OT | No. 1 Deutsche Gedichte | Andreas Grypius: Es ist alles eitel

Oblomow, Dienstag, 17.09.2019, 23:06 vor 1655 Tagen 7305 Views

bearbeitet von Oblomow, Dienstag, 17.09.2019, 23:15

Ich werde jetzt jeden Tag ein deutsches Gedicht oder einen kleinen deutschen Text hier reinstellen. Mir egal, ob das jemand gut findet. Das folgt keinen System, sondern nur spontanen Eingebungen. Es geht mir einzig darum, in Zeiten der Verblödung daran zu erinnern, wie schön die deutsche Sprache ist.

Herzlich
Oblomow


Andreas Gryphius: Es ist alles eitel

Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten/

Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!

Alchimie des Schmerzes

tar ⌂ @, Gehinnom, Mittwoch, 18.09.2019, 02:34 vor 1654 Tagen @ Oblomow 5774 Views

Der Eine füllt die Welt mit Glühn,
Dem Andern ist sie Schmerz und Grauen,
Er kann nur die Verwesung schauen,
Wo Jener Leben sieht und Blühn.

Du unbekannter Gott voll Listen,
Der meine Kräfte hemmt und spannt,
Du machst dem Midas mich verwandt,
Dem traurigsten der Alchimisten.

Du wandelst mir das Gold in Blei,
Das Paradies in Wüstenei;
Du lässt in lichten Wolkendecken

Geliebte Leichen mich entdecken
Und auf den himmlisch heitren Auen
Prunkvolle Sarkophage bauen.

Charles Baudelaire

--
Gruß!™

Time is the school in which we learn,
Time is the fire in which we burn.


BTC: 12aiXGLhHJVETnmGTLbKtAzJNwqh6h6HN4

Mit Ehrfrucht gelesen .....

NST @, Südthailand, Mittwoch, 18.09.2019, 03:08 vor 1654 Tagen @ Oblomow 5698 Views

Andreas Gryphius: Es ist alles eitel

Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten/

Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!

...... von der Rechtschreibkorrektur - was mach ich bloss falsch. [[hae]]
Gruss

--
[image]
Jeder arbeitet im Ausmass seines Verstehens für sich selbst und im Ausmass seines Nicht-Verstehens für jene, die mehr verstehen!

Das ist nicht OT sondern eine richtig gute Idee :-)

Silke, Mittwoch, 18.09.2019, 09:03 vor 1654 Tagen @ Oblomow 5291 Views

bearbeitet von Silke, Mittwoch, 18.09.2019, 09:27

Lieber Oblomow,

Ich werde jetzt jeden Tag ein deutsches Gedicht oder einen kleinen
deutschen Text hier reinstellen.

Perfekt.
Etwas tun, anstatt über die beschissene Welt zu jammern (auch wenn man dazu wahrlich Grund genug sehen mag).

Mir egal, ob das jemand gut findet.

Das sollte es auch.
Du sollst hier nicht gefallen sondern hast eine wichtige Aufgabe, wie jeder andere auch.
Du hast etwas, was andere nicht haben aber brauchen.
Du hast etwas, das verteidigt werden muss, also verteidige es auch!
Und du bist verantwortlich dafür, das mit anderen zu teilen, was du hast und was du geben kannst, um diese Welt immer wieder ein bisschen weniger zur Hölle zu machen, das Leiden des Existierenden zu vermindern, das Böse zu beschränken, so gut es eben geht - das ist deine Schuld.

Dazu gehört sehr wohl in Deutschland das Einflechten deutscher Wertvorstellungen, wie sie auch in unserer literarischen Schaffenskraft zu bewundern sind und nicht nur in dem, was die Deutschen sonst täglich so in dieser Welt leisten, um sie nicht noch schlechter werden zu lassen, als sie sowieso schon ist, als sie immer schon war - eine einzige Katastrophe.

Das
folgt keinen System, sondern nur spontanen Eingebungen.

Hinter "spontanen Eingebungen" stehen tiefe kulturelle Systeme und Konzepte bei jemandem wie dir.
Bewusstes agieren steht nach Frau Birkenbihl (die hat auch gemacht, anstatt zu labern und zu jammern) den unbewussten Prozessen gegenüber, wie eine Strecke von etwa 10cm zu 10km.
Da hat alles "spontane" bei aller Impulsivität immer einen tiefen ,tiefen Grund (besonders in der Nähe vom Völkerschlachtdenkmal).

Es geht mir einzig
darum, in Zeiten der Verblödung daran zu erinnern, wie schön die deutsche
Sprache ist.

Das ist nicht deine alleinige Aufgabe. Das Wort "einzig" ist nicht geeignet für das, was getan werden muss.
Und ich würde es eher Verwirrung nennen.
Die ist noch entwirrbar im Gegensatz zum endgültigen Abstieg in demenziellen Prozessen.

Genau das machen viele Leute in einem Debitismusforum, haben es immer gemacht und machen es immer weiter, so lange sie es können, so wie @Elli (eins der grössten historisch verfolgbaren Beispiele bis zu seinem Untergang, dass eben nicht alles eitel ist).
Und dazu kann jeder, der hier eine Klage vorbringen muss, damit anfangen, in seinem Einflussbereich zu verändern, was er beklagt und was er verändern kann - Verantwortung übernehmen.

Über Literatur können auch Menschen miteinander reden, die in anderen Dingen nicht mehr/ noch nicht zusammen kommen können.

Das ist eine riesige Verantwortung, dafür geeignete Werke heraus zu suchen.
Aber genau das haben Leute vor dir auch schon gemacht - aufgehört mit Eitelkeit und angefangen, die Welt besser zu machen.
Der eine hat eine Real-Enzyklopädie verfasst, der andere Texte zu wichtigen ökonomischen Zitaten, der Dritte hat sein Forum verteidigt um dem allen eine Plattform zu geben die nicht nur von Geldgier getrieben ist.
Viele haben gemeinsame Wertvorstellungen und wesentliche Erklärungsmodelle für die Welt erarbeitet und diese immer weiter verteidigt und enfaltet gegen jeden Schlammwerfer, Troll und Saboteur.
Ohne dieses Engagement wären wir immer noch Tauschtheoretiker und ohne Machttheorie dem marxistischen Klassenquatsch und seinen Gegenspielern verhaftet - falsch wie nur irgendwas.
Das sind wir nicht mehr und wir sind auch nicht mehr zu beseitigen.

Es ist eben nicht alles eitel, sonst könnte man hier nur seichtes Geplapper finden.
So lange Menschen in dieser Welt existieren wird es immer auch viele geben, die versuchen, diese besser zu machen, so gut sie es eben können.
Und jeder kann damit auch für sich immer wieder neu anfangen, so lange er nicht aufgibt, wohl wissend, dass er immer am Ende doch scheitern wird.
Das ist ja der Witz im Debitismus:
Vom Start weg hoch verschuldet trotzdem darum zu kämpfen, nicht dabei endgültig unter zu gehen, obwohl man bilanziell immer unter Wasser ist, sobald man existiert - seine immer weitere Finanzierung erstreiten und damit die Simulation eines Vermögens, eines Guthabens zu erzeugen in einem Ozean der Schulden, das ganz real durch Raum und Zeit trägt.
Das ist ein Wunder.

Liebe Grüße
Silke

Lob

Falkenauge @, Mittwoch, 18.09.2019, 10:03 vor 1654 Tagen @ Oblomow 5136 Views

Ich werde jetzt jeden Tag ein deutsches Gedicht oder einen kleinen
deutschen Text hier reinstellen. Mir egal, ob das jemand gut findet. Das
folgt keinen System, sondern nur spontanen Eingebungen. Es geht mir einzig
darum, in Zeiten der Verblödung daran zu erinnern, wie schön die deutsche
Sprache ist.

Herzlich
Oblomow

Ein großes Lob auch von mir.
Das ist etwas, was übrigens "Epoch Times" auch täglich bringt: ein deutsches Gedicht und/oder ein Stück europäische Musik.

Herzlich
Falkenauge

Danke dafür (oT)

hanno @, Mittwoch, 18.09.2019, 10:19 vor 1654 Tagen @ Oblomow 4919 Views

- kein Text -

Wunderschöne Idee, da möchte ich auch was beitragen:

Naclador @, Göttingen, Mittwoch, 18.09.2019, 16:29 vor 1654 Tagen @ Oblomow 4929 Views

Weil's zum Thema Vergänglichkeit passt:

Schnitterlied (17. Jhd., Autor unbekannt, Textversion aus "Des Knaben Wunderhorn")

Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott,
Heut wetzt er das Messer,
Es schneidt schon viel besser
Bald wird er drein schneiden,
Wir müssens nur leiden.
Hüte dich schöns Blümelein!

Was heut noch grün und frisch da steht,
wird morgen schon hinweggemäht:
Die edlen Narzissen,
Die Zierden der Wiesen,
Die schön' Hyazinthen,
Die türkischen Binden.
Hüte dich schöns Blümelein!

Viel hundert tausend ungezählt,
Was nur unter die Sichel fällt:
Ihr Rosen, ihr Liljen,
Euch wird er austilgen
Auch die Kaiser-Kronen,
Wird er nicht verschonen.
Hüte dich schöns Blümelein!

Das himmelfarbe Ehrenpreis,
Die Tulipanen gelb und weiß,
Die silbernen Glocken,
Die goldenen Flocken,
Senkt alles zur Erden,
Was wird daraus werden?
Hüte dich schöns Blümelein!

Ihr hübsch Lavendel, Rosmarein,
Ihr vielfärbige Röselein,
Ihr stolze Schwertliljen,
Ihr krause Basiljen,
Ihr zarte Violen,
Man wird euch bald holen.
Hüte dich schöns Blümelein!

Trotz! Tod, komm her, ich fürcht dich nicht,
Trotz, eil daher in einem Schnitt.
Werd ich nur verletzet,
So werd ich versetzet
In den himmlischen Garten,
Auf den alle wir warten.
Freu dich du schöns Blümelein.


(mit etwas variiertem Text wunderschön intoniert von ASP-Sänger Alexander Frank Spreng: https://www.youtube.com/watch?v=kapS4U9hWoM)

--
"Nur die Lüge benötigt die Stütze der Staatsgewalt. Die Wahrheit steht von alleine aufrecht."
Thomas Jefferson

No. 2 Deutsche Gedichte | Gottfried Benn: Reisen

Oblomow, Mittwoch, 18.09.2019, 16:56 vor 1654 Tagen @ Oblomow 4969 Views

Danke für die Beiträge. Dass ich mit No. 2 weitermache, soll nicht meinen (natürlich übermäßig vorhandenen) Narzissmus spiegeln, sondern nur dem Umstand dienen, dass ich selbst nicht durcheinander komme.

Herzlich
Oblomow
____________________________________________________

Gottfried Benn: Reisen

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?

Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan –
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt Sie die Leere an –

ach, vergeblich das Fahren!
Spät erst erfahren Sie sich:
bleiben und stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.

Deutsche Gedichte No. 3 | Walter von der Vogelweide: Wer sleht den lewen

Oblomow, Donnerstag, 19.09.2019, 00:38 vor 1654 Tagen @ Oblomow 4832 Views

Dieses Gedicht musste ich als 13jähriger auswendig lernen. Ich kann es noch heute im Mittelhochdeutschen hersagen. Überhaupt sollte man die Kinder Gedichte auswendig lernen lassen. Die alte Frau Brühl, meine Deutschlehrerin, werde ich nie vergessen. RIP.

Herzlich
Oblomow
__________________________________________________________________-

Walther von der Vogelweide, Wer sleht den lewen?

Wer sleht den lewen? wer sleht den risen?
wer überwindet jenen unt disen?
daz tuot einer der sich selber twinget
und alliu sîniu lit in huote bringet
ûz der wilde in stæter zühte habe.
geligeniu zuht und schame vor gesten
mugen wol eine wîle erglesten:
der schîn nimt drâte ûf unt abe.

Wer erschlägt den Löwen? Wer erschlägt den Riesen?
Wer überwindet jenen und diesen?
Das kann nur einer, der sich selbst bezwingt
und alle seine Glieder unter Kontrolle bringt,
der bannt in fester Zucht die ungefügen.
Vor Fremden mit schönen Posen und Manieren
kann man wohl für eine Weile brillieren:
Der hohle Glanz wird schnell verfliegen.

Ergänzung

Falkenauge @, Donnerstag, 19.09.2019, 13:47 vor 1653 Tagen @ Oblomow 4589 Views

Dieses Gedicht musste ich als 13jähriger auswendig lernen. Ich kann es
noch heute im Mittelhochdeutschen hersagen. Überhaupt sollte man die
Kinder Gedichte auswendig lernen lassen. Die alte Frau Brühl, meine
Deutschlehrerin, werde ich nie vergessen. RIP.

Im großen Stile lassen heute nur noch (horribile dictu) die Waldorfschulen Gedichte auswendig lernen, von der 1. bis zur 12. Klasse, und zwar zuerst im Chror die ganze Klasse, damit sie in ein schönes Gestalten der Sprache hineinkommen, dann können sie es auch einzeln aufsagen.
__________________________________________________________________-


Walther von der Vogelweide, Wer sleht den lewen?

Wer sleht den lewen? wer sleht den risen?
wer überwindet jenen unt disen?
daz tuot einer der sich selber twinget
und alliu sîniu lit in huote bringet
ûz der wilde in stæter zühte habe.
geligeniu zuht und schame vor gesten
mugen wol eine wîle erglesten:
der schîn nimt drâte ûf unt abe.

