Unternehmen Barbarossa

Rain, Montag, 17.05.2021, 09:34 (vor 1069 Tagen)7509 Views

Ihr Lieben,

heute keine Sicht auf die aktuelle Politik, sondern ein Rückblick, der selbstverständlich wichtigste Auswirkungen auf die aktuelle Lage hat.

Wenn die Menschen verstehen, daß sie seit 80 Jahren belogen wurden.....

Ein Spezialgedanke für BBouvier:

Was, wenn Irlmaier in seinen Schauungen nicht die Zukunft, sondern die Planungen für den Angriff im zweiten Weltkrieg gesehen hat?

Der Historiker:

"Das Jahr 1941"


Zum bevorstehenden 80. Jahrestag von Unternehmen "Barbarossa", dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, wird sich das offizielle Deutschland wegen des "Überfalls auf die Sowjetunion" und des "Vernichtungskrieges im Osten"absehbar wieder in Scham und Schande ergehen. Und regierungsnahe Historiker werden zum wiederholten Male darauf hinweisen, daß die sogenannte "Präventivkriegsthese" schon lange und endgültig wiederlegt sei.

Wie ist aber der wirkliche Stand der Erkenntisse? Und wie sieht man die Dinge mittlerweile an höchster Stelle in Rußland?

An der Universität lernt man bereits im Proseminar Geschichte, daß Geschichtsschreibung auf Quellen aufbaut, und an erster Stelle stehen die internen und geheimen staatlichen Dokumente, die Einblick in die Entscheidungsprozesse und die Motive der führenden staatlichen Protagonisten geben. Diese Dokumente sind der Öffentlichkeit nicht ohne weiteres zugänglich, d. h. sie werden erst nach mehr oder weniger langen Sperrfristen (10, 20, 30 oder auch mehr Jahre) veröffentlicht. Besonders brisante Dokumente werden manchmal erst nach 100 Jahren freigegeben oder sogar vernichtet. Ohne diese Dokumente ist eine annähernd zuverlässige Rekonstruktion geschichtlicher Ereignisse nicht möglich. An zweiter Stelle kommen die Memoiren bzw. persönlichen Erinnerungen der führenden Staatsmänner und Militärs, die an den großen Haupt- und Staatsaktionen oder Feldzügen beteiligt waren. Diese sind eine wertvolle Ergänzung zu den staatlichen Geheimdokumenten, haben aber das Problem, daß sie alle mehr oder weniger subjektiv gefärbt sind, weil die damaligen Entscheidungsträger sich vor der Nachwelt in einem möglichst günstigen Licht darstellen wollten.

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging quer durch Europa der "eiserne Vorhang" nieder, und 1948 begann mit der Berliner Blockade der "Kalte Krieg". In den 1950er und 1960er Jahren wurden zwar bedeutende Bestände an deutschen und italienischen, aber auch an britischen, französischen und amerikanischen Dokumenten freigegeben und veröffentlicht, aber die Archive der Sowjetunion und der Staaten des Warschauer Paktes blieben verschlossen. Viele unabhängige Historiker erklärten deshalb, daß man eine gültige Geschichte des Zweiten Weltkrieges erst nach einer Öffnung der östlichen Archive werde schreiben können. 1990/91 löste sich der Warschauer Pakt auf, die Sowjetunion zerfiel, die kommunistischen Regime verloren ihre Macht - und die Archive öffneten sich, zumindest zum Teil. Inzwischen war allerdings der öffentliche Umgang mit der Zeitgeschichte in Westeuropa und in den USA so dogmatisch erstarrt, daß die Öffentlichkeit gar nicht erfuhr oder sich nicht dafür interessierte, was sich in den osteuropäischen Archiven alles fand.

Bereits in den 1970er und 1980er Jahren haben sowjetische Historiker in ihren Publikationen recht detaillierte Angaben zum Aufmarsch der Roten Armee an der Westgrenze zum deutschen Machtbereich gemacht. Die sowjetischen Streitkräfte umfaßten danach Mitte Juni 1941 in zwei strategischen Staffeln bereits 5,3 Millionen Mann mit 23.200 Panzern und 20.000 Kampfflugzeugen. Dagegen verfügte das deutsche Ostheer über 3,3 Millionen Mann, 3.582 Panzer und 2.510 Kampfflugzeuge. Diese Zahlen haben schon für sich einige Aussagekraft.

