Wie konnte Rumänien nach Ceausescu einen solch großen Sprung nach vorn machen?

Plancius, Montag, 21.04.2025, 17:32 (vor 238 Tagen) @ helmut-12317 Views
bearbeitet von Plancius, Montag, 21.04.2025, 17:46

Hallo @Helmut,

du berichtest viel über die Unzulänglichkeiten und das Ausmaß an Korruption und Vetternwirtschaft in Rumänien. Ich möchte jetzt mal eine andere Sicht auf die Dinge in den Fokus rücken.

Ein jeder, der vor 1990 durch Rumänien gefahren ist, konnte mit eigenen Augen sehen, dass es das ärmste Land Europas war. Wir DDR-Touristen, die seinerzeit mit dem Pkw nach Bulgarien ans Schwarze Meer unterwegs waren, haben uns an der ungarisch-rumänischen Grenze in Konvois zu ca. 5 Fahrzeugen zusammen geschlossen, um Rumänien gemeinsam zu durchfahren. Im Konvoi fühlten wir uns sicherer, durch dieses bettelarme Land zu fahren. Hielt man an, war man von bettelnden Kindern und Frauen umringt, auf den Straßen waren besoffene Zigeuner unterwegs, hat man an der Grenze nicht Außenspiegel und Wischblätter abmontiert, so wurden sie einem an der erstbesten roten Ampel in Oradea oder Arad vom Auto gerissen.

Auf der Heimfahrt von Bulgarien dieselbe Praktik mit dem Konvoi noch einmal, die bulgarischen Grenzbeamten schütteten einen Eimer Wasser über die Motorhaube eines jeden Autos, was in Bulgarien bedeutete, dass wir unbeschadet und wohlbehalten durch das Land Draculas durchkommen sollen, um wieder in Ungarn in der Zivilisation anzukommen.

Nach der Wende ging es nun mit Bulgarien steil bergab, das Land hat sich seitdem nicht mehr so richtig erholt. Stattdessen wurde Rumänien der bis zum heutigen Tage heimliche Shootigstar Europas.

Waren bis zur Wende 1989 nur die Nationalstraßen asphaltiert, so fährt man jetzt auf feinstem Asphalt durch die meisten Gegenden Rumäniens. Es wurden viele km Autobahn gebaut, Nationalstraßen ausgebaut und Umgehungsstraßen um die größeren Städte errichtet. Nur noch einige Nebenstraßen sind wie eh und je Schotterpisten.

Die Städte erstrahlen mit ihren herrlichen KuK-Bürgerhäusern in hellstem Glanz. Städte wie Timisoara, Sibiu, Sigishoara, Alba Iulia, Brasov und viele kleinere Städte und Dörfer Siebenbürgens sind eine reine Augenweide. Die Städte sind gepflegt mit vielen Grünanlagen, Parks oder auch von Kanälen durchzogen (Timisoara). Die Stadtarchitekten haben professionelle Arbeit geleistet, vieles ist mit Liebe zum Detail hergestellt und wird insbesondere auch nach Rekonstruktion erhalten und gepflegt.

Wenn ich die Entwicklung Rumäniens mit der Ostdeutschlands nach der Wende vergleiche, so hat Rumänien vom äußeren Erscheinungsbild einen viel größeren Sprung nach vorn gemacht. Fahre ich so in Ostdeutschland durch die Lande, so sind zwar viele Häuser in den Stadtzentren rekonstruiert, aber man sieht dennoch, dass ein Großteil der Straßen, Plätze und Grünanlagen billig und lieblos angelegt worden sind. Insbesondere sind die Grünanlagen spärlich und sind in vielen Fällen ungepflegt. Als ich letztens durch Quedlinburg spazierte, war ich entsetzt, wie ungepflegt doch die ganze Stadt war. Aus dieser Stadt könnte man ein zweites Rotenburg/Tauber machen, wenn sie denn in den richtigen Händen wäre.

Jetzt zu meiner eigentlichen Frage: Wie konnte ein solches hochkorruptes „Zigeunerland“ wie Rumänien einen doch so großen Sprung in Richtung Zivilisation machen und dabei Ostdeutschland vergleichsweise auf die hinteren Plätze verweisen?

Ja ich weiß, es gibt EU-Fördermittel, die wurden auch über Ostdeutschland ausgeschüttet. Deutschland hat trotz der ganzen Verschwendungen eine wesentlich höhere Steuerkraft als Rumänien und insbesondere hätte ich erwartet, dass in Rumänien der größte Teil der Steuer- und EU-Gelder in der Korruption versickert.

Und noch eine ganz wichtige Tatsache: Wo kommt all die Liebe zum Detail, der Anmut her, die Städte so lebenswert mit ihren Grünanlagen zu machen und vor allem auch alles dauerhaft zu pflegen? Sind Rumänen in Deutschland wohnhaft, so hinterlassen sie nur Müll, Unordnung und Unrat.

Wie kann es sein, dass die von allen Europäern gering geschätzte rumänische (korrupte) Mentalität die finanziellen Mittel letzten Endes doch effektiver einsetzen? Ich ging immer davon aus, dass die Deutschen mit ihrem Sinn für Ordnung, ihre Liebe zum Detail besessen sind, aber stattdessen sind sie einem Billigwahn verfallen und lassen ihre Städte zu lebensfeindlichen, lieblosen Wohnwüsten verkommen. Wo sind die einstmals preußischen Tugenden geblieben?

Ich weiß, auch in Rumänien gibt es noch viele Unzulänglichkeiten. Es gibt noch wilde Müllkippen am Rande der Ortschaften, die Siedlungen in der Walachei gefallen mir auch nicht so, die Orte am Schwarzen Meer sind für mich lieblose Retortensiedlungen, Bukarest ist auch nicht so meins – aber Siebenbürgen, Maramures und Bukowina sind der reinste Augenschmaus.

Gruß Plancius

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"Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad an Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand." ARTHUR SCHOPENHAUER


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