Dreimal Tagebücher...

Talleyrand ⌂, Samstag, 12.12.2020, 19:37 (vor 1234 Tagen) @ Oblomow1431 Views

Servus Oblomow,

Ich beschränke mich freiwillig auf Tagebücher:

- Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918 bis 1937

Habe erst das erste Drittel durch. Absolut faszinierend seine Schilderung der Berliner Revolutionswirren 1918/19. Kessler ist ganz nah am engsten Zirkel der "Mächtigen," wird auch kurz als diplomatischer Vertreter nach Polen entsandt. Dann wieder zurück in den Bürgerkrieg in Berlin.
Kessler ist ein sehr weit links stehender Offizier und Aristokrat, der aber dennoch selbstverständlich Patriot ist. Kennzeichnend dafür ist die immer wieder angesprochene Möglichkeit, das Versailler Diktat durch ein Zusammengehen mit den Bolschewiki in Russland zu unterlaufen, und, so das Kalkül, die Revolution dann auch gleich nach Frankreich und England zu tragen. Dann könnte Deutschland vielleicht unbeschadet aus dem Ersten Weltkrieg herauskommen... Genau dieses Thema spricht auch Jünger (siehe unten) immer wieder an, das Fehlen einer starken UND patriotischen Linken in Deutschland.

- Viktor Klemperer: Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum: Tagebücher 1918-1932

Schon einige Zeit her, dass ich es gelesen habe. Berühmt sind seine Tagebücher der Nazizeit. Aber auch diese hier sind lesenswert. Am stärksten in Erinnerung geblieben sind mir seine Schilderungen der Münchner Räterepublik, also der Revolution in München. Ein surreales Theaterstück, aufgeführt von wenigen "Zugereisten," und von den Münchnern völlig passiv beobachtet.
Klemperer ist ehemaliger Soldat, Deutschnationaler, Monarchist und absolut gegen die Räterepublik. Im Verlauf der 20er und frühen 30er Jahre wird ihm klar, dass er ausserdem auch Jude ist...

- Ernst Jünger: Siebzig verweht I. (1965-1970)

Literarisch mit großem Abstand das beste der drei Bücher.
Für mich das beste von Jüngers Tagebüchern. Eigentlich in weiten Teilen ein Reisetagebuch., Z.B. eine Schiffsreise über Genua, Suez, bis in den Fernen Osten, mit vieltägigem Aufenthalt in Singapur, Hongkong, Japan, Taiwan, Philippinen, Sumatra, Ceylon.
Der Zauber Ostasiens und der Tropen, von Natur und Kultur ...
Dann Reise nach Afrika, Angola zu deutschstämmigen und portugiesischen Farmern... Dann Italien, und zu guter Letzt Island.

Könntest Du kurz was zu "Wallace: Unendlicher Spaß" sagen. Warum muß man das lesen?

Gruß
Talleyrand

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https://talleyrandssudelbuch.art.blog


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