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Nochmals zum Beginn von Eigentum und Zins

Geschrieben von dottore am 01. August 2004 15:42:48


Hi,

vor 10 Jahren gabe es in NY ein interessantes Kolloquium, das sich mit der Frage beschäftigte, ob es so etwas wie privates Eigentum vor dem Eintritt eines "öffentlichen Sektors" in der Geschichte gegeben habe und ob der öffentliche Sektor das dann an sich gezogen habe und dann immer mehr, bis das Gebilde im auto-bürokratischen Sumpf erstickte.

Oder ob der ÖS das Eigentum als erster hatte und es dann immer weiter abgab und dann mangels eigener Einkünfte daraus ebenfalls verblich, da jene, die es anschließend hatten, verhindern konnten, dass sie etwas von den Erträgen ihres Eigentums abgaben.

Teilnehmer waren hochkarätige Wirtschaftshistoriker, Ökonomen sowie Assyriologen (als Sammelbegriff für jene Experten, die sich mit den frühesten, anhand von Dokumenten, in immerhin sieben frühen Sprachen, und Ausgrabungen rekonstruierbaren Quellen tagein, tagaus beschäftigen). Gesponsert war die Tagung von der NY University und der Henry George School.

HG, das muss man wissen, war jener Amerikaner, der im 19. Jh. mit seinem Buch "Progress and Poverty" (EA 1879) den damaligen ökonomischen Bestseller schlechthin geschrieben hatte, worin er die Forderung aufstellte, die Bodenrente (Einkommen aus Grundeigentum) der Gemeinschaft und nicht einzelnen "landlords" zukommen zu lassen. Zu HGs Anhänger zählten vor allem eingewanderte Iren, die gerade erst der heimischen Perma-Katastrophe, verursacht durch die englischen landlords, welche die Bevölkerung abkassierten, ins Elend stürzten und zum Verlassen des Landes zwangen. In ähnliche Richtung wie HG argumentierten seit dem 19. Jh. zahlreiche andere "Bodenreformer", wie u.a. Damaschke, Ruhland, Gesell.

Auf diese Debatten einzugehen, ist hier nicht der Platz und auch die Tatsache, dass wir in vorstaatlichen Gesellschaften privates Eigentum, z.T. auch an bestimmten Landstücken kennen (ohne dass dabei der gesamte, einem Stamm zur Verfügung stehende Boden "aufgeteilt" wäre), wie Uwe Wessel ausführlich dargestellt hat, darf zunächst beiseite bleiben.

In dem einleitenden Referat stellt Michael Hudson (NY University; damals 63, was er heute macht und wo, konnte ich nicht eruieren) einige verblüffende Fragestellungen und Ergebnisse heraus:

Zunächst die Fragen:

- Steht privates Unternehmertum am Anfang oder ist es eine Folge der Auflösung von originären Tätigkeiten des ÖS?

- Bewegt sich die Zivilisation hin zu vermehrter sozialer und öffentlicher Kontrolle oder von ihr weg?

- Führt die Abgabe von Eigentum ("Privatisierung") zu größerer ökonomischer Ungleichheit?

- Falls ja: Führt dies zu mehr Investitionen und effizienter Ressourcen-Nutzung, oder zu immer unproduktiveren Beschäftigungen, schließlich zu Finanzkrise und Stagnation?

Nun einige Ergebnisse:

- Es gibt eine direkte Linie von der Entwicklung in Sumer (4. und 3. Jt. BC), wo - nach wie vor in der Forschung unumstritten - zum ersten Mal privates Bodeneigentum, das nicht nur der Subsistenz der jeweiligen "Besitzer", sondern dem Inkasso von Grundrenten durch Nicht-Bewirtschafter dient sowie der gegen Zins vergebene Kredit aufkommen bis zu den griechisch-römischen Phänomenen gleicher Art und über das Römische Recht bis heute.

- Privates Eigentum und private Zinsnahme treten stets gemeinsam auf. Interessant ist dabei die Haltung der Kirche, die lange Zeit am "Zinsverbot" festgehalten hatte, aber sich zum Eigentum ex cathedra erst abschließend äußerte, nachdem Jesuiten (als Keilschrift-Kundige) unter Leo XIII. im Jahr 1881 auf einem Orientalisten-Kongress privates Eigentum in einem (heute auf 18. Jh. BC datierten) Text entdeckt hatten, wo es um Eigentum an einem Garten und ein Haus ging. Dieser Text hat sich inzwischen als irreführend herausgestellt, da es sich hier um ein Investment-Grundstück und nicht um ein Subsistenz-Grundstück gehandelt hatte.

- Zwischen 2400 und 1600 BC wurde Subsistenz-Land regelmäßig neu verteilt: beim Amtsantritt eines Herrschers oder bei dessen Regierungs-Jubiläen. Auch die misharum-Akte (Schuldenstreichung - die clean slates, die noch bis Catilinas "novae tabulae" eine Rolle spielen) kommen regelmäßig vor. Funde sind nur in Privatarchiven nachweisbar, nicht in den riesigen des ÖS.

- Sobald die Subsistenz-Land-Halter zu Abgaben genötigt waren, die sie nicht selbst erbringen konnten (Ernte, persönliche Dienste), ergab sich immer die selbe Lage: Das Subsistenz-Land kam über kurz oder lang in die Hände von Großgrundbesitzern, die ihrerseits zu solchen wurden, da sie die Abgabengüter gegen Zins verleihen konnten und bei Nichtleistung schließlich das Land an sie fiel.

- Der Zinssatz war 1/60 pro Monat, was sich aus der Einteilung der beiden Abgabengüter Gerste und Silber ergab (1 Schekel Silber = 1 Bushel Gerste, wobei 1 Schekel = 180 grains, also Körner) und sich der Schekel, die Gewichtseinheit nicht anders teilen ließ - bezogen auf das Jahr mit 360 Tagen. Das "indische" System mit 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64 usw. ließ sich nicht auf Monatsbasis umrechnen, da sonst Monate mit 32 Tagen herausgekommen wären. Wie auch immer: Aus 1/60 p.m. ergibt sich doch ein "Jahreszinssatz" von 20 % (12/60), der natürlich nicht zu stemmen war.

- Ausgehend vom Tempel- und Palastsystem (entsprechend voluminöse "Privatbauten" fehlen überall) ergibt sie eine Priorität des ÖS gegenüber dem privaten.

- Auch Werkstätten usw. finden sich immer entlang des ÖS und nicht von ihm getrennt als irgendwie auffindbare private Unternehmungen.

- "Royal property was administered at the ruler's discretion, and in this sense may be considered to be the first truly private property" (Kursive im Original).

- Die Land-Zession ("Privatisierung") erfolgte auf vier Arten:

a) An den Herrscher, der es danach als private property und unbelastbar halten konnte.

b) Abgabe dieses Eigentums an Verwandte, Herrschafts-Stabilisatoren (Aristokratie), oder als Tribute an lokale warlords.

c) Beim Kollaps der jeweiligen Herrschaft (Dezentralisierung). Und vor allem:

d) Sobald kleinere Kommunen, die ihrerseits zu Abgaben verpflichtet waren (es "haftete" nicht der einzelne, sondern immer seine "Gemeinde", diese "Steuerhaftung" kennt noch das Römische Recht in extensis), von sich aus Land an jene abgetreten haben, die zuvor als Kreditoren aufgetreten waren, wobei es zur Entgegennahme des Pfandes (Grund) kam oder zu (Not-)Verkäufen, um die Gläubiger mit dem Erlös zu befriedigen.

Als Zwischenergebnis lässt sich einstweilen festhalten:

1. Überschuldungskrisen waren schon vor 5000 Jahren an der Tagesordnung.

2. Sie wurden durch durch Schuldenstreichung und/oder Eigentums-Umverteilung geregelt.

3. Herrschaftliches Land (Tempel usw., die immer mehr Land an sich gezogen hatten) waren nicht betroffen.

4. Der "privat wirtschaftende" Sektor entstand, als der ÖS seinerseits zu Privatisierungen schreiten musste.

5. Sobald sich dieses "Gleichgewicht" nicht mehr aufrecht erhalten ließ, kam es zum dauerhaften Halten von Land, aus dem sich Pfründen oder sonstige arbeitslose Einkommen beziehen ließen.

6. Damit würgte der "voll privatisierte" Sektor allerdings seine eigenen Grundlagen ab: Denn der ÖS, der das "Funktionieren" dieses Sektors garantierte, verschwand, da er sich seinerseits nicht mehr finanzieren konnte.

Die Parallelen zu heute liegen auf der Hand mit der einen, zusätzlichen Variante: Es werden nicht mehr Pfründen abgetreten, sondern die Abgaben selbst und zwar an jene, welche die Abgaben zu leisten haben. Das ist die nicht mehr zu steigernde Kunst, den Gläubiger zum Schuldner seiner selbst zu machen, ohne dass er es merkt, da er es nicht sofort spürt.

Was "später" ist bzw. kommt, muss ihn zunächst auch nicht interessieren.

Schönen Sonntag noch + Gruß!