Sehr ernst

Mephistopheles, Sonntag, 08.09.2019, 12:44 (vor 1692 Tagen) @ Diogenes Lampe8559 Views
bearbeitet von Mephistopheles, Sonntag, 08.09.2019, 13:09

Hallo Mephistopheles

Hallo Diogenes, da hast du ja ein Fass aufgemacht. [[zwinker]]


Ihr Einwand gegen einen nachhaltigen Weltfrieden ist nach meinem
Dafürhalten einer auf Geschichte wie Gegenwart bezogen irrtümlichen
Betrachtung der Weltgeschichte geschuldet, die Kausalität und Korrelation
nicht wirklich sauber trennt.

Saubere Trennung:
[image]
Größenvergleich eines Schiffes den chinesischen Admirals Zheng He mit der Santa Maria, mit der Columbus Amerika entdeckte.
Wer hat jetzt die Welt erobert? Und warum?

Nicht die 70-jährige Friedensepoche hat Europa geschadet, sondern das
globale Finanzsystem, das weiter munter nach Weltherrschaft strebte.

Das Finanzsystem ist kein Fremdkörper, sondern ein Gewächs Europas. Natürlich gab es immer wieder Versuche, das Finanzsystem zu verbieten. Entschieden wurde das aber letzten Endes im Bauernkrieg, der unter der tatkräftigen finanziellen Mithilfe Fuggers siegreich für das Finanzsystem ausging. Seitdem mist diese Frage innerhalb unseres Kulturkreises definitiv entschieden. (Natürlich wird auch das einmal enden. Vorher muss aber die Weltbevölkerung um einen Faktor >10, wahrscheinlich >100, vll. sogar >1000 abnehmen. Dann wird es kein Finanzsystem mehr geben.)
Natürlich hätte das auch anders ausgehen können, dann wären wir heute ein Agrarland und hätten die Entdeckung Amerikas längst vergessen.
Ist es aber nicht, sondern der Weg Europas war seit dem Sieg der Fürsten, die natürlich einen Finanzierung durch Geldhäuser benötigten und der Stellungnahme Marin Luthers gegen die Bauern vorherbestimmt.

Friedensepoche war auch keine wirklich friedliche, sondern, wie Sie wissen,
durchzogen von eisernen Vorhängen, allerlei Geheimdienstkriegen im Innern
und mancherlei Angriffskriegen Richtung außen. Der Kalte Krieg war eben
auch nur Politik mit anderen Mitteln und müsste Ihnen nach Ihrer
bellizistischen Theorie eigentlich mehr gefallen haben, als Sie womöglich
zugeben wollen.

Da muss man sauber trennen zwischen Kriegern und Eunuchen, die Krieg führen lassen. Eunuchen können eine Kultur nicht erhalten.

Ich aber stelle mir unter nachhaltigem Weltfrieden etwas Friedlicheres
vor.

Rom ist nicht an den Germanen zugrundegegangen, sondern an den

Spätfolgen

der Pax Augustana.


Auch die Pax Augustana hielt als Epoche des inneren Reichsfriedens defacto
nur bis zum Tod von Augustus. Danach war der Begriff nur noch
Staatspropaganda. Unter seinen Nachfolgern ging es ja gleich weiter mit
Tiberius, Caligula und all den Soldatenkaisern, die alles andere als
friedlich waren und deshalb nur selten etwas länger als eine heutige
Legislaturperiode regierten. Nicht mal von Marc Aurel oder Hadrian kann man
behaupten, dass sie Frieden hielten.

Die späteren Römer waren keine Krieger mehr, sondern ebenfalls Eunuchen. Die Kriege wurden von Söldnern geführt, die mit den Römern, die immer weniger wurden, weil sie sich nicht mehr fortpflanzten, nichts zu tun hatten.

