zur Sammlungsübersicht

OT: Seemacht China - ein Kaiser, ein Admiral und ein Lügner

Geschrieben von Popeye am 28. Januar 2006 17:49:37


Wer hat Amerika entdeckt?
Um diese Frage rankt sich eine seit November 2002 eine eher unglaubliche Geschichte um Geld, Publizität und Lügen.

Im November 2002 erschien das mittlerweile zum Bestseller avancierte Buch „1421, The Year China Discovered America“ ,(deutsche Ausgabe 2004), von Gavin Menzies.
Die englische Ausgabe trägt den Untertitel: The International Bestseller that is Rewriting History.

Inzwischen gibt es kein Medium mehr, das diese Geschichte nicht aufgegriffen hätte. Film, Fernsehen, Radio und Zeitung – vom Internet ganz zu schweigen – verbreiten die Geschichte – häufig unkritisch und der Autor kassiert weiter: 500.000 Pfund alleine als Vorschuss von seinem Verleger in England wo in den ersten drei Monaten über 100.000 Exemplare des Buches, neben diversen TV- und Merchandising und Übersetzungsrechten verkauft wurden.

Worum geht’s?
Der 3. Kaiser der sog. Ming Dynastie (?1368 - 1644) namens

Zhu Di (1360-1424)
(hier nochmals als ehrfurchtgebietendes Denkmal) verdrängte (und ermordete?) in einem Bürgerkrieg seinen eigenen Neffen vom Thron und regierte China von 1402 bis 1424. Zhu Di gilt als einer der „großen“ Kaiser der Ming Dynastie – also ein Usurpator der feinsten Sorte.

Schon als junger Mann erhielt Zhu Di [auch Cheng Zu od. Yongle] einen Diener zugestellt, namens Zheng He, welcher der Held unserer Geschichte ist.

Zheng He (1371-1433)
[auch Ma He od. San Bao = drei Juwelen], Muslim, Eunuch und aus einer Familie, welche für die verhassten Mongolen arbeitete, wurde unter Zhu Di zum größten Seefahrer der chinesischen Geschichte. Fraglos und nahtlos passt Zhen He in die Ahnengalerie der großen frühen Entdecker (Marco Polo, Ibn Battuta, Bartolome Dias, Vasco Da Gama, Ferdinand Magellan, Christopher Columbus, James Cook, Meriwether Lewis and William Clark, um nur einige zu nennen).

Im Jahr 2005 wurde das 600. Jubiläum von Zheng Hes Expeditionen in China und vielen Nachbarländern gefeiert. Monumentale Denkmäler ehren Zheng He als Nationalhelden. Hier noch eine weniger monumentale Darstellung Zheng Hes aus dem 17. Jh.

Aus den eher üblichen Gründen beauftragte der Kaiser Zhu Di (übrigens der Gründer der sog. ‚Verbotenen Stadt’) im 3. Regierungsjahr (1405) eine gewaltige Flotte (bis zu 300 Schiffen und 26.000 Mann Besatzung) unter der Leitung des inzwischen zum Admiral ernannten Zheng He - to sail „the countries beyond the horizon“.

Insgesamt wurden sieben Expeditionen daraus, die Zheng He im Zeitraum von 1405 bis 1433 im Auftrag des Kaiser (die letzte Reise im Auftrag eines Nachfolgers von Zhu Di – namens Xuande) unternahm. Auf der letzten Expedition (1433) oder kurz danach (1435) starb Zheng He.

Die nachstehende Landkarte zeigt die geschichtlich einigermaßen gesicherten Routen der sieben Expeditionen Zheng Hes:

Ich erspare mir die Expeditionsbeschreibungen, da diese weitläufig im Internet beschrieben sind – z.B. bei Wikipedia – um nun näher auf die abenteuerlich Behauptungen von Gavin Menzies einzugehen.

Neuerlicher Anlass dies zu tun ist eine Landkarte aus dem Jahre 1763, die von dem chinesischen Sammler/Anwalt Liu Gang Anfang Januar 2006 der staunenden Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz präsentiert wurde. Diese Landkarte, betitelt „Allgemeine Karte der gesamten Welt“

basiert – so die Beschriftung der Karte – auf einer Karte von 1418 (also aus der Zeit Zheng Hes) und soll von dem chinesischen Kartographen Mo Yi Tong 1763 (nach?)gezeichnet worden sein - rund 70 Jahre vor der (europäischen) Entdeckung Amerikas (Vikinger bleiben außen vor!). Derzeit wird diese Karte von Spezialisten auf Echtheit untersucht. Allerdings deuten schon erste Anhaltspunkte (Aussagen der Beschriftung, Projektion) darauf hin, dass dieser Kartenfund mit Problemen behaftet ist – Details hier (englische Übersetzung aus dem Chinesischen).

[Kartographie – insbesondere die der Renaissance – ist eine eigene Wissenschaft. Wer mehr darüber wissen will kann hier nachlesen und sich hier sattsehen.]

Zurück zu der angeblichen Weltumseglung der Flotte unter Zheng He wie Gavin Menzies sie aufgedeckt haben will (und dies ohne die Karte von Mo Yi Tong je gesehen zu haben).

Die Zheng He Expeditions-Route gemäß Menzies Behauptungen sieht wie folgt aus:

Wer es sich etwas schöner bei Gavin Menzies auf seiner Homepage ansehen möchte, sei auf diesen Link (flash-player erforderlich) verwiesen.

Neben der Entdeckung von Nord- und Südamerikas sowie Australiens finde ich persönlich die Umrundung Grönlands und die Segelroute durch den Arktischen Ocean nach China besonders phantasieanregend.

Welche Beweise legt Menzies für seine abenteuerlichen Behauptungen vor?
Keinen einzigen!

- Es gibt keinerlei belastbare Beweise, dass die Expeditionen Zheng Hes über Asien, den Mittleren Osten und die Ostküste von Afrika hinaus führten – und schon das ist eine unglaubliche navigatorische Leistung.

- Die Behauptung, dass Matrosen und Konkubinen der chinesischen Flotte in Neuseeland, Australien, Amerika und einigen pazifischen Inseln angesiedelt wurden ist durch nicht zu belegen. Genetische „Beweise“, die Menzies zitiert werden von Fachleuten als „Abfall“ bezeichnet.

Auf die zahllosen anderen wilden Behauptungen will ich gar nicht eingehen - zumal Gavin Menzies seine Absichten inzwischen - wie in der Washington Post von 12. Januar 2004 berichtet - offen bekundet hat: „I wanted huge sales and a lot of money".

Dabei ist die mittelalterlich maritime Geschichte Chinas interessant und den Schweiß der Edlen wert. Wer geügend geschwitzt hat wird sich irgendwann fragen wie die europäische Geschichte (und nicht nur die) wohl verlaufen wäre, hätte China seine hegemoniale Seemachtstellung im 15. Jh. und in der Folgezeit beibehalten oder gar ausgebaut.

(Hier ein Größenvergleich der sog. chinesischen ‚Treasure Ships’ [Player & Englisch] mit europäischen Schiffen der gleichen Zeit.)


Wer sich für die maritime Geschichte Chinas interessiert sei auf das Buch von Louise Levanthes, When China Ruled the Seas, Oxford University Press, 1994, als sehr lesbar verwiesen.

Ferner:
Joseph Needham, Science and Civilisation in China: Band 4, Teil 3, Civil Engineering and Nautics, Cambridge University Press, 1970

E. L. Dreyer & P. Stearns, Zheng He: China and the Oceans in th Early Ming Dynasty, (erscheint 2007) bei Longman

Sorry, keine deutschen Titel gefunden…

Allseits ein schönes Wochenende – und time out!