Sammelantwort zu den chinesischen Engeln ...

Weiner, Montag, 26.02.2018, 22:28 (vor 2250 Tagen) @ Andudu3006 Views

Hallo Andudu!

aber wir könnten immer noch zum Vorbild eines friedlichen,
kleinteiligen und innovationsstarken Gebildes werden. Etwa so, wie die
Schweiz heute innerhalb Europas.

Ja, das ist ein schöner Traum, ganz Europa eine Schweiz. Doch wie sieht das real aus? Die österreichische Neutralität existiert nur noch auf dem Papier. Und die Deutschen, von denen alles abhinge, machen da nicht mit. Die Transatlantiker gehen auf Entscheidungen zurück, die hier vor 70 Jahren getroffen wurden, und zwar nicht nur von Adenauer, Mc Cloy & Co. sondern genauso von Kurt Schumacher (der wollte, dass erstmal die SED in Berlin die SPD zulässt!) und von den gockelhaften Länderministerpräsidenten. Dieses Erbe und diese Denke sind immer noch präsent:

https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnchener_Ministerpr%C3%A4sidentenkonferenz

Ich schreibe den alten Kontinent längst
nicht ab. Im Gegenteil, seine Schwäche, nicht mitmischen zu können, kann
gleichzeitig ein großer Vorteil sein.

Ich gebe Deutschland bzw. Europa keinesfalls auf, vielmehr werden sie am fernen Horizont eine Renaissance haben. Aber zuvor müssen sie durch ein Tal mit Blut und Tränen. Dieser Weg wäre komplett vermeidbar, wenn man sich JETZT intern einigen oder wenigstens absprechen könnte. GB hat inzwischen längst wieder bilaterale Abkommen mit Frankreich, mit den Balten und Skandinavien, jeder geht aktuell wieder eigene Wege, weil man ahnt, was auf uns zukommen wird. Siehe etwa hier:

http://www.voltairenet.org/article199529.html

2) Wir leben immer noch im Atombombenzeitalter, so leicht gestaltet sich
ein Durchmarsch also sicher nicht.

Ich gehe davon aus, dass Atombomben wieder eingesetzt werden. Die (auch von @Hopi empfundene) 'luziferische' Radikalität der USA zeigte sich klar und deutlich in den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, die beide, wenigstens aber der zweite, (militärisch) völlig unnötig waren. Jedes Volk hat derartige Verbrechen in seiner Geschichte. Eben - und gerade auch die USA. Wir hier machen wenigstens den Büßer und zeigen ein wenig Reue ...

3) China ist (zumindest derzeit) extrem wirtschaftlich mit dem Westen
vernetzt. Oder besser: der Westen ist von China nahezu abhängig und China
sitzt m.W. auf riesigen Devisenbergen, die eine weitere Einflussnahme
nahelegen.

Gerade deswegen muss sich China ja engagieren. Die könnten sich theoretisch aus allem heraushalten, jedoch würden sie dann Absatzmärkte, Ersparnisse (Devisen/US-Anleihen), technologische Zugänge etc. wieder verlieren. Die Chinesen erkennen die Interdepenz der modernen Welt, spüren sie hautnah. Wir hier Westen denken immer noch, wir könnten herrschen. Wichtig ist: die Verantwortung, die China wird übernehmen müssen, kommt eigentlich zu früh. Aber ich denke, dass sie das packen werden.

China muss also nicht militärisch näherrücken, es bekommt auch so, was es will.

In der Geschichte ist es meistens so, dass mit einem militärischen Eingreifen klare Fakten geschaffen werden (vor allem wenn wenig Zeit zur Verfügung steht). So bekommt man am schnellsten einen Bewußtseinswandel in den Köpfen der Menschen. Die Situation für China ist am ehesten zu vergleichen mit der Situation der USA im Ersten Weltkrieg. Letztere haben sich erst 1917 auf den Weg gemacht, wo praktisch alles schon entschieden war. Die meisten der armen US-Soldaten sind in den Lazaretten an der Cholera und Grippe gestorben, es gab fast keine Kampfeinsätze mehr für sie. Aber dennoch haben die USA die Verhandlungen in Versailles praktisch komplett dominiert - sie hatten den europäischen Kontinent, den sie einst als Religions- und Wirtschaftsflüchtlinge verliessen, nun als neue und dominierende Macht wieder betreten. Und genauso werden es die Chineser machen, die erst dann hier auftauchen werden, wenn Europa (real) sowie die USA (scheinbar *) implodiert sein werden, und die Russen sich (dummerweise) nach Westen aufgemacht haben. Dann wird China die gegenwärtige begonnene Koalition mit Russland verlassen müssen und direkt in Europa eingreifen. Es werden dies genauso 'symbolische' Handlungen sein wie bei den USA 1917 und 1918. Aber es wird der nicht mehr nur kaufmännische oder diebische (Industriespionage etc.) Eintritt in Europa sein sondern der machtpolitische. Bis dahin werden die Chinesen bedeutende Vermögenwerte in Europa angesammelt haben (Ackerböden, Waldflächen, Industrieunternehmen, Immobilien, Infrastrukturanteile etc.), die sie legitimerweise, so ihr Argument, mit ihrem 'Sicherheitsdienst' schützen werden wollen.

Ich darf hier bitte auch die Beiträge von @Balu und @Seven Samurai beantworten:

Balu: China lebt und agiert Sunzi, die Kunst des Krieges, langfristig, unspektakulär, ruhig, nicht lärmend und tödlich.

Ja, das ist richtig. Sie können heute in Afrika nicht mehr mit Kanonen auftreten wie die Engländer. Stattdessen bieten sie Entwicklungspakete (Bahnprojekte, Rohstoffausbeutung, Bewässerung etc.) aus 'einer Hand' an, die zugleich vorfinanziert werden. Da ist gerade eine ganze Menge am Laufen, möglicherweise erfolgreicher als 50 Jahre europäischer 'Entwicklungshilfe'.

Samurai: Ich möchte nicht von Kommunisten aufgeschlitzt werden, weil einige Parteimitglieder meine Organe haben wollen.

Staatssysteme agieren im Wesentlichen alle gleich, und in ihrem Fahrwasser haben sie immer Korruption und private Gier. Wir wissen, wie die Chineser über die Mönche in Tibet hergefallen sind. Die Kulturrevolution in China selbst war Folterkammer und Blutlecken pur. Wir brauchen uns also nichts vormachen: wenn China eines Tages eingreift, wird zwar der Frieden nahe sein, aber die Chineser sind deswegen keine Engel. Sie verfolgen Interessen.

Und nochmals zurück zu @Andudu:

aber wir könnten [mit Europa] immer noch zum Vorbild eines friedlichen, kleinteiligen und innovationsstarken Gebildes werden.

Das ist m.E. gerade der Punkt. Wir haben in der Welt diese Vorbildfunktion verloren. Das Vertrauen in Europa ist dahin, weil Europa sich zum Bettvorleger der USA hat degradieren lassen. Und es wird täglich schlimmer. Die ganzen 'europäischen Errungenschaften' seit Renaissance und Aufklärung wurden binnen 50 Jahren in den phantastischen Gewässern von Mickey Mouse, Hollywood und Fratzenbuch ertränkt.

Wo ist die gute Seele Deutschlands und Europas heute? Wo ist der Zweig, der nochmals Blätter und Blüten austreiben könnte?

Das fragt sich, die Stirne runzelnd, Weiner.

*) die USA werden im nächsten Jahrzehnt einen Bürgerkrieg haben, jedoch bedeutet das nicht zwangsläufig ein Ende der außenpolitisch-militärischen Aktionsfähigkeit der USA. Die Ressourcen, Kapazitäten und Finanzierungsmöglichkeiten sind heute so disloziert, dass die USA Krieg im Ausland führen können, während im Heimatland Bürgerkrieg herrscht. Es gibt hierzu durchaus geschichtliche Parallelen und Vorbilder (Rom ...).

Und um die Fragen von @Diego2 zu beantworten: diese Kohortengeschichten (junge Männer etc.) sind heute irrelevant, wenigstens in der Kriegführung (die extrem technisiert ist), anderes Thema wären innere Unruhen und Ähnliches. Keine Kulturnation hat in der Organisation von Menschenmassen so großes (intuitives) Geschick wie China. Da muss man nicht nach Jahrgängen und Geburtenziffern fragen.

Von der zeitlichen Schiene her sind wir die nächsten Jahre noch in der Vorbereitungsphase und in der zunehmenden Polarisation. Die Lawine wird sich gegen Mitte des nächsten Jahrzehntes lösen. Bis sie im Tal angekommen ist, gehen viele anstrengede Jahre ins Land. Vom Sturm auf die Bastille bis nach Waterloo hat es ein Vierteljahrhundert gedauert. Von 1939 bis 1949 waren es vergleichsweise nur 10 Jahre. Wie sagte doch Konfuzius: Erzähle mir was geschehen ist, und ich sage Dir, was sich ereignen wird!


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