Hate-Speech von Anno Zopp und ein Hilferuf an BBouvier

Monterone, Samstag, 03.06.2017, 14:28 (vor 2516 Tagen) @ Monterone5636 Views

Um zu ermessen, wie weit uns der Fortschritt gebracht hat, müssen wir in der Vergangenheit ansetzen und von dort aus dankbar für alle uns erwiesenen Wohltaten die zurückgelegte Wegstrecke abschätzen.

In seiner 1793 oder 94 verfaßten Ode an Charlotte Corday, die Jean-Paul Marat erstochen hat, schreibt der 1794 guillotinierte André Chénier:

Te baigner dans le sang fut tes seules délices,
(...)
Un scélérat de moins rampe dans cette fange.

Dich in Blut zu baden war dein einziges Vergnügen,
(...)
Ein Verbrecher weniger kriecht in diesem Schlamm.

D'un peuple abject, servile et fécond en outrage,
Et qui se croit encore et libre et souverain.

Von einem widerwärtigen Volk, unterwürfig und fruchtbar in der Beleidigung
Und das sich noch frei und souverän glaubt.

Ô Vertu, le poignard, seul espoir de la terre,
Est ton arme sacrée, alors que le tonnerre
Laisse régner le crime et te vend à ses lois.

O Tugend, der Dolch, einzige Hoffnung der Erde,
Ist Deine heilige Waffe, während der Donner
Das Verbrechen regieren läßt und dich an seine Gesetze verkauft.

La vérité se tait ! Dans sa bouche glacée,
Des liens de la peur sa langue embarrassée

Die Wahrheit schweigt! In ihrem eisigen Mund
Von Fesseln der Angst ihre Zunge behindert.

André Chéniers Plädoyer für Tyrannenmord hat eine weitere Dimension: Jean Paul Marat gehörte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur gleichen Gemeinschaft wie Jacques Attali und Bernard Henri Lévy.

Schillers Hate-Speech, die in unseren Zeiten bestimmt Heiko Maas und die Amadeu-Antonio-Stiftung zutiefst empören würde, sollte bekannt sein

Gessler:
Ein allzu milder Herrscher bin ich noch
Gegen dies Volk – die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz wie es soll gebändigt –
Doch es soll anders werden, ich gelob' es,
Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
Verkünden – Ich will –

Ein Pfeil durchbohrt ihn, er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken. Mit matter Stimme:

Gott sei mir gnädig!

Rudolf der Harras:
Herr Landvogt – Gott was ist das? Woher kam das?

Armgard, auffahrend:
Mord! Mord! Er taumelt, sinkt! Er ist getroffen!
Mitten ins Herz hat ihn der Pfeil getroffen!

Rudolf der Harras springt vom Pferde:
Welch grässliches Ereignis – Gott – Herr Ritter –
Ruft die Erbarmung Gottes an – Ihr seid
Ein Mann des Todes! –

Gessler:
Das ist Tells Geschoss.

Ist vom Pferde herab dem Rudolf Harras in den Arm gegleitet und wird auf der Bank niedergelassen.

Tell, erscheint oben auf der Höhe des Felsen:
Du kennst den Schützen, suche keinen andern!
Frei sind die Hütten, sicher ist die Unschuld
Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden.

***************

Hilferuf an den Meisterübersetzer BBouvier!

Es geht um diese Zeilen:

Ô Vertu, le poignard, seul espoir de la terre,
Est ton arme sacrée, alors que le tonnerre
Laisse régner le crime et te vend à ses lois.

O Tugend, der Dolch, einzige Hoffnung der Erde,
Ist Deine heilige Waffe, während der Donner
Das Verbrechen regieren läßt und dich an seine Gesetze verkauft.

Kann Chénier mit *tonnerre* den gewöhnlichen Gewitterdonner gemeint haben, was offensichtlicher Unsinn wäre?

Versuche ich das Wort im übertragenen Sinne zu verstehen, denke ich als erstes an Zeus, aber der hat eher Blitze geschleudert. Ein donnernder Gott würde zu Thor/Wotan passsen, aber das wiederum nicht zu dem in Galata (bei Istanbul) geborenen Autoren.

Warum schreibt er nicht einfach *destin* (Schicksal) und kommt stattdessen mit tonnerre an?

Ich steh' wieder mal auf dem Schlauch.

Monterone


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung