Graeber: Schuld: sozial- ja, Ur- nein

Orlando ⌂, Mittwoch, 03.01.2018, 15:21 (vor 2305 Tagen) @ Silke5186 Views
bearbeitet von unbekannt, Mittwoch, 03.01.2018, 16:12

Erklärungen sind immer Vereinfachungen, Vergröberungen. Dabei geht natürlich immer Substanz verloren, muss diese verloren gehen, sonst könnte man sich die Erklärung sparen und sich gleich an das Original halten.

Deshalb müssen geschlossene Theorien im Hinblick auf ihr Thema immer unvollkommen sein und müssen (und dürfen!) deshalb immer hinterfragt werden.

Deshalb muss ich einem Urteil wie: "Graeber, bah, kein Debitist, am Ende noch Tauschtheoretiker" entgegentreten. Das desavouiert nämlich seine ganze Anstrengung, bloß weil er möglicherweise irgendwelche heiligen Kelche und Monstranzen nicht anbetet oder vor sich herträgt oder in irgendeinem Interview auf dumme Fragen vermeintlich dumme Antworten gegeben hat.

Also, nur zu, lest sein Buch "Debt"; wie es der Titel schon sagt, erkennt er durchaus das Wesen der Schulden und ist mitnichten ein Tauschtheoretiker. Sein Buch leistet, was jedes gute Buch leisten muss, dass es nämlich dem Leser Einsichten eröffnet und ihn auf neue Gedanken bringt.

Er zeigt bspw. vielfältig, dass Kredit viel älter ist als Geld - was es ja auch für "Debitisten" sein muss, denn sie erklären Geld aus Kredit.

Und auch die Grundgedanken der Machttheorie sind ihm nicht fremd,
(p20)
... - state and market, our most basic conceptions of the nature of freedom, morality, sociality - all of which have been shaped by a history of war, conquest, and slavery in ways we're no longer even capable of even perceiving because we can no longer imagine things any other way.

Allerdings ist er kein Fan der "Urschuld" (bei ihm primordial debt), er hält "debt" für eine zutiefst zwischenmenschliche Angelegenheit ohne mythische Komponente und damit für etwas, das man auch eliminieren könnte.

Vermutlich zieht er deshalb den Hass der Debitisten auf sich [[zwinker]]


Noch ein paar Splitter:

(p85) Rather than seeing himself as human because he could make economic calculations, the hunter insisted that beeing truly human meant refusing to measure or remember who had given what to whom, for the precise reason that doing so would inevitably create a world where we began "compairing power with power, measuring, calculating and reducing each other to slaves or dogs through debt."

(der Eskimo): "Up in our country we are human!" said the hunter. "And since we are human we help each other. We don't like to hear anybody say thanks for that. What I get today you may get tomorrow. Up here we say that by gifts one makes slaves and by whips one makes dogs"

Das darf Gedanken starten, ob die vorstaatliche Gemeinschaft genauso wie später unter dem Staat bloß mit anderen Mitteln Konten geführt und sanktioniert habe ...

(p377) ... most sober, cautious capitalist regimes saw the bizarrest frenzies: Tulip Mania and South Sea Bubble.

Der Mensch vielleicht doch kein rationaler homo oeconomicus ...? Der vielleicht öfter als man denkt gegen seine materiellen Interessen handelt?
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Die Münzen kamen etwa gleichzeitig in Lydien, Indien und China um 500 v.Chr. auf, gemeinsam mit den Philosophen Pythagoras, Buddha, Konfuzius. Jaspers nannte das die Achsenzeit.

(p225) ... a heavily armed itinerant soldier is the very definition of a poor credit risk.

Deshalb darf Trump das amerikanische Militär nicht beschneiden, wenn er sich weiterhin im Ausland verschulden will ...

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Assyrischer Gesetzestext von 1400-1100 v.Chr. erste Erwähnung von Schleiern für Frauen:

Fünf Klassen von Frauen
- Ehrenhafte (Verheiratete oder Konkubinen)
- Witwen
- Töchter von freien Assyrern
diese müssen sich auf der Straße verschleiern

- Prostituierte und unverheiratete Tempeldienerinnen
- Sklavinnen
diese dürfen sich NICHT verschleiern und wurden bei Zuwiderhandlung bestraft, 50 Stockschläge und Pech über den Kopf für die Prostituierten, Sklavinnen bekamen die Ohren abgeschnitten.
-> Frauen, die für Geld zu haben waren mußten als solche sofort zu erkennen sein.


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