Weil sie erkannt haben, dass sie chancenlos sind

Miesepeter, Freitag, 24.12.2021, 14:57 (vor 857 Tagen) @ SevenSamurai2184 Views
bearbeitet von Miesepeter, Freitag, 24.12.2021, 15:53

Diese Generation (also die Mitte 60er bis Mitte 80er vor dem Internet ausserhalb von Paris sozialisierten) hat in Frankreich mehrere Versuche gemacht, das bürgerlich-sozialdemokratische Lebensmodell "ihres" Frankreichs zu bewahren, die Gelbwesten waren nur ein letztes ausserparlamentarisches Zucken. Die bei weitem herausragende Sprecherin dieser Generation ist die Anwältin und Abgeordnete Marine Le Pen - eine extrem schlagfertige und mit allen populistischen Wassern gewaschene Partei-erbin - von diesem Holz gibt es in Deutschland niemanden, Sarah Wagenknecht oder Alice Weidel sind meilenweit entfernt.

Trotzdem hat das System sie jederzeit im Griff, und als sie in ihre entscheidende Schlacht zog (das Fernsehduell gegen Macron um die Präsidentschaft), liess sich diese Meisterrhetorikin, die vorher noch nie eine Debatte verlor, stammelnd und zusammenhanglos von Macron links und rechts abwatschen, machte einen Fehler nach dem anderen, 2 Stunden lang, bis auch der letzte kapierte, dass der Ausgang bereits vor dem Duell festgelegt war.

Selbst in ihrem eigenen Wahlkreis: dem von campenden Migranten überfluteten, arbeitslosen Pas-de-Calais/Nord konnte sie keine Mehrheit zusammenkriegen.

Damit dürfte allen aufmerksamen Gestrigen klar gewesen sein: der parlamentarische Weg ist versperrt. Die, die es immer noch nicht verstanden hatten, versuchten es danach nochmal mit ausserparlamentarischem Protest, und wurden im Abnutzungskampf nach und nach von agents provocateurs, Tränengas, Wasserwerfern und Mediengewitter entmutigt.

Hätten sie Heinsohn gelesen, hätten sie sich die Mühe sparen können. Es sind nicht die Alten, die etwas zu verlieren haben, welche erfolgreich Revolutionen gegen die Zeit durchführen. Die gelingen nur leidenschaftlichen Jungmännern, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben.

Den jungen Menschen geht Freiheit am Arsch vorbei.

Nein, die haben nur von vornherein keine gehabt, und sehen nicht ein, warum sie die Freiheit und den Wohlstand der Alten verteidigen sollen. Zumindest sehen sie das so.

In diesem Forum ist ja leider die junge Generation nicht vertreten. Auf dem exzellenten Rintrah Blog kann man aber einige finden, ich lass deepl mal einen Kommentar übersetzen:

Ich glaube nicht, dass die Selbstaufopferung zum Wohle der Erde am Ende unbedingt eine so schreckliche Idee ist. Wenn man darüber nachdenkt, wirkt die industrielle Zivilisation wie ein Krebsgeschwür auf der Erde - von ihrem unkontrollierten Wachstum über ihre Abneigung gegen die normalen Zyklen von Leben und Tod bis hin zu der Tatsache, dass sie den gesunden Teilen des Planeten Ressourcen entzieht und sie für ihre eigenen Zwecke umleitet. Wie Sie wissen, braucht man nur über Massentierhaltung oder die uigurischen Konzentrationslager zu lesen, um zu erkennen, dass wir in einem zutiefst bösen System leben. Wenn Ordnung notwendig ist, dann ist es klar, dass mit der Art von Ordnung, die wir geschaffen haben, etwas nicht stimmt. Ich würde sogar so weit gehen, diese Argumentation auf die Zivilisation im Allgemeinen auszudehnen, sogar auf die nicht-industrielle Variante, obwohl unsere derzeitige Gesellschaft die schlimmste von allen zu sein scheint. Es muss eindeutig etwas unternommen werden, und ich denke in letzter Zeit, dass es in einer Situation wie dieser nicht unbedingt ausreicht, nur am Rande zu stehen und zu versuchen, die eigenen Auswirkungen zu minimieren.

Der Sinnspruch dieses Blogs lautet: The only way to deal with an unfree world is to become so absolutely free that your very existence is an act of rebellion.

Also für mich hört sich das fast an wie das DGF, nur eben von einer fatalistischen Generation, die meint, eh nichts Wertvolles mehr zu verlieren zu haben. Die Ideale der bürgerlichen Freiheit sind hier nicht verteidigungswürdig, sondern sie stehen im Weg.

Die Alten haben gegen die Jungen (und deren Einflüsterer) keine Chance, daran wird sich auch nichts ändern, wenn der Strom mal ausfällt. Die Jungen werden das beklatschen.

Alles weitere kann man dem Werk von Hannah Arendt entnehmen.

Gruss,
mp


PS: Die Osteuropäer sind in einer anderen historischen Phase: deren letzter Flirt mit dem höheren moralischen Wohl ist noch nicht vergessen, die Ideale der dort Lebenden sind durch und durch bürgerlich und materialistisch, eine soziale Hängematte gibt es nicht, Rudi Dutschke ist ihnen noch nicht erschienen, niemand marschiert durch die Institutionen um sie umzuwidmen. Solange sie vom Westen mehr erhalten als sie ihm Tribute zollen müssen, und Westeuropa sie mit seiner Ideologie nicht erdrückt, wird sich nichts ändern. Sobald der Saldo negativ wird, werden sie sich umorientieren: Ungarn wie immer als Erster, Rumänien als Letzter, nachdem der Kampf von anderen bereits gewonnen ist.


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