Carlo Rovelli: "Die Ordnung der Zeit"

Ostfriese, Mittwoch, 12.06.2019, 08:09 (vor 1770 Tagen) @ Silke3831 Views

Liebe Silke

Es läuft in unserer Welt ein Prozess, den wir Evolution nennen, der
unerbittlich bestimmten physikalischen Gesetzen folgt, die mir
letztendlich als einzelnem Mensch bzw. als Familie oder Gemeinschaft einen
gewissen Handlungsspielraum einräumen (Potential verleihen) - mehr nicht.

Rudolf Clausius (1822 – 1888) hatte ein Gesetz erkannt, dass berühmt werden sollte:

Wärme fließt natürlicherweise vom warmen zum kalten Körper; sie fließt nicht spontan vom kalten zum warmen Körper.

Dies ist das einzig allgemeine Gesetz der Physik, das zwischen Vergangenheit und Zukunft unterscheidet, wie Carlo Rovelli schreibt:

"Bei keinem anderen ist dies der Fall: Ob Newtons Grundgleichungen der Mechanik, Maxwells Gleichungen der Elektrizität und des Magnetismus, Einsteins Relativitätstheorie der Gravitation, Heisenbergs Quantenmechanik, die Elementarteilchen Schrödingers und Diracs oder der Physiker des 20.Jahrhunderts – keine dieser Gleichungen unterscheidet Vergangenheit und Zukunft. Wenn die Gleichungen eine Abfolge von Ereignissen zulassen, ist diese auch rückwärts in der Zeit möglich."

Das ist zum Beispiel der entscheidende Unterschied zu fallenden Körpern: Ein herabgefallener Ball kann seine Bewegung umkehren zum Beispiel durch den Rückprall: Wärme nicht.

Claudius' eingeführter Begriff der Entropie S, deren Wert in einem isolierten Prozess wächst oder gleich bleibt und niemals geringer wird, misst diesen unumkehrbaren Abfluss der Wärme:

Delta(S) ≥ 0 ↔ ΔS ≥ 0

Die thermische Bewegung beim Durchrühren einer heißen Tasse Tee mit einem kalten Löffel bedeutet, dass Wärme vom Warmen zum Kalten fließt und nicht umgekehrt. Oder beim stetigen Mischen eines Stapels mit Spielkarten: Sind die Karten geordnet – in ''besonderer Konstellation'': die ersten 26 sind rot und die nächsten 26 schwarz oder die ersten 26 Karten bestehen nur aus Herz oder Pik oder usw. usf. –, werden sie durch Vermischung durcheinandergebracht. Die Unordnung erhöht sich.

Wir verdanken Ludwig Boltzmann (1844 – 1906) ein grundlegendes Verständnis der tiefliegenden Strukturen der Welt.

Rovelli argumentiert relational: "Boltzmann zeigte, dass die Entropie deshalb existiert, weil wir die Welt ungenau beschreiben, und dass die Entropie eben diejenige Größe ist, die zählt, wie viele verschiedene Konfigurationen es gibt, die unsere unscharfe Sichtweise nicht unterscheidet."

Wegen der Quantenmechanik ist der genaue Zustand der Welt auf mikroskopischer Ebene nicht vollständig zu bestimmen. Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft ist also unserer unscharfen Sicht geschuldet.

Boltzmann erkannte, dass die Entropie nichts anderes ist als die Anzahl der mikroskopischen Zustände, die unsere unscharfe Sicht von der Welt nicht auseinanderhalten kann.

S = k × log W ist auf seinem Grabstein eingemeißelt, wobei gilt: S = Entropie, k = Boltzmann-Konstante, W = Anzahl der mikroskopischen Zustände oder das entsprechende Volumen im Phasenraum

Es ist nicht die in Hülle und Fülle zur Verfügung stehende Energie, die die Welt benötigt, sondern geringe Entropie – nicht die Energiequellen, sondern die Quellen der geringen Entropie treiben den Weltenlauf an. Die Sonne schickt heiße Photonen auf die Erde, die 12-fach (im Verhältnis 1 zu 12) in der Nacht als kalte Photonen emittiert werden. Die einfallende Energie ist in etwa so groß wie die abgestrahlte. Wir gewinnen keine Energie – sonst würde die Erde den Wärmetod erleiden. Die Sonne mit der pulsierenden Quelle der niederen Entropie lässt die Natur wachsen, die Zivilisationen entstehen und das Gelbe Forum gedeihen [[top]].

Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft ist in den Spuren, welche die Vergangenheit in der Gegenwart hinterlässt, allgegenwärtig. Mondkrater zeugen von vergangenen Einschlägen, Fossilien verraten alte Lebensformen, Teleskope zeigen, wie ferne Galaxien früher einmal aussahen, wie frühere Kurse mit früheren EMAs rekursiv in heutigen EMAs wieder auftreten mit dem Ziel der Fourier-Analyse und zukünftiger Beantwortung des 'Schlüsselgedankens': "Welchen exponentiellen Einfluss muss z.B. ein niederer Sinusoid nach einer aus dem negativen Wertebereich in den positiven Wertebereich zurückschlagenden Krümmung – im goldenen Teilungsverhältnis – auf alle höheren Sinusoide ausüben?" [[top]], usw. usf.

Ein Interview mit Rovelli und einige Rezessionen seines Buches sind im Netz zu finden.

Liebe Grüße – Ostfriese


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