In den Jahren 1991/93 veröffentlichte das "Wojenno istoritscheski schurnal", die "Militärgeschichtliche Zeitschrift" in Moskau, erstmals die wichtigsten Operationspläne des sowjetischen Generalstabs für einen Krieg gegen Deutschland aus den Jahren 1940/41. Das wichtigste dieser Moskauer Dokumente ist der sogenannte "Schukow-Plan". Es handelt sich dabei um einen Operationsplan für einen Offensivkrieg gegen Deutschland, der vom damaligen Chef des sowjetischen Generalstabes, Armeegeneral (später Marschall) Georgi K. Schukow Mitte Mai 1941 Stalin vorgelegt wurde. Die zentrale operative Idee Idee des "Schukow-Plans", ein Vorstoß aus der Westukraine durch Südpolen nach Schlesien sowie ein gleichzeitiger Zangenangriff aus der Westukraine und aus Westweißrußland zur Einschließung starker deutscher Kräfte im Raum Lublin - Warschau, geht auf einen älteren Plan vom 18. September 1940 zurück. Dieser ältere Operationsentwurf war vom damaligen Generalstabschef, Armeegeneral Kirill A. Merezkow, und dem Chef der Operationsabteilung, General Alexander M. Wassilweski, ausgearbeitet und von Stalin Anfang Oktober 1940 gebilligt worden. In diesem älteren Dokument hatte es geheißen: "Der Stoß unserer Kräfte in Richtung Krakau, Breslau gewinnt, indem er Deutschland von den Balkanstaaten [und damit den Öl- und Getreidezufuhren] abschneidet, außerordentliche politische Bedeutung."

Schukow und Wassilewski erweiterten diese Grundidee im Mai 1941 um einen anschließenden Vorstoß aus dem Raum Krakau - Kattowitz in nördlicher Richtung zur Ostsee, um möglichst viele deutsche Truppen in Polen und Ostpreußen abzuschneiden und zu vernichten. Dank der laufenden Mobilmachung der Roten Armee konnten wesentlich stärkere Kräfte eingeplant werden, als dies im Spätsommer 1940 möglich gewesen war: Für den Hauptangriff der Südwestfront (das sowjetische Gegenstück zu einer deutschen Heeresgruppe) waren nicht weniger als 122 Divisionen vorgesehen. Die Südwestfront sollte über fast die Hälfte aller Panzer- und mot. Divisionen der Roten Armee verfügen, das waren etwa 7.000 einsatzbereite Panzer, doppelt soviel, wie die deutsche Wehrmacht für "Unternehmen Barbarossa" insgesamt einsetzte. Ein Gelingen der sowjetischen Offensive mußte Deutschland in eine prekäre Lage bringen, denn nach der Abschneidung von den rumänischen Ölquellen und dem Verlust einer großen Zahl von Truppen und schweren Waffen in Polen und Ostpreußen würde es den Krieg nur noch unter großen Schwierigkeiten fortsetzen können.

Im Jahre 1998 erschien dann in Moskau die zweibändige Dokumentensammlung "Das Jahr 1941", die Mobilmachung und Aufmarsch der Roten Armee sowie die Operationsplanungen des sowjetischen Generalstabs in umfassender Weise dokumentiert. Diese Akten wurden in Deutschland erstmals von dem Generalmajor a.D. der Nationalen Volksarmee Bernd Schwipper in seinem 2015 erschienenen Buch "Deutschland im Visier Stalins" ausgewertet.

Viele Historiker vertreten die These, daß es die sowjetischen Kriegsvorbereitungen und Kriegsplanungen zwar gegeben habe, daß aber die oberste deutsche Führung unter Hitler davon gar nichts gewußt habe und der deutsche Angriff daher subjektiv kein Präventivkrieg gewesen sei und ein "Raub- und Eroberungskrieges" das maßgebliche Motiv der deutschen Seite gewesen sei. Dabei werden aber entscheidende deutsche Dokumente ignoriert, die schon seit Jahrzehnten zugänglich sind. Bereits 1965 erschien der Band 12 der offiziösen Dokumentensammlung der "Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik" Reihe D, in dem das Protokoll der Gespräche zwischen Hitler und Marschall Ion Antonescu am 11./12. Juni 1941 in München enthalten ist. Darin ist festgehalten, wie Hitler dem rumänischen Staatsführer eingehend seine tatsächlich sehr komplexen Motive für den geplanten Angriff auf die Sowjetunion erläutert, und wie beide Staatsführer übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen, daß ein Präventivkrieg aufgrund der Bedrohung der rumänischen Ölfelder durch die aufmarschierte Rote Armee nunmehr unvermeidlich geworden sei.