Zwar war mit Octavian/Augustus der Bürgerkrieg beendet, die Macht
diktatorisch zentralisiert worden, aber in den folgenden 250 Jahren ging
das Reich an seiner äußeren, stets kriegerischen Überdehnung, den daraus
folgenden Reichsteilungen und den damit einhergehenden andauernden
Finanzkrisen und daraus sich ergebenden permanenten inneren Machtkämpfen
zugrunde. Da gab es keinen Frieden, der das Wort verdient hätte und
folglich auch nur in die Nähe Ihrer zweifellos mutigen und verwegenen
Theorie käme.

Das Reich war nicht überdehnt, sondern es gab keine Krieger mehr, nur noch Söldner. Söldner konnten das Reich, welches von Kriegern erobert wurde, nicht zusammenhalten. Können sie nie, weil Söldner müssen immer einen Großteil ihrer Energie darauf verwenden, die Bevölkerung zur Finanzierung heranzuziehen. sie führen immer einen 2-Fronten-Krieg.

Nachhaltiger Frieden zerstört die Lebenstüchtigkeit der Söhne und

die

Erziehungsfähigkeit der Frauen. Sie bekommen keine Kinder mehr und die

sie

noch bekommen, werden nicht mehr zu lebenstüchtigen Menschen
heranwachsen.


Ich halte Ihre biologistisch soziologistische Rousseau-Parodie mit Verlaub
für abenteuerlich.

Mit Rousseau hab ich nichts am Hut.

Was ist daran lebenstüchtig, sich gegenseitig

umzubringen?

Ja. Bis zum Moment des ewigen Landfriedens wusste das auch jeder. War bei den Römern mit ihren unendlichen Kriegen genau so.

Nein, wirkliche Lebenstüchtigkeit setzt keine Kriege voraus,

sondern ein reges und vor allem faires Wirtschaftsleben,

Oxymoron

von dem alle leben

können. Not, die mit all den Kriegen ja notwendig einhergeht, macht
bestenfalls erfinderisch, mutig, draufgängerisch, aber immer nur unter dem
Vorzeichen der Abwehr der Verzweiflung am Leben. Und auch in Bezug auf die
Erziehungsfähigkeit der Frauen ist Not wohl eher kontraproduktiv.

Nach Ihrer Theorie war dann wohl der 30-jährige Krieg eine Zeit der
Babyboomer, der mannhaften Ertüchtigung und eine Blüte der
Volkspädagogik?

Sie spielen da aber womöglich auf die verbreitete Theorie bezüglich der
römischen Kaiserzeit und den Gründen ihres Untergangs an, nach der die
Dekadenz der Verweichlichung es war, welche angeblich den Germanen
überhaupt erst die Möglichkeit verschaffte, ins gelobte Reich verdorbener
Römer einzufallen.

Dekadenz gab es aber bekanntlich schon während der Römischen Republik in
ungeheuerem Ausmaß

Dekadenz ist eine Frage der Religiosität. Wer keine mehr hat, ist nicht mehr rückverbunden.

und ging letztlich auf die Sklaverei

der Kontakt mit fremden Religionen...

zurück, welche

zur großflächigen Agrarwirtschaft führte. Die freien römischen Bauern
wurden von den Latifundien, die mit ihr entstanden, verdrängt und
wanderten in die Metropolen ab. Die wurden dann von dieser Pleps
überbevölkert und der Handel mit Billigware aus aller Herren Länder
ließ den römischen Mittelstand verkümmern. Zwar bekamen die
Soldatenveteranen nach der Agrarreform von Marius ein Stück Land, aber
sinnvolles und ertragreiches Bewirtschaften, das eine Großfamilie hätte
ernähren können, war angesichts der überwältigenden Konkurrenz der
Großgrundbesitzer dennoch kaum möglich.

In den römischen Städten ging daraufhin die Schere zwischen Arm und
Reich noch krasser auf als heute.

Auch die auseinandergehende Schere ist ein Symptom, dass die Kultur bereits zerfallen ist und aus Kriegern Eunuchen wurden. Krieger lassen sich das nicht gefallen.

Die alte und die emporgekommene

Oberschicht schwelgte in Luxus und Perversion. Die Pleps war weitgehend
unproduktiv und so vom Staat mit Brot und Spielen auszuhalten und zu
unterhalten, um den inneren Frieden in den Städten noch irgendwie aufrecht
zu erhalten. Dazu wurde das römische Bürgerrecht multikulturell
ausgeweitet, weil das sich stets vergrößernde Imperium ständig
Soldatennachschub brauchte, welchen die römische Bauern -und
Bürgerschaften mangels Masse gar nicht mehr stellen konnten. So wurde dann
aus dem Kaiserreich auch ein multireligiöses und der innere Zusammenhalt
der Römer somit immer fragiler. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Der innere Zusammenhalt ist eine Frage der Religion.
Es ist so rum: Zuerst schwindet der innere Zusammenhalt. Dann ist Religion nicht mehr Alltagspraxis und kann e keine Rückverbindung mehr bewerkstelligen. Als Folge wird sie den Menschen immer gleichgültiger. Wenn Religion gleichgültig geworden ist, dann äußert sich das als Religionsfreiheit. jeder kann sich seine Religion aussuchen, was vorher undenkbar war. Schließlich kommen fremde religionen auf - wie das Christentum. Die zerstören dann die letzten Reste. Erst ab diesem Zeitpunkt ist eine Kultur übernahmereif durch fremde Kulturen.

Wenn du ein Volk gründlich zerstören willst, dann gib ihm 100 Jahre
Frieden. Hat sich immer bewährt. Nachhaltiger Friede ist

Θάνατος.

Sie verwechseln hier anscheinend nachhaltigen Frieden mit Friedhofsruhe
oder Langeweile? Für mich ist Frieden aber die Voraussetzung, um das
schöpferische Potential eines Volkes und jedes einzelnen Angehörigen
desselben tatsächlich zu entwickeln. Frieden ist die Voraussetzung, dass
Mütter ihre Kinder ernähren, aufziehen und zusammen mit den Vätern
erziehen können. Natürlich finden auch in der friedlichsten Gesellschaft
permanent Kämpfe statt. Das ganze Leben ist ein Kampf. Vor allem ein
Ringen mit sich selbst. Kriegführen gegen sich selbst ist da aber auch
keine Lösung.

Nur der Tod ist eine Lösung. Die Sehnsucht nach einer Lösung ist Todessehnsucht. Leben ist Kampf. Früher wussten das alle. Aber mittlerweile scheint sogar dieses Wissen verloren gegangen zu sein.

Nur sehe ich die Perspektiven nicht ganz so pessimistisch wie du.


Ganz schön zynisch, aber freilich würdig eines Mephistopheles.
[[ironie]]

In Wirklichkeit halte ich die Gefahr eines nachhaltigen Friedens nicht

für

sonderlich groß, sondern das Gegenteil: Die Ausrottung der dekadenten
Population durch eine lebenskräftigere Nachfolgepopulation. Dann wird

der

Kriegszustand wieder alltäglich sein, wie er jahrhunderttausende Jahre
lang in der menschlichen Geschichte war.


Naja, wir beide Auguren werden das dann wohl so oder so nicht mehr
erleben. Aber meine Vorstellung vom Menschen, die ich vor allem an mir
selbst schule -an wen auch sonst -, läßt mich da genießerischer
schlussfolgern.

Also Ihren Optimismus würde ich gegen keinen Pessimismus der Welt
tauschen wollen, selbst wenn ich einen hätte.


Die Sehnsucht nach einem nachhaltigen Frieden ist nichts anderes als

die

Sehnsucht nach der Grabesruhe.


Da haben Sie recht! Denn da trotz allem nachhaltigen Weltfrieden kein
Paradies auf Erden werden kann, sondern bestenfalls aus der schlechtesten
die beste aller möglichen Welten, werde ich Menschlein wohl dann erst
Frieden vor den mephistophelischen Mitmenschen - die lieber aus dem Mangel
als aus der Fülle ihre schöpferischen Kräfte beziehen - finden, wenn
mich die Grabesruhe umfängt. Wirklich wissen tue ich das aber auch nicht.

Gruß DL

Gruß Mephistopheles


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