Preisrevolutionen: What goes up, must come down.

Ostfriese, Mittwoch, 21.02.2024, 20:18 (vor 67 Tagen) @ Otto Lidenbrock1366 Views

Hallo Otto

Ja, der Preis für Erdgas ist mittlerweile schon fast historisch niedrig zu nennen, es geht praktisch nur noch bergab. Einen wirklichen Reim kann ich mir darauf nicht machen.
Dafür von gestern auf heute ein starker Preisanstieg mit großem Gap. Das verstehe, wer kann.

Mit dem Folgenden setze ich mich aufs Spiel (Jean Baudrillard):

Nach der Inflation um die Wende der 70/80iger Jahre sehen wir die debitistische Sequenz

Inflation → Disinflation → Deflation → Deflationäre Depression

erneut mit dem beginnenden Verlauf einer Preisrevolution. Historisch gab es Preisrevolutionen mit ihren praedeflationären Inflationen “What goes up, must come down” und den Phasenlängen z. B. in: Babylon 150 Jahre, Griechenland BC 50 Jahre, Augsburg 60 Jahre (Dreißigjähriger Krieg), England 50 Jahre (Napoleonischen Kriege):

Zunehmende Inflationsraten müssen zu abnehmenden führen, es sei denn, sie würden fortgesetzt werden wie z. B. in den 70er/80er Jahren des letzten Jahrhunderts, genau wie zunehmende Blow-offs an den Börsen irgendwann zu abnehmenden führen mit entsprechender Baisse. Die Fortsetzung von Blow-offs, die ja nichts anderes als Finanztitel-Inflationen sind, ist aber ab der finalen Senkrechten nicht mehr möglich ist.

Im Fall einer allgemeinen ultimativen Inflationierung, die in einer ersten Phase wieder zu besseren Verhältnisse führen kann, kommt es zu einer entsprechenden Rückwirkung: Der wirtschaftliche Niedergang wird anschließend nur umso schlimmer ausfallen. Es sei denn, man stürmt immer weiter vorwärts - in Richtung der Hyperinflation! @ Phoenix5 hatte schon recht: "Und über allem schwebt der Debitismus, der seine Zyklen abspult, egal welche Tricks die Politik anwendet."

Joseph Clément Juglar’s (1819 – 1905) Erkenntnis bleibt bestehen: "Keine Depression ohne vorangegangene Prosperität, keine Inflation ohne nachfolgende Deflation". Keine manische Hausse ohne vorangegangene Disinflation, kein Crash ohne vorherige manische Exzesse.

Zum Problem der Inflation versus Deflation im geschichtlichen Verlauf hat Paul C. Martin am 22.11.2008, 14:38 in Deflationista - vor mehr als 15 Jahren - einige Betrachtungen ("…, dass zum Diamantenen Thronjubiläum Queen Victorias 1897 niemand anwesend war, der sich noch an steigende Preise erinnern konnte") angestellt. Sie ließen ihm bewusstwerden, dass die Geschichte neben Perioden steigender Preise auch zwischengesprenkelte Phasen fallender Preise kenne und, dass in der Geschichte nach bestimmten Phasen wieder die früheren Preise erreicht wurden – auch wenn der Langfrist-Trend in Schüben immer weiter nach oben zeigte.

– Die Preise in Babylon waren 1650 BC wieder so hoch wie 1800 BC, obwohl sie sich 1700 BC gegenüber 1750 BC verdreieinhalbfacht hatten.

– Die Preise für Gerste und Öl in Griechenland lagen 350 BC wieder so hoch wie ca. 300 BC, obwohl sie sich zwischendurch ca. verfünffacht hatten.

– So waren die Preise in Augsburg 1660 exakt wieder so hoch, wie sie 1600 gewesen waren, obwohl sie sich zwischenzeitlich bis zu versechsfacht hatten.

– Die Preise in England waren 1825 wieder auf dem Niveau von 1770/75.

Der Umschlag von stark steigenden Preisen in fallende ist unumgänglich und eine besonders problematische Angelegenheit.

Zum Verhältnis Inflation ↔ Deflation in Bezug auf den Staat gilt:

"Der Staat kommt nun in die Zwickmühle. Als Abgabengläubiger ist der Deflationist, als Kapitalmarktschuldner ist er Inflationist."

Ich setze mich erneut aufs Spiel: In welchem Zeitrahmen wird sich die gegenwärtig offensichtlich stattfindende Preisrevolution bewegen?

https://archiv1.dasgelbeforum.net/index.php?id=57813 Deflationista, dottore, Samstag, 22.11.2008, 14:38 (vor 5569 Tagen)

Gruß - Ostfriese

PS

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Paul C. Martin vor mehr als 23 Jahren

https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=68610&page=242&cate... Das Mittelalter - was lernen wir daraus? Teil I (mit "Hochblüte"-Kritik) verfasst von dottore, 25.06.2001, 19:25

Hi History-Freaks,

und nun kommen wir zum MA, wie versprochen.

Dabei möchte ich zunächst die mittelalterliche Preisrevolution ab ca. 1100/1200 behandeln, da wir für Preise die einzigen einigermaßen brauchbaren Statistiken haben.

Der erste übrigens, der sich mit Preis- (und Inflations-)geschichte überhaupt beschäftigt hat, war William Fleetwood in seinem "Chronicon Preciosum", London 1707:

Dieses Phänomen bestätigt auch die folgende Nachaufnahme aus Angevin, wobei zu den Lebensmitteln auch die Energiepreise kommen, wobei sich in England zwischen 1261 und 1320 die Preise für Feuerholz mit Faktor 2,77, für Holzkohle mit 1,93 noch erheblich stärker verteuerten als jene für Vieh (1,77) und Weizen 1,66).

Äußerst ungünstig war die Lage in Deutschland, wo die Preise für kultivierbares Land (in Silber gemessen) zwischen 1100 und 1350 erheblich anstiegen und vor allem die Grundrenten, die schließlich geradezu explodierten.

Was wiederum den auch heute wieder zu beobachtenden Zustand zeigt: Immer weniger werden schneller reich, immer mehr verarmen, zumindest relativ. Ursache: Die Perma-Inflation. Wie sich die Zustände im Florenz der Frührenaissance dann entluden (Savonarola!) ist bestens bekannt.

Und da wir das MA nicht "als solches" hier diskutieren wollten, sondern als eine Zeit, die in andere Zeiten mündete, kann ich auf Grund der hier unzweideutig aufgezeigten Statistiken und Phänomene uns nur den Weg hin zu schweren sozialen Verwerfungen weltweit ankündigen (Globalisierungsdebatte!), die sich unschön entladen werden.

Ein hochinflationäres Hochmittelalter als beispielhafte Epoche der Menschheitsgeschichte zu akzentuieren, ist schlicht verantwortungslos.

Gruß

d.


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