Der russische Staatspräsident Wladimir W. Putin hat am 18. Juni 2020 einen höchstpersönlich verfaßten Essay veröffentlicht, der in der amtlichen russischen Übersetzung die Überschrift "75. Jahrestag des Großen Sieges: Gemeinsame Verantwortung vor Geschichte und Zukunft" trägt.
Dieser Essay ist insofern etwas wiedersprüchlich, als Putin einerseits explizit vor einer "revisionistischen" Geschichtsschreibung warnt, andererseits sie aber bis zu einem gewissen Grade selbst betreibt. So gibt er der polnischen Regierung - und nicht nur dieser - eine erhebliche Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Welkrieges im September 1939, wörtlich schreibt Putin:

"Die eigentlichen Ursachen des Zweiten Weltkriegs ergeben sich in vieler Hinsicht aus den Entscheidungen, die zu den Ergebnissen des Ersten Weltkrieges getroffen wurden. Der Vertrag von Versailles wurde für Deutschland zu einem Symbol tiefer Ungerechtigkeit. Tatsächlich ging es um die Beraubung des Landes, das den westlichen Verbündeten riesige Reparationen zahlen musste, die seine Wirtschaft erschöpften. ... Gerade die nationale Demütigung bildete den Nährboden für radikale und revanchistische Stimmungen in Deutschland. Die Nazis spielten geschickt mit diesen Gefühlen, bauten ihre Propaganda darauf auf und versprachen, Deutschland vom 'Erbe von Versailles' zu befreien. ... Die Versailler 'Weltordnung' brachte zahlreiche latente Widersprüche und offensichtliche Konflikte hervor. Ihnen liegen die von den Siegern im Ersten Weltkrieg willkürlich gestalteten Grenzen der neuen europäischen Staaten zugrunde. Fast sofort nach ihrem Erscheinen auf der Karte begannen Gebietsstreite und gegenseitige Ansprüche, die sich in Zeitminen verwandelten."

Das unterscheidet sich inhaltlich kaum von dem, was "revisionistische" Historiker wie Gerd Schultze-Rhonhof oder Stefan Scheil schreiben.

Putin verwahrt sich aber gegen die seit 1948 von der US-Regierung vertretene These, daß es die Sowjetregierung gewesen sei, die zusammen mit der NS-Führung den Zweiten Weltkrieg entfesselt habe. Putin beharrt darauf, daß der Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes aus Moskauer Sicht zwingend notwendig gewesen sei, da die Westmächte sich im Sommer 1939 einer Allianz mit der Sowjetunion verweigert bzw. ihrerseits insgeheim ein Bündnis mit Hitler angestrebt hätten. Putin hält es daher für ungerecht, zu behaupten, "dass der zweitägige Besuch des Nazi-Außenministers Ribbentrop in Moskau der zentrale Grund ist, der zum Zweiten Weltkrieg geführt hat. Alle führenden Länder haben seinen Ausbruch in dem einen oder anderem Maße zu verantworten. Jedes von denen hat nicht wieder gut zu machende Fehler in der selbstgefälligen Zuversicht begangen, dass man andere überlisten, einseitige Vorteile für sich gewinnen und dem heranrückenden globalen Unheil ausweichen kann."

Von der These von der Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg ist Wladimir Putin also weit entfernt. Seine These ist allerdings aus russischer bzw. sowjetischer Sicht auch nicht ganz neu, denn bereits am 9. Februar 1946 hatte Josef W. Stalin in einer öffentlichen Rede erklärt:

"Es wäre falsch zu glauben, daß der zweite Weltkrieg zufällig oder infolge von Fehlern dieser oder jener Staatsmänner entstanden sei, obgleich es unbestreitbar Fehler gegeben hat. In Wirklichkeit war der Krieg ein unvermeidliches Ergebnis der Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Weltkräfte auf der Basis des modernen Monopolkapitalismus."

Mit anderen Worten, Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges waren nach Stalin nicht einzelne Staatsmänner oder Staaten, sondern das kapitalistisch-imperialistische System. Oder anders gesagt, am Zweiten Weltkrieg waren alle beteiligten Staaten Schuld, mit Ausnahme der Sowjetunion, die - nach den Lehren des Marxismus-Leninismus - als damals einziger sozialistischer Staat der Welt prinzipiell keine kriegstreiberische Politik verfolgen konnte.

