Eigenversorgung Strom - Zielausrichtung maximale Autarkie

Zorro, Mittwoch, 19.01.2022, 11:29 (vor 800 Tagen)7324 Views
bearbeitet von Zorro, Mittwoch, 19.01.2022, 11:53

Hallo Foristen,

der folgende Bericht geht auf viele Fragen der Eigenversorgung ein.
Ich habe bewusst einen einfachen Schreibstil gewählt, dass sowohl Laien, also auch PV-Besitzer hoffentlich was damit anfangen können.

Bei meinem Projekt stand im Lastenheft folgendes Anforderungsprofil:

- Großes Einfamilienhaus mit Home-Office-Bereich
- Tagesverbrauch: 20 kWh von Nov – Feb und 80 kWh von Mai bis September
- Spitzenlast peak: Winter 7000 Watt, Sommer 12.000 Watt
- Jahresverbrauch, alles genutzt: 21.600 kWh á 28 Cent, demnächst wohl 50 Cent!?
- Kein Papierkram, keine Anmeldung, keine Förderung, Keine EEG-Umlage, kein Finanzamt

[image]
(Victron Anlage, teils noch im Bau befindlich)

Die Spitzenlast Winter ist gerechnet, dass 2 Herdplatten in Betrieb sind, eine Spülmaschine läuft, eine Waschmaschine, diverse Computer mit vielen Bildschirmen und eine Siebträger-Kaffeemaschine für gute Laune sorgt.

Die Spitzenlast Sommer hat die gleichen Verbraucher auf dem Schirm, plus zusätzliche Wärmepumpen für ein kleines Schwimmbad, eine Brauchwasserwärmepumpe, Klimageräte mit denen in der Übergangszeit auch geheizt werden kann und eine Gartenpumpe welche unsere Grünanlage wässert.

EEG-Gesetzeslage:

In den letzten 20 Jahren wurden Solaranlagen gebaut, um hauptsächlich die EEG-Einspeisevergütung einzusacken. So gab es im Jahr 2002 noch 48,1 ct pro kWh, ab Januar 2022 sind es nur noch ca. 6,6 ct pro kWh. Allerdings waren 180wp Solarmodule vor 20 Jahren noch hochpreisig (900,-€) …heute gibt’s die Dinger mit doppelter Leistung für schlappe 150,- € das Stück!
Jetzt sagt der Gesetzgeber, dass seit Januar 2021 ein jeder sich eine PV-Anlage mit 30 kWp aufs Dach "klatschen" kann und 30.000 kWh jährlich verbrauchen darf, ohne einen Penny EEG-Umlage zu zahlen! Er darf seinen Strom allerdings nur für sich selbst verbrauchen, kein Weiterverkauf…! Eigenbedarf!

Für völlig Unbedarfte sei angemerkt, dass 1 kWh etwa der Verbrauch ist, wenn ein Staubsauger mit 1000 Watt Leistungsaufnahme 1 Stunde benutzt wird. Dies kostet dann derzeit noch ca. 30 Cent bei Altverträgen. Würde man einen Elektroherd mit 2000 Watt über 5 Stunden nutzen, werden also 10 kWh verbraten, so zeigt es der Stromzähler an, in Folge sind 3,- € zu zahlen.

Ein jeder, der sich überlegt, seinen Strombedarf durch Eigenversorgung mittels Sonnenstrom zu decken, sollte zum Zählerschrank gehen und über 1 Woche täglich seinen Zählerstand notieren. Hierbei macht es Sinn zwei Ablesungen täglich vorzunehmen, einmal nach dem Aufstehen, den anderen zum Feierabend! Von Bedeutung kann sein, welche Strommenge in den Abend/Nachtstunden verbraucht wird (…dazu kommen wir später.)

