Ein interessantes, aber schizophrenes Interview mit Yuval Harari

Miesepeter, Freitag, 23.10.2020, 12:53 (vor 1274 Tagen) @ Zweistein2365 Views

Vielen Dank für den Link, es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie ein intelligenter Mensch so widersprüchlich sein kann.

So sagt er einerseits:

Viele Leute halten bis heute die landwirtschaftliche Revolution vor rund 10.000 Jahren, als die Menschen sich von Jägern und Sammlern zu Bauern entwickelten, für eine große Verbesserung. Tatsächlich machte sie das Leben der meisten Menschen viel, viel schlimmer. Das Leben eines durchschnittlichen Bauern im alten Ägypten oder später im mittelalterlichen Deutschland war wesentlich härter als das eines Jägers und Sammlers vor rund 300.000 Jahren. Denn der immense Wohlstand, der durch die Sesshaftwerdung und die Landwirtschaft erarbeitet wurde, kam nur einer winzigen Elite zugute. Die machte es sich in Palästen gemütlich, während der Rest der Menschen darbte und von Krankheiten und Konflikten geplagt wurde. Erst im 20. Jahrhundert kam es für die "normalen" Menschen wieder zu einer nennenswerten Verbesserung ihres Lebensstandards und einer Verlängerung ihrer Lebenserwartung.

oder

Wir sind heute in der Lage, die perfekte Diktatur zu errichten. Es wäre ein autoritäres Regime, wie es dieser Planet noch nicht gesehen hat.....Die totalitäre Versuchung ist in Zeiten von Corona groß.

und hält es für möglich, dass mittels Transhumanismus oder Biotechnolgie oder AI eine Superrasse entwickelt wird, welche den Rest der Menschheit beherrscht oder aussrottet.

Soviel zum Fear Porn.

Zu Corona fängt er so an:

Historisch betrachtet ist diese Pandemie nicht so gefährlich wie die Seuchen der Vergangenheit. Das Coronavirus ist nicht der Schwarze Tod aus dem Mittelalter und auch nicht die Spanische Grippe von 1918, die waren aus medizinischer Perspektive gesehen weitaus desaströser. Die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie könnten allerdings enorm sein: Im schlimmsten Fall kollabiert unsere Weltordnung. Oder sie wird zumindest weiter destabilisiert.

Dann aber sagt er einen Atemzug später:

Da sind Verschwörungstheorien für viele Menschen ein bequemer Weg, um das Problem vermeintlich zu verstehen, ohne sich vertieft mit ihm auseinandersetzen zu müssen: Sie glauben, dass irgendwelche Regierungen oder Milliardäre dieses Virus im Labor haben entwickeln lassen, um damit die Weltherrschaft an sich zu reißen. Absurd! Verschwörungstheorien suggerieren, dass die ganze Welt von einer kleinen Elite kontrollierbar sei, dabei ist das vollkommen unrealistisch. Schaut man sich die Menschheitsgeschichte an, sieht man deutlich: Selbst die mächtigsten Regierungen sind oft ahnungslos, was geschieht. Sie machen Pläne – aber das genaue Gegenteil tritt ein.

Die Corona-Krise kann dazu genutzt werden, um Hass zwischen den Staaten zu schüren, wie es beispielsweise US-Präsident Trump tut...... Andererseits könnte die Krise dazu führen, dass Staaten bei der Bekämpfung des Virus besser kooperieren.


What is it, Yuval?

Hat eine kleine Elite nun über 10.000 Jahre den Rest der Menschheit zu ihrem Vorteil ausbeuten können, oder ist es vollkommen unrealistisch, dass die ganze Welt von einer kleinen Elite kontrollierbar ist?

Kann man nun eine perfekte Diktatur errichten, oder erreichen selbst die mächtigsten Regierungen meist das Gegenteil von dem, was sie planen?

Ist eine weltweite Kooperation aller Staaten nun die Lösung der Krisen, oder die ultimative Versuchung zur Errichtung eines weltweiten totalitären Regimes?

Ist Yuval Hariri ein Dampfplauderer und Geschichtenerzähler oder ein noch tief in den Widersprüchen des eigenen Denkens verstrickter Charakter, der intelligente, aber halbfertige und unverdaute Analysen auf den Markt wirft?

Ist das eine Einladung zum Selberdenken, oder selbst eine Geschichte zum Zwecke moralischer Herdenführung?

Der abgenutzte Hinweis darauf, dass jede Technologie sowohl für gute wie böse Zwecke genutzt werden kann, macht in menen Augen einem Intellektuellen keine Ehre. Wie sie für schlechte Zwecke genutzt werden kann, da wird im Kapitel Fear Porn gerne ausgiebig vorgedacht. Auf der anderen Seite der Bilanz kommen aber aus ein paar hehren Bezeugungen hoher Moral meist sehr wenig konkrete Visionen. Plastische Dystopien und poetische Utopien, auch diese Form der Geschichtenerzählung scheint sich durch die Geschichte des Homo sapiens zu ziehen.....

Gruss,
mp


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung