Der Countdown läuft

Dionysos, Samstag, 01.06.2019, 12:18 (vor 1763 Tagen) @ nereus5080 Views

Hallo,
Hallo nereus,

in diesem Monat nahm ich an einem Symposium für Planer in der E-Technik teil. Dozenten waren ein Prof. der TU, sowie Entwicklungsingenieure diverser Hersteller, die an der Energiewende beteiligt sind.

Das Wort Blackout kam nicht vor. Man umschreibt das Thema mit „instabilen Energienetzen“ und „volatilerer Energieerzeugung“. Lediglich ein Hersteller von USV Anlagen bis 1 MW hatte m. M. den vollkommenen Durchblick. Die Betroffenheit nach seinen Ausführungen waren den Teilnehmern und Dozenten am Gesicht abzulesen.

Mit ihm beginne ich auch gleich. Dieser Lieferant tritt auch beratend gegenüber Netzbetreibern auf. In den Ballungszentren sind bereits, oder werden jetzt überall, Speicheranlagen (Microgrids) im Leistungsbereich 1- 3 MW installiert. Damit wird das Netz stabilisiert, also der Speicher bei Abweichung der Netzfrequenz +10mHz – 10mHz geladen bzw. entladen. I.d.R. werden diese Lithium Speicher von den EVUs gemietet. Nach diesem Prinzip (Peak Shaving, Lastabwurf) wird auch jetzt verfahren und bereitet den Netzbetreiben die bekannten Probleme. (von @nereus verlinkter Artikel) Neu ist das Zusammenspiel über Microcontroller, wonach Lastprofile, d. h. Prognosen aus der Vergangenheit in die Zukunft übertragen werden, sowie Wetterprognosen mit einfließen. Also vergleichbar der intelligenten Programme von Derivate-Händlern am Finanzmarkt. Das meinte sicher der „Experte“ von der Netzagentur, den @Dieter mal verlinkte – Die Netze werden smarter.

Leider werden kurzfristig nur eine geringe Anzahl von Energieversorgungsunternehmen, die das „instabile Netz“ auch wirklich ernst nehmen und über entsprechendes Kapital verfügen, diese Lithium-USVs zusätzlich mit Windenergie, PV, oder Dieselgeneratoren einspeisen. Der Netzbetreiber kann somit sein eigenes Inselnetz managen, wenn auch nur auf Sparflamme.

Es ist geplant, dass auch alle privaten PV Anlagen in diese Speicher der EVUs integriert werden sollen. Die Bundesnetzagentur erstellt dazu derzeit eine Datenbank (Marktstammdatenregister).

Industrielle Verbraucher werden über den Gesetzgeber gezwungen ein Spitzenlastmanagement zu betreiben. Das sind Energiespeicher in der Größenordnung von 0,1-0,5 MW, auch als Kaskaden schaltbar. Die Knebelung für Peak Shaving heißt hier 7.000 Stunden/Jahr-Regel gem. StromNEV §19. Es drohen Bußgelder in 6-stelliger Höhe für eine atypische Netznutzung.

Im übertragenen Sinne kann man damit Blitzschläge in der Umgebung abwenden. Gegen einen Volltreffer ist diese „smarte“ Lösung kein Mittel. Die wichtigen Behörden der Bundesländer sollen deshalb jetzt mit Satellitentelefonen ausgestattet werden. Bei einem europaweiten Blackout wird außer Sat-Telefon und CB-Funk keinerlei Kommunikation mehr funktionieren. Das Telekom-Netz ist dafür nicht vorbereitet.

Der Hersteller dieser USV Anlagen hat deshalb neben seinem Werk in Deutschland seine Produktionsstätte außerhalb des Festlandes nach Irland verlegt. Irland hat einen Anteil von 38 Prozent der Energieerzeugung mit Offshore Windparks sowie Wasserkraft. An beiden Standorten ist eine identische Produktionslinie errichtet wurden, die jeweils mit einer Auslastung von 50 Prozent produziert.

Ich denke mal, erst mit Abschaltung der AKWs 2021 kommen wir in die heiße Phase. Das Hochfahren des europäischen Verbundnetzes nach einem Blackout soll nach Prognosen der Kraftwerksbetreiber 7 Tage dauern.

Zum Uni Dozenten gibt es nicht viel zu sagen. Für ihn gilt das Gleiche wie für die anderen Teilnehmer. Sie sind gefangen in ihrer eigenen technischen Welt. Eine Verknüpfung mit makroökonomischen Fragen, geschweige denn geopolitischen Szenarien ist ihnen völlig fremd.

Gemeinsamer Tenor war lediglich, dass die Lithium-Technologie eine Übergangslösung für ca. 10 Jahre darstellt. Als Nachfolgetechnologie wird Wasserstoff mit Fragezeichen gehandelt. Federführend in der Forschung und Beratung ist hier die HTW Berlin. Im Jahr 2017 lag der Anteil der deutschen Haushalte, die eine PV Anlage mit Energiespeicher besitzen, bei einem Prozent. Als Zielmarke wird ernsthaft eine Marktsättigung von 50 Prozent der Haushalte mit Energiespeicheranlage propagiert.