Wer erschlägt den Löwen? Wer erschlägt den Riesen?
Wer überwindet jenen und diesen?
Das kann nur einer, der sich selbst bezwingt
und alle seine Glieder unter Kontrolle bringt,
der bannt in fester Zucht die ungefügen.
Vor Fremden mit schönen Posen und Manieren
kann man wohl für eine Weile brillieren:
Der hohle Glanz wird schnell verfliegen.

Ergänzend dazu Goethe (aus "Die Geheimnisse"):

Wenn einen Menschen die Natur erhoben,
Ist es kein Wunder, wenn ihm viel gelingt;
Man muss in ihm die Macht des Schöpfers loben,
Der schwachen Ton zu solcher Ehre bringt.
Doch wenn ein Mann von allen Lebensproben
Die sauerste besteht, sich selbst bezwingt,
Dann kann man ihn mit Freuden andern zeigen
Und sagen: Das ist er, das ist sein eigen!

Denn alle Kraft dringt vorwärts in die Weite,
Zu leben und zu wirken hier und dort;
Dagegen engt und hemmt von jeder Seite
Der Strom der Welt und reißt uns mit sich fort.
In diesem innern Sturm und äußern Streite
Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.

Deutsche Gedichte No. 4 | Friedrich Nietzsche: Das trunkene Lied

Oblomow, Freitag, 20.09.2019, 11:15 vor 1652 Tagen @ Oblomow 4543 Views

Natürlich darf der Mann aus Röcken nicht fehlen. Und auf Deine Anregung, lieber Falkenauge, habe ich mich entschieden es voll anthroposophisch angehen zu lassen und selbst wieder Gedichte auswendig zu lernen. Das hier kann ich aber schon.

Ein wunderbares Spästsommerwochenende wünscht allen Gelben

Herzlich
Oblomow


_______________________________________________

Friedrich Nietzsche: Das trunkene Lied

O Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Ergänzung

Falkenauge @, Freitag, 20.09.2019, 16:00 vor 1652 Tagen @ Oblomow 4493 Views

Natürlich darf der Mann aus Röcken nicht fehlen. Und auf Deine Anregung,
lieber Falkenauge, habe ich mich entschieden es voll anthroposophisch
angehen zu lassen und selbst wieder Gedichte auswendig zu lernen. Das hier
kann ich aber schon.

Ein wunderbares Spästsommerwochenende wünscht allen Gelben

Herzlich
Oblomow


Das Gedicht ist auch selbst, lieber Oblomow, tief anthroposophisch (Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht - Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit). Nietzsche war ein sehnsüchtiger Geistsucher, ein letztlich verzweifelter, gescheiterter.

Herzlichen Gruß
Falkenauge
_______________________________________________


Friedrich Nietzsche: Das trunkene Lied

O Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Auch dieses Gedicht verlangt nach einer kleinen Ergänzung:

Ecce homo

Ja! Ich weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr` ich mich.
Licht wird alles, was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich.

Friedrich Nietzsche

Deutsche Gedichte No. 5 | Georg Trakl: Rondell

Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 07:06 vor 1651 Tagen @ Oblomow 4470 Views

bearbeitet von Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 07:34

Ein ganz wunderlicher Mann. Er ist 1914 mit 27 Jahren in Krakau an einer Überdosis Kokain gestorben, kurz nach der Schlacht bei Grodek, an der er als Sanitätsleutnant teilgenommen hat.

"Dabei hatte er fast einhundert Schwerverwundete unter schlechten Bedingungen allein und ohne zureichendes Material zu versorgen. Zwei Tage und zwei Nächte arbeitete er in einem Lazarett, das später in der Presse als eine der „Todesgruben von Galizien“ bezeichnet wurde. Trakl hatte keine Möglichkeit, den Sterbenden zu Hilfe zu kommen, was ihn in Verzweiflung stürzte. Nach dem Zeugnis seiner Vorgesetzten waren eine halbe Stunde vor der Schlacht 13 Ruthenen auf Bäumen vor dem Zelt gehängt worden. Trakl erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch. Im gleichnamigen Gedicht Grodek verarbeitete er wenige Tage vor seinem Tod seine Kriegserfahrung.(...)
Trakl wurde vom Versuch, sich zu erschießen, durch Kameraden abgehalten und nach einem Fluchtversuch zur Beobachtung seines Geisteszustandes in ein Krakauer Militärhospital eingewiesen. Am Abend des 3. November 1914 starb er dort nach Einnahme einer Überdosis Kokain an Herzstillstand. Ob es sich dabei um einen Unfall oder um Suizid handelte, ist ungeklärt."

Quelle: Wikipedia (Pardon)


Herzlich
Oblomow

___________________________________________________________________

Georg Trakl: Rondel

Verflossen ist das Gold der Tage,

Des Abends braun und blaue Farben:

Des Hirten sanfte Flöten starben

Des Abends blau und braune Farben

Verflossen ist das Gold der Tage.

Passend dazu

Mephistopheles, Samstag, 21.09.2019, 07:48 vor 1651 Tagen @ Oblomow 4538 Views

[[zwinker]] > Ein ganz wunderlicher Mann. Er ist 1914 mit 27 Jahren in Krakau an einer

Überdosis Kokain gestorben, kurz nach der Schlacht bei Grodek, an der er
als Sanitätsleutnant teilgenommen hat.

"Dabei hatte er fast einhundert Schwerverwundete unter schlechten
Bedingungen allein und ohne zureichendes Material zu versorgen. Zwei Tage
und zwei Nächte arbeitete er in einem Lazarett, das später in der Presse
als eine der „Todesgruben von Galizien“ bezeichnet wurde. Trakl hatte
keine Möglichkeit, den Sterbenden zu Hilfe zu kommen, was ihn in
Verzweiflung stürzte. Nach dem Zeugnis seiner Vorgesetzten waren eine
halbe Stunde vor der Schlacht 13 Ruthenen auf Bäumen vor dem Zelt gehängt
worden. Trakl erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch. Im gleichnamigen
Gedicht Grodek verarbeitete er wenige Tage vor seinem Tod seine
Kriegserfahrung.(...)
Trakl wurde vom Versuch, sich zu erschießen, durch Kameraden abgehalten
und nach einem Fluchtversuch zur Beobachtung seines Geisteszustandes in ein
Krakauer Militärhospital eingewiesen. Am Abend des 3. November 1914 starb
er dort nach Einnahme einer Überdosis Kokain an Herzstillstand. Ob es sich
dabei um einen Unfall oder um Suizid handelte, ist ungeklärt."

[image]
Selbstmord ist für Fagotts

Gruß Mephistopheles

Harakiri, Herrndorf, Hitler und Gunter Sachs

Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 07:57 vor 1651 Tagen @ Mephistopheles 4577 Views

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung.[[top]]

Was Du so alles liest.

Herzlich
Oblomow

Jetzt weiß ich endlich, woher Du Deine besten Ideen hast

Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 08:59 vor 1651 Tagen @ Mephistopheles 4474 Views

[[freude]]

Herzlich
Oblomow

Hoffentlich hältst du dich auch daran

Mephistopheles, Samstag, 21.09.2019, 10:37 vor 1651 Tagen @ Oblomow 4467 Views

bearbeitet von Mephistopheles, Samstag, 21.09.2019, 10:55

[[freude]]

Ich kenne das als aufmerksamer Leser dieses Forums. Wurde hier mal empfohlen als alternativer Blog, die auch tatsächlich brauchbare Ideen haben.

Es sind natürlich alle ganz furchtbare Rednecks, vor denen sich @tempranillo sicher grausen würde. Dabei würde er es aber versäumen, den guten Kern in ihnen wahrzunehmen. Noch vor 2, 3 Generationen wären das klassische Burschenschaftler gewesen. Von dem proletarischen Getue darf man sich nicht abschrecken lassen, das ist nur aufgesetzt. Kein echter Prolet käme auf die Idee, so ein Titelbild zu wählen wie der Autor des verlinkten Beitrags. Allerdings führt die rein intellektuelle Herangehensweise auch nicht weiter, wie Thomas Mann anhand der Auseinandersetzung von Settembrini und Naphta darlegt. Sie führt zu einer Oblomowerei und, wenn es ernst wird, entweder zur Hilflosigkeit (Settembrini) oder zum Anarchismus (Naphta), der sich aber nur gegen einen selbst richtet.

Tatsächlich ist es so, dass Post collapse die einzige Site ist, wo man brauchbare Hinweise zur Selbstverteidigung im Falle eines Colllapses des Finanzsystems erhält ==> http://post-collapse.blogspot.com/2019/09/flammenwerfer.html#more Es ist allerdings von Nutzen, wenn man zusätzlich zu dem intellektuellen Gehabe auch über handwerkliche Fähigkeiten verfügt.

Gruß Mephistopheles

Da muss ich Dich gleich mal wieder enttäuschen

Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 12:00 vor 1651 Tagen @ Mephistopheles 4402 Views

"Noch vor 2, 3 Generationen wären das klassische Burschenschaftler gewesen."

Burschenschaftler, also organisierte Geselligkeit in lächerlicher Gewandung ist für mich auch nur ne andere Form von Trottelei. Da gilt für mich die alte Groucholeier: "Ich mag keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt."

Herzlich
Oblomow

Jetzt weiß ich endlich, woher ich in Zukunft meine besten Ideen nehme.

Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 10:09 vor 1651 Tagen @ Mephistopheles 4358 Views

bearbeitet von Oblomow, Samstag, 21.09.2019, 10:28

[[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]][[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]] [[rofl]]
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Herzlich
Oblomow

Deutsche Gedichte No. 6 | Rainer Maria Rilke: Herbsttag

Oblomow, Sonntag, 22.09.2019, 11:29 vor 1650 Tagen @ Oblomow 4318 Views

bearbeitet von Oblomow, Sonntag, 22.09.2019, 11:46

Jetzt kommen eben ein paar vor langer Zeit mal auswendig gelernte Gedichte. Bei diesem Rilkegedicht streift es irgendwie den Kitsch, dennoch...

Herzlich und einen Herbsttag, der sich gewaschen hat
Oblomow

___________________________________________________________________

Rainer Maria Rilke Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.


Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris

Was nützt mir der schönste Rilke, völlig praxisfremd

Waldläufer @, Sonntag, 22.09.2019, 13:04 vor 1650 Tagen @ Oblomow 4277 Views

bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 22.09.2019, 13:18

Voller Apfel, Birne und Banane

Voller Apfel, Birne und Banane,
Stachelbeere... Alles dieses spricht
Tod und Leben in den Mund... Ich ahne...
Lest es einem Kind vom Angesicht,
wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
Wird euch langsam namenlos im Munde?
Wo sonst Worte waren, fliessen Funde,
aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.
Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
Diese Süsse, die sich erst verdichtet,
um, im Schmecken leise aufgerichtet,
klar zu werden, wach und transparent,
doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig –:
O Erfahrung, Fühlung, Freude –, riesig!
(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, deutsch-österr. Dichter)
Voller Apfel, Birne und Banane,
Stachelbeere... Alles dieses spricht
Tod und Leben in den Mund... Ich ahne...
Lest es einem Kind vom Angesicht,
wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
Wird euch langsam namenlos im Munde?
Wo sonst Worte waren, fliessen Funde,
aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.
Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
Diese Süsse, die sich erst verdichtet,
um, im Schmecken leise aufgerichtet,
klar zu werden, wach und transparent,
doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig –:
O Erfahrung, Fühlung, Freude –, riesig!

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, deutsch-österr. Dichter)

wenn mir alles, wirklich alles Obst (halbreif) und meine Haselnüsse (auch halbreif) von den Vögeln geklaut wurden? Nicht mal die Äpfel lassen sie mir, die hängen, sauer noch, nur noch als Hüllen. Manchmal denke ich, aller Welt Vögel sind zu mir gezogen.

Mein Lieblingsrilke ist der (stand früher mal auf dem Deckblatt meines Deutschhefters, wenn auch vielleicht abgedroschen)

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

(Freiheit sollte immer das aller höchste Gut sein, immer, auch beim Menschen.)

einen schönen Sonntag

--
Ich mag das Wort schützen nicht. Es erinnert mich so an Schützengraben und an Schutzgeld.
(sinngemäß, geklaut von M. Burchardt)

Nur wenige wissen, wie viel man wissen muss, um zu wissen, wie wenig man weiß.
-Werner Heisenberg

Es besteht keinerlei Verpflichtung, sich mit Rilke zu befassen, wem die Befähigung dazu abgeht

Mephistopheles, Dienstag, 01.10.2019, 20:23 vor 1641 Tagen @ Waldläufer 3509 Views

Voller Apfel, Birne und Banane

Voller Apfel, Birne und Banane,
Stachelbeere... Alles dieses spricht
Tod und Leben in den Mund... Ich ahne...
Lest es einem Kind vom Angesicht,
wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
Wird euch langsam namenlos im Munde?
Wo sonst Worte waren, fliessen Funde,
aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.
Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
Diese Süsse, die sich erst verdichtet,
um, im Schmecken leise aufgerichtet,
klar zu werden, wach und transparent,
doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig –:
O Erfahrung, Fühlung, Freude –, riesig!
(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, deutsch-österr. Dichter)
Voller Apfel, Birne und Banane,
Stachelbeere... Alles dieses spricht
Tod und Leben in den Mund... Ich ahne...
Lest es einem Kind vom Angesicht,
wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
Wird euch langsam namenlos im Munde?
Wo sonst Worte waren, fliessen Funde,
aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.
Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
Diese Süsse, die sich erst verdichtet,
um, im Schmecken leise aufgerichtet,
klar zu werden, wach und transparent,
doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig –:
O Erfahrung, Fühlung, Freude –, riesig!

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, deutsch-österr. Dichter)

wenn mir alles, wirklich alles Obst (halbreif) und meine Haselnüsse (auch
halbreif) von den Vögeln geklaut wurden? Nicht mal die Äpfel lassen sie
mir, die hängen, sauer noch, nur noch als Hüllen. Manchmal denke ich,
aller Welt Vögel sind zu mir gezogen.

Mein Lieblingsrilke ist der (stand früher mal auf dem Deckblatt meines
Deutschhefters, wenn auch vielleicht abgedroschen)

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

(Freiheit sollte immer das aller höchste Gut sein, immer, auch beim
Menschen.)

Freiheit kann man sich entweder erkämpfen oder man wird sie niemals kennenlernen.

Mich hat man in der Schule mit Gedichtinterpretationen von Rilke vor Rilke abgeschreckt. Deswegen habe ich mich bis jetzt niemals intensiver mit ihm beschäftigt.
Habe ich was versäumt. betrachte mich als Opfer der Gymnasialbildung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Maria_Rilke

Muss ein irre interessanter Typ gewesen sein. Bedauere, ihn niemals persönlich kennengelernt zu haben.

Gruß Mephistopheles

Deutsche Gedichte No. 7 - Johann Christian Guenther: Studentenlied

Oblomow, Montag, 23.09.2019, 07:55 vor 1649 Tagen @ Oblomow 4200 Views

Lebbe ist schnell vorbei.


Studentenlied: Johann Christian Günther

Brüder, last uns lustig seyn,

Weil der Frühling währet

Und der Jugend Sonnenschein

Unser Laub verkläret.

Grab und Baare warthen nicht;

Wer die Rosen jezo bricht,

Dem ist der Kranz bescheeret.


Unsers Lebens schnelle Flucht

Leidet keinen Zügel,

Und des Schicksals Eifersucht

Macht ihr stetig Flügel.

Zeit und Jahre fliehn davon,

Und vielleichte schnizt man schon

An unsers Grabes Riegel.


Wo sind diese, sagt es mir,

Die vor wenig Jahren

Eben also, gleich wie wir,

Jung und fröhlich waren?

Ihre Leiber deckt der Sand,

Sie sind in ein ander Land

Aus dieser Welt gefahren.


Wer nach unsern Vätern forscht,

Mag den Kirchhof fragen;

Ihr Gebein, so längst vermorscht,

Wird ihm Antwort sagen.

Kan uns doch der Himmel bald,

Eh die Morgenglocke schallt,

In unsre Gräber tragen.


Unterdeßen seyd vergnügt,

Last den Himmel walten,

Trinckt, bis euch das Bier besiegt,

Nach Manier der Alten!

Fort! Mir wäßert schon das Maul,

Und, ihr andern, seyd nicht faul,

Die Mode zu erhalten.


Dieses Gläschen bring ich dir,

Daß die Liebste lebe

Und der Nachwelt bald von dir

Einen Abriß gebe.

Sezt ihr andern gleichfalls an,

Und wenn dieses ist gethan,

So lebt der edle Rebe.


Herzlich
Oblomow

Deutsche Gedichte No. 8 - Theodor Fontane: Glaube an die Welt

Oblomow, Dienstag, 24.09.2019, 07:12 vor 1648 Tagen @ Oblomow 4185 Views

Der Stechlin ist fuer mich mit der schoenste deutsche Roman.

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Theodor Fontane: Glaube an die Welt


Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,

vor dem das Beste selbst zerfällt,

und wahre dir den vollen Glauben

an diese Welt trotz dieser Welt.

Schau hin auf eines Weibes Züge,

das lächelnd auf den Säugling blickt,

und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,

was uns das Leben bringt und schickt.

Und, Herze, willst du ganz genesen,

sei selber wahr, sei selber rein!

Was wir in Welt und Menschen lesen,

ist nur der eigene Widerschein.

Beutst du dem Geiste seine Nahrung,

so laß nicht darben sein Gemüt,

des Lebens höchste Offenbarung

doch immer aus dem Herzen blüht.

Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,

ja mehr noch eines Kindes Lall’n

kann leuchtender in deine Seele

wie Weisheit aller Weisen fall’n.

Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen

erkennst du ganz, was Leben heißt;

o lerne denken mit dem Herzen,

und lerne fühlen mit dem Geist.

Deutsche Gedichte 9 | Friedrich Hölderlin: Sokrates und Alcibiades

Oblomow, Mittwoch, 25.09.2019, 07:13 vor 1647 Tagen @ Oblomow 3982 Views

Friedrich Hölderlin: Sokrates und Alcibiades


»Warum huldigest du, heiliger Sokrates,

Diesem Jünglinge stets? kennest du Größers nicht?

Warum siehet mit Liebe,

Wie auf Götter, dein Aug' auf ihn?«

Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste,

Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblickt,

Und es neigen die Weisen

Oft am Ende zu Schönem sich.

Deutsche Gedichte No. 10 | Kurt Schwitters: An Anna Blume

Oblomow, Donnerstag, 26.09.2019, 00:02 vor 1647 Tagen @ Oblomow 3938 Views

Kurt Schwitters: An Anna Blume

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!
Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
Auf den Händen wanderst Du.
Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ----- wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?
Preisfrage:
1. Anna Blume hat ein Vogel,
2. Anna Blume ist rot.
3. Welche Farbe hat der Vogel?
Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir!
Das gehört beiläufig in die ---- Glutenkiste.
Anna Blume, Anna, A----N----N----A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten, wie von vorne:
A------N------N------A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
Ich-------liebe-------Dir!

Deutsche Gedichte No. 11 - J.W.Goethe: Selige Sehnsucht

Oblomow, Freitag, 27.09.2019, 05:18 vor 1645 Tagen @ Oblomow 3802 Views

Eigentlich, weil in mehreren Threads ploetzlich vom Satan die Rede ist, wollte ich ein wenig Mephisto zu Wort kommen lassen, wie er in der Studierstube mit Faust spricht, lasse es aber sein.

Herzlich
Oblomow
___________________________________________

Goethe: Selige Sehnsucht

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Deutscher Text No. 12 - Franz Kafka: Gibs auf

Oblomow, Samstag, 28.09.2019, 10:25 vor 1644 Tagen @ Oblomow 3804 Views

Franz Kafka: Gibs auf

Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich daß schon viel später war als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: ‚Von mir willst Du den Weg erfahren?‘ ‚Ja‘ sagte ich ‚da ich ihn selbst nicht finden kann‘ ‚Gibs auf, gibs auf‘ sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Herzlich
Oblomow

Das ist der beste Text aus diesem Dutzend!

Mephistopheles, Samstag, 28.09.2019, 20:45 vor 1644 Tagen @ Oblomow 4023 Views

bearbeitet von Mephistopheles, Samstag, 28.09.2019, 21:12

Franz Kafka: Gibs auf

Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum
Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich daß schon
viel später war als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der
Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich
kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war
ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach
dem Weg. Er lächelte und sagte: ‚Von mir willst Du den Weg erfahren?‘
‚Ja‘ sagte ich ‚da ich ihn selbst nicht finden kann‘ ‚Gibs auf,
gibs auf‘ sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie
Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Weil er wie alles bei Kafka 7 verschiedene Interpretationen zulässt, von denen jede falsch ist, die man aber trotzdem durchdenken muss, um weiterzukommen ins Nirgendwohin.

Dieser kurze Text ist beispielhaft für den ganzen Kafka. Der Leser findet keine Antwort, weiß aber, dass die Frage lebensnotwendig ist und umso unausweichlicher, je mehr er sich darüber bewusst wird, dass es nur eine falsche Antwort geben kann.

Gruß Mephistopheles

Zugabe

Oblomow, Samstag, 28.09.2019, 21:33 vor 1644 Tagen @ Mephistopheles 3938 Views

Franz Kafka: Kleine Fabel

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

Herzlich
Oblomow

Willkommen im Lernlabor 4.0 .....

NST @, Südthailand, Sonntag, 29.09.2019, 04:27 vor 1643 Tagen @ Oblomow 3706 Views

Franz Kafka: Kleine Fabel

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst
war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich,
daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese
langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten
Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ –
„Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß
sie.

..... macht ja richtig Spass. [[top]]

Ob Maus oder Sozialstaatsbürger mit sicherer Rente - gefressen werden sie alle. Ich kenne den Trick auch noch nicht, weiss aber, dass es einen Ausgang gibt. Jede Menge falscher Ausgänge kenne ich inzwischen auch.

Also liebe Mäuse, liebe Sozialstaatsbürger - auf ein neues Rattenrennen. [[top]]
Gruss

--
[image]
Jeder arbeitet im Ausmass seines Verstehens für sich selbst und im Ausmass seines Nicht-Verstehens für jene, die mehr verstehen!

Deutsche Texte No.13 | Johann Peter Hebel: Unverhofftes Wiedersehen

Oblomow, Sonntag, 29.09.2019, 16:35 vor 1643 Tagen @ Oblomow 3673 Views

Johann Peter Hebel: Unverhofftes Wiedersehen

In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und
mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut
und sagte zu ihr: »Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von
des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und
Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein.« – »Und Friede
und Liebe soll darin wohnen«, sagte die schöne Braut mit
holdem Lächeln, »denn du bist mein einziges und alles,
und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein, als an
einem andern Ort.« Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer
zum zweitenmal in der Kirche ausgerufen hatte: »So nun
jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum diese Personen
nicht möchten ehelich zusammenkommen« – da
meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern
Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem
Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid
immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster,
und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend
mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie
saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch
mit rotem Rand für ihn zum Hochzeittag, sondern
als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn
und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon
in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige
Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste
starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und
Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der
Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und
die vereinigte französische und spanische Macht konnte
Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General
Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der
Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden
eroberte russisch Finnland, und die Französische Revolution
und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold
der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte
Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen,
und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller
mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute
gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen
Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809
etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten
eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ehlen
tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und
Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der
ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest
und unverändert war; also daß man seine Gesichtszüge
und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als
wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig
eingeschlafen wäre, an der Arbeit. Als man ihn aber zu
Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreunde und
Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den
schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück
wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns
kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und
nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft
kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren
Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit
Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst
als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts
erholt hatte: »Es ist mein Verlobter«, sagte sie endlich,
»um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und
den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende.
Acht Tage vor der Hochzeit ist er unter die Erde gegangen
und nimmer heraufgekommen.« Da wurden die Gemüter
aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen,
als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des
hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch
in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust
nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch
einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum
Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie
sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen
ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an
ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof.
Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof
und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein
auf, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten
Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand,
als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der
Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem
Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: »Schlafe nun wohl,
noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und
laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig
zu tun, und komme bald, und bald wird’s wieder Tag.
– Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum
zweitenmal auch nicht behalten«, sagte sie, als sie fortging,
und noch einmal umschaute.


Herzlich
Oblomow

Deutscher Text No. 14 - Das aelteste deutsche Systemprogramm

Oblomow, Montag, 30.09.2019, 23:20 vor 1642 Tagen @ Oblomow 3600 Views

Mal was Abgefahrenes.
Herzlich
Oblomow


Fragment eines unbekannten Autors

Text

_____________________________________________________________________________


recto:

eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt – wovon / Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, / nichts erschöpft hat) so wird diese Ethik nichts anders als ein vollständiges System / aller Ideen, oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate enthalten / seyn. die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut / freien Wesen. Mit dem freyen, selbstbewußten Wesen tritt zugleich / eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenk- / bare Schöpfung aus Nichts – Hier werde ich auf die Felder der Physik herab- / steigen; die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen / beschaffen seyn? Ich möchte unsrer langsamen an Experimenten müh- / sam schreitenden – Physik, einmal wieder Flügel geben.
So – wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt, / können wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von spätern Zeitaltern / erwarte. Es scheint nicht daß die jezige Physik einen schöpferi- / schen Geist, wie der unsrige ist, oder seyn soll, befriedigen könne.
Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk, die Idee der Menschheit / voran – will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der / Staat etwas mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. / Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heist Idee. Wir müßen also auch / über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechani- / sches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. / Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur / untergeordnete Ideen einer höhern Idee sind. Zugleich will ich hier die Princi- / pien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen, und das ganze elende / Menschenwerk von Staat, Verfaßung, Regierung, Gesezgebung – bis / auf die Haut entblösen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, / Gottheit, Unsterblichkeit – Umsturz alles Aberglaubens Afterglaubens, Verfolgung / des Priesterthums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft / selbst. – die absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt / in sich tragen, und weder Gott noch Unsterblichkeit ausser sich suchen / dürfen.
Zulezt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in / höherem platonischem Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, daß / der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfast, ein ästhe- / sti tischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte, nur in der Schönheit ver-/ schwistert sind – Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besizen, verso: als der Dichter, die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsre BuchstabenPhilo-/ sophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. M Man kan / in nichts geistreich seyn selbst über Geschichte kan man nicht geistreich / raisonniren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich / den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen, – und treuherzig genug / gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Regi- / ster hinausgeht.
Die Poësie bekömmt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wie- / der, was sie am Anfang war – Lehrerin der Geschichte Menschheit; / denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die dichtkunst allein / wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.
Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Hauffen müße eine sinnliche Re- / ligion haben. Nicht nur der große Hauffen, auch der Philosoph bedarf ihrer. / Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungs- / kraft und der Kunst, dis ists, was wir bedürfen!
Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die so viel ich weiß, noch / in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müßen eine neue Mythologie / haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie mus / eine Mythologie der Vernunft werden.
Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für / das Volk kein Interesse und umgekehrt ehe die Mythologie vernünftig ist, muß / sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich aufgeklärte und Unauf- / geklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden, und / das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philo- / sophen sinnlich zu machen, dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer / der verachtende Blik, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen / Weisen und Priestern, dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung / aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft / wird mehr unterdrükt werden, dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleich- / heit der Geister! – Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß / diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das lezte, gröste Werk / der Menschheit seyn.

