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Re: @Dottore-Beitrag zum Cournot´schen Punkt

Geschrieben von dottore am 07. Juni 2006 15:47:39

Als Antwort auf: @Dottore-Beitrag zum Cournot´schen Punkt geschrieben von Aleph am 06. Juni 2006 14:15:12

Hi Aleph,

>ihre Beiträge vom 08.03. und 15.03.2006 habe ich mit großem Interesse gelesen, weil für mich die Frage, ob auch ein demokratischer Staat mit Macht, basierend auf dem hiesigen Wirtschaftssystem (Debitismus), zwangsläufig untergehen muss, nicht geklärt ist.

Danke für die Frage. Das Problem liegt darin, dass der „Staat mit Macht“ nicht etwa auf einem „Wirtschaftssystem“ basiert, sondern dieses überhaupt erst schafft.

Ein vorstaatliches Wirtschaften (also mit Privateigentum, das Nichteigentümer zwingen kann und mit Privatkontrakten, die vollstreckt werden können – Gegensatz dazu: Produzieren) in dem Sinne, dass es seit jeher allseits „Freie“ gegeben habe, die sich dann „irgendwann“ einen „Staat“ ausgedacht und diesen als „übergeordnete Instanz“ implementiert hätten (per „Gesellschaftsvertrag“ o.ä.) ist nicht nachweisbar.

Umgekehrt setzen Privateigentum und Privatkontrakte ein Machtsystem voraus. Es muss also bereits eine Staatlichkeit (Staatsform spielt keine Rolle) existieren, bevor sich aus Privateigentum (Untereigentum, Obereigentümer bleibt der Staat) und mit Hilfe von Kontrakten („Wirtschaftssytem“) jene Returns erwirtschaften lassen, von denen die Staatlichkeit selbst existieren kann.

Wirtschaften kann erst besteuert werden, nachdem irgendwer gewirtschaftet hat – ohne Einkommen keine Einkommensteuer ohne Umsätze (Umsatz = Eigentums- und/oder Besitztransfer und nicht etwa „Konsum“, der sich seinerseits nicht besteuern läßt, da nicht Zustände oder besteuert werden können, sondern immer nur „real people“) keine Umsatzsteuer, um die beiden in heutigen „Demokratien“ finanziell wichtigsten Steuerarten zu nennen.

Alle Ableitungen zum Thema „Wirtschaften“ müssen mit dem beginnen, was in der menschlichen Geschichte am Anfang stand: Kleine Einheiten („Stämme“, „Dorfgemeinschaften“, „Familien“ usw.), die solidarisch strukturiert waren (Redistribution des „gemeinsam“ Produzierten auch an jene, die noch nicht oder nicht mehr am Produzieren beteiligt waren), die soziale Sanktionen kannten und die im Laufe der Bevölkerungsvermehrung Hierarchien entwickelten, in denen bereits das Macht- und Zwangsabgabensystem anklingt („Big Man“- und LU.GAL.-Phänomen, usw.).

Dreh- und Angelpunkt bei dem Switch vom Produzieren zum Wirtschaften ist die sanktionsbewehrte Abgabe. Diese setzt (Fremd)-Herrschaft voraus, vgl. das Oppenheimer-Modell der „Staatsentstehung“. Einige Zitate (ex Wiki):

Danach zeigt die Geschichtsforschung, dass jeder Staat „seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung (ist), die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger. Kein primitiver »Staat« der Weltgeschichte ist anders entstanden ...“.

Nachdem der Staat also etabliert ist:

„Jeder Staat der Vergangenheit und Geschichte, dem dieser Name unbestritten zukommt, jeder Staat vor allem, der in seiner Entwicklung zu höheren Stufen der Macht, der Größe und des Reichtums weltgeschichtlich bedeutsam geworden ist, war oder ist ein Klassenstaat, d. h. eine Hierarchie von einander über- und untergeordneten Schichten oder Klassen mit verschiedenem Recht und verschiedenem Einkommen.“

„Der unversöhnliche Zwiespalt der Theorien vom Staate erklären sich daraus, dass keine von ihnen vom soziologischen Gesichtspunkte aus entstanden ist. Der Staat ist ein universalgeschichtliches Objekt und kann nur durch breit spannende universalgeschichtliche Betrachtung in seinem Wesen erkannt werden. Diesen Weg (...) hat bisher, außer der soziologischen, keine Staatstheorie beschritten. Sie alle sind als Klassentheorien entstanden.“

Eine ökonomische Staatstheorie bzw. eine „Theorie“ der Folgewirkungen entwickelt sich seit einiger Zeit. Staat im Oppenheimer’schen „Klassen“-Sinne (heute: politische Klasse vs. Klasse „Rest der Bevölkerung“ – auch wenn es Auf- und Abstiegsmöglichkeiten gibt, vgl. Paretos „Kreislauf der Eliten“) wird dabei mit Epitheta wie „kriminelle Vereinigung“, „stationärer Bandit“, „mafiöse Struktur“ usw. belegt (vgl. Tilly, Kreisky u.v.a. mehr).

