Nachdenkliches zu den Bauernprotesten

nereus @, Mittwoch, 27.11.2019, 11:34 vor 1604 Tagen 4570 Views

Bei Achgut gibt es einen lesenswerten Artikel zum Thema.

Hier ein paar Auszüge:

Die Reaktionen vieler Politiker und Medien auf die Bauerndemonstrationen zeigen ein auffälliges Bemühen, diese Proteste als etwas darzustellen, das sie nicht sind:
das isolierte Aufbegehren einer Lobbygruppe, die moralisch und ethisch eher uneinsichtig auf überkommenen Privilegien beharrt und die Zeichen der Zeit nicht so recht erkannt hat.

Doch diese Lesart ist gleich mehrfach falsch.
Zunächst haben die Bauern nichts gegen Vorgaben zum Insekten- oder Umweltschutz, sondern weisen auf häufig unsinnige oder sogar kontraproduktive Vorschriften hin, die ihnen nicht nur das Leben sondern auch den Umweltschutz schwer machen. Zum anderen haben sie keine Lust mehr, im Windschatten von Klimahysterie und Öko-Ideologe den Sündenbock abzugeben.

Und dies ist kein Phänomen, das auf die Bauern beschränkt ist.
Auf der parteiübergreifend grünen Agenda ballen sich gerade drei politische Wendevisionen zu einem Vollrausch, der für die Betroffenen sehr nüchtern enden wird: Energiewende, Verkehrswende und Agrarwende.
Alle drei sind ideologisch kontaminiert und gehen an der Praxis und den Bedürfnissen der Menschen und ihren Arbeitsplätzen mit erstaunlicher Nonchalance vorbei.

Bei der Energiewende hat man es allerdings mit nicht organisierten kleinen Leuten zu tun, die hilflos zuschauen wie die Strompreise explodieren und sich längst zu einer zweiten Miete entwickelt haben.

Bei der Verkehrswende trifft man auf ein politisch feiges Management in der Autoindustrie, das glaubt, sich grün verkleiden zu müssen, um ordentlich staatliche Subventionen abzugreifen. Widerstand gegen eine ökologisch unsinnige und ökonomisch verheerende Zwangs-Elektromobilität ist derzeit nicht zu erwarten.

Der Bauernstand ist da von anderem Kaliber: traditionell gut organisiert und sich seiner politischen Macht bewusst – und von einem geradezu französisch anmutenden Widerspruchsgeist gegenüber der Obrigkeit.

Quelle: https://www.achgut.com/artikel/mit_seiner_wut_ist_der_bauer_nicht_allein

Nun werden die Probleme benannt:

Die Herausforderungen für die Landwirte lassen sich relativ einfach benennen:
Auf der vorhandenen Fläche müssen immer mehr Nahrungsmittel erzeugt werden, dies ist mit dem heutigen Biolandbau nicht zu realisieren.

Die wachsende Weltbevölkerung lässt sich nur mit einer effizienten Landwirtschaft im industriellen Maßstab ernähren.

Technologie und Wissenschaft werden zur Grundlage für eine ökologische und ethisch runderneuerte Produktionsweise.

In den Industrieländern wird der traditionelle Kleinbetrieb mehr und mehr durch arbeitsteilige Großbetriebe ersetzt.

Standen 1950 auf der Welt noch 5.000 Quadratmeter pro Kopf für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung, so wird es Schätzungen zufolge 2050 für jeden Menschen nur noch eine Fläche von 1.750 Quadratmeter sein. Und das bei steigenden Ansprüchen und verstärkter Nachfrage nach eiweißhaltigen Lebensmitteln. Und oben drauf kommt noch der Anbau von Energiepflanzen als Erdölersatz.

Auch wenn man „Klappern gehört zum Handwerk“ berücksichtigt und die Dauer-Subventionen kritisch sieht, ein paar Wahrheiten werden hier schon angesprochen.

Und nun zu denen, die Grün denken und grün daher palavern – die, genau genommen, nicht einmal wissen, worüber sie reden.
Auszug aus einer Rede von 2010 – nach wie vor aktuell.

Ein Landwirt hat es heute nicht leicht. Insbesondere deshalb, weil beim anspruchsvollen Endverbraucher die Einsicht in einfache Zusammenhänge oft völlig verloren gegangen ist.
Dafür möchte ich ein Beispiel anführen: Eine wachsende Zahl von Menschen lehnt den Verzehr von Tieren ab und möchte sich vegetarisch ernähren. Da ist nichts dagegen zu sagen. Die gleichen Menschen fordern aber oft, dass Lebensmittel nur noch im Biolandbau angebaut werden sollen. Nun brauchen sie im Biolandbau tierischen Dünger weil mineralischer Dünger nicht erlaubt ist. Sie brauchen sogar reichlich tierischen Dünger.
Keine Nutztierhaltung mehr, heißt keinen tierischen Dünger mehr und damit keinen Biolandbau mehr.
..
Ohne Kunstdünger würden die Landwirte der Welt wegen der geringeren Erträge nur etwa die Hälfte der Menschheit ernähren können. Und das ist ja nun moralisch und ethisch wirklich nicht erstrebenswert.
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Wir neigen dazu, von unserer kleinen Insel der Glückseeligen die Welt zu betrachten. Und das nicht nur in Deutschland. Es sind die urbanen Eliten überall in den wohlhabenden Ländern, die den Diskurs über Lebensmittel beherrschen. Das sind meistens kluge Menschen, sie haben aber in der Regel ein völlig romantisiertes Bild vom Leben auf dem Lande. Sie wissen nicht, dass das Leben auf Opas Bauernhof alles andere als angenehm war.

Ich bin in der Eifel aufgewachsen und habe mit Söhnen und Töchtern von Bauern die Schulbank gedrückt. Keiner von denen wollte den elterlichen Betrieb übernehmen, weil sie wussten, was das für ein harter Job ist.
Sie sind lieber Polizist oder Lehrer geworden.
Landromantik ist ein Gefühl von Städtern, die selbst niemals bereit wären, 35-Stunden Woche, Urlaub und Freizeitgestaltung gegen die harte Arbeit im Stall und auf dem Feld zu tauschen. Ich möchte hier und heute anlässlich von Erntedank deshalb mal denen danken, denen sonst nicht oder selten gedankt wird.
..
Die Natur ist keine freundliche, friedfertige Mutter. Sie hat Klauen und Zähne. Durch Ratten übertragene Krankheiten haben mehr Menschen dahin gerafft als Kriege und Revolutionen. Mutterkorn im Getreide hat ganze Landstriche entvölkert. Die biblischen Plagen sind ja nicht erledigt. Schädlinge vernichten heute noch große Teile der Ernte in vielen Regionen. Würden die Bauern wirklich auf Pestizide verzichten, müssten wegen der geringeren Erträge viele Millionen Menschen verhungern. Natürlich müssen wir mit solchen Mitteln verantwortungsbewusst umgehen. Aber eines ist klar: Die Risiken ihrer Anwendung sind sehr, sehr viel geringer als das Risiko ihrer Nicht-Anwendung. Diese beiden Dinge müssen immer gegeneinander abgewogen werden, wenn man zu einer rationalen Entscheidung kommen will.

mfG
nereus

Mischung aus Philister und Pharisäer

Otto Lidenbrock @, Nordseeküste, Mittwoch, 27.11.2019, 17:06 vor 1604 Tagen @ nereus 2531 Views

Der Intellektuelle vom Prenzlauer Berg kauft nach Möglichkeit bio, weil er es sich leisten kann, seine Pharisäer-Moral zu streicheln. Da darf es auch gerne vollbiologisches handgeschöpftes Mineralwasser aus glasklarer Bergquelle zu 5 Euro pro Liter sein bzw. drei schrumpelige Äpfelchen und ein paar winzige vertrocknete Bio-Möhren für zusammen 10 Euro. Wer schon mal miterlebt hat, wieviel der Großeinkauf des grauhaarigen bezopften Öko-Fundis mit Nickelbrille gekostet hat, weiß wovon ich rede. Da sind ein paar hundert Euro die Regel.

Natürlich hat der Fundi von Ackerbau und Viehzucht nicht die leiseste Ahnung, sondern geht davon aus, dass die Natur schon alles in Hülle und Fülle sowie in bester Qualität hervorbringt, wenn man sie nur vor Dünger und Chemie schützt. Bestenfalls, dass die Erträge dadurch wohl niedriger liegen und das Angebot den Preis bestimmt, kann er sich gerade noch vorstellen.

Draußen steigt er dann meistens in einen großen alten Volvo-Kombi (Typ Lehrer) oder aber doch in den Porsche-SUV (man gönnt sich ja sonst nix und hat durch den Öko-Einkauf sowieso schon alles mehr als ausgeglichen).

