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Real-Enzyklopädie (32): Das Märchen vom 'Zins'

Geschrieben von dottore am 19. August 2002 13:50:18


Guten Tag,

Sidney Homer beginnt seinen Klassiker zur Zinsgeschichte mit dem Passus:

"In historical times credit preceded the coining of money by over two thousand years ... old Sumerian documents, circa 3000 B.C., reveal a systematic use of credit... Often these loans carried interest."

Er unterscheidet dann drei Formen von "transactions":

Geschenke ("no repayments expected"), "loans if repayment is expected, and loans at interest if the repayment of a certain amount more than was loaned is expected."

Wir haben nun zu fragen, wie es zu loans mit "interest" oder "more than was loaned" (Zins) gekommen ist.

Da uns selbst der ungemein belesene Homer bei Beantwortung dieser Frage im Sich lässt, müssen wir das selbst enträtseln.

Zunächst einmal geschehen sämtliche ersten transactions "in kind", d.h. es handelt sich um reine Warentransaktionen. Wird repayment erwartet, muss über diese Transaktionen ein Dokument ausgefertigt sein, was bei Geschenken entfällt. Mit Hilfe dieses Dokuments kann bei Fälligkeit die "loan" zurück gefordert werden.

Warum gibt es nun loans mit und ohne Zins?

Die Antwort ist verblüffend einfach:

Der Zins ist kein Attribut der loan selbst, sondern er entsteht aus dem Dokument, sobald dieses vor Fälligkeit der Ware in die Ware verwandelt ("kind") werden soll.

Nehmen wir den einfachen Fall einer "transaction": A beschafft sich mit Hilfe der Ware X (nach Menge oder Gewicht) bei B einen Betrag (nach Menge oder Gewicht) der Ware Y.

Sagen wir 10 Einheiten Ware X verschaffen ihm 10 Einheiten der Ware Y.

Die Ware Y liefert B sofort, A muss die Ware X nach einem Jahr liefern. Damit steht die Ware A in einer eindeutigen Relation zur Ware B, nämlich 10 zu 10. Das ist der gegenseitige Preis.

Von einem Zins ist nirgends etwas zu entdecken.

Will nun B die Ware X, die ihm A schuldet, früher als zur Fälligkeit zur Verfügung haben, muss er mit Hilfe des Dokumentes auf Lieferung der Ware X versuchen, an die Ware X vor deren Fälligkeit zu kommen. A liefert sie ihm erst nach einem Jahr, wie es der Kontrakt vorsieht. (Vereinbarter Zeitraum spielt natürlich keine Rolle).

Aber es könnte sich ein C finden, der die Ware X schon vorher liefert, um sie sich dann wiederum bei Fälligkeit bei A zu beschaffen.

Da C selbst nichts mit der Transaktion zwischen A und B zu tun hat, wird er sich die Vorerfüllung des Vertrages, welcher die Transaktion A/B dokumentiert, entgelten lassen, da es für ihn keinen ersichtlichen Grund gibt, anstelle von A an B in vollem Umfang zu leisten und dies obendrein früher als A an B tun muss.

Das Entgelt für die Vorableistung kann nur in etwas bestehen, was B zu erhalten hat und was A liefern muss. C wird also an B weniger als das leisten, was A später in vollem Umfang zu leisten hat. Er wird also statt 10 nur 8 liefern bzw. leisten, je nachdem, wann er an B leistet.

C hat nun das Dokument, das A zur Leistung verpflichtet. Es hat ihn nur 8 Waren gekostet und bringt ihm bei Vertragserfüllung durch A die 10, die A nach wie vor liefern muss.

Jetzt ist der Zins in der Welt. Nämlich 10 minus 8 bezogen auf 8 = 25 %. Oder von oben gerechnet = 20 %.

Der Zins bedeutet aber nicht, dass A mehr als die mit B vereinbarten 10 liefern muss.

Der Zins kann also niemals durch den ersten Kontrakt zwischen zwei Transaktions-Partnern entstehen, sondern erst dann, wenn ein Dritter einen noch nicht gelieferten, weil noch nicht fälligen Teil der Transaktion früher liefert als derjenige, der ihn zu einem späteren Termin liefern muss.