Deutsche Aphorismen No.15 | Georg Christoph Lichtenberg

Oblomow, Dienstag, 01.10.2019, 18:16 vor 1641 Tagen @ Oblomow 3486 Views

Der Gnom aus Göttingen (eigentlich aus Hessen) war wohl einer der pfiffigsten Typen, die hier durch Deutschland geisterten. Die Sudelbücher sind ein wahrer Schatz. Ich mag den Mann (Physikprofessor - sic est) ungemein.

Herzlich
Oblomow
_______________________________

"Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert. Und mehr als das Blei in der Flinte das im Setzkasten."

Man muß nie den Menschen nach dem beurteilen, was er geschrieben hat, sondern nach dem, was er in Gesellschaft von Männern, die ihm gewachsen sind, spricht.

"Wie geht's?" sagte ein Blinder zu einem Lahmen. "Wie Sie sehen", antwortete der Lahme.

Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.

Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Wahrhaftigkeit ist die größte List.

Es gibt Leute, die meinen, alles wäre vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tut.

Ein sicheres Zeichen von einem guten Buche ist, wenn es einem immer besser gefällt, je älter man wird.

usw. etc. pp

Deutsches Gedicht No. 16 - Jakob van Hoddis: Weltende

Oblomow, Freitag, 04.10.2019, 08:18 vor 1638 Tagen @ Oblomow 3424 Views

Jakob van Hoddis: Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Herzlich
Oblomow

Deutsche Gedichte No. 17 | Stefan George: Der Widerchrist

Oblomow, Sonntag, 06.10.2019, 23:12 vor 1636 Tagen @ Oblomow 3322 Views

Das Gedicht bekam ich zugesandt von Willy. Und wo ein Willy ist, da ist ein Weg. Ja, das ist abgeschmackt. Der George ist auch so ein komischer Deutscher. Den Schwulinski (natürlich so in der Art der Griechen[[freude]] )kennt heute niemand mehr, aber wer den Steiner kennt, sollte auch George kennen. Der Herr von Staufenberg scheint dem mal zu Füßen gelegen zu haben. Sowas kommt von sowas. Ne tolle Physiognomie hat der Bursche.

Herzlich
Oblomow

_______________________________________________


Stefan George: Der Widerchrist

›Dort kommt er vom berge · dort steht er im hain!
Wir sahen es selber · er wandelt in wein
Das wasser und spricht mit den toten.‹

O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:
Nun schlug meine stunde · nun füllt sich das garn.
Nun strömen die fische zum hamen.

Die weisen die toten – toll wälzt sich das volk ·
Entwurzelt die bäume · zerklittert das korn ·
Macht bahn für den zug des Erstandnen.

Kein werk ist des himmels das ich euch nicht tu.
Ein haarbreit nur fehlt – und ihr merkt nicht den trug
Mit euren geschlagenen sinnen.

Ich schaff euch für alles was selten und schwer
Das Leichte · ein ding das wie gold ist aus lehm ·
Wie duft ist und saft ist und würze –

Und was sich der grosse profet nicht getraut:
Die kunst ohne roden und säen und baun
Zu saugen gespeicherte kräfte.

Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich ·
Kein schatz der ihm mangelt · kein glück das ihm weicht..
Zu grund mit dem rest der empörer!

Ihr jauchzet · entzückt von dem teuflischen schein ·
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.

Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog ·
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof ..
Und schrecklich erschallt die posaune.

Deutsche Texte No. 18 | Arthur Schopenhauer: Die Stachelschweine

Oblomow, Mittwoch, 09.10.2019, 00:18 vor 1634 Tagen @ Oblomow 3220 Views

bearbeitet von Oblomow, Mittwoch, 09.10.2019, 00:23

Auch Schopenhauer kann "Psychologie".

Herzlich
Oblomow

Arthur Schopenhauer: Die Stachelschweine

Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nah zusammen, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.

So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! - Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden.

Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.

Deutsche Texte No. 19 | Robert Musil: Die Amsel

Oblomow, Donnerstag, 10.10.2019, 19:29 vor 1632 Tagen @ Oblomow 3178 Views

bearbeitet von Oblomow, Donnerstag, 10.10.2019, 19:36

Heute hat ja ein Österreicher den Nobel bekommen. Der Mann heißt Handke. Niemand kann ja etwas für seinen Namen, aber Musil hört sich einfach besser an. Einer meiner Lieblingstexte heißt "Die Amsel". Einer der denkwürdigsten Texte deutscher Literatur. So geht Prosa. Kann mich ooch irren. Ich verlinke auf Gutenberg, ein gutes Projekt, dass der Spiegel gekapert hat. Macht nüscht.

https://gutenberg.spiegel.de/buch/nachlass-zu-lebzeiten-6941/5

Herzlich
Oblomow

Deutsche Briefe No. 20 | Georg Büchner: Brief an die Eltern

Oblomow, Freitag, 11.10.2019, 19:51 vor 1631 Tagen @ Oblomow 3238 Views

Ich habe sicherlich den Brief, der zu meinen Lebenstexten zählt, hier schon zitiert. Macht nix. Der Bursche war extraordinaire.

Herzlich
Oblomow
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Nach Mitte Februar 1834. An die Eltern in Darmstadt

..... Ich verachte Niemanden, am wenigsten wegen seines Verstandes oder seiner Bildung, weil es in Niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden, – weil wir durch gleiche Umstände wohl Alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen. Der Verstand nun gar ist nur eine sehr geringe Seite unsers geistigen Wesens und die Bildung nur eine sehr zufällige Form desselben. Wer mir eine solche Verachtung vorwirft, behauptet, daß ich einen Menschen mit Füßen träte, weil er einen schlechten Rock anhätte. Es heißt dieß, eine Rohheit, die man Einem im Körperlichen nimmer zutrauen würde, ins Geistige übertragen, wo sie noch gemeiner ist. Ich kann Jemanden einen Dummkopf nennen, ohne ihn deßhalb zu verachten; die Dummheit gehört zu den allgemeinen Eigenschaften der menschlichen Dinge; für ihre Existenz kann ich nichts, es kann mir aber Niemand wehren, Alles, was existirt, bei seinem Namen zu nennen und dem, was mir unangenehm ist, aus dem Wege zu gehn. Jemanden kränken, ist eine Grausamkeit, ihn aber zu suchen oder zu meiden, bleibt meinem Gutdünken überlassen. Daher erklärt sich mein Betragen gegen alte Bekannte; ich kränkte Keinen und sparte mir viel Langeweile; halten sie mich für hochmüthig, wenn ich an ihren Vergnügungen oder Beschäftigungen keinen Geschmack finde, so ist es eine Ungerechtigkeit; mir würde es nie einfallen, einem Andern aus dem nämlichen Grunde einen ähnlichen Vorwurf zu machen. Man nennt mich einen Spötter. Es ist wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht darüber, wie Jemand ein Mensch, sondern nur darüber, daß er ein Mensch ist, wofür er ohnehin nichts kann, und lache dabei über mich selbst, der ich sein Schicksal theile. Die Leute nennen das Spott, sie vertragen es nicht, daß man sich als Narr producirt und sie dutzt; sie sind Verächter, Spötter und Hochmüthige, weil sie die Narrheit nur außer sich suchen. Ich habe freilich noch eine Art von Spott, es ist aber nicht der der Verachtung, sondern der des Hasses. Der Haß ist so gut erlaubt als die Liebe, und ich hege ihn im vollsten Maße gegen die, welche verachten. Es ist deren eine große Zahl, die im Besitze einer lächerlichen Aeußerlichkeit, die man Bildung, oder eines todten Krams, den man Gelehrsamkeit heißt, die große Masse ihrer Brüder ihrem verachtenden Egoismus opfern. Der Aristocratismus ist die schändlichste Verachtung des heiligen Geistes im Menschen; gegen ihn kehre ich seine eigenen Waffen; Hochmuth gegen Hochmuth, Spott gegen Spott. – Ihr würdet euch besser bei meinem Stiefelputzer nach mir umsehn; mein Hochmuth und Verachtung Geistesarmer und Ungelehrter fände dort wohl ihr bestes Object. Ich bitte, fragt ihn einmal... Die Lächerlichkeit des Herablassens werdet Ihr mir doch wohl nicht zutrauen. Ich hoffe noch immer, daß ich leidenden, gedrückten Gestalten mehr mitleidige Blicke zugeworfen, als kalten, vornehmen Herzen bittere Worte gesagt habe. – .....

Deutsche Briefe No. 21 | Nietzsche an Erwin Rhode (erste Begegnung Friedrich Nietzsches mit Richard Wagner)

Oblomow, Montag, 14.10.2019, 19:33 vor 1628 Tagen @ Oblomow 3007 Views

bearbeitet von Oblomow, Montag, 14.10.2019, 19:46

Nietzsche meint, als er in Rom Im Petersdom Lou trifft, dass ihm unklar ist, von welchem Sterne sie sich zugefallen mögen sein. Der kleene Pastor war ein begnadeter Briefschreiber. In Leipzig, keene 1000 Meter von hier entfernt, da traf er sich mit Richard Wagner und sie palaverten über...- Schopenhauer. Hier die Planungen Nietzsches für das Treffen. Fritz ist knapp 25 Jahre alt.

Herzlich
Oblomow


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http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Briefe/1868/28.+An+Erwin+Rohde,+...

An Erwin Rohde
Leipzig, 9. November 1868


Mein lieber Freund,

heute habe ich die Absicht, Dir eine Reihe von heiteren Dingen zu erzählen, lustig in die Zukunft zu blicken und mich so idyllisch-behaglich zu gebärden, daß Dein böser Gast, jenes katzenartige Fieber, einen krummen Buckel macht und sich ärgerlich von dannen trollt. Und damit jeder Mißton vermieden werde, will ich die bekannte res severa, die Deinen zweiten Brief veranlaßte, auf einem besonderen Blatt besprechen, das Du dann in besonderer Stimmung und auf besonderem Orte lesen magst.

Die Akte meiner Komödie heißen: 1. Ein Vereinsabend oder der Unterprofessor, 2. der herausgeworfene Schneider, 3. ein Rendezvous mit +. Einige alte Weiber spielen mit.

Am Donnerstag abend verführte mich Romundt zum Theater, für das meine Gefühle sehr erkalten: wir wollten ein Stück von unserm Zukunftsdirektor Heinrich Laube sehn und saßen wie thronende Götter im Olymp zu Gericht über ein Machwerk, genannt Graf Essex. Natürlich schimpfte ich auf meinen Verführer, der sich auf die Empfindungen seiner zehnjährigen Kindheit berief und war glücklich einen Raum verlassen zu können, in dem sich nicht einmal GLAYKIDION vorfand: wie sich bei mikroskopischer Durchsuchung aller Winkel des Theaters erwies.

Zu Hause fand ich zwei Briefe, den Deinigen und eine Einladung von Curtius, den jetzt näher zu kennen mir Vergnügen macht. Wenn sich zwei Freunde unserer Art Briefe schreiben, da freuen sich bekanntlich[995] die Engelchen; und so freuten sie sich auch, als ich Deinen Brief las, ja sie kicherten sogar.

Am andern Morgen zog ich festlich aus, um mich bei der Curtia für die Einladung zu bedanken, da ich sie leider nicht annehmen konnte. Ich weiß nicht, ob Du diese Dame kennst; mir hat sie sehr gefallen, und es entstand zwischen dem Ehepaar und mir eine unverwüstliche Heiterkeit. In dieser Stimmung ging ich zu meinem Redakteur en chef Zarncke, fand herzliche Aufnahme, ordnete mit ihm unsre Verhältnisse – meine Rezensionsprovinz ist jetzt unter anderem fast die gesamte griechische Philosophie, mit Ausnahme von Aristoteles, den Torstrik innehat und eines anderen Teiles, in dem mein ehemaliger Lehrer Heinze (Hofrat und Prinzenerzieher in Oldenburg) tätig ist. Hast Du beiläufig meine Anzeige von Roses Symposiaca Anacreontea gelesen? Nächstens kommt auch mein Namensvetter dran, der an der Eudocia zum Ritter geworden ist – langweilige Dame, langweiliger Ritter!

Zu Hause angelangt fand ich Deinen zweiten Brief, entrüstete mich und beschloß ein Attentat.

Am Abend war der erste Vortrag unseres philologischen Vereines für dies Semester angesetzt: und man hatte mich sehr höflich ersucht, diesen zu übernehmen. Ich, der ich Gelegenheiten brauche, mich auf akademische Waffen einzupauken, war auch gleich bereit und hatte das Vergnügen, bei meinem Eintritt bei Zaspel eine schwarze Masse von 40 Zuhörern vorzufinden. Romundt war von mir beauftragt, recht persönlich aufzupassen, damit er mir sagen könne, wie die theatralische Seite, also Vortrag, Stimme, Stil, Disposition beschaffen sei und gewirkt habe. Ich habe ganz frei gesprochen, bloß mit Zuhilfenahme eines Deminutivzettels, und zwar über die Varronischen Satiren und den Zyniker Menippus: und siehe, es war alles kala lian. Es wird schon gehn mit dieser akademischen Laufbahn!


Hier nun ist zu erwähnen, daß ich beabsichtige, bis Ostern mich hier aller Habilitationsscherereien zu entledigen und zugleich bei dieser Gelegenheit zu promovieren. Dies ist erlaubt: einen speziellen Dispens brauche ich nur, insofern ich noch nicht das übliche quinquennium hinter mir habe. Nun ist sich habilitieren und lesen zweierlei: aber recht passend scheint es mir, nachdem ich mir die Hände frei gemacht habe,[996] dann hinauszureisen in die Welt, zum letzten Male in nichtamtlicher Stellung! Ach, lieber Freund, es wird die Empfindung eines Bräutigams sein, Freude und Ärger gemischt, Humor, genos spoudogeloion, Menippus! Im Bewußtsein eines guten Tagewerkes ging ich zu Bett und überlegte mir die bewußte bei Ritschl aufzuführende Szene: als welche auch am andern Mittag aufgeführt wurde.

Als ich nach Hause kam, fand ich einen Zettel, an mich adressiert, mit der kurzen Notiz: »Willst Du Richard Wagner kennenlernen, so komme um 3/4 4 in das Café théâtre. Windisch.«



Diese Neuigkeit verwirrte mir etwas den Kopf, verzeih mir!, so daß ich die eben gehabte Szene ganz vergaß und in einen ziemlichen Wirbel geriet.

Ich lief natürlich hin, fand unsern Biederfreund, der mir neue Aufschlüsse gab. Wagner war im strengsten Inkognito in Leipzig bei seinen Verwandten: die Presse hatte keinen Wind, und alle Dienstboten Brockhausens waren stumm gemacht wie Gräber in Livree. Nun hatte die Schwester Wagners, die Prof. Brockhaus, jene bewußte gescheute Frau, auch ihre gute Freundin, die Ritschelin, ihrem Bruder vorgeführt: wobei sie den Stolz hatte, vor dem Bruder mit der Freundin und vor der Freundin mit dem Bruder zu renommieren, das glückliche Wesen! Wagner spielt in Gegenwart der Frau Ritschl das Meisterlied, das ja auch Dir bekannt ist: und die gute Frau sagt ihm, daß ihr dies Lied schon wohl bekannt sei, mea opera. Freude und Verwunderung Wagners: gibt allerhöchsten Willen kund, mich inkognito kennenzulernen. Ich sollte für Freitag abend eingeladen werden: Windisch aber setzt auseinander, daß ich verhindert sei durch Amt, Pflicht, Versprechen: also schlägt man Sonnabend nachmittag vor. Windisch und ich liefen also hin, fanden die Familie des Professors, aber Richard nicht, der mit einem ungeheuren Hute auf dem großen Schädel ausgegangen war. Hier lernte ich also besagte vortreffliche Familie kennen und bekam eine liebenswürdige Einladung für Sonntag abend.

Meine Stimmung war wirklich an diesen Tagen etwas romanhaft; gib mir zu, daß die Einleitung dieser Bekanntschaft, bei der großen Unnahbarkeit des Sonderlings, etwas an das Märchen streifte.

In der Meinung, daß eine große Gesellschaft geladen sei, beschloß ich, große Toilette zu machen und war froh, daß gerade für den Sonntag[997] mein Schneider mir einen fertigen Ballanzug versprochen hatte. Es war ein schrecklicher Regen- und Schneetag, man schauderte, ins Freie zu gehn, und so war ich denn zufrieden, daß mich nachmittags Roscherchen besuchte, mir etwas von den Eleaten erzählte und von dem Gott in der Philosophie – denn er behandelt als candidan dus den von Ahrens gegebnen Stoff »Entwicklung des Gottesbegriffs bis Aristoteles«, während Romundt die Preisaufgabe der Universität »Über den Willen« zu lösen trachtet. – Es dämmerte, der Schneider kam nicht und Roscher ging. Ich begleitete ihn, suchte den Schneider persönlich auf und fand seine Sklaven heftig mit meinem Anzuge beschäftigt: man versprach in 3/4 Stunden ihn zu schicken. Ich ging vergnügter Dinge weg, streifte Kintschy, las den Kladderadatsch und fand mit Behagen die Zeitungsnotiz, daß Wagner in der Schweiz sei, daß man aber in München ein schönes Haus für ihn baue: während ich wußte, daß ich ihn heute abend sehen würde und daß gestern ein Brief vom kleinen König an ihn angekommen sei, mit der Adresse: »An den großen deutschen Tondichter Richard Wagner.«


Zu Hause fand ich zwar keinen Schneider, las in aller Gemächlichkeit noch die Dissertation über die Eudocia und wurde nur von Zeit zu Zeit durch gellendes, aber aus der Ferne kommendes Läuten beunruhigt. Endlich wurde mir zur Gewißheit, daß an dem altväterlichen eisernen Gittertor jemand warte: es war verschlossen, ebenso wie die Haustür. Ich schrie über den Garten weg dem Manne zu, er solle in das Naundörfchen kommen: unmöglich, sich bei dem Geplätscher des Regens verständlich zu machen. Das Haus geriet in Aufregung, endlich wurde aufgeschlossen, und ein altes Männchen mit einem Paket kam zu mir. Es war halb 7 Uhr; es war Zeit, meine Sachen anzuziehn und Toilette zu machen, da ich sehr weitab wohne. Richtig, der Mann hat meine Sachen, ich probiere sie an, sie passen. Verdächtige Wendung! Er präsentiert die Rechnung. Ich akzeptiere höflich: er will bezahlt sein, gleich bei Empfang der Sachen. Ich bin erstaunt, setze ihm auseinander, daß ich gar nichts mit ihm als einem Arbeiter für meinen Schneider zu tun habe, sondern nur mit dem Schneider selbst, dem ich den Auftrag gegeben habe. Der Mann wird dringender, die Zeit wird dringender; ich ergreife die Sachen und beginne sie anzuziehn, der Mann ergreift die Sachen und hindert mich sie anzuziehn:[998] Gewalt meiner Seite, Gewalt seiner Seite! Szene. Ich kämpfe im Hemde: denn ich will die neuen Hosen anziehn.

Endlich Aufwand von Würde, feierliche Drohung, Verwünschung meines Schneiders und seines Helfershelfers, Racheschwur: währenddem entfernt sich das Männchen mit meinen Sachen. Ende des 2ten Aktes: ich brüte im Hemde auf dem Sofa und betrachte einen schwarzen Rock, ob er für Richard gut genug ist.

– Draußen gießt der Regen. –

Ein Viertel auf acht: um halb acht, habe ich mit Windisch verabredet, wollen wir uns im Theatercafé treffen. Ich stürme in die finstre regnerische Nacht hinaus, auch ein schwarzes Männchen, ohne Frack, doch in gesteigerter Romanstimmung: das Glück ist günstig, selbst die Schneiderszene hat etwas Ungeheuerlich-Unalltägliches.

Wir kommen in dem sehr behaglichen Salon Brockhaus an: es ist niemand weiter vorhanden als die engste Familie, Richard und wir beide. Ich werde Richard vorgestellt und rede zu ihm einige Worte der Verehrung: er erkundigt sich sehr genau, wie ich mit seiner Musik vertraut geworden sei, schimpft entsetzlich auf alle Aufführungen seiner Opern, mit Ausnahme der berühmten Münchener und macht sich über die Kapellmeister lustig, welche ihrem Orchester im gemütlichen Tone zurufen: »Meine Herren, jetzt wird's leidenschaftlich«, »Meine Gutsten, noch ein bißchen leidenschaftlicher!« W. imitiert sehr gern den Leipziger Dialekt. –

Nun will ich Dir in Kürze erzählen, was uns dieser Abend bot, wahrlich Genüsse so eigentümlich pikanter Art, daß ich auch heute noch nicht im alten Gleise bin, sondern eben nichts Besseres tun kann, als mit Dir, mein teurer Freund, zu reden und »wundersame Mär« zu künden. Vor und nach Tisch spielte Wagner und zwar alle wichtigen Stellen der Meistersinger, indem er alle Stimmen imitierte und dabei sehr ausgelassen war. Es ist nämlich ein fabelhaft lebhafter und feuriger Mann, der sehr schnell spricht, sehr witzig ist und eine Gesellschaft dieser privatesten Art ganz heiter macht. Inzwischen hatte ich ein längeres Gespräch mit ihm über Schopenhauer: ach, und Du begreifst es, welcher Genuß es für mich war, ihn mit ganz unbeschreiblicher Wärme von ihm reden zu hören, was er ihm verdanke, wie er der einzige Philosoph sei, der das Wesen der Musik erkannt habe;[999] dann erkundigte er sich, wie sich jetzt die Professoren zu ihm verhalten, lachte sehr über den Philosophenkongreß in Prag und sprach »von den philosophischen Dienstmännern«. Nachher las er ein Stück aus seiner Biographie vor, die er jetzt schreibt, eine überaus ergötzliche Szene aus seinem Leipziger Studienleben, an die ich jetzt noch nicht ohne Gelächter denken kann; er schreibt übrigens außerordentlich gewandt und geistreich. – Am Schluß, als wir beide uns zum Fortgehen anschickten, drückte er mir sehr warm die Hand und lud mich sehr freundlich ein, ihn zu besuchen, um Musik und Philosophie zu treiben, auch übertrug er mir, seine Schwester und seine Anverwandten mit seiner Musik bekannt zu machen: was ich denn feierlich übernommen habe. – Mehr sollst Du hören, wenn ich diesem Abende etwas objektiver und ferner gegenüberstehe. Heute ein herzliches Lebewohl und beste Wünsche für Deine Gesundheit.

F. N.


Res severa! Res severa! Res severa!

Mein lieber Freund, ich bitte Dich, direkt an Dr. Klette nach Bonn zu schreiben und (ohne weitere Formen und Gründe) das Manuskript zurückzufordern. Wenigstens würde ich so handeln.

Die Ritschlsche Taktlosigkeit ist zu stark: und in der stattgehabten Unterredung trat sie deutlich hervor: so daß ich etwas kühl mit ihm gesprochen habe, was ihn stark choquierte.

Das ist allerdings Wahrheit, daß das Rhein. Mus. jetzt überhäuft ist: und das wird Dir das letzte Heft dieses Jahres bezeugen, das mit vier Bogen über die gewöhnliche Seitenzahl hinausschießt.

Daß ich persönlich noch besonders über die Geschichte ärgerlich bin, liegt nahe. War ich es doch, der in bester Absicht und freundschaftlichster Meinung Dir den Vorschlag machte, Dein Manuskript dem Rhein. Mus. anzuvertrauen: dem ich damit etwas recht Angenehmes zu erweisen glaubte. Besonders wurmt es mich, wenn ich daran denke, zu welchem Zweck die schöne Abhandlung zunächst bestimmt war.

Willst Du Dich rächen, so schicke die Schrift an den Hermes; doch bin ich selbst kein Freund einer derartigen Rache. Vom Philologus darf unter diesen Verhältnissen keine Rede sein: und mit Fleckeisens Jbh. steht es ähnlich wie mit dem Rhein. Mus.

Also, lieber Freund, muß ein Verleger gesucht werden (und wenn ich Dir raten darf, gib zugleich mit den onos heraus, nach dem von[1000] Dir erkannten Handschriftenverhältnis). Natürlich wirst Du einen Verleger am liebsten in Deinem Hamburg suchen: sonst vertraue, daß ich mich mit Eifer nach einem noblen Buchhändler umsehen werde, falls Du mich dazu beauftragst.

Jedenfalls muß die Sache schnell gehn, ja in Monatsfrist muß das 3-4 Bogen starke Schriftchen gedruckt sein. –

Liegt Dir nichts an dieser Eile, so läßt sich vielleicht unter uns beiden ein kleiner Plan arrangieren: wir machen ein Buch mitsammen, genannt »Beiträge zur griechischen Literaturgeschichte« in dem wir einige größere Aufsätze vereinigen (von mir z. B. über Demokrits Schriftstellerei, über den homerisch-hesiodischen agôn, über den Zyniker Menipp) und auch eine Anzahl Miszellen beigeben.

Was denkst Du dazu?

In treuester Freundschaft und Teilnahme

in rebus secundis et adversis

der Leipziger Eidylliker

Wer oder was ist GLAYKIDION? Kenne ich nicht und Dr. Google kennt das auch nicht.

Mephistopheles, Montag, 14.10.2019, 21:41 vor 1628 Tagen @ Oblomow 2889 Views

»Meine Herren, jetzt wird's

leidenschaftlich«, »Meine Gutsten, noch ein bißchen
leidenschaftlicher!« W. imitiert sehr gern den Leipziger Dialekt. –

Soso.

Gruß Mephistopheles

Deutsche Briefe 22 - Heinrich von Kleist an Wilhemine von Zenge 1801 - Die sog. Kantkrise (Ausschnitt)

Oblomow, Freitag, 25.10.2019, 21:45 vor 1617 Tagen @ Oblomow 2567 Views

"(..) Vor kurzem ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt – und Dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er Dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird, als mich. Auch kennst Du das Ganze nicht hinlänglich, um sein Interesse vollständig zu begreifen. Ich will indessen so deutlich sprechen, als möglich.

Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstände. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr – und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich –

Ach, Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr –

Seit diese Überzeugung, nämlich, daß hienieden keine Wahrheit zu finden ist, vor meine Seele trat, habe ich nicht wieder ein Buch angerührt. Ich bin untätig in meinem Zimmer umhergegangen, ich habe mich an das offne Fenster gesetzt, ich bin hinausgelaufen ins Freie, eine innerliche Unruhe trieb mich zuletzt in Tabagien und Kaffeehäuser, ich habe Schauspiele und Konzerte besucht, um mich zu zerstreuen, ich habe sogar, um mich zu betäuben, eine Torheit begangen, die Dir Carl lieber erzählen mag, als ich; und dennoch war der einzige Gedanke, den meine Seele in diesem äußeren Tumulte mit glühender Angst bearbeitete, immer nur dieser: dein einziges, dein höchstes Ziel ist gesunken –"

https://gutenberg.spiegel.de/buch/briefe-7043/3


Herzlich
Oblomow

Deutsche Gedichte 23 | Rainer Maria Rilke sog. Dinggedicht

Oblomow, Donnerstag, 31.10.2019, 13:38 vor 1611 Tagen @ Oblomow 2512 Views

Rainer Maria Rilke: Dinggedicht

Ich fürcht mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle Dinge um.

(aus: Mir zur Feier, 1909)

Herzlich
Oblomow

Deutsche Texte 24 - Robert Musil: Das Fliegenpapier

Oblomow, Mittwoch, 06.11.2019, 22:42 vor 1605 Tagen @ Oblomow 2227 Views

I. Bilder
Das Fliegenpapier
Das Fliegenpapier Tangle-foot ist ungefähr sechsunddreißig Zentimeter lang und einundzwanzig Zentimeter breit; es ist mit einem gelben, vergifteten Leim bestrichen und kommt aus Kanada. Wenn sich eine Fliege darauf niederläßt – nicht besonders gierig, mehr aus Konvention, weil schon so viele andere da sind – klebt sie zuerst nur mit den äußersten, umgebogenen Gliedern aller ihrer Beinchen fest. Eine ganz leise, befremdliche Empfindung, wie wenn wir im Dunkel gingen und mit nackten Sohlen auf etwas träten, das noch nichts ist als ein weicher, warmer, unübersichtlicher Widerstand und schon etwas, in das allmählich das grauenhaft Menschliche hineinflutet, das Erkanntwerden als eine Hand, die da irgendwie liegt und uns mit fünf immer deutlicher werdenden Fingern festhält!

Dann stehen sie alle forciert aufrecht, wie Tabiker, die sich nichts anmerken lassen wollen, oder wie klapprige alte Militärs (und ein wenig o-beinig, wie wenn man auf einem scharfen Grat steht). Sie geben sich Haltung und sammeln Kraft und Überlegung. Nach wenigen Sekunden sind sie entschlossen und beginnen, was sie vermögen, zu schwirren und sich abzuheben. Sie führen diese wütende Handlung so lange durch, bis die Erschöpfung sie zum Einhalten zwingt. Es folgt eine Atempause und ein neuer Versuch. Aber die Intervalle werden immer länger. Sie stehen da, und ich fühle, wie ratlos sie sind. Von unten steigen verwirrende Dünste auf. Wie ein kleiner Hammer tastet ihre Zunge heraus. Ihr Kopf ist braun und haarig, wie aus einer Kokosnuß gemacht; wie menschenähnliche Negeridole. Sie biegen sich vor und zurück auf ihren festgeschlungenen Beinchen, beugen sich in den Knien und stemmen sich empor, wie Menschen es machen, die auf alle Weise versuchen, eine zu schwere Last zu bewegen; tragischer als Arbeiter es tun, wahrer im sportlichen Ausdruck der äußersten Anstrengung als Laokoon. Und dann kommt der immer gleich seltsame Augenblick, wo das Bedürfnis einer gegenwärtigen Sekunde über alle mächtigen Dauergefühle des Daseins siegt. Es ist der Augenblick, wo ein Kletterer wegen des Schmerzes in den Fingern freiwillig den Griff der Hand öffnet, wo ein Verirrter im Schnee sich hinlegt wie ein Kind, wo ein Verfolgter mit brennenden Flanken stehen bleibt. Sie halten sich nicht mehr mit aller Kraft ab von unten, sie sinken ein wenig ein und sind in diesem Augenblick ganz menschlich. Sofort werden sie an einer neuen Stelle gefaßt, höher oben am Bein oder hinten am Leib oder am Ende eines Flügels.

Wenn sie die seelische Erschöpfung überwunden haben und nach einer kleinen Weile den Kampf um ihr Leben wieder aufnehmen, sind sie bereits in einer ungünstigen Lage fixiert, und ihre Bewegungen werden unnatürlich. Dann liegen sie mit gestreckten Hinterbeinen auf den Ellbogen gestemmt und suchen sich zu heben. Oder sie sitzen auf der Erde, aufgebäumt, mit ausgestreckten Armen, wie Frauen, die vergeblich ihre Hände aus den Fäusten eines Mannes winden wollen. Oder sie liegen auf dem Bauch, mit Kopf und Armen voraus, wie im Lauf gefallen, und halten nur noch das Gesicht hoch. Immer aber ist der Feind bloß passiv und gewinnt bloß von ihren verzweifelten, verwirrten Augenblicken. Ein Nichts, ein Es zieht sie hinein. So langsam, daß man dem kaum zu folgen vermag, und meist mit einer jähen Beschleunigung am Ende, wenn der letzte innere Zusammenbruch über sie kommt. Sie lassen sich dann plötzlich fallen, nach vorne aufs Gesicht, über die Beine weg; oder seitlich, alle Beine von sich gestreckt; oft auch auf die Seite, mit den Beinen rückwärts rudernd. So liegen sie da. Wie gestürzte Aeroplane, die mit einem Flügel in die Luft ragen. Oder wie krepierte Pferde. Oder mit unendlichen Gebärden der Verzweiflung. Oder wie Schläfer. Noch am nächsten Tag wacht manchmal eine auf, tastet eine Weile mit einem Bein oder schwirrt mit dem Flügel. Manchmal geht solch eine Bewegung über das ganze Feld, dann sinken sie alle noch ein wenig tiefer in ihren Tod. Und nur an der Seite des Leibs, in der Gegend des Beinansatzes, haben sie irgend ein ganz kleines, flimmerndes Organ, das lebt noch lange. Es geht auf und zu, man kann es ohne Vergrößerungsglas nicht bezeichnen, es sieht wie ein winziges Menschenauge aus, das sich unaufhörlich öffnet und schließt.


Herzlich
Oblomow

Deutsche Briefe 25 | Matthias Claudius an seinen Sohn Johannes

Oblomow, Samstag, 09.11.2019, 13:15 vor 1602 Tagen @ Oblomow 2100 Views

Brief von Matthias Claudius an seinen Sohn Johannes
"An meinen Sohn Johannes, 1799

Gold und Silber habe ich nicht;
was ich aber habe, gebe ich dir.

Lieber Johannes!

Die Zeit kömmt allgemach heran, dass ich den Weg gehen muss, den man nicht wieder kömmt. Ich kann dich nicht mitnehmen und lasse dich in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist.

Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier und fegen die Tenne.

Ich habe die Welt länger gesehen als du.

Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich habe manchen Stern vorn Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ, brechen sehen.

Darum will ich dir einigen Rat geben und dir sagen, was ich funden habe und was die Zeit mich gelehret hat.

Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und nichts wahr, was nicht bestehet.

Der Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andre Dinge hier mit und neben ihm sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist sich bewusst und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vorüber gehen. Alle Dinge mit und neben ihm gehen dahin, einer fremden Willkür und Macht unterworfen, er ist sich selbst anvertraut und trägt sein Leben in seiner Hand.

Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe.

Lass dir nicht weismachen, dass er sich raten könne und selbst seinen Weg wisse.

Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare siehet er nicht und kennet sie nicht.

Spare dir denn vergebliche Mühe, und dir kein Leid, und besinne dich dein.

Halte dich zu gut, Böses zu tun.

Hänge dein Herz an kein vergänglich Ding.

Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten.

Was du sehen kannst, das siehe, und brauche deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort.

Bleibe der Religion deiner Väter getreu und hasse die theologischen Kannengießer.

Scheue niemand so viel als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist als an dem Beifall der. ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du sinnest und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind doch wenn du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir vernehmlicher sprechen.

Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behände dahin fahren, da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schritts.

Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbass.

Wenn dich jemand will Weisheit lehren, da siehe in sein Angesicht. Dünket er sich noch, und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt, lass ihn und gehe seiner Kundschaft müßig. Was einer nicht hat, das kann er auch nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll. Und der ist nicht weise, der sich dünket, dass er wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache des Dünkels genesen ist.

Was im Hirn ist, das ist im Hirn; und Existenz ist die erste aller Eigenschaften.

Wenn es dir um Weisheit zu tun ist, so suche sie und nicht das deine, und brich deinen Willen und erwarte geduldig die Folgen.

Denke oft an heilige Dinge und sei gewiss, dass es nicht ohne Vorteil für dich abgehe und der Sauerteig den ganzen Teig durchsäuere.

Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint, und du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne.

Es ist leicht zu verachten, Sohn; und verstehen ist viel besser.

Lehre nicht andre, bis du selbst gelehrt bist.

Nimm dich der Wahrheit an, wenn du kannst und lass dich gerne ihretwegen hassen; doch wisse, dass deine Sache nicht die Sache der Wahrheit ist, und hüte, dass sie nicht ineinander fließen, sonst hast du deinen Lohn dahin. Tue das Gute vor dich hin, und bekümmre dich nicht, was daraus werden wird.

Wolle nur einerlei, und das wolle von Herzen.

Sorge für Deinen. Leib, doch nicht so, als wenn er deine Seele wäre.

Gehorche der Obrigkeit, und lass die andern über sie streiten.

Sei rechtschaffen gegen jedermann, doch vertraue dich schwerlich.

Mische dich nicht in fremde Dinge, aber die deinigen tue mit Fleiß.

Schmeichle niemand, und lass dir nicht schmeicheln. Ehre einen jeden nach seinem Stande, und lass ihn sich schämen, wenn er's nicht verdient.

Werde niemand nichts schuldig; doch sei zuvorkommend, als ob sie alle deine Gläubiger wären.

Wolle nicht immer großmütig sein, aber gerecht sei immer.

Mache niemand graue Haare, doch wenn du Recht tust, hast du um die Haare nicht zu sorgen.

Misstraue der Gestikulation, und gebärde dich schlecht und recht.

Hilf und gib gerne, wenn du hast, und dünke dir darum nicht mehr; und wenn du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers zur Hand, und dünke dir darum nicht weniger.

Tue keinem Mädchen Leides und denke, dass deine Mutter auch ein Mädchen gewesen ist.

Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagest.

Hänge dich an keinen Großen.

Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die elendesten unter allen Kreaturen.

Nicht die frömmelnden, aber die frommen Menschen achte und gehe ihnen nach. Ein Mensch, der wahre Gottesfurcht im Herzen hat, ist wie die Sonne, die da scheinet und wärmt, wenn sie auch nicht redet.

Tue was des Lohnes wert ist, und begehre keinen. Wenn du Not hast, so klage sie dir und keinem andern.

Habe immer etwas Gutes im Sinn.

Wenn ich gestorben bin, so drücke mir die Augen zu und beweine mich nicht.

Stehe deiner Mutter bei und ehre sie so lange sie lebt und begrabe sie neben mir.

Und sinne täglich nach über Tod und Leben, ob du es finden möchtest, und habe einen freudigen Mut; und gehe nicht aus der Welt, ohne deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des Christentums durch irgendetwas öffentlich bezeuget zu haben.

Dein treuer Vater."


Herzlich
Oblomow

Deutsche Wundertexte 26 | Meister Eckart: Von der Abgeschiedenheit

Oblomow, Donnerstag, 14.11.2019, 19:01 vor 1597 Tagen @ Oblomow 2071 Views

Hinter diesem Link versteckt sich ein Wunderraum. Im Gelben über Abgeschiedenheit als Höchstes zu lesen, scheint mir dem Prinzip der coincidentia oppositorum nahe zu kommen.

http://www.eckhart.de/vab.htm

Herzlich
Oblomow

Die Kraft aus der Stille

sodele, Donnerstag, 14.11.2019, 21:25 vor 1597 Tagen @ Oblomow 2007 Views

bearbeitet von sodele, Donnerstag, 14.11.2019, 21:29

Danke für deine Mühe, Oblomow!

Der folgende Text passt thematisch dazu. Er wird Kafka zugeschrieben. Ich zitiere aus dem Gedächtnis:

"Du brauchst nicht aus dem Hause zu gehen. Bleib einfach sitzen und horche. Du brauchst nicht einmal zu horchen. Warte nur. Du brauchst nicht einmal zu warten. Sei einfach still. Und die Welt wird sich dir offenbaren. Sie kann gar nicht anders."

Jeder der schon mal eine tiefe meditative Erfahrung machen durfte, wird verstehen was Kafka damit meinte.


Herzliche Grüße

Zürauer Aphorismen

Oblomow, Donnerstag, 14.11.2019, 21:37 vor 1597 Tagen @ sodele 1973 Views

109 – „Es ist nicht notwendig, daß Du aus dem Haus gehst. Bleib bei Deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich Dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor Dir winden.“

Danke, dass Du mich daran erinnert hast. Sehe das Zitat nicht als Klugscheisserei Dir gegenueber, sondern als Dienst an Kafka an.
Danke fuer Deine Boersengaben. Schade, dass sich @Zweistein und @Hasso selten melden.

