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Re: Zins als Derivat der Macht - Der "Urzins"-Unfug von Herrn Gesell

Geschrieben von dottore am 17. April 2005 17:09:08


Als Antwort auf: Modelle geschrieben von Zandow am 17. April 2005 12:11:37

Hi Zandow,

Danke für die zusätzlichen Erhellungen und Hinweise. In allem grosso modo einverstanden. Nun dazu:

>Frage zum Abschluß: Wie ist der Stand der Zinstheorie? Zins als Derivat der Macht. Mir fehlen hierbei immer noch die konkreten historischen Belege. Jemehr ich mich damit beschäftige, umso undurchsichtiger wird's.

Der Zins entsteht ohne Frage als Abgabe, zuerst der Zentralinstanz, später an jene, an die die Instanz Macht-Teile zedieren musste. Das Ganz beginnt (wie so viele "Firsts", die wir heute haben, vgl. das Standardwerk von Samuel Kramer The Sumerians: Their History, Culture, and Character 1959) eindeutig in Sumer (jedenfalls haben wir von dort die älteste Überlieferung) und zieht sich nahtlos über die Scharniere Ugarit (Syrien) und Phönizien ins Mittelmeer - Rest bis heute durchgängig und durchgehend bekannt.

Michael Hudson in How interest rates were set - 2500-1000 AD in Journal of the Economic and Social History of the Orient (2000) geht ausführlich darauf ein und zitiert Jerrold Cooper Sumerian and Akkadian Royal Inscriptions, Vol. I (1986):

"Sumerians had to pay the temples or palace a regular máš-fee".

Das "más" bezieht sich nicht auf das oder ein "Neugeborenes" (Zicklein), sondern auf den Zeitpunkt, da diese neuen Viecherl erscheinen. Ähnlich übirgens bei allen anderen Erstbezeichnungen für Abgabe, die nicht diese, sondern den Termin benennen. Was auch sonst.

Die immer wieder gern gebrachte Idee, dabei habe es sich um einen Vorgang gehandelt, bei dem etwas von dem "zusätzlich" Erschienenen (sozusagen die "natürliche" Mehr-Produktion) abgegeben wird, nachdem sich jemand das "ausgeliehen" hat, was dieses Zusätzliche ermöglicht (Viehherde, die sich "vermehrt" oder Getreide, bei dem man Saatgut "leiht" und aus dem "natürlich multiplizierten" Produkt etwas abgibt), hatte schon Wilhelmus Leemans, The Rate of Interest in Old Babylonian Times in: Revue Internationale des Droits de l’Antiquite (1950) der Lächerlichkeit preisgegeben.

Da nämlich, wie leicht nachzuweisen war, der Multiplikator zwischen 16 und 24 lag, hätte auch der (zunächst) extreme "Agrar-Zins" von 33 1/3 %, der völlig unstreitig ist (vgl. Sidney Homer's Standardwerk u.v.a.m.), sich letztlich als ca. 1 % "Zins" entpuppt. Das also hätte niemals zu den in Zehntausenden von Dokumenten nachweisbaren Überschuldungstatbeständen führen können.

Das erledigt auch solche Ideen wie jene von einem "Urzins", die Silvio Gesell noch auftischt. Die "más-fee" und vergleichbare spätere Abgaben weiter westlich (census, tributum usw.) sind schlichte Zwangsabgaben und haben mit einer "natürlichen Verzinsung" oder "Vermehrung" und deren "Aufteilung" o.ä. absolut nichts zu tun.

Sie wurden voll und als vorgegebenes SOLL kassiert. Die Hinweise in den Publikationen von Nissen, Eklund (Berlin) et al. sind völlig klar und eindutig.

Das Problem ist jetzt einzig und allein dieses: Was passiert, wenn das IST das SOLL unterschreitet? Erst dann setzt das ein, was als "Zins" (eben bei "agrarian usury") die 33 1/3 % darstellen.

Es ist eine obrigkeitlich gesetzte Strafzahlungs-Forderung auf die SOLL-IST-Differenz und nichts anderes.

Es hat niemals und nirgends so etwas wie Verschuldungsvorgänge (nochmals dazu Hudson) zu "produktiven Zwecken" gegeben! Das sind reine Hirngespinste, bei denen heutige Zustände in die Anfangszeiten des Wirtschaftens übertragen werden, was das Resultat mit den Ursachen verwechselt.

Dasselbe gilt für den Beginn der "commercial debts". Palasthändler [!] werden mit dem inzwischen zu Silber mutierten Standard - dieses Silber zunächst als Gewichtsstandard eingeführt und nicht etwa als "Geld" (1 Shekel = 180 Getreidekörner - "grains", was bis heute gilt - und ein Vielfaches davon, z.B. die mina, alles mit regionalen Abweichungen) - auf die Reise geschickt und müssen dafür 20 % bezahlen, was ebenfalls kein "Zins", sondern eine Abgabe war, so etwas wie Zoll oder Maut.

Der "Zins" ist und bleibt eine Zwangsabgabe und lässt sich auf die einzelnen Zahlsysteme reduzieren (12er, 10er usw.), mit deren Hilfe ihrerseits die Menge der geforderten Abgaben gemessen wurden.

Ich habe dazu in letzter Zeit diverse Antiken erworben, die dies eindeutig belegen, z.B. sumerische Gewichte in Getreideform (es gibt auch später noch "schönere", z.B. Enten) und Hohlmaße, bei denen zwei miteinander verbundene Gefäße genau das Dopppelte (bzw. die Hälfte) des anderen messen.

Und dass die 33 1/3 % und ihre Auswirkungen ("Zinseszins") den Jungs damals geläufig waren, beweisen ebenfalls einschlägige Objekte. Der Japaner Muroi hat darüber intensiv gearbeitet, z.B. 1990 Interest calculation of Babylonian mathematics: new interpretations....

Text-Beispiel:

"Tablets like this one from the second millennium B.C. in ancient Mesopotamia record a number of textbook interest rate problems, and their solutions.

The questions read like those from a high-school algebra book. Sometimes the method at arriving at the solution is just as mysterious.

One tablet (Tontafel) asks:

If I lent one mina of silver at the rate of 12 shekels (1/60 of a mina) per year , and I received in repayment, one talent (60 minas) and 4 minas. How long did the money accumulate?

The Babylonians compounded interest by capitalizing interest when the outstanding principal doubled. At 20% the principal doubled every five years. Thus, it would take 30 years for the debt to grow to 64 minae."

Dass sich solche "Zinsen" nie und nimmer "erarbeiten" lassen und auch niemals ein Mensch auf die Idee käme, sich Geld zu solchen Sätzen zu "produktiven Zwecken" zu "leihen" (und mit Hilfe der "Ausleihe" dem "Urzins" Genüge zu leisten), haben wir es just mit dem zu tun, was diese "Zinssätze" aussagen: Es sind Abgaben auf nicht termingemäß in SOLL-Stärke erledigten Abgaben!

Ich hoffe, etwas zur Erhellung des sog. "Zinsphänomens" beigetragen zu haben.

Was da so allenthalben in- und off-mainstream dahergeschwatzt wird, ist abenteuerlich. Ist durch keinerlei historische Evidenz gedeckt. Aber sollen die Tausch-Freaks gern weiter über das Hochtauschen ("Fortschritt") mit und ohne Zins und Zinseszins (als ex "Urzins" oder ex "Erwirtschaftungs-Investition" und das mit oder ohne Verwerfungen, Disallokationen, Umverteilungen, "Zins" als "Preis" [!] für Geld/und oder Kapital - oh, oh!) daherdampfplaudern.

Mit der Wirklichkeit des ökonomischen Ablaufs unter Machtzwangs-Bedingungen hat das alles nichts zu tun.

Gruß!