Wann und woher kommt der neue Prophet des 'Weißen Mannes'?

Weiner, Montag, 05.12.2022, 01:02 (vor 501 Tagen)5198 Views

Guten Morgen!

Im hier angehängten Folgebeitrag möchte ich die Übersetzung eines Artikel von Alastair Crooke anbieten. Ich habe diesen Artikel nach Erscheinen schnell überflogen, aber beim Nachdenken über den Text schien er mir wert, ihn genauer anzusehen, d.h. am besten Satz für Satz zu übersetzen. Deepl.com ist ein gutes Werkzeug hierfür (besten Dank!).

Der Text von Crooke wirft eine Frage auf, die mich selbst sehr beschäftigt: ob wir hier "im Westen" der Welt überhaupt noch etwas 'geben' können. Noch tiefer gefragt: warum und woher sollten wir überhaupt den Anspruch haben können, so etwas tun zu wollen. Haben wir nicht über die letzten 100 Jahre jeden Vertrauensvorschuss verloren? Hat der Westen mit dem Vorlauf des Ukraine-Krieges und mit den nachfolgenden Sanktionen nicht alle Schminke sich abgewaschen und der Welt sein bösestes Gesicht gezeigt?

In der Tat bin ich durchaus der Meinung, dass der Westen zumindest 'moralisch' komplett unten durch ist und ihm bald auch wirtschaftlich die Puste ausgehen wird. Die geschichtlichen Prozesse, in die wir eingebunden sind, verlaufen allerdings etwas komplexer und oft im Zick-Zack. Ich sehe im Westen noch 'Reserven', die aber erst mobilisiert werden können, wenn es ganz an die Substanz geht. So weit sind wir noch nicht.

Alastair Crooke, ein ehemaliger britischer Diplomat (und vermutlich auch Spion), hat die Front gewechselt bzw. sich unabhängig gemacht. Wie Meyssan sitzt er im Nahen Osten und reflektiert von dort aus die Weltlage. In seinem Text spricht er klar aus, dass Russland und China (und Iran) einfach die Nase voll haben. Fast alle Länder der Welt, und voran natürlich Russland und China, haben mehrfache und schwere Verwundungen durch den Westen davongetragen. Sie sehen sich jetzt wieder Angriffen, Täuschungsmanövern und Diebstahl ausgesetzt. Es sieht danach aus, dass sie einen Schlußstrich ziehen und eigene Wege gehen wollen - sowohl kulturell (an eigene geschichtliche Traditionen anknüpfend) wie auch wirtschaftlich, etwa durch neue Zusammenschlüsse (Shanghai, BRICS etc.).

Meines Erachtens sieht das Crooke zu "idealistisch": die anderen Blöcke und Länder können auch nur mit Wasser kochen. Und von dem, was sie sich gerade zusammenbacken, ist nicht sicher, ob es ihren eigenen Völkern so auch schmecken wird, ganz zu schweigen von globaler Akzeptanz. Auf was man sich aber einigen könnte: dass es eine Hand voll große zivilisatorische und wirtschaftliche Sphären gibt, die miteinander multilateral in Austausch stehen. Universale Ansprüche wären aber abzulehen - denn hinter ihnen verbirgt sich der Versuch, eine asymmetrische Weltherrschaft aufzurichten.

Ich habe damit in eigenen Worten die Problemstellung und den Artikel von Crooke zusammengefasst. Wer Zeit hat, mag ihn gerne ganz lesen, weil er Fragen aufwirft, die die Weltpolitik nicht nur der nächsten Jahre betreffen - sondern das ganz Jahrhundert hindurch virulent sein werden.

Ich glaube nämlich nicht, dass Russland mit China zusammen eine neue Weltordnung - und sei es nur eine fair und ausgeglichen multilaterale Ordnung organisieren können. Ohne den Westen wird das nicht gehen. Und nach einem (von manchen insgeheim erhofften?) Sieg über den Westen wird die Situation die gleiche sein wie mit Deutschland nach 1945: die Sieger streiten sich über die Beute.

Die zentrale Frage ist deshalb eben doch die eingangs geschilderte: was könnte der Westen selbst anbieten und beitragen für eine 'multilaterale FRIEDENS-Ordnung'. Worüber könnte der Westen mit Russland und China - und im Angesicht der Welt (voran Indien, Iran usw.) verhandeln? Was hat der Westen als Verhandlungsmasse?

Diese Thematik berührt eine Frage, die neulich von @Olivia gestellt wurde: welche Gruppen arbeiten an der Zerstörung des "Weißen Mannes", der ja geographisch mit "dem Westen" in etwa identisch gesehen werden kann. Schade, dass @Tempranillo nicht mehr da ist: er wüßte eine Antwort (die teilweise durchaus richtig ist). Und @Mephisto wird bestimmt gleich etwas vom Todestrieb erzählen, den der Mensch und von daher auch seine Kultur- und Zivilisationssysteme in sich tragen (hilft uns aber nicht weiter). Ich selbst sehe das aus der geschichtlichen Perspektive, und da ist es halt so, dass in starken Wachstumszyklen (Europa von 1450 bis 1950) eben auch starke zentrifugale Kräfte auftreten, die das System zu sprengen drohen. Jeder macht, was er will, schließt sich ggfs. mit anderen zu Gruppen zusammen, meist getrieben von Eigeninteressen - und das dann auf Kosten aller anderen. So entsteht einerseits 'Fortschritt', aber er geht immer dem Abgrund entlang. Genie und Psychopathie sind nahe beieinander.

Der Westen muss also erst einmal im eigenen Hause kehren. Erst wenn dort wieder Ordnung und gute Funktion hergestellt ist, hat er überhaupt die Chance, von den anderen Großmächten der Welt als neuer und seriöser Gesprächspartner angesehen zu werden.

Insgeheim ist es den Eliten im Westen auch bewußt. Aber sie haben keine Antwort. Neulich habe ich auf v.Weizsäcker verwiesen, der eine der zentralen Fragen formuliert hat. Oder ich habe gestern nach dem Plan B gefragt, den man den Machenschaften des 'globalen Prädiktors' entgegensetzen kann. Hat der 'weiße Mann' im Westen auch einen Alexander Geljewitsch Dugin -habe ich etwa einen übersehen? Wo ist der Engelpapst, wo der Große Monarch? Brauchen wir Fatzkes wie Trump mit Make-my-Pimmel-great-again oder wie Bannon, der Interviews gibt mit der Schrotflinte auf den Knien? Haben wir der Welt noch was anderes anzubieten außer 5°-Grad-Klimaerwärmung, Gehirn-Computerschnittstellen und Spikeproteine?

Wünsche allen eine gute neue Woche!

W.


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