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Le Bon täglich (12) - "blitzartige Plötzlichkeit"

Geschrieben von dottore am 31. Juli 2000 08:59:38


"Zwei verschiedene Arten von Triebkräften befähigen die Meinungen und Glaubenslehren der Massen: mittelbare und unmittelbare:

Die mittelbaren Triebkräfte befähigen die Massen zur Annahme gewisser Überzeugungen und verhindern das Eindringen anderer. Sie bereiten den Boden, auf dem man plötzlich (!) neue Ideen hervorsprießen sieht, deren Kraft und Wirkung Staunen erregen, die aber nur scheinbar plötzlich sind. Der Ausbruch und die Verwirklichung gewisser Ideen bei den Massen zeigen oft eine blitzartige (!) Plötzlichkeit. Doch das ist nur die oberflächliche Wirkung, hinter der man meistens eine lange Vorarbeitung suchen muss."

(Ja, damit sind wir beim Thema "Crash", der sich vor allem durch seine "blitzartige Plötzlichkeit auszeichnet... Jeder Crash hat demnach eine lange Vorgeschichte, die sich allerdings nur wenigen erschliesst, die diese Vorgeschichte auch ganz genau studiert bzw. mit verfolgt haben).

"Die unmittelbaren Triebkräfte sind der Anlass für das Auftauchen der Entschlüsse, die eine Gesamtheit zu einer jähen Erhebung führen - durch sie bricht ein Aufruhr los oder wird ein Streik beschlossen, sie bringen durch riesige Stimmenmehrheit einen Menschen zur Macht oder stürzen eine Regierung. Bei allen großen Geschehnissen der Geschichte kann man die ununterbrochene Wirkung dieser beiden Arten von Triebkräften feststellen."

(Le Bon war kein Börsianer, aber das Schlüsselwort "jäh" gilt an der Börse mehr als irgendwo sonst; ich erinnere nicht nur an 1929 oder 1987, sondern z.B. auch an den Sommer 1982, wo plötzlich, also jäh, die Mega-Hausse startete. Es war just die Zeit, als kurz zuvor "Business Week" noch mit dem Titel gekommen war: "Death of Equities" - Tod der Finanzanlagen; das ganze wirkt also in beiden Richtungen).

(Le Bon geht dann auf die "Rassen" ein, ein von mir bereits als obsolet gerügtes Vorgehen, dann auf die "Überlieferungen", die er als "unsichtbare Herren" bezeichnet, die nur der "langsamen Abnutzung durch die Jahrhunderte nachgaben", was inzwischen - nach den vehementen Zeitenbrüchen des 20. Jh.s - ebenfalls nicht mehr so gesehen werden kann. Dann kommt er zur "Zeit").

"Die Zeit ist einer der wirksamsten Faktoren in den gesellschaftlichen wie in den sozialen Fragen. Sie ist der wahre Schöpfer und der große Zerstörer. Die Zeit bereitet die Meinungen und Glaubensbekenntnisse der Massen vor, d.h. den Boden, auf dem sie keimen. Daraus folgt, dass gewisse Ideen nur zu einer bestimmten Zeit, dann nicht mehr zu verwirklichen sind. Die Zeit ist unsere wahre Meisterin, und man braucht sie nur walten zu lassen, um zu sehen, wie alle Dinge sich wandeln."

(Es ist also sehr wichtig, genau zu erkennen, "wie spät" es ist (buchstäblich). Eine unvoreingenommene Analyse unseres der-ZEIT-igen Zustands kommt zu dem Ergebnis, dass wir bereits in oder kurz vor einer Zeitenwende stehen. Das Pendel, das in der Geschichte immer wieder zwischen totaler Ruhe und hektischem Exzess hin und her schwang, scheint nunmehr am äußersten Punkt des Zweiten angekommen zu sein: jeglicher Tabubruch ist vollzogen, der Exhibitionismus aufs äußerste gesteigert, die Stimmung on top der Euphorie. Den Übergang zum Rückschlag des Pendels bereitet sich an der Börse übrigens durch extreme Kursausschläge, maximale Umsätze und ein jähes Umschwenken von "himmelhoch jauchzend" und "zu Tode betrübt" vor - man schaue sich nur mal in den Zocker-Boards und -Chat-Rooms um).

Morgen: Die unmittelbaren Triebkräfte (wir würden hier sagen: die "Trigger") und die Täuschungen