Ad hoc

Oblomow, Samstag, 01.08.2020, 20:22 (vor 1356 Tagen) @ Diogenes Lampe1813 Views
bearbeitet von Oblomow, Samstag, 01.08.2020, 20:44

Guten Abend!

vielen Dank für Ihren wunderbaren Text, der aber zum Schluss dann doch etwas kapriolenhaft daherkommt, wenn es über Söder und Bayern geht. Da scheint es irgendwie, wie schon bei Seehofer, mit Ihnen durchzugehen. Schaunmermal.

Pardon zudem, dass ich Sie geduzt habe. Ursprünglich ging es mir wie Ihnen im Forum, dass ich diese Distinktion durchaus schätzte, habe mich aber unterwegs umentschieden. Dann wird es eben zur Gewohnheit zu duzen. Sei's drum. Siezen ist juut.

Die "Machiavelliklaviatur" beruht bei Machiavelli auf einen pessimistischen Menschenbild, dass von der realen Welt ausgeht und nicht von der Scheinwelt einer aristotelischen Polis. Insofern ist es ein notwendiger Gegenpol zum optimistischen Humanismus eines Pico, der damals im Auftrag der Medici versuchte, die vorherrschende Theologie mit Aristoteles wie Platon in Einklang zu bringen und dabei das Konzept von der "Würde des Menschen" entwarf. Dennoch geht es mir mit Machiavelli wie mit Marx: Brillante Gesellschaftsanalyse aber seine autoritären Schlussfolgerungen sind satanisch. Er sieht immer nur den einen Pol in der Staatspolitik, das Recht des Stärkeren, um das sich seine Vernunft gruppiert. Den anderen Pol, die Goldene Regel, läßt er unbeachtet, wenn er Macht und Moral behandelt.

Machiavelli hat natürlich ein negatives Menschenbild wie u.a. Schopenhauer und natürlich das Christentum. Machiavelli Satanismus zu unterstellen, nimmt zwar ein in der Aufklärung aufgekommenes Ressentiment auf, doch der Überbringer einer Botschaft ist durchaus nicht verantwortlich für den Inhalt der Botschaft. Es geht um die Mechanik der Macht und wie Mechanik satanisch sein kann, erschließt sich mir nicht. Er trennt den politischen Bereich radilal von anderen Lebensbereichen und statt einen Fürstenspiegel, der von einem idealtypischen Herrscher ausgeht, geht er als Historiker vergleichend vor. Die goldene Regel ist Wunschdenken, sollte unser Umgehen bestimmen, spielt aber in der Welt der Macht nur selten eine Rolle oder ist Thukydides auch satanisch? Das macht doch eben die Politik so aufregend.

Gadamer spricht aber erst einmal auch von der "Gunst des Augenblicks". Also ganz im Sinne meiner Interpretation. Ich denke eher, dass Gadamer den Kairos im Sinne seiner Philosophie zurecht biegt; von mir aus auch erweitert. Der "unverfügbare Augenblick" Husserls ist jedoch kein antikes philosophisches Konzept, sondern Teil der unerträglichen Geschwätzphilosophie des ganzen Heidelberger Philosophensammelsuriums und so eine typische pseudometaphysische Heideggerterminologie, die Tiefe vortäuscht und doch ganz flach theologisch gedacht ist. So, wie Heideggers "Lichtung". Die haben sich alle an Hegels Phänomenologie besoffen gelesen.

Sie prolongieren aber den Augenblick und letztlich brauchen Deine Entwicklungen auch keine Gunst, denn die politische Logik, die Sie beschreiben, entfaltet gleichsam eine Zwangläufigkeit. Das ist wohl Ihrem "Optimismus" geschuldet, den ich null (0) teile. Heidegger ist nicht Heidelberg (Marburg und Freiburg), Husserl ist Freiburg. Zudem ist es Kierkegaard, der ein veritabler Hegelkritiker ist, der hiereinwirkt. Ich glaube, Sie haben da so ein paar gedankliche Trigger, die nur leider nichts mit der Philosophiegeschichte zu tun haben. Hegel als teleologischen Denker lehne ich ooch ab.

