Die EU ist nicht Europa

also, Freitag, 10.05.2019, 17:22 (vor 1785 Tagen)6270 Views

Ein Erlebnisbericht.

Im Juli 2013 saß ich in einem Pub in Bournemouth im Süden Englands und laß die New York Times. Mehrere Artikel hatten
das Schicksal von Edward Snowden zum Inhalt, der damals unfreiwillig am Flughafen von Moskau festsaß. Die USA hatten
seinen Reisepass für ungültig erklärt und seine Bemühungen um Asyl wurden von allen Ländern abgelehnt oder ignoriert.
Die Intention von Edward Snowden war zu dieser Zeit schon bekannt. Eine Reihe von Veröffentlichungen geheimer Dokumente
hatte die Öffentlichkeit bereits erreicht und das Interesse an diesem Thema war entsprechend groß.
Zwischen den Reportagen über Snowden blitzte mir der Name eines Autors entgegen, den ich kannte. Leonard Schrank,
ehemaliger Chef von SWIFT. Ich hatte ihn Anfang 2007, kurz vor seinem Aussscheiden aus der Firma, in meiner Tätigkeit
als Informatiker in Belgien kennengelernt. In dieser Ausgabe der New York Times beschwerte er sich bitterlich über das
Abgreifen von Daten durch US-Geheimdienste, entgegen dem Versprechen von Barak Obama, so Schranks Kritik. Jetzt, wo
durch Snowden alles aufgeflogen ist, jetzt erst meldet sich Schrank zu Wort, so ging es mir durch den Kopf. Schrank hat
es immer gewußt und er hätte es verhindern können. SWIFT betreibt Server in Virginia, auf denen alle Daten gespiegelt
werden. Das sind Finanz-Transaktions Daten über Kreditkarten, Bank-zu-Bank-Zahlungen, Wertpapierhandel, Reiseschecks,
Kundenüberweisungen, Devisenhandelsgeschäfte und einiges mehr. Aus nahezu allen Banken in Europa, Russland, Japan,
Schweiz und mehr Ländern. Diese Dokumentation des globalen Geldflusses der großen Banken wie Deutsche Bundesbank, EZB,
Schweizer Nationalbank, usw. werden über SWIFTnet aus Europa in die USA übertragen. Aus Gründen der "Sicherheit", wie
Schrank es damals gerne erklärte. Doch das Fass zum Überlaufen brachte die Tatsache, dass SWIFT eine Firma unter
Vertrag nahm, die schon seit 2005 als eine Firma der CIA galt. Die Aufgabe dieser Firma war die Befugniskontrolle der
Daten zwischen SWIFT und dem US-Finanzministerium. Der Name der Firma ist Booz Allen Hamilton. Jetzt, wo bekannt wurde,
dass auch Edward Snowden bei dieser Firma beschäftigt war, jetzt zeigt sich Leonard Schrank plötzlich besorgt. Es ist
kaum zu glauben und wohl eher als Versuch zu werten, den Mist aus der Vergangenheit vor eine andere Tür zu kippen.
Dass SWIFT die Daten jahrelang, wissentlich und nach europäischem Recht illegal freihaus an US-Geheimdienste lieferte,
war deutlich zu erkennen.

Nun sollten in Brüssel eigentlich die Alarmglocken schrillen, so dachte ich mir. Doch die EU-Kommission reagierte
nicht. Obwohl die Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft unabsehbar waren und Wirtschaftsspionage im großen Stil
angenommen werden mußte, zuckte die EU-Kommission mit keiner Wimper. Eine Anfrage des EU-Parlaments an die EU-
Kommission und EZB, inwieweit sie von der geheimen Vereinbarung zwischen SWIFT und den US-Behörden Kenntnis hatten,
blieb unbeantwortet. Erst als die Datenschutzbehörden von Belgien und Niederlande eine Untersuchung von SWIFT
ankündigten und das EU-Parlament mehrheitlich für den Stopp des Datentransports in die USA plädierten, kam im Oktober
2013 eine dürre Antwort der EU-Kommission: "Es gibt keine Anzeichen von Datenmissbrauch, der Datenfluss in die USA
bleibt weiter bestehen". Dieses Schreiben hatte die EU-Kommission schon vorher den Amerikanern zukommen lassen. Damit
überging die EU-Kommission das Parlament, verhinderte weitere Untersuchungen, blockierte die Möglichkeit für
Verhandlungen und erklärte die Affäre für beendet.

Die EU, ein Komplize dieser Machenschaften? Das wollten und konnten wir nicht glauben. Auf Initiative ehemaliger
Mitarbeiter aus verschiedenen Projekten trafen wir uns in Frankfurt um einen Plan auszuarbeiten. Die SWIFT
Datenstruktur passiert im Großen auf EDIFACT, einem genormten Datenaustausch Format für Administrations- und
Handelsdaten. In diesem Bereich konnten wir über 100 Jahre KnowHow vorweisen. Mit dieser Expertise unterbreiteten wir
einem EU-Parlamentarier den Vorschlag für ein EU eigenes TFTP (Ein Programm zum Aufspüren der Finanzierung von
Terrorismus). Die Absicht war, dass damit die Datenströme aus Europa in die USA gestoppt werden und die Daten auf
europäischem Boden ausgewertet werden können. Die Voraussetzungen dafür waren gut. In Diessenhofen in der Schweiz
entstand ein neues Rechenzentrum von SWIFT, im Grunde ist das der optimale Ort für eine sachlich unbeeinflusste
Auswertungen der Daten. Doch die EU-Kommission lehnte den Vorschlag mit der seltsamen Begründung ab, dass man die
Steuerzahler damit nicht belasten könne.

