Willentliches Vergessen?

Weiner, Freitag, 05.11.2021, 14:59 (vor 896 Tagen) @ Oblomow1286 Views

Hallo O. -

vertausche das Wort 'vergessen' im Wort von Rumi mit 'verzichten', dann wird der erste Teil der Aussage vielleicht verständlicher, denn es geht um das Dahinfahrenlassen aller Sicherheit. Verzichte freiwillig auf Sicherheit!

Die (subjkektive) Sicherheit setzt sich meist aus persönlichen Gewohnheiten (jeder hat seinen eigenen Werkzeugkasten etabliert und seine spezifische Tricks ...) und aus solchen eigenen und verfügbaren Ressourcen zusammen, mit denen man erwartet widrige Ereignisse der Zukunft bewältigen kann. Dermaßen präpariert geht man dann durchs Leben - und damit am eigentlichen Leben komplett vorbei. Vielmehr lebt man dann in seiner eigenen Simulation - grenzt alles aus, was diese stört, und sucht Behaglichkeit. Das ist der Boden auf dem dann viele andere Übel erst richtig aufwachsen und gedeihen - und außerdem wird man dabei sehr schnell auch zum Schlafschaf ...

Ich habe überhaupt gar nichts gegen solch eine Lebensweise. Sie ist individuell oder auch für große Populationen eine akzeptable Option - und sie begründet damit auch den Ablauf etwa der großen Kulturzyklen. Habe das auf dem Forum schon mal ganz knapp angedeutet:

https://www.dasgelbeforum.net/index.php?id=575062
(oder direkt in der Wikipedia zu TYTLER-Zyklus)

Es ist nur so, dass der Mensch in seinen Anlagen weitere Optionen der Entwicklung hat. Der Normalmensch springt mit etwas Übung vielleicht 1,40 hoch. Aber es gibt Menschen, die schaffen auch 2,40 m - und mit Stab sogar sechs Meter. Um das erreichen zu können, muss man allerdings alle Behaglichkeit erst mal aufgeben ...

Zu den etwas ausgefalleneren Optionen, die der Mensch hat, gehört u.a. der Sprung in den GEIST, den ich (für mich) auch als Sprung in die Transzendenz bezeichne - also in den unsichtbaren Untergrund bzw. Hintergrund der gesamten Wirklichkeit. Dass dieser GEIST dem Menschen prinzipiell zugänglich sein muss, ergibt sich ganz einfach daraus, dass der Mensch ein Teil der Wirklichkeit ist - und daraus dass der Mensch eben 'springen' kann, also ein 'geistiger' Grashüpfer ist. Denn auch ein Stein ist zwar Teil der Wirklichkeit, aber er hat (vermutlich) kein Bewußtsein seiner selbst - und liegt deshalb nur rum, bis er entweder bewegt wird oder zerfällt. Der Mensch dagegen hat Erkenntnis und Selbsterkenntnis bzw. er kann sie entwickeln - und beide können ihm deshalb als Sprungbrett dienen. Aber nur als Sprungbrett, das man am Ende hinter sich lässt ...

Jene Menschen, die sich mit dem Sprung in den GEIST beschäftigen - und RUMI hat zu ihnen gehört - haben gewisse Erfahrungssätze im Lauf der Jahrtausende gesammelt und weitergegeben. Einer davon besagt, dass man Sicherheit und Behaglichkeit aufgeben muss, wenn man 'springen' lernen will. Denn zur Steigerung der Aufmerksamkeit und zur Kontrolle der Aufmerksamkeit (beides braucht man beim 'Springen' ...) ist es zweckdienlich, sich in Situationen hinein zu wagen, die einen ganz fordern und vor unberechenbare, neue Aufgaben stellen.

Denn nur so lernt man sich selbst, das Wesen des Menschen und seine wahren Möglichkeiten kennen. Ich glaube, ich habe hier schon mal erwähnt, dass beispielsweise Zigeuner, wenn sie seßhaft werden, schon in der nächsten Generation die Gabe des Hellsehens verlieren. Der nomadische Mensch der Vorzeit war dem GEIST jedenfalls näher als der gegenwärtige Mensch. Und es ist schwierig, die zivilisatorischen Muster wieder aufzubrechen. Wie viele Menschen sind etwa dieser Aufforderung gefolgt?

"Nehmt nichts mit auf den Weg", sagte er ihnen, "keinen Wanderstab, keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und auch nicht zwei Hemden!" (Steht irgendwo bei Lukas oder Markus, zweiter Stock, dritte Türe rechts).

Ich hoffe, werter O., ich habe Deine Frage hiermit beantwortet. Im übrigen empfehle ich, die Dinge selbst zu erfahren. Wissen ist wertlos. Alles liegt im Tun. Zu den größten Merkwürdigkeiten gehört dabei, dass der GEIST, wenn man sich in Lauterkeit auf ihn einlässt und die oben genannten Risiken eingeht, die Wege, die man dann zu IHM wandert, so arrangiert, dass man IHN tatsächlich findet.

Ich habe im "Betreff" für diesen Beitrag Deine sehr interessante Frage aufgegriffen, ob "willentliches Vergessen" möglich ist. Nun, es ist möglich, aber es ist, wie alles auf dem Weg, ziemlich kompliziert. Beim SPRUNG muss man leicht sein, so leicht wie nur irgend möglich. Sonst schafft man die Höhe und den Abgrund nicht. Das heißt: vor dem Springen muss alles abgeworfen werden, sogar die 'menschliche Form'. Und lange bevor man die menschliche Form hinter sich lassen kann, muss man seine eigene persönliche Geschichte abstreifen - sich selbst und alles andere auch vergessen.

Dabei zeigt sich, dass gewisse Emotionen, die man hat, sehr klebrig sind - besonders solche, die dadurch entstanden waren, dass man etwas angeblich 'falsch' gemacht hatte (Art und Grad der Falschheit sind kulturell bedingt, aber sind halt durch die Erziehung und In-Kulturation vorgegeben worden). Früher hat man solche belastenden Emotionen als Sünde bezeichnet. Meinetwegen - aber sie müssen halt weg, sonst kann man nicht springen. Deswegen wurden in Laufe der Menschheitsgeschichte immer mal wieder Rituale (der Reinigung) ersonnen, beginnend mit dem RÄUCHERN (denn es stecken hinter allem Emotionen rein physikalische Energien, die man mit dieser Hilfe, wenn noch nicht sehr alt, ein wenig zerstreuen kann). In anderen Schulen des Weges, werden Atemtechniken in Verbindung mit Rückerinnerungen verwendet, um 'willentlich' belastende Emotionen abzubauen. Techniken des "willentlichen Vergessens" gibt es also durchaus. Und es gibt überdies die Option, dass jemand, der GEIST-KRAFT in sich akkumuliert hat, diese Energie weitergeben und dabei belastende Emotionen (und mithin die Erinnerung daran) bei anderen Menschen auflösen kann. In der christlichen Religion wird dies als "Vergebung von Sünden" bezeichnet. Wohlgemerkt: es handelt sich hier aus heutiger bzw. aus heute möglicher Sichtweise um energetische Vorgänge. Denn Emotionen wie auch der GEIST an sich bzw. die Hülle des GEISTES sind photonischer Natur. In allen Religionen der Menschheit ist die letzte Wirklichkeit, die vom SEHENDEN vor seinem SPRUNG bezeichnet werden kann (und auch von außen an ihm sichtbar wird **), bisher stets mit dem Begriff LICHT umschrieben worden.

Weiner

**) Künstler versuchen das dann in etwa so darzustellen (wobei sie selbst es nicht gesehen haben, sondern nur eine kulturell kommunizierbare VORSTELLUNG davon bilden):

https://de.wikipedia.org/wiki/Heiligenschein
https://de.wikipedia.org/wiki/Isenheimer_Altar


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