Der rechte Bürger am rechten Ort kämpft mit Witz, Verstand und klarem Wort

Avicenna, Mittwoch, 26.08.2020, 12:44 (vor 1342 Tagen) @ DT6907 Views

Alle Träumer können an dem Demonstrationsverbot, so sie denn wollen, klar erkennen: Die Macht der Gewehrläufe bricht bekanntlich die Macht des Rechts. Und Deutschland ist unstreitig ein besetztes Land. Jeder tumbe, planlose Krawall gegen die Macht der Gewehrläufe endet immer vorhersehbar in einer Niederlage.

Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“, hat der heilige Augustinus einmal gesagt. Wir Deutsche wissen es aus eigener Erfahrung, daß diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, daß Macht von Recht getrennt wurde, daß Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und daß der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte.“ Das sind Worte von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag am 22. September 2011 [1]:

Es ist wahr: Die großen und die kleinen Tyrannen wollen den Menschen ihre naturgegebene Freiheit nehmen und heute als „großen Reset“ den Maulkorb als neue evolutionäre Existenzform einführen. Dem schon lange seiner materiellen Waffen beraubten Bürger bliebe gleichwohl ein Universum an intellektuellen Möglichkeiten. Doch leider sind – vergleicht man das heutige Deutschland mit dem Deutschland in seiner Blüte von Goethe bis Bismarck – auch die intellektuellen Waffen wie Witz, Verstand und klare Worte in Deutschland fast ausgerottet. Hinter dem Maulkorb ist Totenstille. Und das Fallbeil saust auf jeden nieder, dem die Unbotmäßigkeit einer eigenen Meinung gegenüber der Obrigkeit noch nicht wegkonditioniert worden ist.

Lernen wir also von unseren neuen Herren, die Deutschland fast aufgekauft haben, und weichen – mit deren Kung Fu – den Tyrannen aus bzw. lassen sie ins Leere laufen und zitieren noch einmal Papst Benedikt aus seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag:

Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen. Aber wie geht das? Wie finden wir in die Weite, ins Ganze? Wie kann die Vernunft wieder ihre Größe finden, ohne ins Irrationale abzugleiten?

Lernen wir auch von unseren Vorfahren, die Deutschland groß gemacht haben. Lernen wir von einem großen deutschen Dichter aus der Zeit der Aufklärung, der, passend zur Situation heute, dem Sturm und Drang zugerechnet wird, Gottfried August Bürger. Mein poetisches Fazit:

Der rechte Bürger am rechten Ort
kämpft mit Witz, Verstand und klarem Wort.

Nichts ist so mächtig, wie die Lächerlichkeit, die jedermann den Kaiser in seiner Nacktheit vorführt. Nichts fürchten Tyrannen so sehr wie ihre überbordende Lächerlichkeit, weil sie wissen, dass sie in dem Meer des intelligenten Humors jämmerlich ersaufen. Aber es gibt nicht nur nackte Kaiser, sondern ebenso gewitzte Untertanen. Statt Krawall empfehle ich daher ein intelligentes Schäferstündchen mit Gottfried August Bürger und seiner Ballade „Der Kaiser und der Abt“ [2]:

Ich will euch erzählen ein Märchen, gar schnurrig:
Es war mal ein Kaiser; der Kaiser war kurrig;
Auch war mal ein Abt, ein gar stattlicher Herr;
Nur schade! sein Schäfer war klüger, als er.

Dem Kaiser ward's sauer in Hitz und in Kälte:
Oft schlief er bepanzert im Kriegesgezelte;
Oft hatt er kaum Wasser zu Schwarzbrot und Wurst;
Und öfter noch litt er gar Hunger und Durst.

Das Pfäfflein, das wußte sich besser zu hegen,
Und weidlich am Tisch und im Bette zu pflegen.
Wie Vollmond glänzte sein feistes Gesicht.
Drei Männer umspannten den Schmerbauch ihm nicht.

Drob suchte der Kaiser am Pfäfflein oft Hader.
Einst ritt er, mit reisigem Kriegesgeschwader,
In brennender Hitze des Sommers vorbei.
Das Pfäfflein spazierte vor seiner Abtei.

»Ha«, dachte der Kaiser, »zur glücklichen Stunde!«
Und grüßte das Pfäfflein mit höhnischem Munde:
»Knecht Gottes, wie geht's dir? Mir deucht wohl ganz recht,
Das Beten und Fasten bekomme nicht schlecht.