Es war offensichtlich, dass die EU die Interessen Europas den US-Interessen unterordnet. Wie die EU in geheimen
Nebenabsprachen mit den USA den Datenschutz aushebelt und die europäische Wirtschaft den Amerikanern auf einem
Silbertablett serviert, ist skrupellos und sucht seinesgleichen. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Ab Ende 2013
erfolgte eine schleichende Übergabe der europäischen Firma SWIFT an die USA, anders läßt sich das nicht beschreiben.
Auf eine Anfrage Anfang 2014 antwortete die EU-Kommission, dass die Polizeien in Europa Abfragen von europäischen
Finanzdaten in den USA durchführen sollen. Ab Ende 2014 wurde das Recht auf Information über den Transport von Daten in
die USA durch US-Recht ersetzt. Obwohl es sich bei SWIFT um eine europäische Firma handelt, obwohl sich der Firmensitz
auf europäischem Boden befindet und es sich um Daten europäischer Bürger handelt, wurde jede Auskunft mit Verweis auf
US-Recht verweigert. Der damalige US-Botschafter in der EU, Anthony Gardner, bestätigte dies und erwähnte auch, das ein
Recht auf Information nicht besteht und von den US-Behörden eine solches Recht auch nicht erteilt wird.
Die EU-Kommission äußerte sich dazu nicht.

Welch fatale Auswirkungen dieses Abkommen zwischen EU und USA hat, sollte erstmals die US-Sanktionspolitik gegen den
Iran zeigen. Im August 2018 traten die "stärksten US-Sanktionen der Geschichte" gegen den Iran in Kraft. Einige EU-
Staaten stellten sich dem entgegen und wollten das Atomabkommen retten. Doch keine europäische Bank war in der Lage,
weder direkt noch indirekt, Geschäfte abzuwickeln, die mit dem Iran irgendwie im Zusammenhang standen. Selbst
Bank-zu-Bank Überweisungen innerhalb Deutschlands wurden eingestellt. Kunden im Iran hatten Leistungen bezahlt, aber
deren Geld kommt innerhalb Deutschlands nicht mehr auf dem Konto beim deutschen Institut an. Iranische Banken in der EU
wurden isoliert. Jeder Vorstand oder Angestellte einer Bank, der diese US-Vorgaben bricht, muß damit rechnen, beim
nächsten USA Besuch verhaftet zu werden. Banken mit Niederlassung in den USA sind diesen Sanktionen sowieso völlig
ausgeliefert. Tatsache ist, dass die Verweigerung von Überweisungen ein Verstoß gegen das Bundesbankgesetz und den
Regeln zur Sicherstellung des SEPA-Zahlungsverkehrs ist. Doch US-Recht und US-Interessen stehen in Europa über dem
nationalen Recht, weil es die EU so will. Seit die USA auf subtile Methoden verzichtet und unter Trump auf die Trommel
schlägt, kommt auch das Doppelspiel der EU zum Vorschein.

Jede Überweisung, auch innerhalb Europas, unterliegt dem US-Recht, weil nahezu jede Transaktion über eine US-Bank
abgewickelt wird. Wobei für die Amerikaner eine "US-Bank" ein dehnbarer Begriff ist. Auch Server in Manassas
(Virginia), auf dem SWIFT Daten kurzfristig als präsent gelogged werden, stellen im US-Interesse eine US-Bank dar. Der
Satz von Wirtschaftsminister Peter Altmaier "Jedes deutsche Unternehmen darf im Iran weiterhin investieren, so viel es
möchte", kann nur als Witz interpretiert werden. Zu dieser Zeit hatte die überwiegende Mehrheit der deutschen und
europäischen Banken ihre Kunden bereits darauf hingewiesen, dass der Zahlungsverkehr nicht mehr abgewickelt wird.
Einer der wenigen Politiker in Europa, der diese Vorgänge verstanden hatte, war Heiko Mass. In seinem Gastkommentar im
Handelsblatt "Wir lassen nicht zu, dass die USA über unsere Köpfe hinweg handeln", zeigte er deutlich auf das Problem.
Doch heftige Kritik aus der EU, USA und aus Israel, das in dem europäischen Anliegen nach einem unabhängigen SWIFT
sogar Antisemitismus erkennen konnte, ließen das Thema wieder aus den Medien verschwinden.

Die EU ist nicht Europa. Ihr die Souverenität zu überlassen, heißt sie auf dem Altar der US-Interessen zu opfern.

also


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