Es ist diese perfide und saudämliche Mischung aus Philister und Pharisäer, die unsere heutige moralinsaure Öko- und Menschenliebe-Gesellschaft so unheimlich gefährlich macht, weil sie einerseits den politischen Diskurs bestimmt und Geld hat, andererseits von vielen Dingen des täglichen Lebens so gut wie nichts weiß und erst recht nichts versteht. Mit dem moralischen Schwert wird dabei jeder niedergemacht, der es wagt, ihre romantischen Ideale anzuzweifeln.

--
"Eine Gesellschaft befindet sich im vorübergehenden oder finalen Verfall, wenn der gewöhnliche, gesunde Menschenverstand ungewöhnlich wird."

William Keith Chesterton

Propaganda für Monsanto?

Otto Lidenbrock @, Nordseeküste, Donnerstag, 28.11.2019, 09:43 vor 1604 Tagen @ nereus 1306 Views

Lieber nereus,

mich erreichte eben eine Leserzuschrift, die Deinen Beitrag als Propaganda für Monsanto empfand.

Ich persönlich sehe das nicht so. Wenn sich heute die Landwirte über ihre Produktionsbedingungen in Deutschland beschweren und gegen weitere Auflagen und Verschärfungen protestieren, bedeutet das in meinen Augen nicht, dass es für sie per se nur um mehr Profit durch den Einsatz von billigen Chemikalien, Kunstdüngern und lascheren Bestimmungen für die Nutztierhaltung geht. Wenn eine Regierung die Auflagen für die landwirtschaftliche Produktion von Nahrungsmitteln verstärkt, bedeutet dies für die Produzenten logischerweise eine Erhöhung der Kosten und damit eine Verteuerung ihrer Produkte. Diese Produkte müssen auf dem Markt verkauft werden. Wenn dieser Markt aber nicht ausschließlich einheimische Produzenten zulässt, entsteht naturgemäß eine Konkurrenzsituation. Produziert der ausländische Konkurrent unter weniger strengen Auflagen, kann er günstigere Preise anbieten - eine Binsenweisheit.

Wenn wir in Deutschland tatsächlich eine Verringerung des Einsatzes von Chemikalien und Kunstdüngern wollen, wenn wir bessere Haltungsbedingungen für Nutztiere als selbstverständlich ansehen, dann hat die Regierung dafür zu sorgen, dass hier ausschließlich Produkte verkauft werden dürfen, die entsprechende Anforderungen und Standards erfüllen. Angesichts der Mitgliedschaft in der EU und eines globalen Marktes für Agrargüter ist eine derartige Protektion der heimischen Märkte absolut ausgeschlossen.

Ich kann zwar verstehen, dass sich die Konsumenten bessere und nachhaltiger erzeugte Lebensmittel wünschen, gleichzeitig wären die meisten von ihnen aber ganz sicher nicht bereit und viele auch gar nicht in der Lage, dafür deutlich höhere Preise zu bezahlen. Die aber würden für heimische Produkte automatisch entstehen, wenn die staatliche Reglementierung schärfer würde. Ich bin der festen Überzeugung, dass so gut wie alle Landwirte auch lieber naturnäher produzieren würden, wenn sich ihnen dazu die Gelegenheit bieten würde. Leider müssen sie mit ihren Produkten auf einem internationalen Markt konkurrieren, da sie von staatlicher Seite wenig HIlfe erhalten (die EU-Subventionen der Landwirtschaft sind zwar eine massive staatliche Hilfe, ohne diese Subventionen könnten viele Landwirte aber schon heute einpacken).

Im Grunde sprechen wir hier über das Dilemma der Globalisierung, über das nicht eingelöste Versprechen von Ricardo aus dem Lehrbuch für Volkswirtschaftslehre: Freihandel führt eben auch auf lange Sicht nicht zu den besten Produkten zu günstigsten Preisen, weil jeder das macht, was er am besten kann.

Wenn man den Protest der Landwirte nachvollziehen kann bedeutet das nicht unbedingt, dass man den Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft unterstützt. Ich hoffe, der Autor der Leserzuschrift kann diese Argumentation ein wenig nachvollziehen!

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"Eine Gesellschaft befindet sich im vorübergehenden oder finalen Verfall, wenn der gewöhnliche, gesunde Menschenverstand ungewöhnlich wird."

William Keith Chesterton

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