Insgesamt liefert keiner mehr. Denn A liefert nach wie vor 10, diese jetzt an C. Der C hatte an B bereits 8 geliefert, diese nur früher als A. C ersetzt seine 8, die an B gegangen sind. Die 2, die er von A bekommt, muss er nicht mehr selbst erstellen, da er sie bei Fälligkeit von A bekommt. Wir haben also nur eine (zeitliche) Umverteilung der Leistung des A. Sie sollte ursprünglich in Höhe von 10 an B gehen. Mehr als die 10 von A werden nicht produziert.

Dass C schneller gewirtschaftet haben muss, ist klar. Da er aber nicht im Voraus wissen kann, ob B früher (und dann weniger) Waren des A benötigt, kann er auch nicht wissen, ob sein schnelleres Wirtschaften überhaupt einen Sinn macht. Wird der A / B-Kontrakt termingemäß abgewickelt, behält C seine 8 Einheiten und kann sie auf Halde nehmen und die Halde seinerseits durch Eigenverbrauch langsam wieder abtragen.

Aus einer Mehrproduktion allein erfolgt gar nichts - außer der Mehrproduktion. Das auf Halde Liegende ("Kapital") führt nicht deshalb zu einem Zins ("Kapitalzins"), weil es auf Halde liegt.

Alle Zinserklärungen, die auf eine "natürliche" Kapitalrendite abstellen, gehen automatisch ins Leere. Weder das Kapital noch das mit seiner Hilfe erstellte Produkt (Vorrat, Halde) kann sich selbst oder aus sich heraus jemals verzinsen.

Nehmen wir als weiteren Beleg für die Zinsentstehung den Wechsel. Es gibt Unmengen von Wechseln, in denen ganz genau festgehalten wurde, wann der Wechselschuldner wie viel zu leisten hat. Einen Zinssatz wird man auf diesen Dokumenten vergeblich suchen. Es gibt ihn nicht!

Der Wechsel kann allerdings diskontiert werden, d.h. der Gläubiger kann bei einem Dritten oder Vierten mit Hilfe des Wechsels die auf dem Wechsel verbriefte Summe früher kassieren, als auf dem Wechsel selbst festgeschrieben. Dafür muss er allerdings ein Abgeld, eben den Diskont in Kauf nehmen.

Der Wechsel kann, sofern Banken oder Zentralbanken existieren, sogar noch ein Mal diskontiert werden, indem er an die Zentralbank eingerecht wird, was zum bekannten Re-Diskont führt, also einem weiteren Abgeld.

Damit ist völlig klar, dass es einen Zins als solchen ebenfalls überhaupt nicht gibt.

Der "Zins" entsteht erst, wenn ein bestimmter Kontrakt, der Leistung und Gegenleistung, bei klar festgeschriebenen Terminen auf beiden Seiten festlegt und damit den jeweiligen Preis von Leistung (in Gegenleistung) und von Gegenleistung (in Leistung) ebenfalls festlegt, von einer nicht an dem Kontrakt beteiligten Partei vor dem jeweiligen Fälligkeitstermin erfüllt wird.

Alle Vorstellungen von einem "Urzins" oder einem "natürlichen Zins", einer "natürlichen Rendite", "Kapitalrendite" und Ähnlichem sind purer Unsinn.

Weder ist der Zins in einer Wirtschaft "eingebaut", noch bedarf es zum Wirtschaften eines Zinses. Es gibt auch keine "Zinssysteme", die quasi ein Konstruktionsfehler oder Systemfehler wären wie immer wieder in diversen Foren behauptet wird.

Auf diesen Unsinn sind sämtliche Zins-"Theoretiker" oder Zins-"Kritiker", angefangen bei Aristoteles hereingefallen.

Selbst der in Zinsfragen durchaus bewanderte Eugen von Böhm-Bawerk ("Kapital und Kapitalzins" Bd. I, II, 1884/89) ist dem Problem nur ausgewichen, indem er behauptet, der Zinssatz würde mit dem kulturellen Niveau einer Nation fallen, ohne freilich mitzuteilen, was den das "kulturelle Niveau" eigentlich sein soll.

