Es ist nicht alles Gold, was glänzt

helmut-1, Siebenbürgen, Sonntag, 12.09.2021, 09:33 (vor 929 Tagen) @ Ikonoklast3166 Views

Ums nicht bez. der Länge ausarten zu lassen, gehe ich nur auf die Punkte ein, die ich anders sehe oder wo ich etwas ergänzen will. Alles andere nicke ich ab. Natürlich resultiert meine Meinung in erster Linie aus rumänischer Sicht:

Es beginnt mit dem Wort „Great Reset“. Damit habe ich meine Probleme, die ich in einem eigenen Faden weiter oben (später) ansprechen werde.

„....wurden die als Europäer betrachteten ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes mit dem Versprechen eines Eintritts zur EU geködert.“

Du bist mit keinem Wort auf die „Eigenheit“ eingegangen, dass man VOR der Aufnahme in die EU erstmal diese Staaten in die Nato vereinnahmt hat. Ausnahmslos. Erst danach kam die Rede auf die EU. Vermutlich war das so etwas wie eine Bedingung.

„...durch Jahrzehnte lange Misswirtschaft im Kommunismus,...“

Kann man so und so sehen. Aus rumänischer Sicht gesehen, muss man sagen, dass es in den 70er Jahren hier blendend gegangen ist. Man hatte alles zur Verfügung, außer der letzten Mode aus Paris und dem Reisepaß. Die Leute hatten alle Arbeit, verdienten gutes Geld, konnten sich (wer Grund und Boden hatte) ihre Häuser bauen oder erweitern, jeder hatte bezahlbaren Wohnraum in den Wohnblocks, die Leute wurden gratis auf Urlaub ans Schwarze Meer oder in die Berge geschickt. Sicher gabs auch Probleme mal in diesem oder jenem Bereich, aber das war eher untergeordnet, - und der Rumäne ist ja Weltmeister im Improvisieren.

Abwärts gings mit dem Lebensstandard in den 80er Jahren, als Ceausescu anfing, die Auslandsschulden zurückzubezahlen. Im Herbst 1989 waren die rum. Auslandsschulden auf Null. Übrigens das einzige Land im Ostblock, wo das so gelaufen ist. Ist natürlich auf dem Buckel der Bevölkerung abgegangen, diese Aktion. Heute, knapp 32 Jahre nach dem Umsturz, sind die Auslandsschulden auf 128 Milliarden Euro angewachsen.

https://www.zf.ro/banci-si-asigurari/datoria-externa-totala-a-romaniei-a-crescut-in-pri...

Die wichtigsten Ressourcen Rumäniens sind an ausländische Eigner verkauft, die deren Produkte an die Rumänen für teures Geld verkaufen (Erdgas, Sprit, etc. etc.), viele landwirtschaftliche Produkte, die früher im Land produziert wurden, müssen importiert werden, so wie viele andere Artikel.

In unserer Stadt, die ein Industriestandort war, existierten vor der Wende ca. 55 produzierende und funktionierende Betriebe. Es sind keine 5 mehr geblieben. Man hat diese Produktionsstätten verrotten lassen, die Abteilungsleiter bis zum Direktor haben sich alles gegrapscht, was man versilbern konnte, sogar die Wasserleitungen haben sie aus den Wänden gerissen und als Alteisen verkauft. Neu dazugekommen sind nur 2 Betriebe, die diesen Titel verdienen.

Das Ergebnis sieht dann so aus, wie z.B. der traditionellen Lederfabrik:

https://ibb.co/QN0ZvFG

Das Schlimmste aber war, dass man die fachliche Ausbildung in den handwerklichen Berufen beendet hat, - nach 1989 gabs keine Berufsschulen mehr. Deshalb gibts in RO nur noch Hilfsarbeiter, die sich mal in dem einen oder anderen Gewerbe versucht und sich da Kenntnisse angeeignet haben, die aber niemals eine fachlich qualifizierte Arbeit ermöglichen. Das wird jeder feststellen, der sich mal in Deutschland schwarz von einem Rumänen Fliesen verlegen lässt oder anderes. Alle mussten studieren, und nun haben wir eine Akademikerschwemme, von denen nur ein Bruchteil einen Arbeitsplatz im Land findet, - im Ausland kaum, weils an der Sprache und am völlig unterschiedlichen Studienablauf in RO hapert. Viele gehen nach A oder D zum Bauern, aufs Feld, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Ingenieur oder Dipl.Mathematiker genauso wie der Hilfsarbeiter, der nichts gelernt hat.