Oppenheimer schließlich:

„Man kann den Staat auffassen als eine ökonomische Kollektivperson der herrschenden Klasse, die sich die Arbeitskraft der Untertanen als »Wertding« beschafft hat.“

Der Kern! Denn die „Beschaffung“ erfolgt nicht kostenlos, die Kosten entstehen bereits, bevor überhaupt Untertanen definiert werden können und bevor ihre Arbeitskraft von der herrschenden Klasse genutzt bzw. „ausgebeutet“ werden kann. Damit sind wir wieder mitten drin im unlösbaren Vorfinanzierungsproblem des Staates. Jedenfalls sind – so das Handbuch zur Gewaltforschung (2002) – alle „modernen Staaten“ in ihrer derzeitigen territorialen Ausprägung aus Gewaltakten hervorgegangen (das Handbuch versteht allerdings „Gewalt als „soziales Phänomen“ und behandelt die ökonomische Aspekte – z.B. Kosten - des Gewalteinsatzes nicht).

Die Eröffnungsbilanz eines Staates sähe demnach so aus:

Aktiv (Vermögen): „Wertding“ Untertanen (abgezinst, in Teilen der „Arbeitskraft“ bis max. 100 % oder wie auch immer)

Passiv (Kapital): Summa Kosten der Beschaffung des „Wertdings“

Soweit formell okay. Da die Kosten aber nicht stehenbleiben (zunehmende Staatsquote, Kosten für Machterhalt bzw. Machtwechsel, usw.) müsste das „Wertding“ laufend angepasst werden, wegen der Zeitdifferenz (Kosten vor Erlös) sogar überproportional. Die Arbeitskraft der Untertanen, also deren Returns in einer für die herrschende Klasse ihrerseits für sich verwendbaren Form, kämen wir zu dem Ergebnis, dass die Untertanen mehr abzugeben haben als ihnen wieder zurückfließt (egal, ob in realer, naturaler oder monetärer Form).

Als Rechnung:

Abgaben minus verbliebenes Resultat der Arbeitskraft der Untertanen (verfügbares „Einkommen“ I) = Staatseinnahmen. Diese minus Staatskonsum = Staatsausgaben (Redistribution/Retransfer an die Untertanen, geht dann ein in verfügbares „Einkommen“ II). Daraus klar: Abgabentransfer (Untertanen  Staat) > Retransfer (Staat  Unteranen).

Diese Lücke wird entweder immer größer (Unteranenbelastung steigt periodengleich) oder sie wird durch Vorgriff auf periodenspätere Untertanenbelastung geschlossen (sog. „Staatsverschuldung“, von der es ganz richtig heißt, sie sei von „kommenden Generationen“ zu „tragen“).

Oppenheimer weiter mit klarer Sicht:

"Herrschaft war nie etwas anderes als die rechtliche Form einer wirtschaftlichen Ausbeutung."

Ausbeutung heißt eben nichts anderes als: Jemand bekommt später weniger (zurück) als er früher (ohne Ausbeutung) hätte behalten oder erhalten können.

Noch zu Oppenheimers entscheidendem Punkt zum Stichpunkt „Demokratie“:

„Da man nun die »Herrschaft über sich selbst« nicht dazu gebrauchen kann, sich selber auszubeuten, (...) so ist damit bewiesen, daß bei voller Verwirklichung der Demokratie die Demokratie aufhört, Kratie zu sein, und -Akratie wird.“

Sollte nach „Auswegen“ aus diesem Dilemma gesucht werden, böte sich der Ansatz Hoppes an: Monarch betrachtete „Staat“ als sein Eigentum und versuchte damit pfleglicher umzugehen (Dynastiesicherung usw.) als jene, die in den aktuellen Demokratien die Staatsmachtmaschine „bedienen“ (grundsätzliche „Verantwortungslosigkeit“ – aufgrund fehlender Ex-Post-Sanktionen – der „politischen Klasse“).

Aufbauend auf der Staatskritik Hoppes wäre an ein Modell zu denken, wo der Monarch nicht etwa zu seiner Finanzierung auf die „Arbeitskraft der Untertanen“ rekurriert und diese ausbeutet, sondern selbst für sich sorgt. Ansätze dafür waren frühe Formen etwa der frühmittelalterlichen Domänenwirtschaft (auch schon der Form der sich aus Oikos-Produktionen selbst erhaltenden frühen Formen der griechischen “Tyrannis“, in etwa auch der „Thing-Systeme“) - was aber letztlich naturalwirtschaftlich und nicht monetär durchexerziert wurde und entsprechend werden müsste.

