Was passiert eigentlich, wenn bei meiner 78jährigen Nachbarin Frieda die Gasheizung ihren Geist aufgibt?

Plancius, Donnerstag, 18.01.2024, 21:36 (vor 101 Tagen)3906 Views
bearbeitet von Plancius, Donnerstag, 18.01.2024, 21:41

Folgendes Szenario: Bei meiner Nachbarin Frieda, die 78 Lenze zählt, geht jetzt, mitten im Winter die Gasheizung kaputt. Sie ruft ihren Heizungsinstallateur, der schnell feststellt, dass der Brenner des Gaskessels einen Riss hat. Außerdem sind Hauptplatine und weitere elektrische Bauteile wegen des tropfenden Lecks stark korrodiert und nicht mehr zu gebrauchen.

Nach üblichen Maßstäben ist der Gaskessel nicht mehr zu reparieren. Bis zum 31.12.2023 hätte der Heizungsinstallateur seiner Kundin Frieda empfohlen, den Gaskessel gegen ein neues, modernes Gerät mit höherem Wirkungsgrad auszutauschen. Kostenpunkt insgesamt mit ein paar weiteren Erneuerungsarbeiten und einem neuen Brauchwasserspeicher 8.000 Euro. Er hätte den Gaskessel sofort bestellt und eine Woche später hätte Frieda eine neue Heizung incl. Brauchwasserspeicher. In der Zwischenzeit hätte Frieda vom Heizungsinstallateur zwei elektrische Raumheizgeräte leihweise überlassen bekommen.

Nun darf Nachbarin Frieda laut Habecks genialem Heizungsgesetz keine neue Gasheizung mehr installieren. Der Heizungsinstallateur prüft, ob er die Heizung reparieren kann. Frieda und ihr Mann haben im Jahr 2.000 eine Gasbrennwerttherme von EWFE einbauen lassen. Anfang der Nuller Jahre hat EWFE den Geschäftsbetrieb eingestellt. Es gibt praktisch keine Ersatzteile mehr. Die Ersatzteile auf ebay haben auch schon viele Jahre auf dem Buckel. Gerade die Blechwanne von EWFE unterhalb des Brennraums ist korrosionsanfällig und auch gebrauchte Hauptplatinen weisen schon starke Rostpunkte auf. Vom horrenden Preis für solchen Schrott ganz zu schweigen. Eine Reparatur ist also ausgeschlossen.

Zweite Alternative: Klimasplitanlagen. Sehr schlechter Wohlfühlfaktor. Es fehlt die Strahlungswärme von warmen Flächen. Will Frieda auch nicht, der ständige Luftzug würde sie krankmachen.

Bleibt als dritte Alternative also nur der Einbau einer Wärmepumpe. Nun ist Friedas Haus allerdings gar nicht für den Betrieb einer Wärmepumpe geeignet. Es müssen etliche bauliche Maßnahmen durchgeführt werden. Und das mitten im Winter? Was sich über mehrere Wochen erstreckt. Andere Gewerke müssen angefragt werden, Termine koordiniert werden, alle Kapazitäten sind derzeit belegt. Dazu noch ein erheblicher Krankenstand bei den Gesellen. Und soll Frieda den ganzen Winter mit den teuren elektrischen Heizgeräten ihre Räume heizen und gänzlich auf fließendes Wasser in Küche und Bad verzichten?

Frieda hat mit ihrem Mann das eineinhalb-stöckige Haus ohne Keller in den 70er Jahren gebaut. Mit dem Material, was es eben so gerade in der DDR der damaligen Zeit gegeben hat. 36er Außenwand mit 24er Beton-Hohlblockstein und einem 12er Ziegelstein davorgesetzt. Decken aus Doppel-T-Träger mit eingeschobenen Beton-Hohldielen. Darauf eine Schüttung mit leichter Hochofenschlacke, dann Holzwolle-Leichtbauplatten (Sauerkrautplatten) und darauf der schwimmende Betonestrich. Wärmedämmung so lala, aber bisher ausreichend. Die T-Träger und Hochofenschlacke haben sie noch in Eigeninitiative mit dem LPG-Traktor aus der 350 km entfernten Maxhütte in Unterwellenborn geholt.