Doch deucht mir daneben, euch plage viel Weile.
Ihr dankt mir's wohl, wenn ich euch Arbeit erteile,
Man rühmet, ihr wäret der pfiffigste Mann,
Ihr hörtet das Gräschen fast wachsen, sagt man.

So geb ich denn euren zwei tüchtigen Backen
Zur Kurzweil drei artige Nüsse zu knacken.
Drei Monden von nun an bestimm ich zur Zeit.
Dann will ich auf diese drei Fragen Bescheid.

Zum ersten: Wann hoch ich, im fürstlichen Rate,
Zu Throne mich zeige im Kaiserornate,
Dann sollt ihr mir sagen, ein treuer Wardein,
Wie viel ich wohl wert, bis zum Heller mag sein?

Zum zweiten sollt ihr mir berechnen und sagen:
Wie bald ich zu Rosse die Welt mag umjagen?
Um keine Minute zu wenig und viel!
Ich weiß der Bescheid darauf ist euch nur Spiel.

Zum dritten noch sollst du, o Preis der Prälaten,
Aufs Härchen mir meine Gedanken erraten.
Die will ich dann treulich bekennen: allein
Es soll auch kein Titelchen Wahres dran sein.

Und könnt ihr mir diese drei Fragen nicht lösen,
So seid ihr die längste Zeit Abt hier gewesen;
So laß ich euch führen zu Esel durchs Land,
Verkehrt, statt des Zaumes, den Schwanz in der Hand.« -

Drauf trabte der Kaiser mit Lachen von hinnen.
Das Pfäfflein zerriß und zerspliß sich mit Sinnen.
Kein armer Verbrecher fühlt mehr Schwulität,
Der vor hochnotpeinlichem Halsgericht steht.

Er schickte nach ein, zwei, drei, vier Un'vers'täten,
Er fragte bei ein, zwei, drei, vier Fakultäten,
Er zahlte Gebühren und Sportuln vollauf:
Doch löste kein Doktor die Fragen ihm auf.

Schnell wuchsen, bei herzlichem Zagen und Pochen,
Die Stunden zu Tagen, die Tage zu Wochen,
Die Wochen zu Monden; schon kam der Termin!
Ihm ward's vor den Augen bald gelb und bald grün.

Nun sucht' er, ein bleicher hohlwangiger Werther,
In Wäldern und Feldern die einsamsten Örter.
Da traf ihn, auf selten betretener Bahn,
Hans Bendix, sein Schäfer, am Felsenhang an.

»Herr Abt«, sprach Hans Bendix, »was mögt ihr euch grämen?
Ihr schwindet ja wahrlich dahin, wie ein Schemen.
Maria und Joseph! Wie hotzelt ihr ein!
Mein Sixchen! Es muß euch was angetan sein.« -

»Ach, guter Hans Bendix, so muß sich's wohl schicken.
Der Kaiser will gern mir am Zeuge was flicken,
Und hat mir drei Nüß auf die Zähne gepackt,
Die schwerlich Beelzebub selber wohl knackt.

Zum ersten: Wann hoch er, im fürstlichen Rate,
Zu Throne sich zeiget, im Kaiserornate,
Dann soll ich ihm sagen, ein treuer Wardein,
Wie viel er wohl wert, bis zum Heller mag sein?

Zum zweiten soll ich ihm berechnen und sagen:
Wie bald er zu Rosse die Welt mag umjagen?
Um keine Minute zu wenig und viel!
Er meint, der Bescheid darauf wäre nur Spiel.

Zum dritten, ich ärmster von allen Prälaten,
Soll ich ihm gar seine Gedanken erraten;
Die will er mir treulich bekennen: allein
Es soll auch kein Titelchen Wahres dran sein.

Und kann ich ihm diese drei Fragen nicht lösen,
So bin ich die längste Zeit Abt hier gewesen;
So läßt er mich führen zu Esel durchs Land,
Verkehrt, statt des Zaumes, den Schwanz in der Hand.« -

»Nichts weiter?« erwidert Hans Bendix mit Lachen,
»Herr, gebt Euch zufrieden! das will ich schon machen.
Nur borgt mir Eu'r Käppchen, Eu'r Kreuzchen und Kleid;
So will ich schon geben den rechten Bescheid.

Versteh ich gleich nichts von lateinischen Brocken,
So weiß ich den Hund doch vom Ofen zu locken.
Was ihr Euch, Gelehrte, für Geld nicht erwerbt,
Das hab ich von meiner Frau Mutter geerbt.«

Da sprang, wie ein Böcklein, der Abt vor Behagen.
Mit Käppchen und Kreuzchen, mit Mantel und Kragen,
Ward stattlich Hans Bendix zum Abte geschmückt,
Und hurtig zum Kaiser nach Hofe geschickt.

