Nicht eine Frage der Kompexität, sondern im Gegentil eine Frage der Reduktion von Komplexität

Mephistopheles, Sonntag, 09.12.2018, 14:51 (vor 1958 Tagen) @ el_mar2822 Views

Überraschung:
"Ein Truthahn wird tausend Tage lang gefüttert. Jeden Tag registriert die
statistische Abteilung seiner Gehirnregion, dass die menschliche Rasse sich
um sein Wohlergehen sorgt, und jeden Tag erhärtet sich diese Feststellung
mehr. An einem schönen Mittwochnachmittag, einen Tag vor
„Thanksgiving“, erlebt der Truthahn eine Überraschung.

Nassim Nicholas Taleb, ehemaliger Börsenhändler und Professor für
Risikoforschung in New York, hat mit dieser Metapher der Debatte um die
Finanzkrise eine neue Wendung gegeben. Es geht um „Überraschung!“,
„Boom!“, „Surprise!“, um die Erkenntnis, dass der arme Truthahn bis
zum tausendsten Tag nur Aussagen über die Vergangenheit, aber nicht über
die Zukunft, und am tausendundersten Tag gar keinen Pieps mehr machen
konnte."
Frank Schirrmacher


pieps

Hall0 Elmar,

ich habe dein Posting erst jetzt entdeckt, sonst hätte ich es gleich beantwortet.
Es ist nicht eine Gefahr der Komplexität, sondern vielmehr der Reduktion von Komplexität. Das wird an dem Beispiel mit dem Truthahn überdeutlich, ohne dass irgendjemand den Elefanten im Porzellanladn überhaupt wahrnimmt.

Wovon ernährt sich ein Truthahn normalerweise? Von Dutzenden von Feldfrüchten. Wenn die eine ausfällt, dann sind eben noch andere da. Irgendwas geht immer. Und so haben Truthähne über 100.000e von Jahren überlebt. Seine Umwelt war komplex genug.
Was ist nun? Der Truthahn hat nur noch eine einzige Futterquelle, nämlich den, der ihn füttert. Wenn der ausfällt, dann ist es aus und vorbei mit dem Truthahn. Auch dann, wenn kein Bösewicht kommt, um ihn zu schlachten. Seine Umwelt wurde einem solchen Reduktionismus unterworfen. dass der Truthahn nicht mehr überleben kann, wenn seine einzige Energiequelle ausfällt.

Aber, wir sind keine Truthähne, sondern Menschen. Menschen benötigen die komplexeste Umwelt aller Lebewesen. Im Naturzustand ernähren sich die Menschen von hunderten verschidener Pflanzen und etwa einem Hundrt verschiedener Tierarten. Es gibt im Naturzustand keine Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, auch wenn das möglich ist. Das ist aber keine natürliche Ernährung für Menschen. Wenn da eine Art ausfällt oder ausstirbt, dann ist das vermutlich nicht einmal aufgefallen.

Was geschieht nun? Seit Beginn der Kultur wird die Anzahl der verschiedenen Pflanzen- und Tierarten, von denen sich die Menschheit ernährt, fortlaufend reduziert. Dazu kommt noch, dass die Menschen sich ihre Nahrung seit Beginn der Kultivierung nicht mehr aus der Natur holen, sondern audf das reibungslos Funktionieren von Artefakten angewiesen sind, um überleben zu können.

Im Römerreich waren das vor allem Metalle, Straßen, Schiffe und Aquädukte. Diese Infrastruktur ermöglichte das Überleben einer Millionenbevölkerung in den Megastädten. Diese Megastädte wurden nur ermöglicht durch einen gewaltsamen Reduktionismus (genauso wie die gesamte Naturwissenschaft und die darauf aufgebaute Technologie auf Reduktionismus der unglaublich komlexen Naturvorgänge basiert)
Als diese Infrastruktur ausfiel, reduzierte sich die Bevölkerung des Imperium Romanum fundierten Schätzungen zufolge um 90%, die Bevölkerung der Stadt Rom sank von 3-4 Millionen auf 17.000.
Wenn diese 100.000e von (minimalen) Einzelbauernhöfen mit ihrer gesamten Komplexität noch bestanden hätten, dann wäre eine Eroberung der Stadt Rom durch die Germanen kein größeres Problem gewesen. Aber sie bestanden nicht mehr, weil Reduktionismus ist eben viel effizienter als Komplexität.

Dabei war das im Römerreich mit dem Reduktionismus noch einfach, die meisten Tätigkeiten wurden von menschlicher Hand ausgeführt und nur sehr wenige von Maschinen.
Bei dem von uns erreichten Grad an Reduktionismus genügt bereits der Ausfall einer einzigen Komponente, nämlich des Stromnetzes, um die gesamte über ein Jahrtausend aufgebaute Kultur zum Einsturz zu bringen. Sie wird nie wieder aufgebaut werden können. Es geht uns dann wie dem Truthahn.

(Ich würde mich sehr viel wohler fühlen mit einer Inselanlage, also selbst erzeugtem Strom, selbst erzeugten Nahrungsmitteln, einem Holzvergasermobil, betrieben mit Holz aus einem eigenen Wäldchen usw. Alles machbar und ostet nicht einmal die Welt, jedenfalls weniger als die Bunzelbürger für ihr durchschnittliches freistehendes Einfamilienhaus ausgeben. Nützt aber nichts. Würde aber dann etwas nützen, wenn es Millionen solche Einfamilienhäuser gäbe. Gibt es aber nicht, weil uns fehlt ein Themistokles.

Gruß Mephistopheles


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