Wieder ein Blick in die USA, diesmal im Focus: Die Beziehung zu China und der Verlust der Hegemonie

Rain, Dienstag, 11.05.2021, 18:37 (vor 1074 Tagen)3492 Views

Ihr Lieben,

der Historiker läßt uns diesmal an der Entwicklung der Beziehung USA-China teilhaben:

Am 6. Mai 2021 veröffentlichte die chinesische englischsprachige Zeitschrift "Global Times" unter dem Titel "Kein Weg für Washington, den Sieg im Kalten Krieg zu wiederholen" ein bemerkenswertes Editorial. Die "Global Times" ist ein halb offizielles Organ der Kommunistischen Partei Chinas und dürfte in diesem Fall den Standpunkt des Politbüros, des obersten Gremiums der KP, wiedergeben.

Die chinesische Führung ist nach den knapp vier Monaten, die die Biden/Harris-Administration im Amt ist, zu der Überzeugung gekommen, daß die neue amerikanische Regierung sich durch ein ungewöhnlich hohes Maß an Schwäche, Inkompetenz und Dysfunktionalität auszeichnet. Dessen ungeachtet hält die Biden/Harris-Administration aber am Anspruch fest, daß die USA nach wie vor die "einzige Supermacht" sind und die Spielregeln der "regelbasierten internationalen Ordnung" (die nicht mit dem dem internationalen Recht zu verwechseln sind) vorgeben. Dieser Anspruch wird aber nach Ansicht der chinesischen Führung nicht mehr von den Realitäten gedeckt, vor allem nicht, seitdem die Volksrepublik China und die Russische Föderation eine "Strategische Partnerschaft" eingegangen sind. Das Editorial der "Global Times" ist keineswegs nur Propaganda, sondern eine ebenso bemerkenswerte wie glasklare Analyse der globalen strategischen Entwicklung durch das Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas. Der Text lautet (die Übersetzung aus dem Englischen habe ich selbst vorgenommen) wie folgt:

"Die Außenminister der G7-Staaten veröffentlichten nach einem dreitägigen Treffen in London ein Kommuniqué im Umfang von 12.400 Worten. Lässt man einige substanzlose Themen beiseite, dann standen tatsächlich China und Russland im Mittelpunkt. Wie verschiedene westliche Medien berichten, kritisierte das Kommuniqué China und Russland, es kündigte aber keine wesentlichen Aktionen gegen diese beiden Länder an. Das zeigt aber auch, daß hinter den amerikanischen Bemühungen, seine Verbündeten gegen China zu mobilisieren, nicht viel Energie steckt, sondern daß diese einem Pfeil am Ende seiner Flugbahn gleichen.

Hegemonie ist das Lebenselixier der Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor das mächtigste Land der Welt im Sinn von umfassender Stärke, und sie besitzen eine Super-Dominanz über die Welt. Das Problem mit Washington besteht darin, daß es zu gierig ist. Sein Anspruch auf Hegemonie geht über sein Potential weit hinaus, und die Vereinigten Staaten sind in eine beispiellose Krise und Konfusion geraten. Von daher scheint die Stärke des mächtigsten Landes der Welt nicht mehr auszureichen, seine Ansprüche zu erfüllen, und es besteht ein großes Defizit im Potential, seine Fähigkeiten zu entfalten. Im folgenden werden wir darlegen, was den Vereinigten Staaten die größten Sorgen bereitet.

Zum Ersten wird die kontinuierliche Entwicklung und expandierende Stärke Chinas die überwältigende Überlegenheit der Vereinigten Staaten herausfordern. Wenn China im Morast versinken oder ins Chaos stürzen und sich diese Entwicklung als unumkehrbar erweisen sollte, dann wird Washington einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen und sich bestärkt fühlen. Jedoch ist die allgemeine Vorhersage die, daß China sich auch weiterhin fortentwickeln wird und daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis die gesamte wirtschaftliche Leistung Chinas die der Vereinigten Staaten übertreffen wird. Für einen Teil der amerikanischen Eliten ist der Aufstieg Chinas ein geopolitisches Ereignis vergleichbar mit dem Zerfall der Sowjetunion.

Zum Zweiten ist das amerikanische Bündnissystem nicht so nützlich, wie es erscheint, da einige wichtige Verbündete Washington zwar in ideologischen Fragen folgen, aber nicht willens sind, Washington bei der Einkreisung Chinas behilflich zu sein. Da der chinesische Markt wächst und wächst, hat der Handel zwischen vielen amerikanischen Verbündeten und China bereits den zwischen diesen und den Vereinigten Staaten übertroffen, und die Tendenz wird sich weiter fortsetzen. Es wird für Washington zunehmend schwieriger, seine Verbündeten dazu zu bewegen, für 'die gemeinsamen Interessen des Westens' Opfer zu bringen.

Zum Dritten wird sich die 'Chinesisch-Russische Strategische Partnerschaft für Koordination' weiter vertiefen, so daß die beiden Länder der US-Hegemonie als 'wirkliche Verbündete' entgegentreten werden. Dies wird zu weiteren Ungewissheiten im Spiel zwischen den USA, China und Russland führen.

Die amerikanischen Bemühungen, die Verbündeten hinter sich zu bringen, haben bereits die Obergrenze erreicht. Ihre Einheit gleicht den letzten Tropfen von Wasser in einem Schwamm - es ist beinahe nichts mehr übrig. Man nimmt an, daß kein Verbündeter der USA dazu bereit sein wird, mit China und Russland gleichzeitig auf Konfrontationskurs zu gehen, da dies fast gleichbedeutend mit strategischem Selbstmord ist. Das ist der Grund, warum Washington seine Rhetorik gegen China und Russland während des G7 Treffens etwas gemäßigt und eine ideologische Show inszeniert hat, um den gemeinsamen 'Haß' des Westens gegen seine Feinde zu demonstrieren.

Für die Zusammenarbeit zwischen China und Russland gibt es noch sehr viel Raum. Unser Schwamm hat sich gerade erst mit Wasser vollgesogen. China und Russland können in Ihrer Opposition gegen die Hegemonie ihre Diplomatie noch besser koordinieren und gegen die Bemühungen der USA, ihre Bündnisse zu stärken, Gegenmaßnahmen ergreifen. Die beiden können außerdem ein riesiges Potential ökonomischer Komplementarität erschließen. Weiterhin haben die beiden Länder gerade damit begonnen, ihre militärische Zusammenarbeit zu vertiefen, und wenn es nötig sein sollte, kann es eine umfassende Zusammenarbeit geben, die große Erschütterungen hervorrufen wird.

Die Gier der Vereinigten Staaten nach Hegemonie hat sie in die schwierige Lage der strategischen Überdehnung gebracht. In der Geschichte sind viele Imperien in solch einem Morast versunken. China und Russland haben, indem sie ihre vernünftigen und beherrschbaren Interessen in einer pragmatischen Weise verfolgen, die Initiative gewonnen. Es ist eine Tatsache, daß die amerikanische Politik des Drucks auf China und Russland einen Fehlschlag erlitten hat. China und Russland besitzen die Fähigkeiten, die amerikanische Strategie zu durchkreuzen. Das Vertrauen zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten reicht nicht mehr aus, um die amerikanische Stärke gegenüber China und Russland zu vergrößern. Es ist nur noch Bluff.

Es ist für China und Russland aber absolut nicht schwierig, das gegenwärtige Maß an Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern aufrecht zu erhalten. Es besteht auch die Möglichkeit, daß sie die Kooperation weiterhin vertiefen können. Es ist für China und Russland viel einfacher, das amerikanische Bündnissystem aufzulösen und bedeutungslos zu machen, als es für die Vereinigten Staaten ist, das System zu stärken, um neue tödliche Energien zu entfesseln. Solange China und Russland keine Fehler machen, ihre eigenen Angelegenheiten gut erledigen, ihre umfassende strategische Zusammenarbeit verstärken und ihre Verflechtung mit der Welt beständig vertiefen haben die Vereinigten Staaten keine Möglichkeit, ihre Bestrebungen zu verwirklichen. Obwohl Washington den Kalten Krieg gewonnen hat, gibt es im 21. Jahrhundert keinen Weg, wie es diesen unerwarteten Sieg wiederholen kann."

[No way for Washington to replicate Cold War victory: Global Times editorial, Global Times 6. Mai 2021; Protected link; s.a. Alexander Mercouris, US Overreaching Itself, China-Russia Together Are Stronger, Western Alliance Disintegrating, The Duran 8. Mai 2021; Protected link]

So weit der Historiker. Wenn ich diese Einschätzungen auch in den Mainstream-Medien lesen könnte, wäre mir für die Zukunft Deutschlands wärmer ums Herz.

Das ergänzend, hat Manniko in seinem Blog einen kurzen und informativen Ausblick über die Situation in Chicago.

Die Frage ist: Wer geht zuerst unter, die USA oder das westliche Europa?

Beste Grüsse

Rain

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Der Rechtsstaat ist wie die Luft: Unsichtbar aber essentiell.


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