BREXIT vor dem Scheitern? Warum in einer repräsentativen Demokratie das Parlament über Vertragsauflösungen (mit)entscheidet

Literaturhinweis, Dienstag, 24.01.2017, 13:44 (vor 2983 Tagen) @ 2723 Views
bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 24.01.2017, 13:50

Im Moment geht wegen des BREXIT-Ablaufs ein Entrüstungssturm durchs Netz, daß nach dem Urteil des Obersten Gerichts in Großbritannien nun doch das Parlament über den BREXIT entscheiden müsse.

Was ist aber daran eigentlich verwunderlich? Viel verwunderlicher ist, daß die Populistin May dem Volk die ganze Zeit hat vorgaukeln wollen, das Parlament sei daran nicht beteiligt.

Die Logik ist recht einfach: das Parlament muß alle völkerrechtlichen Verträge ratifizieren (wie deutsche Landtage Rundfunkstaatsverträge). Verträge werden von Regierungen ausgehandelt (und paraphiert), aber niemals (ohne parlamentarische Erlaubnis) geschlossen (d.h. ratifiziert). Das tut das Parlament, regelmäßig in einem Gesetz, und erst danach darf der Souverän, etwa die Queen oder der Bundespräsident, diese unterzeichnen/ausfertigen lassen. Folglich muß auch der Austritt aus der EU vom britischen Parlament ratifiziert werden, hat es doch den Beitritt damals ratifiziert. Daß es zum Beitritt zudem einer Volksabstimmung in manchen Ländern bedarf/bedurft hat, tut nichts zur Sache - der Gesetzgeber war auch da das Parlament!

Hier, beim BREXIT, ist die Sache aber viel komplexer: in der Folge des noch einfach zu ratifizierenden Beitritts kam es dann, aufgrund der Ermächtigung im Beitrittsgesetz, zu tausenden Gesetzen und Verordnungen, die aufgrund EU-Richtlinien ins nationale Recht übernommen wurden/übernommen werden mußten. Zu jeder einzelnen mußte das Parlament ein Umsetzungs-Gesetz erlassen oder einer Verordnungsermächtigung eines Ministeriums zustimmen. Es wäre geradezu undemokratische diktatorische Willkürherrschaft, wenn nun eine Regierung das alles 'auflösen' können sollte (wie denn? Per Führererlaß - sehnen sich die Entrüster danach zurück?) - im Alleingang. Wie gesagt, es geht nicht um den BREXIT an sich - es geht um die tausende Rechtsvorschriften, die parlamentarisch zustandekamen, eben weil die Exekutive nichts tun darf, was die Legislative nicht irgendwie genehmigt hat, und umgekehrt sollte sie auch nichts für ungültig erklären können, was die Legislative als geltendes Recht gesetzt hatte. Wer etwas anderes will, wünscht sich damit die Notverordnungen der Weimarer Republik zurück, die von einem dementen Reichspräsidenten unterzeichnet, aber von dessen nicht gewähltem Sohn erstellt wurden. Will man das?

Davon getrennt ist die Frage zu beantworten und ich denke, wenn man den noch zu veröffentlichenden Gesamt-Urteilstext liest, wird dies auch nirgends so erlaubt, ob das britische Unterhaus nun 'mir-nichts-Dir-nichts' den BREXIT als solchen ins Gegenteil verkehren könnte. Volksabstimmungen, auch in der Schweiz, geben weltweit den gesetzgebenden Organen eine Richtung vor, ein Minimum des zu regelnden, hinter das das Parlament regelmäßig nicht zurück kann; d.h. das Parlament kann nicht den Austritt nicht beschließen. Und wenn, wäre das ein Staatsstreich, für den dasselbe Gericht dann noch deutlichere Worte fände als soeben.

Aber die Feinheiten sind am Ende stets eine qualvolle Abstimmung mit hunderten anderen Gesetzen, die unmöglich allein in einer Volksabstimmung bewältigt werden könnte. So mußte z.B. für das Gesetz über gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften in Deutschland auch das ... Margarinegesetz geändert werden (und sicher nicht wegen der Verwendung der Butter in 'Der letzte Tango in Paris') - siehe § 39.

Also: sollte dagegen das britische Unter- und Oberhaus den (übrigens knappen) Volkswillen nicht respektieren und daraus einen "Brein" machen, wie schon oft spekuliert wurde, als der Kater am Tage danach einzusetzen begann (etwa, als klar wurde, daß Schottland und Nordirland das anders sehen und damit seit Jahrhunderten der alte irische Traum, Nordirland von Großbritannien zu lösen, evtl. einen Schritt näher gerückt sein könnte), dann entrüste ich mich auch.

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