Auch teilt er nicht mit, wohin denn der Zinssatz überhaupt fallen könne (zu seiner Zeit lag er zwischen 2,5 und 3,5 Prozent), falls sich das kulturelle Niveau steigern sollte, was aufgrund der in den ca. 110 Jahren seit seiner Publikation zweifellos der Fall gewesen ist (Homer spricht wohlwollend interpretierend von "technological level" und "financial strenght"), wobei der Zinssatz sich aber im Trend deutlich erhöht und nicht etwa gesenkt hat.

Solche Zinstheorien führen also nicht wirklich weiter. Es muss ein neuer Ansatz versucht werden.

Was wir zunächst als "Zins" (census) haben, ist nichts anderes als eine Zwangsabgabe eines Machtinhabers. Diese wird zu einem bestimmten, vorab festgelegten Termin eingefordert. Ist das Abgabengut (Zins), dann nicht vorhanden, eben weil sie erst später vom Abgabenschuldner zu erstellen gewesen wäre, wird der Abgabenschuldner ein Dokument ausfertigen, aus dem heraus er zur Leistung zu verpflichten ist.

Mit Hilfe dieses Dokuments kann er sich dann, entsprechende Solvenz (also Leistungserstellungskraft vorausgesetzt) zu dem früheren Fälligkeitstermin die Leistung beschaffen, die er selbst erst später erbringen kann.

Zum späteren Termin, zu dem er das Gut erstellt hat, was früher abzuliefern ist, muss er logischerweise demjenigen, der ihm das Abgabengut zum Abgabentermin zur Verfügung stellt, in genau derselben Art und Weise mehr liefern, wie er im oben dargestellten Beispiel mehr liefern muss.

Dabei muss das oben gebrachte Beispiel als zeitlich dem Abgabenzwang folgen, da erst der Abgabenzwang das Tor zur Diskontierung öffnet. Wer eine Leistung freiwillig vereinbart und mit der entsprechenden Gegenleistung freiwillig einverstanden ist, steht a priori nicht unter Diskontierungszwang, da er ganz genau weiß, wann die Gegenleistung bei ihm eintrifft.

Hätte er sie vorher benötigt, hätte er von vorneherein einen früheren Gegenleistungstermin vereinbart. Er hätte damit unschwer vermeiden können, dass ihm das von ihm erstrebte Gut nur zum Teil (da diskontiert) zur Verfügung gestellt würde.

Die Vorstellung, dass wir es in der früheren Geschichte mit Leuten zu tun gehabt hätten, die nicht gewusst hätte, wie viel und was und wann sie es benötigen, also Kontrakte auf "gut Glück" abgeschlossen hätten, ist schlicht abwegig. Niemand entledigt sich eines Gutes, ohne sich über den Termin der Anlieferung des Gegengutes im Klaren zu sein und sich dies entsprechend verbriefen zu lassen.

Wer dies annimmt, unterstellt denen, die jemals gewirtschaftet, also mit Hilfe von Kontrakten gearbeitet haben, ein Haufen von Idioten oder Spielern gewesen zu sein, denen jegliche Erfahrung und jedes Gespür für wirtschaftliche Abläufe gefehlt hätte.

Sie wirtschafteten selbstverständlich ganz genau so, wie es heute auch geschieht, jedenfalls, was ihre eigene wirtschaftliche Existenz anging. Dabei hat selbstverständlich der Zins, weil vollstreckbar, eine völlig andere Funktion als der Gewinn auf das Kapital. Dies hatten Heinsohn / Steiger in den völlig richtigen Satz gekleidet (Geldnote, Anleihe und Aktie, 2000):

"Das bei Aktienausgabe eingehende Geld muss weder zurück gezahlt, noch verzinst, noch müssen dafür Sicherheiten gestellt werden."

Kehren wir nun zum Abgabenschuldner zurück, finden wir ihn als Schuldner, der in jedem Fall leisten muss, obwohl er dies weder der Höhe noch dem Termin nach freiwillig vereinbart hatte.

Der Abgabenschuldner, der (noch) nicht leisten kann, muss zur Beschaffung des Abgabengutes einen Schuldtitel ausstellen, der, beispielsweise, ein Jahr nach Abgabentermin die Leistung 10 verbrieft, zum Abgabentermin aber entsprechend diskontiert ist (nämlich auf 8). Damit kann er dann die auf 8 lautende Abgabe termingerecht leisten.

Daraus ergibt sich nun:

Erstens: Einen A-priori-Zins ("Urzins" usw.) gibt es nicht.

Zweitens: Die Diskontierung (teilweise Voraberfüllung) einer Schuld kann möglich sein. Einen Zwang dazu gibt es nicht. Der Eintritt eines Diskontierers ist absolut freiwillig. Ein Diskontierer kann auftreten oder auch nicht. Der Diskontierer kann nicht zum Diskont zwingen. Der ein Papier zum Diskont Anbietende kann ebenfalls keinen Diskontierer herbeizwingen. Das Papier wird dann, wie von den Vertragsparteien vorab freiwillig vereinbart termingemäß erfüllt. (Oder es platzt, woraufhin dann in das Vermögen des Schuldners, mit dem das Papier besichert war, vollstreckt wird).

Drittens: Bei Zwangsabgaben ist zunächst nur die Abgabe termingemäß zu leisten. Die Zwangsabgabe ist der Zins (census). Zwangsabgaben beruhen nicht auf einem zwischen Abgabenforderer und Abgabenleister freiwillig vereinbarten Kontrakt. Die Besicherung der Zwangsabgabe ist das Eigentum des Abgabenschuldners bezogen auf Sachen (Grund und Boden usw.), aber auch Menschen.

Viertens: Da die Abgabe seitens des Abgabenschuldners unfreiwillig geschieht, kann er zur Leistung gezwungen werden (= Surplus-Erstellung), die seine aktuelle Leistungsfähigkeit übersteigt. Um die Folgen der Nichtleistung zu vermeiden (Vermögens- und Eigentumsverlust), kann er versuchen, sich mit Hilfe eines Versprechens auf spätere Leistung und eines diese Leistung verbriefenden Papiers bei anderen die Abgabe zum Abgabentermin zu beschaffen.

Fünftens: Aus privater Vereinbarung kann sich kein Zins entwickeln, da der zur Leistung Verpflichtete niemals mehr leisten muss, als er vorab freiwillig vereinbart hatte. Das Erbringen einer freiwilligen Leistung, die einer freiwilligen Gegenleistung entspricht kann niemals einen Zins enthalten, da insgesamt (von allen Beteiligten) nicht mehr geleistet wird als vereinbart wurde.

Sechstens: Die Entstehung des Zinses ist untrennbar mit dem Entstehen von Macht und Herrschaft verbunden, weil nur Macht und Herrschaft Leistungen erzwingen können, welche die freiwillig geplanten Leistungserbringungen übersteigen.

Siebtens: Der Zins kann sich nur auf die Vorab-Beschaffung des Abgabengutes beziehen, dessen Terminsetzung willkürlich und ohne Vorab-Zustimmung des Abgabenschuldners erfolgt.

Achtens: Der Zins ist ein Bastard der Macht und hat mit einem Wirtschaften auf freiwilliger Basis überhaupt nichts zu tun.

Neuntens: Sobald sich Macht und Zins (erst als Abgabe selbst, dann als Möglichkeit, terminlich nicht zu leistende Abgaben durch Versprechen auf zusätzliche Leistungen zu leisten, die auf den Abgabenzeitpunkt diskontiert werden) etabliert haben, beginnt jene "wirtschaftliche Dynamik" von Geld (Abgabengut) und Zins (Abgabengut-Beschaffungs-Mittel), die sich über Schwankungen in der Geschichte bis zur heutigen Form entwickelt hat.

Zehntens: Beim Wegfall der Erst-Ursache von Geld und Zins (heute: Staat, der weltweit per Bankrott abgeht) wird sich die wirtschaftliche Entwicklung wieder ent-dynamisieren, bis sämtliche zinsbewehrten privaten Kontrakte die auf das Zwangsabgabenmittel Geld (= "gesetzliches Zahlungsmittel") lauten, abgewickelt sind. Danach tritt wieder der Zustand der freiwilligen Transaktionen ein, die keinerlei Zins und Geld mehr kennen, da sie beides in keiner Weise benötigen.

Schönen Gruß!