Ist der durchschnittliche Tagesverbrauch ermittelt, muss die gewünschte Versorgungssicherheit zum Thema Autarkie geklärt werden! Will man nachts Eigenstrom verbrauchen oder gegen einen Stromausfall für 48 Stunden gerüstet sein, braucht es einen Batteriespeicher. Das doppelte des normalen Tagesbedarfs hat sich hier durchaus bewährt. Das Verhältnis zwischen PV-Leistung und Speicherkapazität spielt aber auch eine entscheidende Rolle. Schlussendlich dann der Geldbeutel. Ein Batteriespeicher hilft Schlechtwetterphasen durchzustehen und hebt den gesamten Autarkiegrad auf bis zu 90%.
Wunder darf man allerdings in den Monaten Dezember und Januar nicht erwarten. Wo keine Sonne ist, kann mit Solartechnik kaum erwähnenswert Strom produziert werden! Batteriespeicher sind durchaus umstritten. Bis vor 2 Jahren galten sie als sehr teuer und damit unwirtschaftlich. Derzeit sind die Preise um bis zu 50% gesunken was das kWh/€ Verhältnis angeht. Batteriespeicher müssen passend zum Rest der Anlage konzipiert werden!
Was die Herstellung dieser Batteriespeicher angeht, muss jeder selber wissen wie „grün“ seine Seele ist…:-D

Wechselrichter:

Herzstück jeder PV-Anlage ist der, bzw. die Wechselrichter, welche den Gleichstrom aus den Solarmodulen in Wechselstrom wandeln, sodass normale Haushaltsgeräte betrieben werden können, oder eine Einspeisung ins öffentliche Stromnetz erfolgen kann. Moderne Wechselrichter, sogenannte Hybridwechselricher, sind nach Bedarf vielseitig steuerbar, können Einspeisen oder auch Netzstrom durch sich durchleiten zur Ergänzung des PV-Stroms bei wenig Sonne oder niedrigem Batteriefüllstand. Diese müssen dann aber immer NETZPARALLEL angeschlossen sein.

Solarmodule:

Aktuelle Solarmodule bieten eine Leistung von 350W-peak. Sollte also die Sonne bei 25 Grad im Idealwinkel von 90 Grad auf das Modul scheinen, wäre mit einem Modul etwa 0,35 kW pro Stunde zu ernten. Sind 30 Module auf dem Dach montiert, wären das schon 10,5 kWpeek. Hätten wir Sommer, wären von dieser 10,5 kWp-PV-Anlage täglich bei gutem Licht pro Stunde 10 kWh an Ertrag zu erwarten! Sollten Verschattungen eintreten, sind Standartberechnungen nicht gültig!
Übel sieht es im Winter aus, denn mit einer 10kWp-Anlage produziert man mit viel Glück oft nur 1 – 2 kWh am Tag. Der Eigenverbrauch der Wechselrichter nullt im Regelfall diesen Ertrag!
Das kostenlose Portal PVGIS gibt hier unverbindlich Auskunft,

https://re.jrc.ec.europa.eu/pvg_tools/en/#PVP

mit welchen Erträgen zu rechnen ist. Einfach den Standort eingeben, die kWpeek Leistung der Solarmodule, Anstellwinkel der Module, die Himmelsrichtung und in wenigen Sekunden bekommst man eine monatliche Auswertung was an Ertrag vom jeweiligen Dach zu erwarten ist.
Diese Prognosen sind recht zuverlässig, allerdings wird keine individuelle Verschattung im Ertrag berücksichtigt. Hier muss man selbst den Stift ansetzen und prozentual Reduzierungen vornehmen. Speziell bei flach stehender Sonne in den Wintermonaten, können Bäume oder Nachbarhäuser, bis zu 50% PVGIS – Prognosen ins Minus drücken.

Welche Anlagenkonzepte gibt es?

Überschusseinspeiseanlage:
- ist auf das öffentliche Netz angewiesen, bei Stromausfall schaltet die Anlage ab.
- schafft etwa 30% Deckung des jährlichen Eigenverbrauchs
- muss im Marktstamm und beim Verteilnetzbetreiber angemeldet werden
- erzielt ab 2022 noch 6,6 Cent Vergütung, Finanzamt sagt „Hallo“
- Anlage muss nach VDE 4105, TAB, AR-Regeln gebaut sein, Zweirichtungszähler Plicht