Wir leben doch immer nur im Augenblick! Er ist, im Gegensatz zur Vergangenheit und Zukunft das einzig wirklich Verfügbare und doch nicht greifbare. Es gibt also keinen "unverfügbaren Augenblick". Der Begriff "Augenblick" ist nur ein Hilfskonstrukt für unsere Vorstellung unseres Seins in Raum und Zeit im Hier und Jetzt, also unserem eigentlichen Sein im Dimensionslosen, oder, wie die Upanishaden sagen, der Maya.

Der Augenblick ist genau das , was er sagt: ein Augen-Blick, der kaum da, schon wieder vorbei ist. Es geht den "Kairologen" darum, den Voluntarismus anzugreifen und sich wohl mit sowas wie dem Nu auseinanderzusetzen.

Die Aphorismen zur Lebensweisheit von Schopi, die Du anführst, sind neben dem Handorakel Gracians (übersetzt von Schopenhauer) meine Lieblingsbücher. Ich finde, es geht aber um ein kluges in Verhältnissetzen der drei Ansätze, Glück durch phronesis zu erhaschen. Mir ist Schopi da zu sehr Kyniker.


Ich fürchte, Sie haben Schopenhauer da nicht wirklich verstanden. Er redet von Tatsachen und überläßt seinen Lesern, sie sich bewußt -und von ihnen vernünftigen Gebrauch zu machen, indem sie richtig gewichtet werden. Natürlich auch in Hinblick auf sein Hauptwerk, das seine Aphorismen ja von vornherein dahingehend relativiert, dass er von der Verneinung des Willens zum Leben ausgeht und es bei der Lebensweisheit immer nur darum gehen kann, sein Leben möglichst sorgenfrei zu verbringen, d.h. möglichst ohne all die verlockenden Plaisirs der Welt auszukommen. Was ist daran kynisch?

Kynisch ist der Moment, dass das Glück allein im Selbst liegt. Aristoteles, den Sie so gerne haben, weiß es in seiner Nikomachischen Ethik umfassender zu bestimmen, das höchste Gut. Da kommen im siebten Buch, glaube ich, sogar Freunde vor. Und Schopi weiß es auch besser, wie er es in seinem Leben bewies, denn es ist durchaus gut, über ein Erbe zu verfügen und ein eitler Mensch war er auch und auch ohne den hegelianischen Begriff der Anerkennung in den Mittelpunkt zu rücken oder das Du, verkürzt Schopi stoisch oder radikaler kynisch, tonnenhaft.


Glück ist gerade deshalb Glück, weil es eben weder vernünftig ist noch gerecht. Das, was einer hat und was einer vorstellt, führt aber genau zu der illusionären Vorstellung, sein Glück erzwingen zu können, ja erzwingen bzw. verdienen zu müssen bzw. durch vermeintlichen Verdienst im Namen der Gerechtigkeit darauf Anspruch erheben zu können. Deshalb hält ein solcher Mensch Reichtum und Ruhm für erstrebenswert, und die Macht, die beide absichert. Mit anderen Worten: Er muss sich sein Glück durch bestimmte äußere Maßstäbe bestätigen. Damit hofft er, ihm Dauer zu verleihen und mit ihm der eigenen Sicherheit. Doch nur, was man ist, also an sich selbst hat, wäre dazu in der Lage; also, wenn man so will, eigenes Herz und eigener Kopf.

Gracian bringt das schon in seinem 2. Spruch:

"Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüht ist erforderlich. Ein Unglück der Thoren ist Verfehlung des Berufs im Stande, Amt, Lande, Umgang."

Das, was ich mir selbst bin, macht mich aber vom Glück haben müssen, frei. Denn ich erkenne in mir selbst die eigentliche Quelle des Glücks wie des Unglücks. Nicht in den äußeren Gaben liegt die Fülle, sondern in den inneren. Fortuna balanciert auf einer goldenen Kugel und zeigt damit an, dass beim Glück, das die Welt verheißt, letztlich alles auf die innere Balance ankommt, soll es nicht zum Unglück werden.

Ja, Gracian zitieren, ist immer juut.

Hier müsste man dann zudem wieder über Machiavelli und virtu sprechen, denn fortuna, und das gilt auch für Ihre drei Helden, ist schnell weg. Ich glaube, das hat irgendwo Pascal gesagt, dass ein Hauch die Welt verändern kann, z.B. eine Erkältung, ein Fieber und schwuppdiwupp, die Geschichte läuft anders.

Herzlich zurück
DL

Ich grüße Sie
Oblomow


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