Ich stelle nun die Frage, was man unter „Misswirtschaft“ versteht. Die meisten in Rumänien sind mittlerweile draufgekommen, dass man 1989 das falsche Schwein geschlachtet hat. Einer hat mir mal gesagt, - „wenn ich mir diese neue Freiheit mal genau betrachte, dann stelle ich mir die Frage, ob die Unfreiheit wirklich so schlimm war...“

Die Führer der Ostländer nutzten diese Zahlungen der EU um ihre durch den Kommunismus völlig desolate Infrastruktur auf den Stand der Zeit zu bringen. Während die alten EU Länder mit ihrem Scheckbuch Politik betreiben und sich in aller Welt engagieren, nutzten die neuen Mitglieder eigene Mittel und vor allem EU-Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität im jeweiligen Land.

Ich könnte darüber lachen, wenns nicht so traurig wäre. Der grundsätzliche Fehler der EU lag darin, dass sie die Kontrolle über die Verwendung der überlassenen Gelder, besonders bez. der Infrastruktur, einheimischen „Kontrolleuren“ überlassen haben. Natürlich auch die fachliche Kontrolle. Das Resultat spricht dann Bände. Die ausländischen Generalunternehmer, die sich international, vor allem im EU-Bereich engagieren, z.B. eine fränkische große Baufirma mit 4 Buchstaben, holen sich die Millionen oft auf illegale Art, die Rumänen werden mit Peanuts abgespeist.

Das Ergebnis:
https://www.cotidianul.ro/reabilitarea-aeroportului-din-sibiu-o-poveste-fara-vinovati/

Übersetz das mit deeple, wen es interessiert. Die Vorgeschichte dazu:

Als wir als Consulting-Kontrolleure (Flughafenerweiterung Sibiu – Aufgabengebiet Kanalisation und Pisten, - fachliche und Rechnungskontrolle) auf die Fehler in der Planung sowie in der Ausführung hingewiesen haben, genauso, dass eine ganze Reihe von Leistungen (insbesondere die Verdichtungen des Erdreichs) nicht so ausgeführt wurden, wie es nach fachlichem Standard erforderlich wäre, genauso, dass aber diese Arbeiten illegal in den Abrechnungen aufgeführt wurden und wir dann unsere Unterschrift unter diese Abrechnungen veweigert haben, weil 11 Mio € nicht abgedeckt und illegal abgerechnet waren, - da hat man unseren Vertrag beendet und eine andere Consultingfirma aus der Hauptstadt engagiert, die dann alles so gemacht hat, wie es die „Chefs“ erwartet haben. Das Resultat war dann das von uns vorhergesagte Absacken des Erdreichs.

Zum Wort „Lebensqualität“ wollte ich erst gar nichts sagen. 10 % der Bevölkerung kommt gut über die Runden, haben ein akzeptables Einkommen, davon sind 3 – 5 %, die ein sehr gutes Einkommen haben, von 4 – 5 T € monatlich aufwärts. Die teuerste Gartenanlage, die ich jemals in RO angelegt habe (mit allem Drum und Dran, Teich, Wasserspiel, Carport, autom. Beregnung, Sensor-Beleuchtung, autom. Tor, einschl. der kompletten Infratruktur, etc.) war bei ca. 400 m² Fläche über 100 T €.

Der Rest lebt von der Hand in den Mund, befinden sich im Hamsterrad, ca. 20% der arbeitsfähigen Bevökerung befindet sich zwecks Arbeit periodisch oder überwiegend im Ausland, lediglich die Landbevölkerung, die einerseits einen genügsamen Lebenswandel gewöhnt war und andererseits zu den Selbstversorgern zählt, spürt die Not nicht so sehr.

Die Rechnung ist einfach: Wenn man ca. 400 € pro Monat auf die Kralle bekommt, davon ca. 150 - 200 € Miete bezahlen muss, dann noch die üblichen Abgaben wie Tel, Strom, Gas, etc. mit 80 – 100 €, kann man sich ausrechnen, was dann noch zum Leben übrigbleibt. Eine Familie als Alleinverdiener durchzubringen, ist demnach fast unmöglich, Mann und Frau müssen arbeiten. Soviel zum Wort „Lebensqualität“.

Gemeinsame Myten, Werte und Identität

So und so. Als Europäer bezeichnet sich der Rumäne nur dann, wenn er die Vorteile in Anspruch nehmen will. Dazu zählt ungehindertes Verreisen innerhalb der EU mit dem üblichen Personalausweis, als Beispiel. Geht aber nicht mehr so einfach, seit der Tante Corona.

Mit den gemeinsamen Werten, - da gibts auch Defizite. Insbesondere die Wegwerfmentalität, besonders aus dem Autofenster und illegales Entsorgen.

https://ibb.co/sFpf7mw
https://ibb.co/vVDcxYt

So. Das waren meine Gedanken zu dem, was Du geschrieben hast. Dank Dir für Deine Sichtweise, - sowas mit Überlegung aufzubauen, artet in Arbeit aus, das weiß ich.


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