Differenzen

Weiner, Dienstag, 06.11.2018, 12:10 (vor 1969 Tagen) @ Silke3654 Views

Liebe Silke,

das Reizvolle an Deinem Beitrag, das mich zur Antwort veranlasst hat, war die Einführung des Begriffes des "Geldlichen". Eine solche (typisch deutsche) Abstraktion bietet nämlich die Chance, über den Tellerrand von meines Erachtens willkürlichen bzw. nicht ausreichend begründeten Definitionen hinauszuschauen.

Ich komme von der Biologie her, beobachte Staatenbildungen (und ähnliche Phänomene) in verschiedenen Abteilungen des Tierreiches und überlege mir dann, ob auch die Staatenbildungen bei den Primaten und speziell bei Homo sapiens recens ähnliche Strukturprinzipien zeigen. Dringe ich dann in den geschichtlichen Bereich vor (wo kulturelle Entwicklungen sich den biologischen beigesellen), dann stelle ich fest, dass es zweifelsfrei Staatenbildungen gab, die nicht zentralistisch und herrschaftlich organisiert sind (Du hast einige Beispiele angedeutet). Ich bin weiters der Auffassung, dass derartige Staatsbildungen auch heute noch theoretisch möglich sein könnten und glaube, dass sie zukünftig einmal sich realisieren werden.

Mir scheint, bei Dir ist der Staat nur dann ein Staat, wenn er eine Zentralmacht hat und auf Herrschaft beruht. Das ist m.E. Definitionssache und wird von mir als Diskussionsgrundlage akzeptiert (wenn auch nicht 'unterschrieben'), aber man muss es klarstellen.

Ähnlich ist es mit dem "Geldlichen". Ich sehe es als unstrittig an, dass das 'Geldliche' (klassisch: Wertmesser, Aufbewahrung, Tausch etc.) unabhängig vom Zentralstaat als kulturelles bzw. geschichtliches Phänomen aufgetaucht ist und wiederum auch heute noch so organisiert werden kann, etwa in einem Tauschring. Die Bundesbank bzw. EZB würde sich nicht mit Gutachten über Regionalwährungen beschäftigen, wenn es letztere nicht gäbe. Nun kann man natürlich definieren: Geld ist nur das Geld, das in Zentralstaaten unter Abgabezwang und Verschuldung etc. etc. etc. existiert. Wiederum ist das Definitionssache. Man könnte das dann als "Vollgeld" bezeichnen, doch reklamieren ein paar (von mir sehr bewunderte) Idealisten inzwischen diesen Terminus für ein anderes Geldsystem-Modell ...

Unstrittig ist wiederum selbstverständlich, dass ein Geldsystem mit Abgabe-, Verschuldungs- und Wachstumszwang ein hervorragendes Herrschaftsinstrument ist. Man kann Wasser zum Trinken, zum Kochen, zum Waschen und zu vielem anderem verwenden. Mit dem "Geldlichen" ist es genauso.

Eine menschliche Staatenbildung mit extrem hohen Populationszahlen (im Millionenbereich!), die nicht zentralistisch und herrschaftlich aufgebaut war und auch nicht Geld in dem Sinne hatte, wie Du wohl Geld verstehst, war beispielsweise die Industal-Kultur, zumindest in ihren Anfängen (nicht mehr im Zerfallsstadum). Ihr vergleichbar wären die frühen autogenen Stadtstaaten im Nahen Osten, eigentlich auch in China (mit sogar ersten Städtebünden).

(Nachdem der Mensch erkannt hatte, beginnend mit Sklavennahmen, dass er andere Menschen als 'Haustiere' halten kann, und nachdem die Kriegstechnik etwas weiter entwickelt war, entstanden dann die ersten Prototypen von Überlagerungsstaaten, die relativ schnell dann auch 'das Geldliche' als zusätzliches Instrument der Machtausübung in Gebrauch nahmen).

Dass Macht (um zum dritten Phänomen zu kommen) nicht allein staatliche Macht ist, brauche ich wohl nicht weiter erklären. Du hast ja selbst einige Beispiele gegeben. Sie stammten aus dem staatlichen Bereich, doch gibt es Macht auch überall sonst im menschlichen Zusammenleben: beim Orchester hat der Dirigent eine gewisse Macht, und in der Fußballmannschaft der ...

Ich bleibe für mich dabei, dass "das Geldliche", die Macht und der Staat drei Entitäten (engl. 'items') im Inventar menschlicher Kulturen sind, die per se nichts miteinander zu tun haben, aber miteinander vorteilhaft verknüpft werden können. Beispielsweise hat "das Geldliche" auch gar nichts mit "dem Technischen" zu tun. Beide aber können miteinander verbunden werden, und es entsteht dann ein Geldsystem mit einer Perfektion, das die Medicis und Machiavellis vor 500 Jahren in ihren kühnsten Träumen sich nicht ausdenken hätten können ....

Warum denke ich über solche Dinge nach? Nun, ich nehme zunächst die Position des Biologen, Kulturanthropologen und Historikers ein, der beobachtet und analysiert. Schon das ist interessant und kurzweilig genug. Sodann versuche ich natürlich zu überlegen, ob es andere Optionen in der Gestaltung von Staat, Geld, Macht sowie ihrer Kombinatorik gibt. Und welche Chancen und Wahrscheinlichkeiten sie haben.

Auf unsere aktuelle geschichtliche Situation bezogen halte ich das erwähnte Vollgeldsystem von Huber für den besten Änderungsvorschlag (inzwischen hat Huber ja ein stattliches Netzwerk und einige Resonanz, siehe etwa die Abstimmung in der Schweiz neulich). Es ist mir aber klar, dass erst sehr schlimme Dinge geschehen müssen, bevor tatsächliche Mehrheiten und Verantwortungsträger über diese Dinge wirklich ernsthaft nachdenken.

LG, Weiner


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung