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Wie und zu welchem Zweck entstand die Silberwährung?

Geschrieben von dottore am 16. August 2004 16:47:59


Hi,

Silber wird heute zumeist als Kuppelprodukt und im Bergbau gewonnen. Das war nicht immer so. Es gab zahlreiche obererdige Silberfunde. Sobald das Metall gefunden wurde, ertönte das bekannte "Große Berggeschrey", etwa überliefert aus Annaberg, Ende 15. Jh. (1491), da dann zahlreiche Prospektoren anzog. Von der Oberfläche wurde dann in die Tiefe gegraben, bis die Minen erschöpft waren. Den Übergang vom Oberflächenfund zum eigentlichen Bergbau zeigen die zahlreichen Abbildungen des großen Werkes "De re Metallica" von 1556 des Georg Bauer (Agricola), was u.a. diese Bild belegt (ein noch früheres mit ähnlicher Darstellung ist als Vorblatt zur St. Joachimsthaler Bergordnung von 1518 zu sehen, das mir vorliegt):



Silber ist demnach zunächst ebenso "natürlich" vorgekommen, wie vieles andere heute kostbare und "seltene" Material (Gold, Edelsteine, Jade, usw.) auch.

Aus der altbabylonischen Zeit (ca. 2000- 1600) haben wir Zehntausende von zumeist Schuld-Dokumenten überliefert, in denen Silber eine Rolle spielt und zwar im bekannten Shekel-Standard, demnach als vormünzliches Verschuldungs- und Schuldentilgungsmittel. Die altbabylonische Wirtschaft unterscheidet sich in Handel und Wandel nicht von der heutigen "modernen" kapitalistischen. Dabei ist allerdings ungeklärt, wie nach der Eroberung durch die Hethiter 1595 BC dieses immense Wissen, vor allem der zentrale "Hebel" des Systems, nämlich der Zins(satz) und dieser eben auch auf Silber-Schulden scheinbar komplett verloren gegangen ist, um erst wieder in den 800 BC abwärts datierten Archiven neu zu erscheinen.

Die Hethiter und ihre Dependancen sind diesbezüglich "dokumentenfrei". Michael Hudson sieht den Zins (Geldzins) ebenfalls erst Jahrhunderte später über die Phönizier das Mittelmeer überwinden (Did the Phoenicians Introduce the Idea of Interest to Greece and Italy - And if so, When? 1992), was ins 10. bis 8. Jh. BC datiert wird. Auf die diesbezüglichen Chronologie-Probleme kann hier nicht eingegangen werden, ein Hinweis auf Gunnar Heinsohns kritische Studien mag genügen (u.a. Assyrerkönige gleich Perserherrscher! 1996). Immerhin konzedieren die Assyrologen ein "Dark Age", aber so dunkel, dass die gesamte "moderne" Wirtschaft Babyloniens spurlos verschwunden ist, kann es nicht gewesen sein.

Gehen wir vor die babylonische Zeit zurück, also ins 3. und 4. Jt. BC (Ur III usw.), finden wir zunächst eine völlig eindeutige Lage. Das Land gehört komplett dem jeweiligen Palast und den Tempeln. Weder existieren Märkte noch der sog. "freie Lohnarbeiter". Die Bevölkerung hat minimale Landflächen zur Eigenbewirtschaftung, deren Erträge sie selbst verkonsumieren kann - die berühmten Mini-"Gärten".

Prof. Van de Mieroop(Columbia) konstatiert:

"Since all farmland was owned by the palace, either directly or through the temple estates, there was virtually no room for private enterprise."

Wie sein Kollege Jerrold Cooper anhand sumerischer und akkadischer Inschriften ermittelte, war das gesamte Land in 50 bis 200 Hektar große Domänen geteilt. Prof. Johannes Renger (FU Berlin) bezeichnet das System als idealtypische oikosWirtschaft im Max Weber'schen Sinne. Der königliche Haushalt ist identisch mit dem "Staat". Und:

"Most important, there seems so have been no room for indivudual property in arable land."

Der Bevölkerung wird zunächst das aus der von ihr selbst eingebrachten Ernte zugeteilt, was sie zur Subsistenz benötigt. Dabei ergaben sich zwei Methoden:

1. Ein Teil des Landes wurde an die Bevölkerung zugeteilt, und zwar als "subsistence fields" (ab ca. 6,5 ha). Im Gegenzug musste sie als Soldaten oder Arbeiter für den Palast und den dortigen Herrscher zur Verfügung stehen. Die Subsistenz-Ernte konnten sie behalten.

2. Ein anderer Teil gelangte an die Bevölkerung, ebenfalls als "subsistence fields", die im Gegenzug das geerntete Getreide abliefern musste.

Ein dritter Teil blieb in der königlichen "Reserve".

Von Silber ist innerhalb der Bevölkerung noch weit und breit keine Spur. Das einzige Silber, das im zunächst silberlosen Gebiet (Schwemmlandböden, keinerlei Funde oder gar Bergbau, s. oben) vorhanden war, kam über den üblichen "Geschenke-Tausch" der Herrscher untereinander ins Land (vgl. die schon einmal angesprochenen Herrscher-"Korrespondenzen") oder als Tribut aus Gegenden (z.B. Anatolien), in denen Silber vorhanden war. Das Silber wurde in den Tempeln thesauriert.

Wie Renger und vor allem Mieroop inzwischen nachweisen konnten (letzterer in Credit as a Fascilitator of Exchange in Old Babylonian Mesopotamia 2002) kam das Silber nun folgendermaßen "unters Volk":

1. Der Tempel setzte das bekannte Soll zur Ablieferung von Getreide und anderen Naturprodukten (Wolle, Käse, Vieh, Fische) fest. Dies wurde dem "Landmann", der vor Ort ackerte, als Schuld aufgeschrieben.

2. Diese Schuld wurde in fester Relation zu Silber gesetzt, erhielt also amtliche Festpreise.

3. Der Ablieferer konnte in natura oder in Silber leisten. Hatte er beide Male einen Fehlbestand, stand ihm nur der Weg über eine Leihe offen. Da die Zinssätze für Getreide mit 33 % über denen für Silber lagen, die der Tempel auf 20 % festgesetzt hatte, entschied er sich in der Regel für Silber. Die 20 % ergaben sich nicht als "Marktpreis", sondern errechneten sich aus der Einteilung der Mina in 60 Shekel. Die Mina wurde als großes, der Shekel als kleines Dreieck dargestellt. Pro Monat war das Minimum, also 1 Shekel fällig = 1/60 p.m. = 20 % p.a.

4. Da der Verschuldete diesen Zinssatz in der Regel nicht erwirtschaften konnte, lief das System darauf hinaus, den "Landmann" an die Scholle zu binden: Er musste nolens volens die Güter anteilig bewirtschaften, was sowohl dem Tempel als auch dem Palast die benötigte Arbeit sicherte. Da das System zu laufender Überschuldung führte, wurden die "Schulden" in mehr oder minder regelmäßigen Abständen "erlassen" (clean slates). Die Ursache der Verschuldung lag also nicht etwa in der Kreditnahme zu "produktiven Zwecken" (so etwas ist nirgends zu beobachten), sondern im Missverhältnis vom durch den Palast vorgegebenen Soll (Abgabe) zum tatsächlich und auf Dauer (Missernten!) zu erwirtschaftenden Ist.

5. Der Landmann konnte sich buchstäblich nicht "vom Acker machen", da er sonst auch seines Subsistenz-Feldes verlustig gegangen wäre. Außerdem hatte er nur einen Ansprechspartner, nämlich den "middleman" (vgl. Dominique Charpin, Marchands du palais et marchands du temple, 1982), der das als Abgabe Geschuldete seinerseits abholte und der gleichzeitig als Leihgeber für den Landmann auftrat.

6. Der Tempel hatte mit der Einführung des Silbers als "Währung" einen weiteren Vorteil: Er musste die saisonalen Spitzen (Ernte, Schafschur usw.) nicht groß einlagern, sondern diese sofort weiterreichen, wobei ebenfalls eine Schuldurkunde lautend auf Silber ausgestellt wurde. Ein Beispiel (Charpin): "15,435 (Kilo) Wolle, nach dem Gewicht vom Samas (Stadt-Tempel) im Gegenwert von 51 (Gramm) Silber ... erhalten. An dem Tag, da der Palast das Silber fordert, wird es dem Palastboten ausgezahlt."

7. Diese Schuldurkunde war transferierbar und das Silber auf Sicht bei Präsentation zu liefern, bis es schließlich endgültig im Palast verschwand. Mieroop: "Without credit this system of distribution of the natural resources belonging to the large institutions would not have worked."

Mit Silber wurde also nicht etwa "gekauft", sondern verteilt.

Käufe liefen ganz anders ab, und das erst viel später, wie andere Urkunden nachweisen: Das Silber musste vorab überreicht werden, worüber dann entsprechende Dokumente mit Siegeln von Zeugen der Vorabbezahlung ausgefertigt wurden. Mieroop: "As there was no mass production of craft goods to be available to the buyer on a market, they were custom-made for an advance payment."

Da Silber als "Währung" in unserem Kulturkreis ohne Zweifel in Mesopotamien seinen Ursprung hatte (man vergleich auch "Abraham aus Ur", Genesis 11,31) und sich von dort gen Westen "ausbreitete", sollte sein Erstauftritt, der nichts mit der heute gängigen Interpretation als "Geld" zu tun hatte, nicht unbeachtet bleiben.

Weiteres bei Gelegenheit - die Literatur ist schier überwältigend und der Aufbau einer entsprechenden Bibliothek (derzeit erst ca. 150 Publikationen) nicht einfach.

Gruß!