Was den 22. Juni 1941 angeht, so gibt Wladimir Putin in seinem Essay zu, daß die Sowjetführung nicht überrascht wurde, sondern sich ihrerseits auf eine Großoffensive der Roten Armee vorbereitet hat:

"Bei der Vorbereitung dieses Artikels habe ich auch viele neue, kürzlich gefundene und
freigegebene Materialien verwendet. Und aus diesem Grund kann ich mit voller Verantwortung sagen, dass es keine Archivdokumente gibt, welche die Version über die Absicht der UdSSR bestätigen würden, einen Präventivkrieg gegen Deutschland zu entfesseln. Ja, die sowjetische Militärführung hielt sich an die Doktrin, dass die Rote Armee im Falle einer Aggression den Feind schnell abwehren, in die Offensive gehen und den Krieg auf feindlichem Gebiet weiterführen soll [Hervorhebung von mir]. Solche strategischen Pläne bedeuteten jedoch keineswegs die Absicht, Deutschland zuerst anzugreifen."

Putin schreibt hier, wenn man genau liest, durchaus die Wahrheit, aber eben nicht die ganze. Der springende Punkt ist die damalige sowjetische Militärtheorie von der "Anfangsperiode des Krieges". Diese ging davon aus, daß es zwischen den beiden gegnerischen Armeen zunächst zu einer Serie von Grenzgefechten kommen würde, hinter denen sich der länger dauernde Aufmarsch der Hauptkräfte vollziehen würde. Was den sowjetischen Generalstab im Juni 1941 tatsächlich überrascht hat, war die Schnelligkeit des deutschen Aufmarschs, insbesondere der deutschen Panzerdivisionen, also der eigentlichen Angriffsverbände, sowie die Tatsache, daß die Wehrmacht aus dem laufenden Aufmarsch heraus zur Großoffensive überging, ohne sich länger mit Grenzgefechten aufzuhalten. Der deutsche Angriff stieß in den unvollendeten Großaufmarsch der Roten Armee, der für eine Defensive völlig ungeeignet, um nich zu sagen fatal war. Die Sowjetführung habe, so Putin, nicht die Absicht gehabt, "einen Präventivkrieg gegen Deutschland zu entfesseln". Stattdessen erwartete sie Grenzgefechte, die ihr einen propagandistischen Vorwand geliefert hätten, selbst zu der lange geplanten Großoffensive überzugehen.

Putin fährt fort: "Natürlich verfügen die Historiker heute über Dokumente der Militärplanung, die Richtlinien sowjetischer und deutscher Militärstäbe. Schließlich wissen wir, wie sich die Ereignisse in der Tat entwickelt haben. ... Neben einer Riesenflut an Desinformationen verschiedener Art erhielten die sowjetischen Spitzenpolitiker auch wahrhaftige Informationen über die bevorstehende Aggression der Nazis. In den Vorkriegsmonaten unternahmen sie also Schritte, um die Kampfbereitschaft des Landes zu erhöhen, darunter auch die heimliche Einberufung eines Teils der Wehrpflichtigen zu Übungen und die Verlegung von Formationen und Reserven näher an die Westgrenze. Der Krieg kam nicht plötzlich: Man erwartete ihn und bereitete sich darauf vor. Aber der Schlag der Nazis hatte in der Tat eine noch nie gesehene zerstörerische Kraft."

Putin vermeidet es sorgfältig, irgendwelche Zahlenangaben zu machen, die seine These von der defensiven strategischen Grundausrichtung der damaligen sowjetischen Politik in Frage stellen könnten. Tatsächlich befand sich die Rote Armee im Sommer 1941 mitten in der Mobilmachung, nach deren Abschluß sie einen Umfang von neun Millionen Mann (!) haben sollte.

Als Präsident der Russischen Föderation hat Wladimir Putin die Verpflichtung, ein für die Gesamtheit der russischen Gesellschaft verträgliches Geschichtsbild zu repräsentieren. Um die seit 1917 bestehende tiefe Spaltung der russischen Gesellschaft zu überwinden, muß er auf die "rote Reichshälfte" Rücksicht nehmen, und dazu ist nichts besser geeignet als die Erinnerung an den "Großen Vaterländischen Krieg" und die jährlichen Siegesfeiern am 9. Mai. Dessen ungeachtet distanziert sich Putin in seinem Essay deutlich von Stalin und der kommunistischen Ideologie, und wer sich näher mit Putin beschäftigt hat, weiß, daß seine Sympathien, was die russischen Geschichte betrifft, beim Zarenreich und bei der "Weißen Armee" des Bürgerkrieges liegen. Sein Essay ist für den, der ihn zu lesen versteht, ein bemerkenswertes Dokument, das von den Ritualen deutscher "Vergangenheitsbewältigung" Lichtjahre entfernt ist.

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Der Rechtsstaat ist wie die Luft: Unsichtbar aber essentiell.


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