Unbewusste Rückbesinnungen darauf finden sich in frühen Parlamenten - die Abgeordneten der Paulskirche z.B. bezogen keinerlei Diäten, sondern kamen mit eigenen Einkommen ausgestattet zusammen.

Edward Montagu hat in seinen Reflections on the Rise and Fall of the Ancient Republicks (1759) m.W. den Gesamtkomplex als erster behandelt. Er gilt zwar als „schillernde“ und exzentrische Gestalt, was aber wohl auch seinem Ende (Padua 1776) zu danken ist: Er starb als Muslim.

In diesem Zusammenhang sollte das muslimische Steuer- und Abgabensystem nicht unerwähnt bleiben, sondern zu intensiverem Studium einladen, zumal es bei der Lösung des Vorfinanzierungsproblems behilflich sein könnte. Überhaupt erscheinen Theokratien eingehender Betrachtung wert, ersetzen sie doch die verweltlichten (laizistischen) „Machtkosten“ eines entsprechend teuren Apparates mit einer Endlos-Gesetzesflut für den Zusammenhalt („Gemeinwohl“) durch das „einmal und für immer gültige“ Vorschriften „von ganz oben“ also ex oberhalb der mundanen Machtsphäre. Ein weiteres weites, weites Feld.

Zur Islam-Debatte noch eine Fußnote, die belegt, dass auch ökonomische Dinge darin noch längst nicht als „abgehakt“ gelten dürfen: Der türkische MP Erdogan wollte an Stelle des nicht unerfolgreichen ZB-Chefs Serdengecti einen „islamischen Bankier“ und bekennenden Zinsgegner berufen, was der Staatspräsident mit seinem Veto verhinderte.

>Meines Erachtens kann mit dem dort dargestellten Modell der Mikroökonomie nur geklärt werden, wieviele Steuerzahler sinnvoll sind, damit der Gewinn des Staates, soweit es überhaupt einen gibt, maximal wird. Also könnte man mit diesem Modell nachrechen, wie groß ein Staat werden darf, damit Steuereinnahmen und Staatsausgaben bezüglich des Gewinnes im optimalen Verhältnis stehen.

Richtig, es handelt sich um ein Modell der Mikrotheorie. Allerdings ist zu bedenken, dass der Staat mit seinen ökonomischen Aktivitäten, zu denen nicht nur die Umsatzerzwingung per Abgaben gehört, sondern insbesondere seine „Teilnahme“ am Kapitalmarkt ebenfalls mikroökonomisch, also als – wenn auch ziemlich großer – Teil des „Gesamtwirtschaft“ betrachtet werden muss. Dass sich mit Zwang die Schere zwischen Kosten (Staatsausgaben hier als Summe aus Selbstbehalt = Staatskonsum und Retransfer, siehe oben), deren Höhe und Gestaltung überdies der (wenigstens auf Zeit von den Untertanen, fälschlich als „Souverän“ bezeichnet) übertragenen Willkür der politischen Klasse anheim gegeben sind und den Erlösen (Steuereinnahmen) schließen oder gar so etwas wie ein „Gewinn“ erzielen ließe, halte ich für ausgeschlossen.

Hauptgrund meiner Skepsis: Zwang verursacht nicht nur zusätzliche Kosten, sondern auch Zeitverlust und demnach eine Finanzierungslücke. Das kommt bei Freiwilligkeit zwar auch vor („säumige Schuldner“ usw.), nicht aber als mikroökonomisch relevante Regel oder kann – je nach Kontraktverhältnis – ausgeschlossen werden.

Die Ähnlichkeit zwischen dem Cournot’schen (privaten) Monopol und dem Staatsmonopol bei der Erlöserzielung ist in der Tat gegeben, aber bei privaten Monopolen gibt es Ausweichsmöglichkeiten, es existiert Marktzugang für Konkurrenten und entsprechende „Verhinderungsgesetze“ (Kartellrecht usw.), so dass ein Betroffener in der Regel im Areal verbleiben kann (oder wird). Beim Staatsmonopol eröffnet sich nur die Möglichkeit, das Machtareal zu verlassen und sich einem „günstigeren“ anderen Staatsmonopol hinzugeben, was oft genug genutzt wird. Doch das Plus der „kleineren“ Staatsoasen bedeutet für die großen Areale ein entsprechendes Minus.

Die Frage nach dem „wie groß?“ könnte also mit einem „möglichst klein“ beantwortet werden.

Viele Grüße zurück!