Damit katastrophale Denkfehler sich nicht weiter ausbreiten!

Weiner, Dienstag, 15.09.2020, 21:30 (vor 1290 Tagen) @ Mephistopheles2817 Views

Hallo Mephisto, der Staat ist Teil des kulturellen Inventars des Menschen bzw. der Menschheit bzw. der Conditio Humana. Der Staat ist Teil der Kultur. Man kann den Staat nicht gegen die Kultur ausspielen.

Der Mensch ist ein Fleischklumpen, der ohne Kultur nicht existieren kann. Tiere haben Instinkte sowie angeborene Verhaltensmuster und -automatismen, mit deren Hilfe sie (über-) leben können. Der Mensch ist komplett nackt und hilflos. Und wenn er von 'Eltern' nicht mindestens 7 Jahre durchgepäppelt und mit dem menschlichen Kulturinventar vertraut gemacht wird, dann schafft er es nicht. Alles am Menschen ist Kultur.

Wissen davon, was ein Polizist ist und ein Gesetz und eine Bundeskanzlerin und ein Wahllokal - und wie man mit denen umgeht -, ist ein Kulturgut, das man während der Lern- und Päppelphase erworben haben sollte. In meinen Beiträgen bevorzuge ich den umfassenderen Begriff 'soziale Organisation', denn der Staat ist nur dessen (scharfe ...) Spitze.

Ich mag die historisch gewachsenen und aktuellen Staatssysteme genausowenig wie Du. Aber sie sind eben da, müssen umgebaut werden, und sie allein bzw. ihr Aufwachsen über die letzten 6000 Jahre haben den technischen Fortschritt ermöglicht, der wiederum die extreme Vermehrung der Population verursacht hat.

{Du kannst dieses exponentielle Wachstum als Notblüte bezeichnen. Dann schau Dir mal den Prozess des Blühens an: nirgendwo herrscht eine höhere Organisationsdichte und -geschwindigkeit in so kurzen Zeiträumen wie beim Blühen einer Pflanze, damit vergleichbar also der Organisationsdichte in der menschlichen Geschichte der letzten Jahrtausende.}

Es ist eine Kernaussage meines vorangehenden Beitrages, dass technische Innovationen und ihre Verbreitung unbedingt einen weitgespannten und effizient arbeitenden sozialen Kontext brauchen. Dieser Kontext kann staatlich organisiert sein, muss es aber nicht. Überwiegend haben aber in diesen 6000 Jahren genuine 'staatliche Strukturen' die Maschine angetrieben.

Es gab hier bereits einmal eine Diskussion darüber, was wichtiger sei, der Staat oder die Technik. Antwort: sie können sich gegenseitig positiv fördern, manchmal aber auch behindern.

Sowohl Staat wie Technik jedoch sind Teile dessen, was man verallgemeinernd und zusammenfassend als Kultur bezeichnen sollte. Kultur, anthropologisch gesehen, ist also keinesfalls nur der Manschettenknopf am Hemd oder der Leonardo an der Wand. Vielmehr ist der Mensch an sich von hinten bis vorne ganz und ausschließlich Kultur.

Grüsse, Weiner

PS: Ich habe für mich die Begriffe Kulturem und Kulturom geprägt, in Analogie zu Gen und Genom. Kann sein, dass Kulturwissenschaftler anderweitig auf dieselbe Idee gekommen sind. Beispiel für ein Kulturem ist die Fähigkeit, Feuer anzünden zu können (wofür es ein paar Dutzend Varianten gibt). Ein Kulturom wäre dann jenes Minimum bzw. jenes Set von einigen Tausend Kulturemen, das Überleben und Fortpflanzung ermöglicht. Es ergibt sich aus dem eben Gesagten, dass die Fähigkeit zu LERNEN, eine Voraussetzung für Kultur ist. Ergänzend: eine HOCHKULTUR ist ein Konglomerat bzw. ein komplexes System von mehreren miteinander wechselwirkenden (Volks-) Kulturen, das einen gesetzmäßigen Entwicklungsprozess über (maximal) 2000 Jahre hinweg zeigt.


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