Herzlich
Oblomow

und noch ein Schatz aus den Tiefen dieses Forums

sodele, Donnerstag, 14.11.2019, 23:56 vor 1597 Tagen @ Oblomow 2213 Views

Lieber Oblomow,

vermutlich konntest du zu jener Zeit als die folgende Geschichte hier zu lesen war, dieses Forum noch nicht mit deiner Anwesenheit bereichern.

Kafkas Zitat von oben ziert deren Ende.

Würde mich freuen, wenn du daraus ein wenig Freude und Inspiration für dich schöpfen könntest - auch wenn der Text stellenweise eher wie ein modernes Märchen anmutet.

Teil 1
Teil 2


Alles Gute!

Deutscher Humor No. 27 | Loriot; Krawehl, krawehl

Oblomow, Sonntag, 17.11.2019, 14:57 vor 1594 Tagen @ Oblomow 1838 Views

Heute habe ich über wahre Dichtkunst mit einem Bekannten auf dem Flohmarkt gesprochen. Gerade an Tagen wie diesen sollte man Loriot nicht vergessen.

https://www.youtube.com/watch?v=ghbj6iNPfCU

Herzlich
Oblomow

Deutsche Wundertexte 28 | Friedrich Hölderlin: Urtheil und Seyn

Oblomow, Montag, 18.11.2019, 22:48 vor 1593 Tagen @ Oblomow 1744 Views

bearbeitet von Oblomow, Montag, 18.11.2019, 22:52

Hölderlin ist übrigens der, der mit Hegel und Schelling auf einer Bude wohnte. Darüber wäre viel zu sagen. Der Rüdiger Safranski hat gerade ne nette Biographie zu diesem deutschen Wundermann herausgebracht. Safranskis Schopenhauerbiographie ist übrigens wirklich janz juut.

Herzlich
Oblomow


_______________________________________________________________________

Urtheil und Seyn

Urtheil. ist im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche Trennung des in der intellectualen Anschauung innigst vereinigten Objects und Subjects, diejenige Trennung, wodurch erst Object und Subject möglich wird, die Ur=Theilung. Im Begriffe der Theilung liegt schon der Begriff der gegenseitigen Beziehung des Objects und Subjects aufeinander, und die nothwendige Voraussezung eines Ganzen wovon Object und Subject die Theile sind. "Ich bin Ich" ist das passendste Beispiel zu diesem Begriffe der Urtheilung, als Theoretischer Urtheilung, denn in der praktischen Urtheilung sezt es sich dem Nichtich, nicht sich selbst entgegen.
Wirklichkeit und Möglichkeit ist unterschieden, wie mittelbares und unmittelbares Bewußtsein. Wenn ich einen Gegenstand als möglich denke, so wiederhohl' ich nur das vorhergegangene Bewußtseyn, kraft dessen er wirklich ist. Es giebt für uns keine denkbare Möglichkeit, die nicht Wirklichkeit war. Deswegen gilt der Begriff der Möglichkeit auch gar nicht von den Gegenständen der Vernunft, weil sie niemals als das, was sie seyn sollen, im Bewußtseyn vorkommen, sondern nur der Begriff der Nothwendigkeit. Der Begriff der Möglichkeit gilt von den Gegenständen des Verstandes, der der Wirklichkeit von den Gegenständen der Wahrnemung und Anschauung.

Seyn – drükt die Verbindung des Subjects und Objects aus.
Wo Subject und Object schlechthin, nicht nur zum Theil vereiniget ist, mithin so vereiniget, daß gar keine Theilung vorgenommen werden kan, ohne das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verlezen, da und sonst nirgends kann von einem Seyn schlechthin die Rede seyn, wie es bei der intellectualen Anschauung der Fall ist.
Aber dieses Seyn muß nicht mit der Identität verwechselt werden. Wenn ich sage: Ich bin Ich, so ist das Subject (Ich) und das Object (Ich) nicht so vereiniget, daß gar keine Trennung vorgenommen werden kann, ohne, das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verlezen; im Gegenteil das Ich ist nur durch diese Trennung des Ichs vom Ich möglich. Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußtseyn? Wie ist aber Selbstbewußtseyn möglich? Dadurch daß ich mich mir selbst entgegenseze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesezten als dasselbe erkenne. Aber in wieferne als dasselbe? Ich kann, ich muß so fragen; denn in einer andern Rüksicht ist es sich entgegengesezt. Also ist die Identität keine Vereinigung des Objects und Subjects, die schlechthin stattfände, also ist die Identität nicht = dem absoluten Seyn.


https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Hoelderlin/hoe_urte.html

Deutsche Briefe 29 | Ludwig van Beethoven: Heiligenstädter Testament

Oblomow, Mittwoch, 01.01.2020, 14:13 vor 1549 Tagen @ Oblomow 1408 Views

bearbeitet von Oblomow, Mittwoch, 01.01.2020, 14:19

Guten Tag!

Aus gegebenen Anlass der traurige Brief, den Beethoven aus Verzweiflung schrieb, bewusst, sein Gehör zu verlieren. Heute geht mancher davon aus, dass der Verlust seines Gehörs, seine Taubheit sogar sein Komponieren auf ein anderes Niveau hob. Nächstens hier etwas von Otto Weininger, der sich in Beethovens Sterbehaus erschoss.

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https://de.wikisource.org/wiki/Heiligenstädter_Testament


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Herzlich
Oblomow

Von mir zur Lesbarkeit entstellt; aber nicht verändert (Ein Zeichenfehler berichtigt)

Mephistopheles, Freitag, 04.10.2019, 11:19 vor 1638 Tagen @ Oblomow 3440 Views

bearbeitet von Mephistopheles, Freitag, 04.10.2019, 11:22

Mal was Abgefahrenes.
Herzlich
Oblomow


Fragment eines unbekannten Autors

eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt - wovon
Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben,
nichts erschöpft hat - so wird diese Ethik nichts anders als ein vollständiges System
aller Ideen, oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate enthalten
seyn. die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut
freien Wesen. Mit dem freyen, selbstbewußten Wesen tritt zugleich
eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenk-
bare Schöpfung aus Nichts – Hier werde ich auf die Felder der Physik herab-
steigen; die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen seyn? Ich möchte unsrer langsamen an Experimenten müh-
sam schreitenden – Physik, einmal wieder Flügel geben.
So – wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt,
können wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von spätern Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht daß die jezige Physik einen schöpferi-
schen Geist, wie der unsrige ist, oder seyn soll, befriedigen könne.
Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk, die Idee der Menschheit
voran – will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der
Staat etwas mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt.
Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heist Idee. Wir müßen also auch
über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechani-
sches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören.
Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen einer höhern Idee sind. Zugleich will ich hier die Princi-
pien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen, und das ganze elende
Menschenwerk von Staat, Verfaßung, Regierung, Gesezgebung – bis
auf die Haut entblösen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt,
Gottheit, Unsterblichkeit – Umsturz alles Aberglaubens Afterglaubens, Verfolgung des Priesterthums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft
selbst. – die absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen, und weder Gott noch Unsterblichkeit ausser sich suchen
dürfen.
Zulezt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in
höherem platonischem Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, daß
der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfast, ein ästhe-
sti tischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte, nur in der Schönheit ver-
schwistert sind – Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besizen, verso: als der Dichter, die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsre BuchstabenPhilo-
sophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. M Man kan
in nichts geistreich seyn selbst über Geschichte kan man nicht geistreich
raisonniren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich
den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen, – und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Regi-
ster hinausgeht.
Die Poësie bekömmt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wie-
der, was sie am Anfang war – Lehrerin der Geschichte Menschheit;
denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die dichtkunst allein
wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.
Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Hauffen müße eine sinnliche Re-
ligion haben. Nicht nur der große Hauffen, auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungs- kraft und der Kunst, dis ists, was wir bedürfen!
Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die so viel ich weiß, noch
in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müßen eine neue Mythologie
haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie mus
eine Mythologie der Vernunft werden.
Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für
das Volk kein Interesse und umgekehrt ehe die Mythologie vernünftig ist, muß
sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich aufgeklärte und Unauf-
geklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden, und das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philo- sophen sinnlich zu machen, dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blik, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern, dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrükt werden, dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleich-
heit der Geister! – Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß
diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das lezte, gröste Werk der Menschheit seyn.
---

Gruß Mephistopheles

Novalis

Falkenauge @, Mittwoch, 25.09.2019, 12:22 vor 1647 Tagen @ Oblomow 3971 Views

Der Stechlin ist fuer mich mit der schoenste deutsche Roman.

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Theodor Fontane: Glaube an die Welt


Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,

vor dem das Beste selbst zerfällt,

und wahre dir den vollen Glauben

an diese Welt trotz dieser Welt.

Schau hin auf eines Weibes Züge,

das lächelnd auf den Säugling blickt,

und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,

was uns das Leben bringt und schickt.

Und, Herze, willst du ganz genesen,

sei selber wahr, sei selber rein!

Was wir in Welt und Menschen lesen,

ist nur der eigene Widerschein.

Beutst du dem Geiste seine Nahrung,

so laß nicht darben sein Gemüt,

des Lebens höchste Offenbarung

doch immer aus dem Herzen blüht.

Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,

ja mehr noch eines Kindes Lall’n

kann leuchtender in deine Seele

wie Weisheit aller Weisen fall’n.

Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen

erkennst du ganz, was Leben heißt;

o lerne denken mit dem Herzen,

und lerne fühlen mit dem Geist.

Ergänzend dazu von Novalis:

"Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort."

noch'n Gedicht

bürgermeister @, Mittwoch, 18.09.2019, 17:07 vor 1654 Tagen @ Oblomow 4933 Views

In vier Zeilen

In nur vier Zeilen was zu sagen,
erscheint zwar leicht, doch es ist schwer!
Man braucht ja nur mal nachzuschlagen:
die meisten Dichter brauchten mehr...


(Heinz Erhardt) [[top]]

Hohe Gitter, Taxushecken

Tempranillo @, Mittwoch, 18.09.2019, 17:47 vor 1654 Tagen @ bürgermeister 5005 Views

Wegen der im deutschen Sprachraum so seltenen wie dem fragilen Bau eines Gedichts angemessenen Eleganz:

Hohe Gitter, Taxushecken,
Wappen, nimmermehr vergoldet,
Sphinxe, durch das Dickicht schimmernd...
... Knarrend öffnen sich die Tore. –
Mit verschlafenen Kaskaden
Und verschlafenen Tritonen,
Rokoko, verstaubt und lieblich
Seht... das Wien des Canaletto,
Wien von Siebzehnhundertsechzig...
... Grüne, braune, stille Teiche,
Glatt und marmorweiß umrandet,
In dem Spiegelbild der Nixen
Spielen Gold- und Silberfische...
Auf dem glattgeschornen Rasen
Liegen zierlich gleiche Schatten
Schlanker Oleanderstämme;
Zweige wölben sich zur Kuppel,
Zweige neigen sich zur Nische
Für die steifen Liebespaare
Heroinen und Heroen...
Drei Delphine gießen murmelnd
Fluten in ein Muschelbecken...
Duftige Kastanienblüten
Gleiten, schwirren leuchtend nieder
Und ertrinken in dem Becken...
... Hinter einer Taxusmauer
Tönen Geigen, Klarinetten...
Und sie scheinen den graziösen
Amoretten zu entströmen,
Die rings auf der Rampe sitzen
Fiedelnd oder Blumen windend,
Selbst von Blumen bunt umgeben,
Die aus Marmorvasen strömen:
Goldlack und Jasmin und Flieder...
... Auf der Rampe, zwischen ihnen
Sitzen auch kokette Frauen,
Violette Monsignori...
Und im Gras, zu ihren Füßen,
Und auf Polstern, auf den Stufen:
Kavaliere und Abbati...
Andre heben andre Frauen
Aus den parfümierten Sänften...
... Durch die Zweige brechen Lichter,
Flimmernd auf den blonden Köpfchen;
Scheinen auf den bunten Polstern,
Gleiten über Kies und Rasen,
Gleiten über das Gerüste,
Das wir flüchtig aufgeschlagen.
Wein und Winde klettert aufwärts
Und umhüllt die lichten Balken.
Und dazwischen, farbenüppig
Flattert Teppich und Tapete,
Schäferszenen, keck gewoben,
Zierlich von Watteau entworfen...
Eine Laube statt der Bühne,
Sommersonne statt der Lampen,
Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eignen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie unsrer Seele,
Unsres Fühlens Heut und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonien, Episoden...
Manche hören zu, nicht alle...
Manche träumen, manche lachen,
Manche essen Eis... und manche
Sprechen sehr galante Dinge...
... Nelken wiegen sich im Winde,
Hochgestielte, weiße Nelken,
Wie ein Schwarm von weißen Faltern...
Und ein Bologneserhündchen
Bellt verwundert einen Pfau an...

Hugo von Hofmannsthal, Herbst 1892

--
*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).

Im Abendrot

Tempranillo @, Mittwoch, 18.09.2019, 23:26 vor 1654 Tagen @ Tempranillo 4777 Views

Im Abendrot

Wir sind durch Not und Freude
Gegangen Hand in Hand:
Vom Wandern ruhen wir beide
Nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,
Es dunkelt schon die Luft,
Zwei Lerchen nur noch steigen
Nachträumend in den Duft.

Tritt her und laß sie schwirren,
Bald ist es Schlafenszeit,
Daß wir uns nicht verirren
In dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot,
Wie sind wir wandermüde –
Ist dies etwa der Tod?

Joseph von Eichendorff, 1841.

--
*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).

Wunderliches Abendrot

Falkenauge @, Donnerstag, 19.09.2019, 13:59 vor 1653 Tagen @ Tempranillo 4646 Views

Im Abendrot

Wir sind durch Not und Freude
Gegangen Hand in Hand:
Vom Wandern ruhen wir beide
Nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,
Es dunkelt schon die Luft,
Zwei Lerchen nur noch steigen
Nachträumend in den Duft.

Tritt her und laß sie schwirren,
Bald ist es Schlafenszeit,
Daß wir uns nicht verirren
In dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot,
Wie sind wir wandermüde –
Ist dies etwa der Tod?

Joseph von Eichendorff, 1841.

Hier steigt das Abendrot noch in musikalische Höhen:

https://www.youtube.com/watch?v=p5mmckLp4Lw

Gruß

Rilke, Jardin du Luxembourg

Tempranillo @, Sonntag, 22.09.2019, 13:15 vor 1650 Tagen @ Tempranillo 4257 Views

Das Karussell

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur daß er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel...

--
*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).

*Durch alle Räume möcht' ich fliegen...*

Tempranillo @, Dienstag, 22.10.2019, 18:24 vor 1620 Tagen @ Tempranillo 2710 Views

bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 22.10.2019, 18:32

Nikolaus Lenau, aus Don Juan:

Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten,
Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten
Möcht ich durchziehn im Sturme des Genusses,
Am Mund der Letzten sterben eines Kusses.
O Freund, durch alle Räume möcht ich fliegen,
Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede
Und, wärs auch nur für Augenblicke, siegen.

Davon ließ sich Richard Strauss, in dessen Werk man neben Deutschem und Bayrischem auch Italienisches und Französisches finden wird, zu einem der herrlichsten Stücke europäischer Musik anregen:

https://www.youtube.com/watch?v=qNEAPx_ndZc

Vollständige Aufnahme mit Sachsens Gloria:
https://www.youtube.com/watch?v=avwYTV6B770

kedem berger
One of the greatest recordings. Ever.

Eduardo Martinez
Intro is like flying up high and diving with grace

Johnny Uddstrand
The most beautiful, passionate, powerful, subtile and dynamic interpretation of Don Juan I've ever heard. I love it !

Tempranillo

--
*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).

Drei Minuten Schweinkram, aber auf welchem Niveau, ...

Tempranillo @, Dienstag, 22.10.2019, 22:21 vor 1620 Tagen @ Tempranillo 2817 Views

... mit einem Beleuchtungswechsel bei *Sitz nieder*, dem Höhepunkt am Schluß und einem kurzen Nachspiel:

https://www.youtube.com/watch?v=Z1uvfagAmXw

Mach auf, mach auf, doch leise mein Kind,
Um keinen vom Schlummer zu wecken.
Kaum murmelt der Bach, kaum zittert im Wind
Ein Blatt an den Büschen und Hecken.
Drum leise, mein Mädchen, daß nichts sich regt,
Nur leise die Hand auf die Klinke gelegt.

Mit Tritten, wie Tritte der Elfen so sacht,
Um über die Blumen zu hüpfen,
Flieg leicht hinaus in die Mondscheinnacht,
Zu mir in den Garten zu schlüpfen.
Rings schlummern die Blüten am rieselnden Bach
Und duften im Schlaf, nur die Liebe ist wach.

Sitz nieder, hier dämmert's geheimnisvoll
Unter den Lindenbäumen,
Die Nachtigall uns zu Häupten soll
Von unseren Küssen träumen,
Und die Rose, wenn sie am Morgen erwacht,
Hoch glühn von den Wonnenschauern der Nacht.

Adolf Friedrich von Schack

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*Die Demokratie bildet die spanische Wand, hinter der sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen eine etwaige Empörung des Volkes*, (Francis Delaisi).

Apropos schöne deutsche Sprache ...

Hinterbänkler @, Schweiz - tief im Emmental, Donnerstag, 19.09.2019, 00:15 vor 1654 Tagen @ Oblomow 4875 Views

... es hingerbyggeligs bärndütsches Gschichtli

Totemügerli
von Franz Hohler

Gäuit, wemer da grad eso schön binanger
sitze, hani däicht, chönntech vilicht es
bärndütsches Gschichtli erzelle. Es isch zwar es
bsungers uganteligs Gschichtli, wo aber no gar
nid eso lang im Mittlere Schättegibeleggtäli
passiert isch.

Der Schöppelimunggi u der Houderebäseler si
einischt schpät am Abe, wo scho der Schibützu
durs Gochlimoos pfoderet het, über s
Batzmättere Heigisch im Erpfetli zueglüffe u hei
nang na gschtigelet u gschigöggelet, das me z
Gotts Bäri hätt chönne meine, si sige nanger
scheich.

«Na ei so schlöözige Blotzbänggu am Fläre, u
i verminggle der s Bätzi, dass d Oschterpföteler
ghörsch zawanggle!»

«Drby wärsch froh, hättsch en einzige nuesige
Schiggeler uf em Lugipfupf!»

U so isch das hin u härgange wie nes
Färegschäderli amene Milchgröözi, da seit
plötzlech Houderebäseler zu Schöppelimunggi:

«Schtill! Was ziberlet dert näbem Tobelöhli z
grachtige n uuf u aab?»

Schöppelirnunggi het gschläfzet wie ne
Gitzeler u hets du o gseh. Es Totemügerli! U nid
numen eis, nei, zwöi, drü, vier, füüf, es ganzes
Schoossinjong voll si da desumegschläberlet u
hei zängpinggerlet u globofzgerlet u
gschanghangizigerlifisionööggelet, das es eim
richtig agschnäggelet het.

Schöppelimunggi u Houderebäseler hei nang
nume zuegmutzet u hei ganz hingerbyggelig
wöllen abschöberle. Aber chuum hei si der
Awang ytröölet, gröözet es Totemügerli:
« Heee, dir zweee! »

U denen ischs i d Chnöde glöötet wie
bschüttigs Chrüzimääl dure Chätschäbertrog.
Düpfelig u gnütelig si si blybe schtah wie zwöi
gripseti Mischtschwibeli, u scho isch das
Totemügerli was tschigerlisch was pfigerlisch
binene zueche gsi. Äs het se zersch es Rüngli
chyblig u gschiferlig aagnöttelet u het se de
möögglige gfraget:

«Chöit dir is hälfe, ds Blindeli der
Schtotzgrotzen ueche z graagge?»

Wo der Schöppelimunggi das Wort «Blindeli»
ghört het, het em fasch wölle ds Härzgätterli zum
Hosegschingg uspföderle, aber der
Houderebäseler het em zueggaschplet:

«Du weisch doch, das men imene Totemügerli
nid darf nei säge!»
U du si si halt mitgschnarpflet.

«Sooo, dir zweee!» het ds Totemügerli gseit,
wo si zum Blindeli cho si, u die angere
Totemügerli si ganz rüeiig daaggalzlet u hei
numen ugschynig ychegschwärzelet.

Da hei die beide gwüsst, was es Scheieli
Gschlychets ds Gloubige choschtet u hei das
Blindeli aagroupet, der eint am Schörpfu, der
anger a de Gängeretalpli.

Uuuh, isch das e botterepfloorigi Schtrüpfete
gsi! Die zwee hei gschwouderet u ghetzpacheret,
das si z näbis meh gwüsst hei, wo se der Gürchu
zwurglet.

Daa, z eis Dapf, wo si scho halber der
Schtotzgrotzen uecheghaschpaaperet si, faht sech
das Blindeli afah ziirgge u bäärgglet mit
schychem Schtimmli:
« Ooh, wie buuchet mi der Glutz! »

Jetz hets aber im Schöppelimunggi böös im
Schyssächerli gguugget. Är het das Blindeli la
glootsche u isch der Schtotzgrotz abdotzeret, wie
wenn em der Hurligwaagg mit ein Flarzyse der
Schtirps vermöcklet hätt.

«Häb dure, Münggu!» het ein der
Houderebäseler na naagräätschet, u de het er nüt
meh gwüsst.

Am angere Morge het ne ds Schtötzgrötzeler
Eisi gfunge, chäfu u tunggig wien en Öiu, u es
isch meh weder e Monet gange, bis er wider het
chönne s Gräppli im Hotschmägeli bleike.

Totemügerli u Blindeli het er keis meh gseh
sis Läbe lang, aber o der Schöppelimunggi isch
vo da a verschwunde gsi.

S git Lüt, wo säge, dass sider am
Schtotzgrotzen es Totemügerli meh
desumeschirggelet.

----------------

Das „Totemügerli“ von Franz Hohler ist ein berndeutsches Gromolo (auch Gibberisch oder Kauderwelsch genannt). Er erzählt eine Geschichte mit vielen völlig frei erfundenen Wörtern, die jedoch im Zusammenhang einen Sinn ergeben und die wie Berndeutsch klingen.

--
...und es gibt überhaupt gute Gründe dafür, zu mutmassen, daß in einigen Stücken die Götter insgesamt bei uns Menschen in die Schule gehen könnten. Wir Menschen sind - menschlicher ...

Friedrich Nietzsche 'Jenseits von Gut und Böse'

Es gibt auch andere, deutschklingende Kunstsprachen: hier das Starckdeutsch.

Griba @, Dunkeldeutschland, Donnerstag, 19.09.2019, 12:29 vor 1653 Tagen @ Hinterbänkler 4704 Views

Hullondüsche Tumautn

Harrlüch! – dönckst tu, gauffßt die rauten
Glantzind pfröschn Totumauten.
Duch peim Ößßn marckstde dunn,
dißß monn gurnüxx tschmarckn kunn;
Sünd’z nonn Gorcken, sünd'z Tumautn, –
Üst öss garr oin Heunarbrautn,
pfrösch oss Hullondt ümmporturt?
Hart monn düch woll arnngeschmuurt?

weiter hier entlang.

--
Beste Grüße

GRIBA

Noch ein Gedicht (Verfasser unbekannt ==> Volksdichtung), das die deutsche Volksseele wohl treffender wiedergibt

Mephistopheles, Freitag, 04.10.2019, 11:28 vor 1638 Tagen @ Oblomow 3429 Views

bearbeitet von Mephistopheles, Freitag, 04.10.2019, 12:06

Dunkel war’s, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzesschnelle,
langsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschoss’ner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.

Und ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar
saß auf einer grünen Kiste,
die rot angestrichen war.

Neben ihm ’ne alte Schrulle,
zählte kaum erst sechzehn Jahr,
in der Hand ’ne Butterstulle,
die mit Schmalz bestrichen war.

Gruß Mephistopheles

PS: Das alles geht bei der deutschen Volksseele zusammen und niemand regt sich auf. Hauptsache, es reimt sich. Meph.

Weihnachten

tar ⌂ @, Gehinnom, Freitag, 11.10.2019, 12:05 vor 1631 Tagen @ Oblomow 3068 Views

bearbeitet von unbekannt, Freitag, 11.10.2019, 12:11

Weihnachten - das Fest des Friedens

Riecht ihr den Eiter der gequälten Lumpen?
Fühlt ihr den Fleischerhaken an der Kehle?
Hört ihr den gift'gen Brummer eurer Seele
herunterschiessen auf den wunden Klumpen?

Seht ihr die Huren der Idiotenhäuser weinen?
Den schwarzen Biss zwischen den Mädchenbeinen?
- Er frisst den Mutterbusch wie eine Glatze kahl!

Seht ihr den vollgepissten Galgenpfahl?
- In jeder Stunde wird ein Mensch gehisst.

Die Frau presst die Zitronen ihrer Brüste aus,
damit er auf die letzte Ölung pfeifen kann
und reicht ihm ihren wilden Frauenschwamm.

Aus seiner Leiche sah ich wilde Kressen
aufschiessen und den Himmel blutig schlagen.

Ihr habt den Huren in den Arsch getreten!
Ihr habt den Bettlern in den Arsch getreten!
Ihr habt den Kindern ins Genick geschossen!
Ihr habt den Negern ins Genick geschossen!

Warum habt Ihr den alten Hund gepeitscht?
Gepeitscht, gepeitscht, gepeitscht, gepeitscht, gepeitscht!?

Warum habt Ihr die Vögel eingesperrt?
Warum habt Ihr den Tiger in den Zoo gezerrt?
Warum habt ihr die Katzenbrut ersoffen?

Herr, Jesus! Du musst mal zur Ader lassen!
Ich glaube, du musst kotzen.

Würde, Eau de Cologne, Bibel und Furz,
der Ritus blöder Fahnen, Tradition,
Lehrergeunke, fromme Sprüche, Gott,
ein Parlament von Mitleid, Hinterweisheit.

Ich scheiße auf der Hostien faulen Trott!
Die Reue eingehäkelt wie in Kaffeewärmer,
die Pubertätsgedichte pickeliger Schwärmer:
ein Wochenendtheater von Verbrechern!

Christus! Wann wirst du endlich nicht zu feige sein,
dich an dem Wasserkopf der Welt zu rächen?
Wann schlägst du ihnen endlich mit dem Kreuz
eins über ihren eingebeulten Bregen?

Was soll mir alles
der verjauchte Hafen?
- Lasst mich doch allein!
Ich kann mich nicht mit eurer Fratze freu'n.
Ich kann seit Jahren nicht mehr schlafen.
Ich kann nur weiterweinend in die Hände schrei'n.

- Klaus Kinski

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Gruß!™

Time is the school in which we learn,
Time is the fire in which we burn.


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