Denkfehler und non-sequiturs - in wirtschaftlichen, kriminologischen wie politisch-föderalistischen Dingen

Literaturhinweis, Sonntag, 18.06.2017, 21:07 (vor 2475 Tagen) @ CalBaer4819 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 18.06.2017, 21:27

Ich weiß, daß das für alle, die damals in Mitteldeutschland wohnten, und von Adenauer, ohne daß sie es wollten (und viele, ohne es zu wissen, sonst hätten sie niemals für seinen korrupten Ziehsohn gestimmt!), also von der CDU hinter dem Eisernen Vorhang festgehalten wurden, ein emotional aufgeladenes Thema ist. Soweit, daß es sogar die Erinnerung beeinflußt.

Ich hatte neulich schon Anlaß gehabt, auf Denkfehler in Fragen eines liberalen versus eines regulierten Marktes hinzuweisen. Hätten die Vertreter des Regulationismus, die sich liebend gerne als "neo-liberal" diffamieren lassen (scheinbar), weil es ihrer perfiden Agenda nutzt, wenn man sie nicht durchschaut, offen zu ihren Absichten bekannt, hätten die FDP-Wähler gleich SPD wählen können.

Es ist immer wieder faszinierend, zu beobachten, auf welche Abwege menschlicher Geist sich begeben kann.

Daher gestatte man mir, auch hier die meiner Ansicht nach nach einem Vierteljahrhundert um sich greifenden schleichenden Geschitsklitterungen ebenso wie die schon davor bestehenden Verfälschungen anzusprechen:

Die deutsche Einheit überhastet eingefädelt? Das ist eine grosse Fehleinschaetzung, denn wie haette man 17 Millionen Fluechtlinge aufhalten sollen?

So, wie man solche Flüchtlinge immer aufhält: bitte, keine Einwanderung in Sozialsysteme! Wenn etwas Konsens in diesem Forum ist, dann dies?!?!? Ich staune ...

Es hiess nach der Wende auch ueberall: "Kommt der Westen nicht zu uns, gehen wir in den Westen".

Nein, es hieß: "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr!"

Es ging der Mehrheit um eine DDR nach BRD- (ja gar US-) Vorbild. Keiner gibt gerne seine Heimat auf.

Was hätten denn Millionen für den Westen nicht qualifizierte im Westen gewollt? Nüscht!

Das ist ein Denkfehler, daß "17 Millionen" (also alle!) aus "dem Osten" wegwollten wie 1944/1945.

Im Gegenteil: da gab es enorm viele Kleinhandwerker und andere Unternehmer im Agrarsektor, die schon zu DDR-Zeiten rund um die Uhr dafür sorgten, daß die Wirtschaft nicht an völliger Mangelversorgung zusammenbrach. Die wußten alle, daß sie mit ihren gewachsenen Fähigkeiten dort wesentlich besser aufgehoben waren, als daß sie im "Westen" mit hochgerüsteten Handwerks- und Agrabetrieben hätten konkurrieren können (und wollen).

Viele von denen sind nicht einmal überhaupt in den Westen gefahren in den Tagen, weil sie ihre "Schippchen" (Hühner) füttern mußten!

Und: die im Westen gescheiterten, die noch kurz vor Grenzöffnung geflohen waren, machten in der DDR bereits die Runde!

Die DDR-Buerger haetten eine Foederation zweier deutscher Staaten ohne Grenze dazwischen ganz anders empfunden. Ich kann es Dir aus eigenen, persoenlichen Empfindungen mit "boots on the ground" auch bestaetigen. Jeder der nach dem Fall der Mauer den Westen mit eigenen Augen gesehen hat, der hat die Moeglichkeit der Uebersiedlung mindestens durchgespielt.

Und - was hätte er dann dort gemacht? Von seinen eigenen Leuten, ehemaligen Parteimitgliedern, die null-komma-nix Versicherungsvertreter wurden, über den Tisch ziehen lassen konnte er sich auch im "Osten". Dort hatte er wenigstens noch eine Wohnung und eine Oma, die die Kinder betreute. Das Mütchen hätte sich im Westen gaaaaanz schnell gekühlt! (Was ich auch selbst erlebt habe.)

Der Westen war vor allem deshalb das "Eldorado", weil die Ostpropaganda ihn so schlecht geredet hat und der DDR-Bürger krampfhaft glauben wollte, alles, was im Neuen Deutschland stand, sei genau umgekehrt. Aber, wenn im ND stand, Wasser gefriert bei Null Grad Celsius, dann stimmte das sogar in der DDR!

Fast alle Fachkraefte waeren nach ein paar Jahren schnell weg gewesen, weil allein die Einkommensunterschiede gravierend waren.

Genau - und was hat Kohl gemacht - sofort die Ostarbeiter und -rentner schlechter bezahlt, als die im Westen, so daß eine Landflucht einsetzte. Es war genau umgekehrt, als viele sich heute weismachen wollen.

In einer Marktwirtschaft hätten sich dort Preise gebildet, die nach Angebot und Nachfrage jeweils angemessen gewesen wären - im Westen ebenso wie im Osten. Sah man lebhaft am Gebrauchtwagenmarkt. Der war von Kohls Wurtstfingern nicht reguliert, das hat dann erst Merkel eingefädelt.

Eine Foederation mit offenen Grenzen haette nie funktioniert, das wusste schon Ulbricht und hat deswegen das Bauwerk errichtet.

Also ehrlich - welch ein Unsinn!!! Das funktionierte nicht, weil man im Osten mit "westlichen Ansichten" in den Knast kam, und nie wußte, wann man nachts rausgeklingelt wird, und weil man als von der DDR kostenlos hervorragend ausgebildeter Arzt im Westen den roten Teppich ausgelegt bekam und weil Ingenieure und Handwerker ebenfalls gefragt waren.

Das war ein Systemwettbewerb, den der Sozialismus immer schon verloren hat.

Mit einer frei gewählten Volkskammer fiel das Problem ja erstmals in vierzig Jahren weg! Oder wären, wenn Ulbricht nicht gekommen und zwangskollektiviert hätte, auch alle DDR-Bürger 1950, 1951, 1952 ... 1961 in den Westen "geflohen"? Ein einfaches Gedankenexperiment widerlegt diese These der Kohl-Jubelperser.

Das war nicht Ulbrichts, sondern Adenauers Schuld, und Kohl hätte gut getan, wie Brandt in Polen, einen Kniefall zu tun und aus Scham vor den Machinationen seiner Partei zurückzutreten, um eine echte Diskussion über das Wann und Wie einer Vereinigung zuzulassen. Aber Scham kannte der Mann nicht.

Ausserdem war man sich bewusst, dass Gorbatschow ueber Nacht weg sein koennte und dann die russischen Panzer wieder rollen wie 1953, woran sich viele noch sehr gut persoenlich erinnern konnten.

In der Tat ist das ein Punkt. Das hätte aber Gollum und Konsorten nicht das Recht gegeben, statt den Russen mit der DDR einen Okkupationsvertrag der anderen Art zu schließen. Da kommt die ganze Malaise her!

Tatsächlich wäre kaum jemand so weitsichtig gewesen, zu verstehen, daß der Ostblock so oder so zerfallen wäre.

Dann wären halt ein paar Millionen kurzzeitig in den Westen geflohen und kurz darauf wieder zurückgekehrt.

So zynisch das klingt: so läuft so etwas normalerweise ab, wenn nicht ein Wiedervereinigungs-Romantizismus die Hirne komplett vernebelt für das Sinnvolle und Machbare.

Eine Foerderation mit offenen Grenzen haette nie funktioniert, das wusste schon Ulbricht und hat deswegen das Bauwerk errichtet.

In der Schweiz funktioniert sie. Auch die Franzosen sind seit der Grenzöffnung nicht massenhaft nach Deutschland geflohen? Wie kommt's?

Die sog. Waehrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion war oekonomisch gesehen sicher voellig ueberhastet und mit immensen Kosten verbunden, nur war der politische und wirtschaftliche Druck von innen in der DDR und von aussen durch die immer noch zahlreichen und maechtigen Stalinisten in der Sowjetunion viel zu gross.

Nein. Das ist immer so in der Politik, daß Eilbedürftigkeit konstruiert wird, um undemokratische Systemänderungen durchzuboxen.

Spaetestens der Putsch 1991 in der Sowjetunion war ein Beweis, dass die "ueberhastete" Einheit die richtige Entscheidung war.

Im Gegenteil: wie schon bei dem zwangs-zerrissenen Jugoslawien hätte ein Ostblock, der sich geordnet aufgelöst hätte, den Stalinisten die Minderheitenrolle zugewiesen, die sie heute (noch) haben. Der Sowjetfußsoldat wäre denen von der Fahne gegangen, das war nicht mehr aufzuhalten.

Stattdessen hat die NATO nun (fast) überall freien Zugang und benimmt sich wie Rambo persönlich.

Aber selbst ohne militaerische Bedrohung haette man das Vertrauen der verbliebenen Ostler auf die Dauer verloren.

Da steht Meinung gegen Meinung. Wer wäre besser geeignet, einen Staat zu reorganisieren, als die, die dort wohnen und sich auskennen? Ein Schwob etwa, der Geldkoffer verschiebt?

Die Chance musste man eben schnell nutzen und das hatte Kohl ausnahmsweise richtig eingeschaetzt.

Kohl hat, wie immer, seinem Machtinstinkt gefröhnt, dem waren die Bürger der DDR so wurscht wie die der BRD, Pfälzer und ein paar Schulkameraden ausgenommen!

Nochmal: es gab in der DDR extrem viele, die genau jetzt ihre (wirtschaftliche) Chance witterten, die hätten keine zehn Pferde in den Westen gebracht, nur mit einem Koffer, wo zuhause tausende Hektar, Industriebetriebe und Landwirtschaft auf ihre Restitution warteten. Kohl konnte die nur enteignen -ein zweites Mal- weil er seinen West-Freunden schnell die Filetstücke sicherte ohne Rücksicht darauf, wem sie in Wahrheit gehörten!

Diese eigentlichen DDR-Anspruchsinhaber hätten ihn genauso gerne an die Wand gestellt wie ihre Eltern Grotewohl und Ulbricht ... Um sie kleinzuhalten, mußten Kohl und Konsorten sogar Meineide schwören. Und sowas wird angehimmelt?

Ich konnte ihm ebensowenig je abgewinnen, wie ich es begrüßen kann, wen er an seiner Statt hat hochkommen lassen.

--
Literatur-/Produkthinweise. Alle Angaben ohne Gewähr! - Leserzuschriften


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung