Präzisierung

Weiner, Dienstag, 19.01.2021, 12:00 (vor 1165 Tagen) @ Heraklit888 Views

Zunächst natürlich Dank, dass Du daran erinnerst (Deinen LINK kann ich allerdings aus Zeitgründen nicht verfolgen). Der Bundesvertrag bzw. die einzelnen Verträge mit den deutschen 'Fürsten' wurden im November 1870 unterschrieben. Wenn ich mich richtig erinnere, mag es sogar um den 8./9.11.1870 gewesen sein (von daher die besondere Rolle dieses Datums in der dt. Geschichte). Laut diesen Verträgen würde bzw. sollte der Bund am 1.1.1871 in Kraft treten. Ab diesem Zeitpunkt war das Reich provisorisch durch den avisierten Bundeskanzler handlungsfähig. Was am 18.01.1871 in Versailles geschah, war die Wahl eines 'Primus inter Pares' als Anführer bzw. als Reichsoberhaupt. Weil Könige unter den Fürsten waren, konnte es nur ein Kaiser werden (dies auch um den gleichen Rang zu signalisieren gegenüber Habsburg, Österreich, Russland und bedingt Frankreich, dessen Kaiser ja eben 'geschlagen' worden war). Man hat bis zur letzten Minute gerungen, wie die genaue Formulierung des Kaisertitels lauten solle. Dass der 1.1.1871 das völkerrechtliche Bezugsdatum sein sollte bzw. tatsächlich war, kann man auch daran erkennen, dass König Ludwig (Bayern), die Verträge nicht rechtzeitig unterschreiben wollte/konnte (wiederum ein Ausdruck der altbekannten Sonderrolle Bayerns). Das geschah dann erst im Februar oder März 1871 (erinnere mich nicht mehr), jedoch wurde der Beitritt Bayerns zum Reich rückwirkend auf den 1.1.1871 vollzogen. Somit ist dieses Datum das 'juristisch' und für die Periodisierung (für mich in der Zyklenrechnung) richtige Datum. Ich habe vor Jahren mal einen Kurztext zur Reichsgründung 1871 geschrieben, der auch im aktuell geplanten Buch verwendet werden soll. Ich kann ihn hier mal einkopieren.

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Deutschland mit seinen vielen Kleinstaaten bot zur Mitte des vorletzten Jahrhunderts ein noch bunteres Bild wie Italien. Die allgemeinen Verhältnisse jedoch waren hier weniger chaotisch, in gewisser Weise waren sie sogar ausgesprochen exzellent. Da tüftelte man beispielsweise an Erfindungen für ein ganzes Jahrtausend, man bohrte sich wissenschaftlich und philosophisch bis in die tiefsten Gründe des Seins, und allenorts wurde unsterbliche Musik komponiert. Nur eines fehlte den Deutschen: die Nation! Es fehlten Ehre, Ruhm und politische Macht.

So einfach es hinterher aussieht, die Einigung des Reiches war eine fürchterlich komplexe Angelegenheit. Sie reichte von der Dänischen Frage bis zum Krimkrieg, sie wurde zwischen Preußen und Österreich zugespitzt und mußte an argwöhnischen Großmächten vorbeimanöveriert werden. Wo es vordergründig um ein Württemberg oder Bayern ging, stand im Hintergrund schon halb Afrika auf dem Spiel. Denn der neue Staat saß an einen sensiblen Ort, war erster Klasse und von kritischer Masse. Einmal in Fahrt gekommen, würde er, das war jedem vorausschauenden Manne klar, nicht nur die Kolonialmächte England und Frankreich sondern auch das emporstrebende Nordamerika und den russischen Koloss verstören können.

Doch dies alles waren nur die außenpolitischen Probleme. Von den endlosen Liberalismus- und Sozialismusdiskussionen jener Jahre einmal ganz abgesehen: wer weiß heute zum Beispiel noch, daß Bayern wohl nur deshalb reichsdeutsch wurde, weil die Preußen den König in München kräftig schmierten. *) Mit Geld übrigens, das sie kurz zuvor in Hannover gestohlen. Das Schicksal hat es gewollt, daß ein politisches und diplomatisches Genie daherkam, ein preußischer Ministerpräsident, der diesen ganzen Problemkreis meisterlich handhabte. Oder geriet vielleicht die nachfolgende deutsche Geschichte gerade wegen Bismarck auf ihre schiefe Bahn?

Im November 1870 wurden die Bundesverträge zwischen den deutschen Fürsten unterschrieben, fast möchte man sagen: auf dem heißen Kanonenrohr. Ein Krieg gegen den Erzfeind Frankreich schien Bismarck am geeignetsten, um die Deutschen zu einem neuen Bundesstaat zusammenzuschweißen. Am 18. Januar 1871 rief man den Preußenkönig zum Kaiser des neuen Reiches aus, in Versailles, den geschlagenen Franzosen direkt vor der Nase. Das war gewiss nicht sehr höflich, aber man kann es verstehen. Nicht wenige der ergrauten Eminenzen nämlich, die damals vor dem eingekreisten und belagerten Paris ein neues Deutschland aus der Taufe hoben, hatten als Jungens einst die Hosen voll - vor Napoleon. **)

Anmerkungen

*) - und einige andere Herren daselbst! Siehe etwa: Robert Nöll von der Nahmer, Bismarcks Reptilienfonds, Mainz, 1968

**)- Vgl. hierzu etwa die eindrückliche Beschreibung der dramatischen Flucht der preußischen Königsfamilie vor den anrückenden Franzosen in: Friedrich Delbrueck / Georg Schuster, Die Jugend des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen: Tagebuchblätter ihres Erziehers, 1800 - 1809, Berlin, o.J.


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