Frieda hat mit ihrem Mann in der LPG gearbeitet. Er war Tierpfleger im Schweinestall, sie war Melkerin in der Milchviehanlage. Ihr Mann ist vor 5 Jahren gestorben. Sohn und Tochter haben sich nach der Wende nicht der Arbeitslosigkeit ergeben, sondern sind in den Westen gegangen und haben sich dort eine Existenz mit Familie aufgebaut.

Die Renten der in der Landwirtschaft Beschäftigten sind sehr niedrig. Frieda bekommt trotz 43 jähriger Vollzeit-Tätigkeit nur 700 Euro pro Monat + 430 Euro Witwenrente. Macht 1.130 Euro Rente im Monat. Da sie mietfrei wohnt, kommt sie trotz stark gestiegener Gas-, Strom und sonstiger Lebenshaltungskosten mit dem Geld zurecht und kann mit ihren Freundinnen auch mal ins Cafe gehen oder ein paar Tage eine Bustour unternehmen.

Nachbarin Frieda hat 30.000 Euro gespart. 10.000 Euro sind für ihre Beerdigung reserviert. Sie hat keine Anschaffungen mehr geplant. Sie möchte auch am mittlerweile 50jährigen Haus nichts mehr investieren. Nach der Wende wurden die Fenster gegen Thermofenster ausgetauscht. Das Dach ist dicht und wird auch noch weitere 30 Jahre halten. 8.000 Euro für eine neue Heizung würde sie schon gern locker machen, sie darf laut Ampel aber nicht mehr.

Mangels Keller hängen Gastherme und Brauchwasserwandspeicher im Flur des Obergeschosses an der Wand. Dort kann keine Wärmepumpe untergebracht werden. Außerdem kann auch kein wandhängender Brauchwasserspeicher mehr verwendet werden. Und ein Standspeicher braucht viel mehr Platz.
Im Erdgeschoss ist auch kein Platz für eine Heizung.

Es muss ein Heizungsraum am Haus angebaut werden. Weiterhin viele Stemmarbeiten, neue Zuführung für Vorlauf und Rücklauf, die Heizkörper müssen alle gegen leistungsfähigere ausgetauscht werden, um mit niedrigeren Vorlauftemperaturen heizen zu können. Dann noch der Elektriker, der Fliesenleger und zum Schluss der Maler. Dazu noch der ganze Dreck, die ganze Aufregung. Das will sich Nachbarin Frieda weiß Gott in ihrem Alter nicht mehr antun.

Der Heizungsinstallateur rechnet und kommt auf round about ca. 60.000 Euro Gesamtkosten. Dabei hat er niedrig kalkuliert. Alle Handwerker würden Frieda einen Freundschaftspreis anbieten. Aber noch eine Hiobsbotschaft. Selbst nach den teuren Umbaumaßnahmen werden Friedas monatliche Heizkosten erheblich höher sein als heute mit der Gasheizung.

Frieda wird schwindlig, als sie der Heizungsinstallateur mit ihr spricht. Ihre ganze restliche Lebensplanung bricht zusammen. Sie wollte noch, solange sie rüstig ist, in ihrem Haus wohnen bleiben.

Doch was soll sie jetzt tun?

Haus verkaufen? Aber Wohnungen gibt’s nicht im Dorf. Sie möchte aber doch so gern in ihrem gewohnten Umfeld, nahe bei Nachbarn und Freundinnen bleiben?

In den Westen zu den Kindern ziehen? Niemals. Ein Leben im Westen bei den dortigen Mieten kann sie sich nicht leisten. Und sie als sture Mecklenburgerin zu den lebenslustigen und weinseligen Badensern im Kraichgau? Nein, das kann nicht gutgehen.

Der Heizungsinstallateur ist wieder gegangen. Das Haus ist kalt. Kein warmes Wasser. Erstmals in ihrem Leben denkt sie daran, ob nicht der Tod jetzt die Erlösung wäre. Sie verfällt in Depressionen.

Eine Geschichte in Deutschland im Januar 2024.

Gruß Plancius

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"Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad an Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand." ARTHUR SCHOPENHAUER


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