Der Vertreter der Solarbranche sieht inselanlagenfähige Wechselrichter immer noch als eine seit Kurzem eingeführte Erweiterung seines Portfolios. Er wundert sich mehr oder weniger, dass es auch Kunden gibt, die so etwas nachfragen. Indirekt hat er auch recht. Die Bauämter haben Luftbildaufnahmen aller Liegenschaften und können auch nicht gemeldete PV Anlagen der Bundesnetzagentur melden. Im Ernstfall geht Gemeinnutzen vor Eigennutzen seiner PV- bzw. Speicheranlage. Im Bestand sind PV Anlagen auf AC Basis verbreitet.

Einhellige Meinung in der Runde war, dass es zukünftig nur noch Anlagen auf DC Basis hergestellt werden. Eine Ost-West Ausrichtung bietet den Vorteil eines längeren Ladezyklus des Speichers gegenüber einer kürzeren Aufladung bei Südausrichtung. Das trägt geringfügig zur Lebenserwartung des Speichers bei, derzeit bis 15 Jahre.

Cloud Lösungen wurden auch diskutiert. Das heißt, die überschüssige Energie, welche der Speicher nicht mehr aufnehmen kann, wird ins Netz an einen Cloud-Anbieter abgeben. Dieser Strom kann dann im Winter oder unterwegs mit dem E-Mobil wieder abgerufen werden. Die Offenlegung dieses Models blieb der Anbieter allerding schuldig. Geschäftsgeheimnis. Meiner Meinung nach funktioniert das nur mit ausländischen Geschäftspartnern. Ob diese „grün“ sind, wage ich mal zu bezweifeln.

Ketzerisch könnte man noch hinzufügen, es können auch Besitzer von E-Mobilen zur Netzstabilisierung herangezogen werden. Und damit wende ich mich auch gleich dem Vertreter der Fahrzeugindustrie zu.

Das große Problem der deutschen Hersteller liegt bei den Batterien. Wenn man für Tesla 3.0 ansetzt, dann liegt die Entwicklungsarbeit bei deutschen Herstellern bei 1.0. Der Anteil an Lithium in den Batterien ist noch um ein mehrfaches höher und damit der Anschaffungspreis. Die Anzahl der Ladezyklen ist geringer. Das fällt aber erst einmal bei einem Neuwagen nicht ins Gewicht. Die Marketingabteilungen biegen das schon hin. Der Markt an Batterielieferanten ist bereits ausgereizt. Das Gleiche gilt für Lieferanten von Maschinen zur Batterieproduktion. Lieferverträge für Kobalt sind äußerst schwierig zu erhalten, für Lithium ist das aber kein Thema. Last but not least, die Ressourcen deutscher Ingenieure sind begrenzt und die Entstehung eigener Standorte für die Produktion von Fahrzeugbatterien zu langwierig. Deutsche Elektrofahrzeuge (auch französische) haben derzeit auch ein Problem mit plötzlichen Unterbrechungen beim Aufladen an der Wallbox.

Bis zum Herbst werden alle deutschen Energieversorger ihre AGBs ändern. Zeitlich befristete Tarifmodelle werden zunehmend durch lastvariable Tarife ersetzt. Vermutlich wird außerhalb der Mittagszeit Energie so teuer, dass man als Kunde einen eigenen Heimspeicher als Lösung anerkennen wird. Man wird seine Elektroanlage dahin ändern, dass man z.B. einen Warmwasserspeicher in der Mittagszeit aufheizen lässt. Duschen über einen Durchlauferhitzer zu einer anderen Tageszeit wird nicht mehr finanzierbar werden, wahrscheinlich sogar verboten werden.

Das Modell der Zukunft für einen Eigenheimbesitzer wird eine PV Speicheranlage bis 9,xx kWp sein. Über 10 kWp schaltet sich das Finanzamt ein. Dann sind auch umfangreiche Genehmigungen erforderlich und Abrechnungskosten schlagen auch ins Gewicht. Kombiniert soll das Ganze mit einer smarten Ladestation für E-Mobilität werden. Hinzu kommt noch eine Wärmepumpe. Aus Kostengründen werden es vorzugsweise Luft-WP sein. Sinn macht das nur mit einer Flächenheizung und entsprechender Gebäudeisolierung. Es sind auch effiziente WP im höheren Temperaturbereich für Heizkörper in der Pipeline. Das Problem eines hohen Anlaufstromes der WP gegenüber der PV Batterie wird auch noch gelöst werden.

Mit, oder ohne Finanzcrash. Wir stehen vor der größten Umwälzung in der Gesellschaft nach dem 2. WK. Selbst wer seine Hausaufgaben bisher im Griff hatte, wird wieder zurück ins Hamsterrad geholt.

Gruß Dionysos

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Armut schafft Demut, Demut schafft Fleiß, Fleiß schafft Reichtum,
Reichtum schafft Übermut, Übermut schafft Krieg, Krieg schafft Armut.


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