Nulleinspeiseanlage: (derzeit ungünstigstes Konzept)
- ist auf das öffentliche Netz angewiesen, bei Stromausfall schaltet die Anlage ab.
- keine Vergütung, Überschussstrom verpufft, wird abgeriegelt.
- schafft etwa 30% Deckung des jährlichen Eigenverbrauchs
- muss im Marktstamm und beim Verteilnetzbetreiber angemeldet werden
- Anlage muss nach VDE 4105, TAB, AR-Regeln gebaut sein, Zweirichtungszähler gefordert
- Finanzamt ist der Eigenverbrauch bis 30.000 kWh ohne Wirkung

Nulleinspeiseanlage mit Batteriespeicher:
- ist NICHT auf das öffentliche Netz angewiesen, bei Stromausfall versorgen PV-Anlage und Batterie die Verbraucher. (abhängig von der Größe des Batteriespeichers)
- schafft etwa 70% Deckung des jährlichen Eigenverbrauchs
- muss im Marktstamm und beim Verteilnetzbetreiber angemeldet werden
- Anlage muss nach VDE 4105, TAB, AR-Regeln gebaut sein, Zweirichtungszähler gefordert
- Finanzamt = Eigenverbrauch bis 30.000 kWh ohne Wirkung

Inselanlage:
- Hat keine Verbindung zum öffentlichen Stromnetz
- Größe der Batterie und Leistungsfähigkeit der PV-Anlage entscheiden wie viele Verbraucher, wie lange betrieben werden können.
- …sollte 100% Deckung des jährlichen Verbrauchs liefern.
- Muss nirgends gemeldet werden, weder beim Marktstamm noch beim Verteilnetzbetreiber
- Es gelten keine Regeln des EEG, keine Richtlinie VDE AR4105, es gibt keinen Zähler!

Inselanlage mit allpoligem 1/0/2 Lasttrennschalter
- Hat keine allpolige Verbindung zum öffentlicher Stromnetz
- Größe der Batterie und Leistungsfähigkeit der PV-Anlage entscheiden wie viele Verbraucher, wie lange betrieben werden können.
- Manuelle Umschaltung aller Verbraucher vom Inselnetz auf das öffentliche Stromnetz
- Umschaltung im Winter öfters nötig, 10 Monate autark, bei passender Anlagengröße
- Es gelten keine Regeln des EEG, keine Richtlinie VDE AR4105
- Der VNB ist sinnvoller Weise in Kenntnis zu setzen, dass eine Inselanlage mit 1/0/2 Lasttrennschalter installiert wird. Der VNB wird mindestens einen Zähler installieren wollen, der nicht rückwärts (Ferraris) laufen kann…<img src=" />

Eine „Clearing-Stelle“ für EEG-Angelegenheiten hat in einer „Diskussion“ entschieden, dass solche „Halb-Insel“-Anlagen ebenfalls dem Netzbetreiber und im Marktstamm zu melden "seien", da das Grundstück ja über einen Stromanschluss verfügt und der Kunde die Vorteile des öffentlichen Netzes nutzen könnte. Das ist „GRAUZONE“!
Allerdings hat noch kein VNB (Verteil-Netz-Betreiber) sich getraut einen Prozess loszutreten, weil ein Richter anderer Auffassung sein könnte, da ja grundsätzlich keine galvanische Verbindung zwischen den beiden Netzen besteht, was wiederum Grundlage ist für EEG-Bestimmungen…!
Die Druckmittel seitens der „Machthaber“ sind hier auch relativ überschaubar, da Betreiber dieser Anlagenkonfiguration keine Förderung oder Einspeisevergütung beziehen. Es steht also maximal der Bussgeldfaktor im Raum. Netzrückwirkungen durch eine NICHT-NETZPARALLELE-ANLAGE kann es nicht geben! Ist die Anlage nicht netzparallel, entfallen vom Grundgedanken die Meldepflichten beim Markstammdatenregister und auch beim VNB.


Vor und Nachteile der Errichtungskonzepte:

Volleinspeiseanlagen sind passé, es gibt kaum noch Vergütung für den Strom. Überschusseinspeiseanlagen sind seit neustem auch fraglich, da nur ca. 30% Eigenverbrauch mit ihnen erzielt werden kann und der Strompreis sich verdoppelt hat. Wird ein Batteriespeicher gekoppelt, ist die Notstromfähigkeit gewährleistet und der Eigenverbrauch kann bis zu 70% erreichen.(bei überschaubarer Anlagengröße)
Reine Inselanlagen ohne Netzanschluss auf dem Grundstück ist eine mutige Sache. Die Anlage wird riesengroß. Sie muss Lastspitzen abfangen können, der Stromverbrauch muss geordnet sein, Winter und Schlechtwetterphasen müssen mit großem Batteriespeicher und einer Diesel-Notstromversorgung redundant sein.

Derzeit interessant ist die „Halb-Insel“. Diese MUSS mit einem allpoligen Trennschalter ausgerüstet sein, dann sind nach derzeitigem Ermessen die Meldeplichten überschaubar. Viele VNBs zucken sogar mit den Schultern, da diese Anlage keine Netzrückwirkungen verursachen kann und damit nicht in den Zuständigkeitsbereich des VNB fällt.
Der „VNB-konzessionierte-Elektriker“ hat die Aufgabe diesen Schalter einzubauen und die korrekte Trennung der Netze festzustellen.

Die Sache mit der „temporären Insel“ hat für den Betreiber natürlich den Haken, dass es dunkel wird, wenn er verpennt bei leerer Batteriestand umzuschalten. Auch starke Lastspitzen die den Wechselrichter ins „Overload“ jagen, könnten für Trübsal sorgen.
Gerade bei 3-phasiger Hausverteilung kann kaum jemand sagen, auf welcher Phase die leistungsstarken Geräte hängen und welche gerade in Betrieb genommen werden.
Ein 5000W Wechselrichter wäre bei 2 Kochplatten und einer Spülmaschine auf der gleichen Phase schon am Schwitzen. Sowas will wohl durchdacht sein, ist aber lösbar.

Zum Thema Solarmodule kann ich euch versichern, macht einfach das Dach voll. Alles was an Platz da ist vollmachen bis zur 30kWp Grenze. Das sind bei 350 Wpeek- Modulen mindestens 80 Stück im Format 100 x 170cm. Die Kosten für die Module sind überschaubar. 25.000 kWh Ertrag stehen „kostenlos“ im Jahr zum Eigenverbrauch zur Verfügung. Die Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich Heizkosteneinsparung, Wärmepumpen ist gigantisch.

Sinnvolle zusätzliche Verbraucher, wenn eine große PV-Anlage gebaut werden kann:
- Brauchwasser-Wärmepumpe mit Heizstab (2500,- €) Verbrauch Mai-Sept. 3000 kWh
- Split-Klimageräte für Übergangszeit Heizen/ Sommer (3000,-€) kühlen 5000 kWh
- Wärmepumpe Heizung – kommt nur bei „Dämm-Häusern“ in Frage. (unbegrenzt kWh)
- eAuto (unbegrenzt kWh)

Installation:
Man kann eine PV-Anlage selbst installieren. Allerdings ist das kein Kindergarten! Von der Planung bis zum Einschalten, können viele Monate vergehen. Auch sind 1-2 Helfer nötig, die möglichst nicht vom Dach fallen sollten! Ja, die Unfallgefahr ist nicht unerheblich.
Notwendige Gerüste, Fangnetze, Sicherheitsleinen können geliehen werden.
Bei einer Victron-Anlage ist vor allem die Einrichtung der Software anspruchsvoll.
Wer hier im Internet beim "Kistenschieber" billig kauft, bekommt im Regelfall keine Unterstützung. Das rächt sich später!

Ich habe meine Anlage selbst gebaut, bin allerdings "vorbewandert" in der Thematik und extrem gut ausgerüstet mit Werkzeugen.
Wer eine Anlage plant, Bezugsadressen oder Hilfestellung braucht, kann mich per PN gerne anschreiben.

VG Zorro

--
Haftungsausschluss! - Beachten Sie bei "Börsenpostings & Analysen" bitte den Disclaimer des Gelben Forums!
Die in diesem Posting enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder anderen Anlageinstrumenten dar.


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung