Hat die politische Korrektheit versagt?

nereus, Dienstag, 07.07.2020, 15:53 (vor 1382 Tagen)5117 Views

Lesenswerte Kolumne bei Telepolis zu Gender und politischer Korrektheit.

Die Absurdität der Strategien der politischen Korrektheit gegen die Ungerechtigkeiten auf der Welt wird vielleicht besonders anschaulich anhand einer vor einigen Wochen in Umlauf gekommenen Nachricht über eine Errungenschaft in der israelischen Armee.
Als Erfolg wird vermeldet: Endlich wurde für Transgenderpersonen das Recht auf Unisex-Uniformen erkämpft.

Klarer hätte man nicht zum Ausdruck bringen können, worin für die führenden Köpfe des zeitgenössischen öffentlichen Diskurses die empörenden Ungerechtigkeiten der Weltgeschichte liegen.
Nicht der seit Jahrzehnten tobende Krieg zwischen Arabern und Israelis als solches wird mehr als das Problem betrachtet, erst recht nicht, dass es überhaupt so etwas wie Militär und Krieg gibt - sondern schön politisch korrekt muss es dabei zugehen, das ist nun das Wichtige. Denn auch nicht mehr wie einst in der Hochblüte der Friedensbewegung wird das Schreckliche des Militärs darin gesehen, dass man dort dazu ausgebildet wird, Menschen zu töten.
Nein, die Hauptsorge dreht sich heutzutage darum, ob dabei gendergerecht vorgegangen wird oder nicht.

Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Tod-von-George-Floyd-Hat-die-politische-Korrektheit-ve...

Auch zum Irrsinn um George Floyd kommen passende Worte und schließlich wird der immer größer werdenden Absurdität eine Abfuhr erteilt.

Anstatt aber dass die Köpfe der politischen Korrektheit nun endlich beginnen würden, ihre Strategien und Prämissen infrage zu verstellen, vergraben sie sich immer tiefer darin.
Nicht nur, dass man dem Stürzen von Statuen eine überdimensionale Bedeutung beimisst, nicht nur, dass nun die Veränderung der Logos der Nahrungsmittelmarken "Uncle Ben's Rice" und "Aunt Jemima" eine überproportionale Aufmerksamkeit erhält und eine Countrypop-Band namens "Dixie Chicks" glaubt, ihren Namen ändern zu müssen, noch absurder finde ich es, wenn ein Streamingdienst das kitschige Südstaaten-Epos "Vom Winde verweht" aus seinem Programm nimmt und nun stolz glaubt, damit tatsächlich einen Beitrag zur Beseitigung der realen Ungerechtigkeiten auf der Welt geleistet zu haben.

Ebenso, und hier geht es nun um die anti-sexistische Front, nimmt man ja auch allen Ernstes an, man tue etwas ganz hochmoralisch Weltveränderndes, wenn man immer aggressiver politische Sprachkontrolle bezüglich Binnen-Is oder Sternderln betreibt oder eine Hexenjagd auf die "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling inszeniert, die mit ihren Äußerungen angeblich Transmenschen beleidigt haben soll - wobei man das auch nur denken kann, wenn man sich im schon automatisch gewordenen Empörungsreflex gar nicht mehr bemüht, den Sinn ihrer Aussagen zu verstehen.

Alle diese Aktionen jedoch, die am Ende hauptsächlich bloß der moralischen Selbstbeweihräucherung derer dienen, die sie durchführen, haben beispielsweise bislang nichts daran geändert, dass meine ältere Bekannte, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat, mit ihren 70 Jahren immer noch gelegentlich putzen gehen muss, weil ihre Pension sonst kaum soweit ausreichen würde, dass sie über die Runden kommt. Wahrhaft eine Schande für die Gesellschaft. Die Sternderln sind ihr gleich, glaube ich.
Der Autor arbeitet sich auch zu den Wurzeln des Problems vor, wenn er schreibt:

Denn wie sehr man sich hier mit der Aura des Progressiven auch umgibt, um eine Grundsatzkritik an gesellschaftlichen Verhältnissen geht es den politisch Korrekten schon lange nicht mehr.
Mit anderen Worten: die politische Korrektheit ist zu einem, wenn nicht dem wesentlichen Arm des Linksliberalismus geworden, einer stark verwässerten, mit dem Neoliberalismus kooperierenden Spielform der Linken, die sich vor allem dadurch definiert, dass sie gegen den Rechtsextremismus ist, ansonsten aber konservativer ist, als sie zugibt, und die Gesellschaft, wie sie ist, im Prinzip ganz in Ordnung findet.

Ich gehe davon aus, daß er noch mehr dazu schreiben könnte, es aber abschließend unterläßt Klartext zu reden und daher auf George Orwell ausweicht, was allerdings auch verständlich genug ist.

Vor kurzem ist mir zufällig George Orwells "1984" in die Hände geraten, und ich habe begonnen, darin zu lesen. Ein durchaus lohnendes Unterfangen, denn es handelt sich dabei um eines jener Werke der Weltliteratur, von denen man glaubt, man wisse ohnehin, was darin steht, dabei hält es doch einige Überraschungen bereit. Und mit einem Mal entdeckt man mit Erstaunen, dass der von Orwell skizzierte fiktive totalitäre Staat Strategien unterhält, die derjenigen der politischen Korrektheit erschreckend gleichen. Geht es doch auch hier um die Manipulation von Sprache und Schrifttum aus politischen Motiven.

So gibt es im Orwellschen Staat etwa eine Arbeitsstelle, in der man Gedichte umschreibt, weil sie in ihrer alten Gestalt ideologisch unsauber geworden sind. Die Form des sogenannten "Neusprech" wiederum ähnelt in mancher Hinsicht frappant dem verstümmelten Sprachduktus, der heutzutage als gendergerecht propagiert wird. Und an einer Stelle des Buches werden sogar alte Statuen, Denkmäler und Inschriften erwähnt, an denen immer wieder Veränderungen vorgenommen werden, damit sie dem entsprechen, was gerade als Standpunkt der Partei gilt.

In der Tat nimmt die politische Korrektheit in ihren fanatischen Ausformungen schon eine Gestalt an, die auffällig an die von Orwell beschrieben Gedankenpolizei erinnert.
All diese Übereinstimmungen sollten die Anhänger der politischen Korrektheit doch immerhin dazu anregen, für einen Augenblick innezuhalten und in sich zu gehen.

Das dürfte etwas zu kurz gesprungen sein, weil die politisch Korrekten von ihrem Irresein leben und bei Hinterfragung ihre Sponsoren verlieren.
Der Orwell-Staat ergibt sich nicht einfach so .. aber das hatten wir hier schon x-fach, daher verkneife ich mir das jetzt. [[zwinker]]

Die politische Korrektheit hat also nicht versagt, sondern sie funktioniert zu 100 % und erfüllt ihren Zweck.
Es liegt NUR an uns diesen Irrsinn endlich zu beenden.

mfG
nereus


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