind."

habe ich neulich schon mal Stellung genommen.

Auch hier wäre aber eine umfangreichere Ergänzung nötig. Während anorganische Materie auf außerhalb ihr selbst liegende benachbarte Materien und Kräfte nur reagieren oder einwirken kann (je nach Lage der Energieverhältnisse), stehen Lebewesen aufgrund der Grenzschichten, die sie gegen ihre Umwelt ausbilden müssen ( = Haut bzw. Außenmembran) nicht mehr in 'direktem' Realbezug zu dieser Umwelt. Sie sind in diese Umwelt zwar noch eingebettet, werden aber versuchen, die Kräfteverhältnisse und Materieströme in ihrer unmittelbaren Umwelt zu kontrollieren und zu ihren Gunsten auszunutzen. Ihre Sicht auf die Umwelt ist daher zwangsweise SUBJEKTIV; das ist geradezu eine Grundbedingung des Lebens. Lebewesen können sich darüberhinaus dann dadurch verbessern und komplexer werden (evolutionieren ...), dass sie intern Systeme entwerfen, mit denen sie sich (wiederum gemäß ihren Bedürfnissen) einen informatorischen Überblick über ihre Umgebung verschaffen: das ergibt dann Sinnesorgane und deren Verarbeitungsstrukturen. Dabei lehnen sie sich wiederum zwangsläufig an die äußere Wirklichkeit an, d.h. sie gehen auf die Strukturen der Realität sehr genau ein - denn wenn sie das nicht tun, sind sie umgehend tot ...

Eine solche Anpassung an die äußere Realität kann dazu führen, dass Tiere aus ganz unterschiedlichen Abteilungen des Tierreiches im Laufe von Jahrmillionen strukturell ähnliche Sinnesorgane bilden: bestes Beispiel das Auge von Tintenfisch im Vergleich zum Auge eines Wirbeltieres (sog. Konvergenz). Hier folgen evolutionäre Prozesse also durchaus einem Prinzip der OBJEKTIVITÄT: sie sehen die Realität durchaus in Ansätzen so, wie die Realität selbst ist. Anders wäre ein 'Erkennen' auch gar nicht möglich.

Diesen bereits in der biologischen Evolution angelegten Prozess, sich der Realität bestmöglich anzunähern, hat die Spezies MENSCH auf die Spitze getrieben. Für menschliche Erkenntnisprojekte wurde die 'wissenschaftliche Methodik' entwickelt. Sie fokussiert den Blick auf die Realität reduktionistisch auf ganz bestimmte ausgewählte Aspekte (durchaus sich bewußt, dass das einschränkend ist) und unterwirft dann die Untersuchung strengen (methodischen, logischen, mathematischen ...) Regeln, wobei davon ausgegangen wird, dass jeder Mensch mit durchschnittlichemm IQ diese Regeln, nachdem er sie erlernt hat, auch anwenden kann. Die Menschheit ist auf diesem Weg schon ziemlich weit gekommen, und es sollte nicht bestritten werden, dass wir in einigen Wirklichkeitsbereichen schon ziemlich nahe an das herangekommen sind, was die Realität an sich ist.

Wie bereits gesagt (und von echten Wissenschaftlern immer zugegeben!), ist damit stets eine Einengung des Wirklichkeitsbereiches verbunden: Saturn ist nur ein Lichtpunkt am Himmel, aber ich kann voraussagen, zu welcher Zeit er sich an welchem Punkt aufhalten wird. Ich finde, das beachtlich ...

Objektivität heißt also: gewisse Teile der Realität können so beschrieben werden, dass sie von jedem Menschen (der bestimmte Regeln lernen will ...) zweifelsfrei und wahrheitsgetreu identifiziert und oft in ihrem Verhalten vorhergesagt werden können. Die alten Babylonier haben etwa 400 bis 500 Jahre gebraucht, bis sie die Mondbahn mit allen ihren Elementen verstanden hatten. So etwas ist nur möglich, wenn über mehrere Generationen hinweg "objetive Kenntnisse" in Bezug auf äußere Realitäten vermittelt und dabei fortlaufend verbessert werden können. Objektive Realität, so ergibt sich, ist damit gleichzeitig auch eine soziale Konvention.

Nachsatz, bezugnehmend auf meine neuliche Antwort an @Mephistopheles: jedes Lebewesen, auch der Mensch, hat gleichermaßen eine innere Realität. Diese kann genauso der Beobachtung unterworfen werden (Introspektion). Man kann diese Art der Beobachtung erlernen, auch hier gibt es Regeln - und auch hier kann man nach OBJEKTIVITÄT streben. So haben alle Menschen, ungeachtet ihrer Individualität, dennoch gewisse gleichartige emotionale und kognitive Strukturen und Funktionen. Es gibt außerdem Strukturen, die sich sogar über viele Abteilungen des Tierreiches gleichartig erstrecken (wir haben ja auch alle den gleichen DNA-Aufbau ...). Diese inneren Welten sind nach meiner (im Lauf eines Lebens gewachsenen) Erfahrung genauso vielfältig und interessant wie die äußere Realität. Manchmal scheint mir, dass diese inneren Welten sogar noch viel großartiger und wunderlicher sind als die durchaus auch beeindruckenden äußeren Realitäten.

Wie ich bereits einmal hier schrieb, sind diese inneren Welten auch die einzigen, über die wir wirklich 'zu Recht' verfügen und auf die wir uns ganz verlassen können. Das Eigenartige ist, dass über diese Innenwelten auch ein direkter Kontakt zur Außenwelt hergestellt werden kann, der nicht mehr über die gewöhnlichen Sinnesorgane vermittelt werden muss. Das ist deswegen möglich, weil die innere und die äußere Welt aus den gleichen Bausteinen bestehen, nämlich aus elektromagnetischen und gravitativen Feldern.

Mit freundlichen Grüßen,
Weiner


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