Hier thronte der Kaiser im fürstlichen Rate,
Hoch prangt' er, mit Zepter und Kron im Ornate:
»Nun sagt mir, Herr Abt, als ein treuer Wardein,
Wie viel ich itzt wert, bis zum Heller, mag sein?« -

»Für dreißig Reichsgulden ward Christus verschachert;
Drum gäb ich, so sehr ihr auch pochet und prachert,
Für euch keinen Deut mehr, als zwanzig und neun,
Denn einen müßt ihr doch wohl minder wert sein.« -

»Hum«, sagte der Kaiser, »der Grund läßt sich hören,
Und mag den durchlauchtigen Stolz wohl bekehren.
Nie hätt ich, bei meiner hochfürstlichen Ehr!
Geglaubet, daß so spottwohlfeil ich wär.

Nun aber sollst du mir berechnen und sagen:
Wie bald ich zu Rosse die Welt mag umjagen?
Um keine Minute zu wenig und viel!
Ist dir der Bescheid darauf auch nur ein Spiel?« -

»Herr, wenn mit der Sonn ihr früh sattelt und reitet,
Und stets sie in einerlei Tempo begleitet,
So setz ich mein Kreuz und mein Käppchen daran,
In zweimal zwölf Stunden ist alles getan.« -

»Ha«, lachte der Kaiser, »vortrefflicher Haber!
Ihr futtert die Pferde mit Wenn und mit Aber,
Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht,
Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht.

Nun aber zum dritten, nun nimm dich zusammen!
Sonst muß ich dich dennoch zum Esel verdammen.
Was denk ich, das falsch ist? das bringe heraus!
Nur bleib mir mit Wenn und mit Aber zu Haus!« -

»Ihr denket, ich sei der Herr Abt von St. Gallen.« -
»Ganz recht! Und das kann von der Wahrheit nicht fallen.« -
»Sein Diener, Herr Kaiser! Euch trüget eu'r Sinn:
Denn wißt, daß ich Bendix, sein Schäfer, nur bin!« -

»Was Henker! Du bist nicht der Abt von St. Gallen?«
Rief hurtig, als wär er vom Himmel gefallen,
Der Kaiser mit frohem Erstaunen darein;
»Wohlan denn, so sollst du von nun an es sein!

Ich will dich belehnen mit Ring und mit Stabe.
Dein Vorfahr besteige den Esel und trabe!
Und lerne fortan erst quid iuris verstehn!
Denn wenn man will ernten, so muß man auch sä'n.« -

»Mit Gunsten, Herr Kaiser! Das laßt nur hübsch bleiben!
Ich kann ja nicht lesen, noch rechnen und schreiben;
Auch weiß ich kein sterbendes Wörtchen Latein.
Was Hänschen versäumt holt Hans nicht mehr ein.« -

»Ach, guter Hans Bendix, das ist ja recht schade!
Erbitte demnach dir ein' andere Gnade!
Sehr hat mich ergötzet dein lustiger Schwank:
Drum soll dich auch wieder ergötzen mein Dank.« -

»Herr Kaiser, groß hab ich so eben nichts nötig:
Doch seid ihr im Ernst mir zu Gnaden erbötig,
So will ich mir bitten zum ehrlichen Lohn,
Für meinen hochwürdigen Herren Pardon.« -

»Ha bravo! Du trägst, wie ich merke, Geselle,
Das Herz, wie den Kopf, auf der richtigsten Stelle.
Drum sei der Pardon ihm in Gnaden gewährt,
Und obenein dir ein Panisbrief beschert:

Wir lassen dem Abt von St. Gallen entbieten:
Hans Bendix soll ihm nicht die Schafe mehr hüten.
Der Abt soll sein pflegen, nach unserm Gebot,
Umsonst, bis an seinen sanftseligen Tod.«


1 Rede Papst Benedikts XVI. im Deutschen Bundestag am 22. September 2011
https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/benedict/rede-250244
2 Bürger, Gottfried August: Der Kaiser und der Abt. In: Fiedler, H.G.: Das Oxforder Buch Deutscher Dichtung vom 12ten bis zum 20sten Jahrhundert. Oxford: Universitätsverlag, 1915, S. 90-95.

--
"Niemand ist mehr Sklave als der, der sich für frei hält, ohne es zu sein" (Johann Wolfgang von Goethe, 1809)


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